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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Der Lerntyp macht den Unterschied – Zusammenhang von Kolbs Lerntypen mit psychischen Befunden von Medizinstudierenden im vorklinischen Studienabschnitt am Hochschulstandort Erlangen

Forschungsarbeit Humanmedizin

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  • Pascal H. Burger - Psychiatrische und Psychotherapeutische Spezialklinik Meissenberg AG, Zug, Schweiz
  • corresponding author Michael Scholz - Friedrich-Alexander Universität Erlangen, Institut für Anatomie II, Erlangen, Deutschland

GMS Z Med Ausbild 2014;31(4):Doc42

doi: 10.3205/zma000934, urn:nbn:de:0183-zma0009343

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2014-31/zma000934.shtml

Eingereicht: 17. Januar 2014
Überarbeitet: 20. Juni 2014
Angenommen: 15. Juli 2014
Veröffentlicht: 17. November 2014

© 2014 Burger et al.
Dieser Artikel ist ein Open Access-Artikel und steht unter den Creative Commons Lizenzbedingungen (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.de). Er darf vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden, vorausgesetzt dass Autor und Quelle genannt werden.


Zusammenfassung

Theorien über Lernstile und Lerntypen sind seit fast 40 Jahren fester Bestandteil lehrdidaktischer Diskussionen. Die Lerntypologie nach Kolb unterteilt Lernende in vier Gruppen (Divergierer, Assimilierer, Konvergierer und Akkomodierer), die sich sowohl hinsichtlich ihres Lernverhaltens als auch ihrer Persönlichkeit und ihrer Präferenzen voneinander unterscheiden. Wir untersuchten den Zusammenhang der vorliegenden Lerntypen mit dem Kohärenzerleben und Burnout-Symptomen bei Humanmedizinstudierenden in der Vorklinik (1.-4. Semester) an der Friedrich-Alexander Universität Erlangen. Insgesamt 530 Studierende wurden von uns im Wintersemester 2012/13 mit standardisierten Selbstbeurteilungsfragebögen hierzu befragt. Im Ergebnis zeigte sich ein signifikanter Zusammenhang zwischen dem jeweiligen Lernstil und der Ausprägung von Kohärenzgefühl, sowie kognitiven und emotionalen Burnout Symptomen. Die Lerntypen der Studierenden unterschieden sich dabei signifikant in denselben Parametern. Wir konnten außerdem zeigen, dass Lernstile und Lerntypen nicht nur die Leistungen im Studium beeinflussen, sondern auch Beziehungen zu Kohärenzgefühl und psychischen Beschwerden bestehen. Eine weitblickendere Einbeziehung der Theorie der Lerntypen in das medizinische Ausbildungscurriculum könnte sowohl die Performanz, als auch das psychische Befinden der Studierenden positiv beeinflussen.

Schlüsselwörter: Studienanfänger, Lerntypen, Kohärenzgefühl, Burnout, psychische Belastung


Einleitung

“Learning is the process of creating knowledge” David Kolb (1984)

In der vorliegenden Studie untersuchen wir das Kollektiv Humanmedizinstudierender im vorklinischen Studienabschnitt an der FAU Erlangen. Studierende zeigen unterschiedliche Lernerfolge, selbst wenn die Lernbedingungen im universitären Curriculum und Studienablauf grundsätzlich gleich sind. Dies beruht auf individuell vorhandenen Voraussetzungen, wie beispielsweise themenbezogene Vorkenntnisse, Motivation oder individuelle Fähigkeiten und Bearbeitungsmodi. Mit dem abstrakten Konstrukt definierter Lernstile wird versucht, Persönlichkeitsmerkmale und Präferenzen des Lernenden zu erfassen und zu kategorisieren. Hierzu gibt es bereits eine Reihe von theoretischen Modellen, welche in den letzten Dekaden entwickelt bzw. in Studien adaptiert worden sind [1], [2], [3]. Im Rahmen unserer Erhebung entschlossen wir uns für die Analyse der Daten nach dem Modell von Kolb, weil hier das Lernen als permanent fortschreitender Prozess gesehen wird, bei dem von den Lernenden zunächst Erfahrungen gesammelt und anschließend verarbeitet werden [1]. Kolbs Modell erscheint uns hinsichtlich unserer Fragestellungen als besonders geeignet, da Medizinstudierende in besonderem Maße auf multimodale Weise unterrichtet werden und daher die individuelle Integration eines Lernstoffes in schon vorhandene Erfahrungen sowohl konkret als auch abstrakt geschehen muss. Kolb differenziert das Vorgehen zur Aneignung von Wissen in vier Lernstile, das aktive Experimentieren (AE), das reflektierte Beobachten (RB), das konkrete Erleben (KE) und die abstrakte Begriffsbildung (AB), wodurch er vier Lerntypen (Divergierer, Assimilierer, Konvergierer und Akkomodierer) definiert (siehe Abbildung 1 [Abb. 1]). Divergierer (feeling and watching) stehen für konkret gemachte Erfahrungen und reflektiertes Beobachten und ihre Stärken liegen in der individuellen Vorstellungsfähigkeit. Sie tendieren dazu, konkrete Situationen aus vielen Perspektiven zu betrachten und sind eher philanthrop ausgerichtet. Sie zeigen vielseitige kulturelle Interessen und spezialisieren sich oft auch in künstlerischen Aktivitäten. Assimilierer (watching and thinking) bevorzugen eher reflektiertes Beobachten und abstrakte Begriffsbildung. Ihre deutliche Stärke liegt in der Erzeugung von theoretischen Modellen. Sie neigen zu induktiven Schlussfolgerungen und befassen sich lieber mit Dingen oder Theorien als mit Personen. Konvergierer (doing and thinking) bevorzugen abstrakte Begriffsbildung und aktives Experimentieren. Ihre Stärken liegen mehr in der Ausführung von Ideen. Sie neigen zu hypothetisch-deduktiven Schlussfolgerungen und befassen sich lieber mit Dingen oder Theorien als mit Personen. Akkomodierer (doing and feeling) bevorzugen aktives Experimentieren und ebenfalls konkrete Erfahrungen. Ihre Stärke liegt mehr in der Ausgestaltung von Aktivitäten. Sie neigen zu intuitiven Problemlösungen durch Versuch und Irrtum und befassen sich lieber mit Personen als mit Dingen oder Theorien. Das Kolbsche Modell stellt im Vergleich zu anderen theoretischen Modellen zu Lernstilen vor allem deswegen einen besonderen Ansatz dar, da es zwischen Personen in diametralen Positionen des Modells nach Kolb (Assimilierern/Akkomodierern und Konvergierern/Divergierern) zu kognitiven Konflikten kommen kann, was sich u.a. in der Situation zwischen Lehrenden und Lernenden als Störung ausdrücken kann [4].

Die vier Lerntypen unterscheiden sich, entsprechend der Untersuchungen von Kolb, in ihrer Persönlichkeit und ihrer Anpassungsfähigkeit und weisen meist eine Häufung in bestimmten Berufssparten auf. Kolb analysierte 1984 die kognitiven Anforderungen von Domänen wie z.B. der Ingenieur-, Sozial- und Politikwissenschaften und zog Schlüsse über den Zusammenhang zwischen dem Lerntyp und der Wissensdomäne. Während er Ingenieure überwiegend als Konvergierer sah, fand er die Sozial- und Politikwissenschaftler eher im divergenten und die Wirtschaftswissenschaftler im assimilativen Bereich. Unklar blieb seiner Meinung nach, ob diese Verteilung das Ergebnis einer Selektion vor dem Beginn der Ausbildung oder einer persönlichen Entwicklung und einer Selektion während der Ausbildung ist [1]. Empirische Befunde anderer Untersuchungen unterstützen diesbezüglich Kolbs Annahme [5], [6], [7]. Sportlehrer zum Beispiel sind hinsichtlich ihres Lernstiles eher im Bereich des aktiven Experimentierens bzw. des konkreten Erlebens (AE/KE) anzusiedeln, wohingegen Mathematiklehrer mehr im Bereich des reflektierten Beobachtens und der abstrakten Begriffsbildung (RB/AB) einordbar sind [8]. Die Kolbschen Lerntypen wurden im Verlauf der vergangenen 30 Jahre bereits an vielen Kollektiven in der Pflegeausbildung sowie bei unterschiedlichen Studierendenkollektiven und auch bei Ärzten in Weiterbildung untersucht [9], [10], [11], [12], [13], [14], [15]. Immer wieder wurde dabei vorgeschlagen, die Ausbildung mehr an die Lerntypen der Studierenden anzupassen, um das Lernen zu erleichtern und Leistungen zu verbessern. Dennoch ist in diese Richtung bislang kaum etwas unternommen oder gar in bestehenden Curricula umgesetzt worden. Der Diversität der Lernstile wurde somit auch bei den Medizinstudierenden zu Studienbeginn bislang keine Rechnung getragen. Ebenso wurden etwaige Wechselwirkungen zwischen Lernverhalten und psychischer Belastung bislang kaum analysiert. Aus unserer Sicht lag es nahe, dass die Lerntypendiagnostik, die laut Kolb [8], [16] so enge Verbindungen zur Persönlichkeitsstruktur des Lernenden aufweist, auch Auswirkungen auf das psychische Befinden des Betreffenden haben müsste und umgekehrt. Um dies näher zu eruieren, untersuchten wir Studierende der Humanmedizin in den ersten vier vorklinischen Semestern (Studienbeginn bis zum ersten Staatsexamen) hinsichtlich ihres Lerntyps und ausgewählter psychischer Parameter (Kohärenzgefühl, Burnout Symptomatik).


Methoden

Wir untersuchten insgesamt 530 Studierende der Humanmedizin aus den Studiensemestern 1-4 im Wintersemester 2012/13. Im Rahmen der Befragungen erhoben wir unter anderem Daten zu Lernstilen mithilfe eines 40 Items umfassenden Fragenkatalogs (je 10 Fragen zum jeweiligen Lernstil AE, RB, KE, AB). Zudem untersuchten wir mittels standardisierter und validierter psychologischer Selbstbeurteilungsfragebögen Kohärenzgefühl und Burnout Symptomatik in der gesamten Studienkohorte.

Wir wählten das Kohärenzgefühl als Parameter, da dieses - entsprechend Antonovskys Modell der Salutogenese [17] - die innere Haltung eines Menschen beschreibt, durch die „die ihn umgebende Welt und die Dinge, die ihm geschehen, als verstehbar, handhabbar und sinnvoll“ erscheinen [18]. Gerade bei Studierenden vor dem 1. Staatsexamen, bei denen die Umstellung von Schule auf Studium und erstmals die Konfrontation mit dem potentiellen, zukünftigen Berufsbild stattfindet, schien uns das Kohärenzgefühl von besonderem Interesse zu sein. Die Sense of Coherence Scale (hier: Leipziger Kurzform SOC-L9 [19]) ist im Bereich der psychiatrischen/psychosomatischen Diagnostik ein etabliertes Untersuchungsinstrument und zeigte bereits in mehreren Studien eine gute Aussagekraft im Zusammenspiel mit der Erfassung von Datensätzen zu Depression und Angst [20]. Gleichzeitig untersuchten wir bei den Studierenden Burnout-Beschwerden, welche eine direkte Auswirkung von Stress und Überlastung darstellen. Die zur Beurteilung gewählten Burnout-Screening-Skalen (BOSS-II) sind ein Selbstbeurteilungsverfahren zur Erfassung von subjektiven psychischen und physischen Beschwerden, wie sie typischerweise im Rahmen eines Burnout-Syndroms auftreten [21]. Es stehen zwei unabhängig voneinander einsetzbare Fragebögen mit jeweils 30 Items zur Verfügung. BOSS-II besteht aus drei Skalen (körperliche, kognitive und emotionale Beschwerden) mit jeweils zehn Items und umfasst einen Beurteilungszeitraum von sieben Tagen. Dieser Fragebogen kann sowohl zur dimensionalen Diagnostik (Quantifizierung der Beschwerden) als auch zur kategorialen Diagnostik (Verdachtsdiagnose eines Burnout-Syndroms) eingesetzt werden. Je höher der erzielte Wert, desto höher ist die Ausprägung der Symptomatik. Für die Burnout-Diagnostik bei diesem speziellen Kollektiv entschieden wir uns für die BOSS-II, da die Items optimal auf vorklinische Medizinstudenten anwendbar erscheinen. Im Gegensatz zu anderen etablierten Tools, z.B. dem klassischen Maslach Burnout Inventory (MBI), werden hier keine Fragen über den Patienten-/Klientenkontakt gestellt, den die Studierenden im Rahmen des vorklinischen Unterrichts in den ersten vier vorklinischen Semestern in Erlangen entweder gar nicht oder nur sehr untergeordnet haben. Für die Durchführung der Studie lag das positive Votum der örtlichen Ethikkommission vor und alle Teilnehmer willigten schriftlich in die anonymisierte Erhebung und Auswertung Ihrer Testergebnisse ein. Die statistische Auswertung der erhobenen Daten erfolgte mit dem Statistikprogramm IBM SPSS Statistics, Version 21. Neben der deskriptiven Statistik bei vorliegender Normalverteilung wurden Mittelwertvergleiche durchgeführt. Hierzu wurden einfaktorielle ANOVA-Analysen angewendet. Der Zusammenhang zwischen der Ausprägung eines Lernstils und Burnout-Beschwerden bzw. Kohärenzgefühl wurde durch Korrelationstests ausgewertet.


Ergebnisse

Wir ermittelten bei den 530 Teilnehmern aus den Ausprägungen der Lernstile jeweils den Lerntyp und ordneten diesem entsprechend die Studierenden in die vier Hauptgruppen Akkomodierer (Acc), Konvergierer (Con), Divergierer (Div) und Assimilierer (Ass) sowie auf einer Achse neutrale Studierende (AccCon, AccDiv, ConAss und DivAss) und komplett Neutrale im Lernstil ein (siehe Abbildung 2 [Abb. 2], 3 [Abb. 3] und Tabelle 1 [Tab. 1]). Für die Berechnungen der Unterschiede zwischen den verschiedenen Lerntypen schlossen wir zur besseren Beurteilung nur diejenigen TeilnehmerInnen ein, die eindeutig einem der vier Haupttypen zuzuordnen waren (siehe Abbildung 4 [Abb. 4]).

Im Ergebnis zeigten sich deutliche Unterschiede in den Summenwerten für Kohärenzerleben und Burnout-Beschwerden zwischen den genannten vier Lerntypgruppen (siehe Tabelle 2 [Tab. 2] und Abbildung 5 [Abb. 5]). Im Mittelwertvergleich zwischen den Lerntypen war dieser Unterschied im Falle von Kohärenzgefühl, kognitivem und emotionalem Burnout signifikant (siehe Tabelle 3 [Tab. 3]). Um einen etwaigen Einfluss der Lernstilkomponenten, unabhängig vom resultierenden Lerntyp, noch besser beurteilen zu können, untersuchten wir an unserem Gesamtkollektiv den Einfluss der einzelnen Summenwerte für die Lernstilskalen. Hier zeigte sich, dass die Studierenden, bei denen das aktive Experimentieren am stärksten ausgeprägt war, in der kognitiven und emotionalen Burnout-Skala die geringsten sowie im Sense of Coherence die höchsten Werte aufwiesen.

Außerdem führten wir zusätzlich eine Korrelation der Summenwerte der jeweiligen Skalen mit den Werten von Kohärenzgefühl und Burnout-Beschwerden durch. Als einziger Lernstil korrelierte hier das Aktive Experimentieren signifikant positiv mit dem Kohärenzgefühl und signifikant negativ mit den kognitiven und den emotionalen Burnout-Beschwerden (siehe Tabelle 4 [Tab. 4]). Alle drei Burnout-Werte korrelierten wiederum jeweils signifikant mit dem Kohärenzgefühl und umgekehrt sowie untereinander.


Diskussion

Kolb identifizierte in seinem Modell Gefühle, Emotionen und das Denken als Faktoren, welche die Lernstile der Individuen beeinflussen [22]. Die hier vorgestellten Ergebnisse zeigen jedoch, dass der bestehende Lernstil wiederum das emotionale Erleben und das psychische Befinden deutlich beeinflusst. Norman stellte 2009 in seiner Arbeit die Aussagekraft von Lernstil-Theorien sowie die sinnvolle Umsetzung von Erkenntnissen aus der Erhebung der Lernstile in der wissensvermittelnden Praxis in Frage [23]. Doch auch wenn, wie der Autor dort zitiert, das Kollektiv der Medizinstudierenden ein hoch motiviertes und hochleistungsfähiges sein mag, das sich möglicherweise dadurch besonders gut adaptiv für unterschiedliche Instruktionsstile zeigt, so machen die Ergebnisse unserer Studie doch sehr deutlich, dass es neben der bloßen Wissensvermittlung weitere Faktoren gibt, die bei der Bewertung unterschiedlicher Lernstile Beachtung finden sollten. Die Lernstiltheorie von Kolb könnte, anhand der von uns gezeigten Ergebnisse, eine neue Ebene der Aussagekraft erhalten und somit auch zu einem besseren Verständnis hinsichtlich eines erfolgreichen oder schädlichen Umgangs mit berufsbedingtem Stress führen. Je stärker die Tendenz zum aktiven Experimentieren ausgeprägt war, desto höher zeigte sich das Kohärenzgefühl bei den befragten Medizinstudierenden. Gleichzeitig brannten die Studierenden weniger aus, je mehr sie zum aktiven Experimentieren neigten. Aufgrund der in der psychiatrischen Literatur beschriebenen, starken Zusammenhänge zwischen Kohärenzgefühl und Depressivität, könnte man hier schon fast versucht sein, hinsichtlich dieser Erkrankung einen protektiven Faktor „aktives Experimentieren“ zu postulieren. Interessanterweise hatte keiner der anderen Lernstile Einfluss auf die psychologischen Parameter, weswegen wir vermuten, dass beim vorliegenden Curriculum am Erhebungsstandort Erlangen das aktive Experimentieren besonders zur erfolgreichen Bewältigung der Lerninhalte des Vorklinik-Curriculums beiträgt. Inwieweit sich diese Erkenntnis auf andere Hochschulen und deren Curricula übertragen lässt - die FAU Erlangen hat ein klassisches Curriculum, praktisch ohne klinische Fächer in den ersten vier Semestern - lässt sich natürlich an dieser Stelle anhand der vorliegenden Datenbasis nicht mit Sicherheit sagen. Allerdings liegt es nahe, dass bei einem didaktisch anders ausgerichteten Curriculum (beispielsweise einem POL-basierten Curriculum), dieser Faktor eher noch mehr zum Tragen kommen würde. Interessant ist, dass es zwischen den Lernstilen und körperlichen Burnout-Beschwerden offenbar keine Beziehung zu geben scheint. Dies deckt sich allerdings in gewisser Weise mit unseren Erkenntnissen zur Entwicklung psychischer Erkrankungen bei Medizinstudierenden. Trotz des Anstieges der Prävalenz von Depressionen und eines Abfalles der psychischen Lebensqualität im Verlauf des Humanmedizinstudiums, waren die Selbstbeurteilungen von physischer Lebensqualität und körperlichem Burnout stets konstant [24]. Die physische Verfassung scheint sich im Verlauf und über die Lerntypen hinweg auf konstantem Niveau zu halten und vom Faktor „Medizinstudium“ unbeeinflusst zu sein.

Im Falle der kognitiven und emotionalen Burnout-Beschwerden ist im Mittelwertvergleich jedoch zwischen den Lerntypen ein durchaus signifikanter Unterschied zu erkennen. Hiermit kommt zu der bestehenden Debatte über den Einfluss von Lernstilen auf die Zufriedenheit [25] und die Leistung der Studierenden [26], [27] zusätzlich die von uns vermutete Ebene der psychischen Belastbarkeit und des Wohlbefindens. Interessant wäre es sicherlich auch, die psychischen Faktoren in Settings zu beurteilen, welche bereits im Vorfeld auf die Lerntypenthematik eingegangen sind. Wie würde beispielsweise das Kohärenzgefühl bei Studierenden sein, wenn man wie bei Sandmires Ansatz [28] immer einen konkreten und einen abstrakten Lerner im Team zusammenbringt? Würde sich dann vielleicht nicht nur die individuelle Leistung verbessern, sondern die Studierenden auch hinsichtlich ihrer Psyche davon profitieren – zum Beispiel weil sie durch die unterschiedlichen Lernerfahrungen ihr gegenseitiges Verständnis der Thematik erweitern? Diese Fragen lassen sich momentan nicht empirisch beantworten. Es ist zu erwarten, dass sich hilfreiche Lernstile im Verlauf durch die Anforderungen in der Aus- und Weiterbildung ändern können und ändern werden und dass dadurch gegebenenfalls auch andere Lernstile als positiv beeinflussend heraustreten [9], [14]. Dennoch sollte ganz bewusst versucht werden im Rahmen der medizindidaktischen Ausbildung besser auf die Bedürfnisse unserer Studierenden einzugehen. Hinweise, dass die Art des Lehrangebotes (Curriculumsformat) nicht zwangsläufig den Lernstil der Studierenden beeinflusst sind zwar vorhanden [29], durch eine breitere Fächerung des Angebotes an unterschiedlichen Lehrformen könnten wir aber vielleicht trotzdem besser auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der Studierenden eingehen und Ihnen so mehr Freude und weniger Stress am Studium vermitteln und somit zu einer positiveren Grundhaltung beim Wissenserwerb beitragen.

Für die Zukunft planen wir unsere Erhebungen auch auf Berufsanfänger aus anderen medizinischen Fachbereichen und Pflegeberufen auszudehnen. Hierbei soll das Interesse auf der Identifikation der hilfreichen Lernstilen in den einzelnen Ausbildungsformaten liegen, da wir von extremen Unterschieden in Inhalt und Lernstoffvermittlung in den unterschiedlichen Bereichen ausgehen. Ebenso sollen Daten an verschiedenen Standorten erhoben werden. Durch die Auswertung weiterer Daten und die Umsetzung dieser Ergebnisse in konkrete Angebote soll es noch besser gelingen, die verschiedenen Studierendentypen effektiv zu berücksichtigen. Relativierend soll und muss an dieser Stelle deutlich gesagt werden, dass Lernstile generell natürlich als wissenschaftliche Konstrukte zu sehen sind, wobei der individuelle Gebrauch von Lernstilen sich kontextabhängig mit den Inhalten, den Aufgaben und institutionellen Gegebenheiten verändert und sich auch durch Lernen und Erfahrung selbst wandelt. Es ist häufig auch zu beobachten, dass die Selbstbewertung des eigenen Lernstils in Lernstilinventaren häufig nicht deckungsgleich ist mit dem tatsächlich genutzten Lernstil [30]. Nistor & Schäfer sprechen in diesem Zusammenhang von einem „aufgabeninduzierten“ Lernstil [30]. Dennoch können uns definierte Lernstile hilfreiche Hinweise für die Gestaltung von Lernszenarien und Lernumgebungen geben. Ziel sollte es sein, die Ausbildung verstehbarer, handhabbarer und sinnvoller erlebbar zu machen und Studierende psychisch für die universitären Anforderungen und ihren zukünftigen Beruf zu stärken.


Danksagung

Die Autoren bedanken sich herzlich bei Herrn Michael Beall für die Bearbeitung des englischen Textes.


Interessenkonflikt

Die Autoren erklären, dass sie keine Interessenkonflikte im Zuammenhang mit diesem Artikel haben.


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