gms | German Medical Science

GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Förderung kommunikativer Fähigkeiten durch den Einsatz von Eigen- und Fremd-Videoannotationen simulierter Arzt-Patient-Gespräche im Rahmen von Kommunikationstrainings: Eine Implementierungsstudie

Artikel Implementierungsstudien

  • corresponding author Anina Pless - Universität Bern, Berner Institut für Hausarztmedizin, Bern, Schweiz
  • author Roman Hari - Universität Bern, Berner Institut für Hausarztmedizin, Bern, Schweiz
  • author Beate Brem - Universität Bern, Institut für Medizinische Lehre IML, Bern, Schweiz
  • author Ulrich Woermamm - Universität Bern, Institut für Medizinische Lehre IML, Bern, Schweiz
  • author Kai P. Schnabel - Universität Bern, Institut für Medizinische Lehre IML, Bern, Schweiz

GMS J Med Educ 2021;38(3):Doc55

doi: 10.3205/zma001451, urn:nbn:de:0183-zma0014510

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2021-38/zma001451.shtml

Eingereicht: 23. März 2020
Überarbeitet: 31. Juli 2020
Angenommen: 21. September 2020
Veröffentlicht: 15. März 2021

© 2021 Pless et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Hintergrund: Der obligatorische Kommunikationskurs für Berner Medizinstudierende im vierten Jahr hat zum Ziel, die Studierenden auf herausfordernde Kommunikationssituationen vorzubereiten. Die Studierenden spielen vier verschiedene Szenarien mit Simulationspatienten (SP) und erhalten von diesen Feedback aus der Patientenperspektive. Die Szenarien werden auf Video aufgezeichnet und auf die virtuelle Lernplattform der Universität geladen. Die Studierenden können ihre eigenen Videos anschauen und annotieren und anderen den Zugang dazu erteilen.

Projektbeschreibung: Obschon die Kommunikationskurse bei den Studierenden beliebt sind, identifizierten wir drei Verbesserungsmöglichkeiten:

  • Fehlendes ärztliches Feedback
  • Spärliche Nutzung der Video-Aufnahmen
  • Fehlende Möglichkeit für Erfahrungsaustausch unter den Studierenden

Diesen Defiziten versuchten wir mit einer zusätzlichen Aufgabe entgegenzutreten: Die Studierenden erhielten den Auftrag, von ihren eigenen Videos und denjenigen eines Mitstudierenden jeweils eine gelungene Sequenz, sowie eine in ihren Augen verbesserungswürdige Sequenz zu annotieren. Diese Videosequenzen und Annotationen dienten als Grundlage für ein zweistündiges Kleingruppenseminar mit einem ärztlichen Tutor. Der Kurs wurde mittels eines obligatorischen Online-Fragebogens evaluiert.

Ergebnisse: Alle 247 Studierenden füllten den Fragebogen aus. Das Annotations-Tool und die Aufgabenstellung wurden als verständlich beurteilt. Die Studierenden gaben an, mehr von der Annotation des Videos eines Mitstudierenden profitiert zu haben als von der Annotation ihrer eigenen Videos. Die meisten Studierenden störte es nicht, von Mitstudierenden beurteilt zu werden. Die Rückmeldungen durch die ärztlichen Tutoren wurden grösstenteils als hilfreich erachtet. Die Studierenden bewerteten den Kurs durchschnittlich mit der Note 4.6 (Median: 5), (1=sehr schlecht, 6=sehr gut).

Fazit: Die Ergänzung des Kurses durch Video-Annotationen und Gruppendiskussionen mit ärztlichen Tutoren konnte erfolgreich implementiert und technisch umgesetzt werden. Der Kurs wurde sowohl von den ärztlichen Tutoren wie auch von den Studierenden gut aufgenommen.

Schlüsselwörter: Medizinische Ausbildung, Kommunikationstraining, Video, Annotation, Schauspielpatienten


1. Hintergrund

1.1. Kommunikationsfähigkeiten und Reflexionsauftrag

Kommunikationsfähigkeiten stellen eine Kernkompetenz von Medizinstudierenden und Ärzten dar. Der neu eingeführte Schweizer Lernzielkatalog PROFILES (Principal Relevant Objectives and a Framework for Integrative Learning and Education in Switzerland) baut auf dem CanMEDs-Modell auf, in welchem eine der Hauptaufgaben eines medizinischen Experten die des Kommunikators ist [1].

Simulation ist ein weithin anerkanntes Lehrmittel zur Vermittlung von Kommunikationsfähigkeiten. Die Übertragung des so Gelernten auf Situationen des realen Lebens ist in verschiedenen Studien belegt [2]. Durch die Vermittlung einer Patientensichtweise verbessert das Feedback von Simulationspatienten (SPs) während Kommunikationstrainings sowohl die Motivation der Studierenden [3] wie auch deren Fähigkeiten [4], [5]. Zudem hat sich gezeigt, dass Peer-Feedback und Selbstassessment helfen können, Lernziele in Bezug auf Kommunikationsfähigkeiten effektiver zu erreichen [6], [7]. Peer-Feedback und Selbstassessment sind Teil des Paradigmas der Reflexionspraxis. Dieses beschreibt die Fähigkeit, eine Erfahrung kritisch zu bewerten und dadurch neue Erkenntnisse für zukünftige Handlungen zu entwickeln [7], [8]. Reflexion ist eine wirksame Lernstrategie in der medizinischen Ausbildung [9], [10]. Die Verwendung von Videoaufzeichnungen klinischer Situationen, auf die die Studierenden zugreifen und die sie kommentieren können, wird als praktikabel erachtet und Studierende sehen es als hilfreich für das Erlernen von Kommunikationsfähigkeiten an [11], [12]. Die Reflexion anhand von Videos von Konsultationen ist ein gutes Instrument, um sowohl über Mikroverhalten (z. B. Kopfnicken, Verwendung offener Fragen) wie auch ganzheitlichere Fähigkeiten (z. B. Verwendung spezifischer Kommunikationsfähigkeiten) zu lernen [13].

Es konnte gezeigt werden, dass Kommunikationsunterricht mittels Video- Reflexion einen positiven Effekt auf die Einstellung und Leistung der Studierenden hat [14] – diese Lernform wird sogar als „Goldstandard des Kommunikationstrainings“ bezeichnet [15]. Feedback zu Konsultationsvideos ermöglicht es den Studierenden, sich selbst aus einer gewissen Distanz zu betrachten, was mit entsprechender Unterstützung zu einer „positiven Selbstentwicklung“ führen kann [13]. Eine Anleitung während des Reflexionsprozesses wird als essentiell angesehen, da es in diesem Setting sonst schwierig ist, die thematische Kontinuität der Diskussion aufrechtzuerhalten [16]. Eine Kombination aus Selbstevaluation und Feedback von Außenstehenden hat den besten Effekt auf die klinische Leistung [17].

An der Universität Bern wurde vor über 10 Jahren ein Kommunikationscurriculum etabliert. Die Kommunikationskurse im vierten Jahr haben zum Ziel, die Studierenden auf herausfordernde Kommunikationssituationen vorzubereiten [18]. Die Themen sind motivierende Gesprächsführung, Überbringen schlechter Nachrichten, Aufklärung und Einwilligung und Sexualanamnese. Die Studierenden spielen diese Situationen mit SPs und erhalten sowohl Rückmeldung aus Patientenperspektive von den SPs als auch von einem Mitstudierenden, welcher das Gespräch beobachtet hat.

Unter Einbezug der oben genannten Literatur sowie der Ergebnisse der Kursevaluationen haben wir beschlossen, den Kommunikationkurs im vierten Studienjahr zu revidieren und zu erweitern.

In diesem Artikel beschreiben wir das ursprüngliche Kursformat und die Gründe für eine Änderung und stellen das überarbeitete Kursformat und den Implementierungsprozess vor. Wir fassen auch die Evaluationsergebnisse zusammen und präsentieren einen Ausblick.


2. Projektbeschreibung

2.1. Ursprüngliches Kommunikationskurs – Format und Gründe für die Erweiterung

Eine Reihe simulierter Begegnungen zwischen Studierenden und SPs bilden das zentrale Element des -Kommunikationskurses im vierten Studienjahr, wobei die SPs den Studierenden im Anschluss Feedback bezüglich deren Leistung geben. Ursprünglich bestand der Kurs aus zwei solcher zweistündigen Trainingseinheiten mit SPs. In beiden Trainingseinheiten wurden jeweils vier Szenarien gespielt. Die Studierenden arbeiteten in Zweiergruppen und spielten abwechslungsweise die Rolle des Arztes und des Beobachtenden. Ein Szenario dauert fünfzehn Minuten, im Anschluss folgt während fünfzehn Minuten Feedback des SP und des beobachtenden Studierenden. Eine Übersicht über den Kurs einschliesslich der neu hinzugefügten Aufgaben im Rahmen dieses Projekts ist in Abbildung 1 [Abb. 1] zu sehen.

In der zweiten Trainingseinheit wechseln die beiden Studierenden die Rollen, so dass nun der Student die ärztliche Rolle einnimmt in den beiden Szenarien, in welchen er im ersten Training Beobachter war.

Die Studierenden bereiten sich individuell mit einem detaillierten Leitfaden auf den Kurs vor. Der Leitfaden enthält Hintergrundinformationen zu den Themen der Szenarien und den Krankheitsbildern, den Calgary-Cambridge-Leitfaden [19] sowie Links zu Online-Quellen mit weiteren Informationen zu den zugrundeliegenden Kommunikationsmodellen [20].

Alle Trainingseinheiten inklusive Feedbackrunden werden auf Video aufgenommen und automatisch auf die virtuelle Lernplattform der Universität hochgeladen. Die Studierenden können ihre eigenen Videos ansehen und annotieren (kommentieren) und anderen den Zugang dazu erteilen.

Die Ergebnisse der Kursevaluation durch die Studierenden und die Tutoren, sowie die Nutzungsdaten der virtuellen Lernplattform ergaben drei potentielle Verbesserungsbereiche:

  • Fehlendes ärztliches Feedback: der Kurs beinhaltete lediglich eine kurze Feedback- und Fragerunde mit einem Arzt im Anschluss an die zweite Trainingseinheit. Die Zeit dafür war oftmals zu knapp bemessen, um die Fragen der Studierenden, z.B. wie mit einer bestimmten Situation im realen Berufsleben umgegangen werden kann, eingehend zu diskutieren.
  • Obwohl alle Szenarien auf Video aufgenommen wurden, schaute sich nur ein kleiner Anteil der Studierenden die eigenen Videos nach der Trainingseinheit tatsächlich an und es gab keine Aufgabenstellung, um den Reflexionsprozess anzuleiten.
  • Es bestand keine Gelegenheit für die Studierenden, ihre Erfahrungen untereinander zu diskutieren und so voneinander zu lernen. Einige Studierende gaben an, das Bedürfnis gehabt zu haben, mit anderen die Herausforderungen und positiven Erfahrungen zu besprechen, wofür aber aktuell kein Forum bestünde.

Um diesen Defiziten entgegenzuwirken und die Kommunikationskurse weiter zu verbessern, wollten wir den bestehenden Kurs um eine pädagogische Intervention erweitern, in der die selbst aufgezeichneten Videos genutzt und das fachliche Feedback und Interaktion unter den Studierenden gefördert werden.

2.2. Erweitertes Kursformat

Die Grundstruktur mit zwei Trainingseinheiten mit SPs wurde beibehalten. Nach der ersten Trainingseinheit erhielten die Studierenden allerdings neu eine online Video-Annotationsaufgabe, wie unten beschrieben. Die Studierenden kamen im Anschluss in Achtergruppen zusammen, um die annotierten Videosequenzen anzuschauen und zu besprechen. Diese Seminare wurden von ärztlichen Tutoren geleitet, welche auch eigene Erfahrungen einbrachten und Feedback gaben. Die kurze Feedbackrunde mit einem Arzt, welche im ursprünglichen Format nach dem zweiten Training stattfand, wurde durch eine obligatorische online Kursevaluation ersetzt, welche die Studierenden direkt im Anschluss an das Training ausfüllen konnten (siehe Abbildung 2 [Abb. 2]).

Online Video-Annotation

Die simulierten Gespräche wurden mit SWITCHcast auf Video aufgezeichnet [https://www.switch.ch/services/cast/]. Die aufgezeichneten Videos wurden automatisch auf das Integrierte Lern-, Informations- und Arbeitskooperations-System (ILIAS) der Universität Bern hochgeladen. Da die Videoaufzeichnungen im persönlichen Online-Lernbereich der Studierenden gespeichert waren, mussten die Studierenden ihren Mitstudierenden Zugang dazu erteilen. Alle Studierenden hatten die Aufgabe, die Videos ihrer beiden eigenen Szenarien sowie die Videos derselben Szenarien eines anderen Studierenden anzusehen.

Der Partner aller Studierenden war vordefiniert und war ein anderer als im Training. Erstens weil die Studierenden bereits während des Trainings dem dortigen Partner Feedback gegeben und das Feedback der SPs mitangehört hatten. Zweitens, um davon zu profitieren, jemand anderen zu beobachten, wie er in den gleichen Szenarien agiert. Alle Studierenden erhielten den Auftrag, vier Sequenzen (zwei eigene und zwei des Partners) elektronisch über das Online-Annotationstool zu markieren. Zu jeder Sequenz sollten sie notieren, weshalb sie diesen Ausschnitt ausgewählt hatten, was sie für besonders gut oder verbesserungswürdig hielten und warum, und Vorschläge zu machen, was in dieser Sequenz anders hätte gemacht werden können. Diese Online-Videoannotationen bildeten die Grundlage für das anschließende Seminar. Auf Anraten der Rechtsabteilung der Universität hatten die Studierenden die Möglichkeit, die Aufzeichnung ihrer Gespräche abzulehnen. Für diese Studierenden standen alternative Aufgaben zur Verfügung.

Seminar

Das Seminar bestand aus zwei Teilen:

Teil 1: Vorbereitung mit Mitstudierenden

Vor dem Treffen mit dem Tutor hatten die Studierenden 45 Minuten Zeit, in Vierergruppen diejenigen vorbereiteten Videosequenzen auszuwählen, welche sie im Seminar zeigen und diskutieren wollten.

Um eine ausgeglichene Auswahl von Videosequenzen zu haben, wurden die Studierenden aufgefordert, die Videos nach den folgenden Kriterien auszuwählen:

  • Mindestens eine Sequenz von jedem Studierenden
  • Eine ausgeglichene Anzahl guter und verbesserungwürdiger Sequenzen
  • Mindestens zwei Sequenzen pro Überthema (Überbringen schlechter Nachrichten, etc.)
  • Die Sequenzen dauern maximal eine Minute

Die Studierenden wurden gebeten, ihre eigenen Mobilgeräte mitzunehmen, um die Videosequenzen in den Seminaren über die Monitore zu präsentieren.

Teil 2: Seminare mit ärztlichen Tutoren

In Achtergruppen kamen die Studierenden unmittelbar nach der Vorbereitungsaufgabe mit einem ärztlichen Tutor zu einem zweistündigen Seminar zusammen. Die Studierenden präsentierten und diskutierten die von ihnen ausgewählten Videosequenzen. Die Tutoren moderierten die Seminare, beantworteten Fragen, gaben Feedback und Informationen zu den zugrundeliegenden Kommunikationsmodellen. Am Ende jedes Seminars notierten die Studierenden ihre persönlichen „Take-Home-Messages“ und was sie während ihrer zweiten Trainingseinheit verbessern wollten.

2.3. Umsetzung

Das Konzept zur Erweiterung des bereits existierenden Kommunikationskurses wurde innerhalb der Projektleitungsgruppe (BB, RH, AP, KS, UW) entwickelt, diskutiert und verfeinert. Im Anschluss erfolgte ein Pilotversuch mit sechzehn Studierenden. Aufgrund der Erfahrungen des Pilotversuchs wurde beschlossen, die Studierenden sowohl ihre eigenen Videos als auch diejenigen eines Mitstudierenden annotieren zu lassen und die Vorbereitungseinheit von 45 Minuten einzuführen, in welcher die Studierenden ihre Videosequenzen für das Seminar vorbereiten können. Das endgültige Format wurde im Herbstsemester 2019 für alle Studierenden des vierten Jahres eingeführt. Wir fragten klinisch tätige Ärzte als Tutoren an. Diese wurden in einem obligatorischen zweistündigen Schulungskurs mit den Zielen und der Struktur des Kurses vertraut gemacht. Zudem erhielten sie im Kurs die Gelegenheit, ihre Rolle während des Seminars, sowie die den Szenarien zugrundeliegenden Kommunikationskonzepte zu diskutieren.


3. Ergebnisse

Das erweiterte Kursformat wurde im Herbstsemester 2019 erfolgreich eingeführt. Alle 247 Studierenden nahmen an einem der 24 Seminare teil, welche über acht Nachmittage verteilt stattfanden. Abgesehen von einigen technischen Schwierigkeiten mit den Adaptern für die Geräte der Studierenden, was die Präsentation der ausgewählten Szenarien in manchen Gruppen verzögerte, kam es zu keinen grösseren Problemen. Alle Studierenden waren mit der Videoaufzeichnung einverstanden, niemand machte von der Ausnahmeregelung Gebrauch.

3.1. Online-Evaluation

Die Projektleitungsgruppe besprach die Themenbereiche, die in der Online-Evaluation abgedeckt werden sollten. UW und AP formulierten konkrete Fragen, die dann in der Projektleitungsgruppe diskutiert und verfeinert wurden, bis ein Konsens erreicht wurde. Die Evaluation bestand aus sechs Fragen zur Vorbereitung des Kurses, sieben Fragen zur Annotationsaufgabe und zehn Fragen zum Seminar. Für die meisten Fragen verwendeten wir vierstufige Likert-Skalas (stimme zu, stimme eher zu, stimme eher nicht zu, stimme nicht zu) mit einem zusätzlichen, optionalen Kommentarfeld. Einige Fragen erforderten eine offene Antwort (z. B. „Was hat Ihnen an dem Seminar besonders gefallen und was sollte beibehalten werden?“ Oder „Was können wir an dem Seminar verbessern?“). Eine detaillierte Liste der Fragen findet sich im Anhang 1 [Anh. 1].

Alle 247 Studierenden füllten die Online-Evaluation aus. Das Annotations-Tool und die Aufgabenstellung wurden von den meisten Studierenden als verständlich (88%) und einfach anzuwenden (82%) erachtet. Die Studierenden benötigten durchschnittlich 64 Minuten (mean), für die Durchführung der Online-Annotationen. Die Mehrheit der Studierenden gab an, von der Annotation ihrer eigenen Videos profitiert zu haben.

Das Ansehen von Videos von Mitstudierenden wurde von mehr Studierenden (66%) als wertvoll erachtet, als das Ansehen ihrer eigenen Videos (53%). Einige Studierende waren der Auffassung, es sei hilfreich, einmal eine andere Person dabei zu beobachten, wie sie mit der gleichen Situation umgeht. Andere Studierende gaben an, dass sie zwar nicht viel von der Annotation des Videos eines Mitstudierenden profitierten, aber durch die Annotationen ihres Partners von ihren eigenen Videos gute Erkenntnisse gewinnen konnten. Die Studierenden merkten wiederholt an, dass sie beim Ansehen ihrer eigenen Videos keine neuen Erkenntnisse gewannen, da das SP- und Peer-Feedback während des ersten Trainings bereits sehr detailliert war. Mehrere Studierende begrüßten jedoch die Möglichkeit zur Selbstreflexion durch das Annotieren ihrer eigenen Videos. Die große Mehrheit der Studierenden (96%) hatte nichts dagegen einzuwenden, dass ihre Videos von Mitstudierenden kommentiert wurden.

Die meisten Studierenden gaben an, dass die Vorbereitungsaufgabe in den kleinen Gruppen klar formuliert war (75%) und dass die zur Verfügung stehende Zeit für die Aufgabe genau richtig war (58%), während einige Studierenden die Zeit als zu lang empfanden (37%). Die Mehrheit der Studierenden empfand die Diskussion in der Gruppe mit einem Tutoren als hilfreich (64%) und das Feedback des Tutoren als lehrreich (67%). Die Dauer des Seminars wurde von vielen als zu lang angesehen (51%). Die Hälfte der Studierenden (52%) gab an, dass sie das im Seminar Gelernte im zweiten Training anwenden konnten.

Die Studierenden merkten an, dass die Anwendung des Gelernten auf die nächste Trainingseinheit oft schwierig war, da sich die Szenarien des zweiten Trainings von denjenigen des ersten unterschieden (Studierende, die während der ersten Schulungssitzung „Überbringen schlechter Nachrichten“ und „Patienteninformation und Einwilligung“ übten, trainierten „motivierende Gesprächsführung“ und „Sexualanamnese“ während der zweiten Trainingseinheit und umgekehrt).

Die Gruppengröße wurde als angemessen angesehen, ebenso die Möglichkeit, Erfahrungen mit Mitstudierenden auszutauschen und von den Erfahrungen und der Perspektive eines ärztlichen Tutors zu profitieren. Es wurden kürzere Vorbereitungs- und Seminarzeiten sowie ein kürzerer zeitlicher Abstand zwischen den Trainings und dem Seminar vorgeschlagen.

Die Durchschnittsnote der Studenten für das Seminar betrug 4,6 (Median 5) (1=sehr schlecht, 6=sehr gut).

3.2. Feedback der ärztlichen Tutoren

Nach dem Kurs wurden die ärztlichen Tutoren für eine persönliche oder schriftliche Nachbesprechung kontaktiert. Von den 16 Tutoren antworteten 11 per E-Mail und zwei gaben direktes Feedback. Drei Tutoren nahmen nicht an einer Nachbesprechung teil. Die Tutoren wurden gebeten mitzuteilen, was gut lief und was am Seminar verbessert werden könnte. Ihre schriftlichen und mündlichen Antworten wurden von AP gesammelt, zusammengefasst und der Projektleitungsgruppe vorgelegt. Das Feedback der Tutoren war insgesamt sehr positiv. Viele empfanden die Interaktion innerhalb der kleinen Gruppe als bereichernd und fanden, dass die Studierenden sich aktiv beteiligten und motiviert waren. Einige Tutoren bemerkten, dass eine standardisiertere Seminarstruktur von Vorteil gewesen wäre. Technische Probleme (schlechte Tonqualität der Videos, Anschluss unterschiedlicher Geräte an die Monitore) wurden ebenfalls als verbesserungswürdige Punkte erwähnt.

Es war geplant, im März 2020 das erweiterte Kursformat auch für Studierende im sechsten Jahr einzuführen mit den Optimierungen, die aus dem Feedback von Studierenden und Tutoren hervorgegangen waren. Aufgrund der COVID-19 Krise und dem resultierenden Unterbruch des Anwesenheitsunterrichts an der Universität wurde die Umsetzung auf das nächste Jahr verschoben.


4. Diskussion

Dieser Artikel beschreibt die Erweiterung eines simulationsbasierten Kommunikationstrainings durch Einführung einer Aufgabe zur Videoreflexion, mit einem anschließenden Seminar zur Besprechung der annotierten Videos. Das erweiterte Kursformat wurde im Herbst 2019 erfolgreich implementiert und von Studierenden und Tutoren gut aufgenommen.

Interessanterweise hielten es die Studierenden für hilfreicher, Videos von Mitstudierenden anzusehen und zu annotieren, als ihre eigenen Videos. Das Ziel der Videoreflexion beim Kommunikationstraining besteht in der Regel darin, dass die Lernenden „sich selbst aus der Distanz betrachten“ und dadurch die „positive Selbstentwicklung“ unterstützt wird [13].

Vor diesem Hintergrund erwarteten wir, dass die Studierenden vor allem durch das Schauen ihrer eigenen Videos profitieren. Es kann jedoch für Studierende unangenehm sein, auf Video mit sich selbst konfrontiert zu werden. Möglicherweise war in unserem Setting der Spielraum für Selbstreflexion zudem etwas eingeschränkt durch das bereits erfolgte, ausführliche Feedback von einem geschulten SP sowie einem Mitstudierenden während des Trainings. Ebenfalls ist einzuwenden, dass die Einschätzung der Lernenden möglicherweise nicht mit dem tatsächlichen Lerneffekt korreliert. Ein direkter Vergleich der Selbstannotation mit den Kommentaren der Mitstudierenden könnte hier evtl. zusätzliche Hinweise zu diesem Sachverhalt liefern.

Die Annotationsaufgabe in diesem Projekt war sehr offen formuliert. Die einzige Vorgabe war, pro Video ein gutes sowie ein verbesserungswürdiges Beispiel in Bezug auf die Kommunikation zu markieren und zu kommentieren. Laut einer Metaanalyse zu Video-Feedback-Trainingsformaten hatten Interventionen, bei denen ein strukturiertes „Beobachtungsformular“ ausgefüllt werden musste, einen signifikant größeren Einfluss auf den Lerneffekt von Kommunikationsfähigkeiten als Interventionen ohne ein solches Formular (mittlere Effektgröße von 0,55 gegenüber 0,21) [13].

Das Diskutieren kommentierter Videos in kleinen Gruppen wurde von den unterrichtenden Ärzten im Allgemeinen sehr gut aufgenommen, einige hätten sich jedoch eine stärkere Strukturierung der Seminare gewünscht. Dies steht im Einklang mit den Ergebnissen einer kürzlich durchgeführten qualitativen Studie zum Leiten von Video-Feedback-Seminaren, in der die „Aufrechterhaltung der thematischen Kontinuität der Diskussion“ als eine der größten Herausforderungen identifiziert wurde [16]. Möglicherweise würde mehr Struktur sowohl in der Annotationsaufgabe als auch im Seminar selbst den bestehenden Kurs weiter verbessern.

Bei dieser Studie handelt es sich um eine Programmevaluierungsstudie, bei der die Wahrnehmung von Studierenden, Tutorinnen und Tutoren das einzige Ergebnis ist. Entsprechend weist diese Projektbeschreibung Einschränkungen auf sowohl hinsichtlich der Generalisierbarkeit als auch hinsichtlich der Auswirkungen auf die Verbesserung der Fähigkeiten und den Transfer in das reale Setting. Weitere Studien werden sich enger auf gezielte Forschungsfragen konzentrieren müssen, um neue Erkenntnisse in Bezug auf die Prinzipien des Lehrdesigns zu erhalten. Weitere Forschungsfelder wären beispielsweise experimentelle Studien zum direkten Vergleich von Selbst- und Peer-Annotation sowie qualitative Studien zur Wahrnehmung von – und Ambivalenz bezüglich – Selbstreflexion im Videotraining.


5. Schlussfolgerung

Ein erweiterter Kommunikationskurs mit Videoannotationen und Gruppendiskussionen mit einem ärztlichen Tutor wurde eingeführt, um zuvor identifizierte verbesserungswürdige Punkte aufzugreifen. Das erweiterte Kursformat hat sich in der Durchführung als machbar erwiesen, wurde von Studierenden und Lehrenden gut aufgenommen und wird nun auch im sechsten Studienjahr umgesetzt.


Autoren

Die Autoren Anina Pless und Roman Hari teilen sich die Erstautorenschaft.


Danksagung

Wir danken Herrn Prof. Michael Harris für das Korrekturlesen und die Überarbeitung dieses Manuskripts.


Steckbrief

Name des Standorts: Universität Bern

Studienfach/Berufsgruppe: Medizinische Fakultät

Anzahl der Lernenden pro Jahr: ca. 340 Studierende seit 2018

Ist ein longitudinales Kommunikationscurriculum implementiert? Ja

In welchen Semestern werden kommunikative und soziale Kompetenzen unterrichtet? Obligatorische Veranstaltungen im 1., 2., 5., 6., 7., und 12. Semester sowie zusätzliche fakultative Angebote.

Welche Unterrichtsformate kommen zum Einsatz? Praktische Kurse in Kleingruppen am Krankenbett (clinical skills training), praktische Kurse mit Simulationspersonen (SPs) und SP Feedback, Vorlesungen, Seminare mit videobasiertem Feedback, individuelle Reflektion anhand Videoaufnahmen, formatives Assessment mit SP- und Tutoren-Feedback

In welchen Semestern werden kommunikative und soziale Kompetenzen geprüft (formativ oder bestehensrelevant und/oder benotet)? Formative OSCE Ende 2. Semester und Ende 5. Semester, summative OSCE Ende 6. und 10. Semester, summative OSCE Prüfung im Rahmen der eidgenössischen Abschlussprüfung Humanmedizin nach Ende des Studiums

Welche Prüfungsformate kommen zum Einsatz? Summative und formative OSCE

Wer (z.B. Klinik, Institution) ist mit der Entwicklung und Umsetzung betraut? Leitungsgruppe „Kommunikation“ der Universität Bern; eine ständige interdisziplinäre Arbeitsgruppe unter der Leitung des Berner Instituts für Hausarztmedizin (BIHAM) und dem Institut für Medizinische Lehre (IML) mit Vertreterinnen und Vertretern verschiedener Kliniken der Berner Universitätsspitäler.


Aktuelle berufliche Rolle der Autor*innen

  • Anina Pless arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Berner Institut für Hausarztmedizin, Abteilung Lehre und ist dort für den Bereich „Kommunikation“ zuständig. Klinisch ist sie am Universitätsspital Zürich auf der Medizinischen Poliklinik tätig.
  • Roman Hari ist Leiter der Abteilung Lehre am Berner Institut für Hausarztmedizin der Universität Bern. Er arbeitet ausserdem als Hausarzt in Burgdorf.
  • Beate Brem arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung für Unterricht und Medien am Institut für Medizinische Lehre der Universität Bern. In dieser Funktion leitet sie den Bereich „Simulationspersonen“.
  • Ulrich Woermann arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung für Unterricht und Medien am Institut für Medizinische Lehre der Universität Bern. In dieser Funktion leitet er den Bereich „Lernmedien“.
  • Kai P. Schnabel ist Leiter der Abteilung für Unterricht und Medien am Institut für Medizinische Lehre der Universität Bern.

Interessenkonflikt

Die Autor*innen erklären, dass sie keinen Interessenkonflikt im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


Literatur

1.
Schweizerische Medizinische Interfakultätskommision / Commission interfacultés médicale suisse / Joint Commission of the Swiss Medical Schools. Principal Relevant Objectives and Framework for Integrated Learning and Education in Switzerland. Bern: Working group under a mandate of the Joint Commission of the Swiss Medical Schools; 2017. Zugänglich unter/available from: http://www.profilesmed.ch/doc/Profiles_2017.pdf Externer Link
2.
Blackmore A, Kasfiki EV, Purva M. Simulation-based education to improve communication skills: a systematic review and identification of current best practice. BMJ Simul Technol Enh Learn. 2018;4(4):159-164. DOI: 10.1136/bmjstel-2017-000220 Externer Link
3.
Turan S, Üner S, Elçin M. The impact of standardized patients' feedback on the students' motivational levels. Procedia Soc Behav Sci. 2009;1(1):9-11. DOI: 10.1016/j.sbspro.2009.01.006 Externer Link
4.
Park JH, Son JY, Kim S, May W. Effect of feedback from standardized patients on medical students' performance and perceptions of the neurological examination. Med Teach. 2011;33(12):1005-1010. DOI: 10.3109/0142159X.2011.588735 Externer Link
5.
Berger-Estilita JM, Greif R, Berendonk C, Stricker D, Schnabel KP. Simulated patient-based teaching of medical students improves pre-anaesthetic assessment: A rater-blinded randomised controlled trial. Eur J Anaesthesiol. 2020;37(5):387-393. DOI: 10.1097/EJA.0000000000001139 Externer Link
6.
Perera J, Mohamadou G, Kaur S. The use of objective structured self-assessment and peer-feedback (OSSP) for learning communication skills: evaluation using a controlled trial. Adv Health Sci Educ Theory Pract. 2010;15(2):185-193. DOI: 10.1007/s10459-009-9191-1 Externer Link
7.
Hulsman RL, van der Vloodt J. Self-evaluation and peer-feedback of medical students' communication skills using a web-based video annotation system. Exploring content and specificity. Patient Educ Couns. 2015;98(3):356-363. DOI: 10.1016/j.pec.2014.11.007 Externer Link
8.
Schön DA. The Reflective Practitioner: How Professionals Think in Action. New York: Basic Books; 1983.
9.
Mann K, Gordon J, MacLeod A. Reflection and reflective practice in health professions education: a systematic review. Adv Health Sci Educ Theory Pract. 2009;14(4):595-621. DOI: 10.1007/s10459-007-9090-2 Externer Link
10.
Driessen E, van Tartwijk J, Dornan T. The self critical doctor: helping students become more reflective. BMJ. 2008;336(7648):827-830. DOI: 10.1136/bmj.39503.608032.AD Externer Link
11.
Zick A, Granieri M, Makoul G. First-year medical students' assessment of their own communication skills: A video-based, open-ended approach. Patient Educ Couns. 2007;68(2):161-166. DOI: 10.1016/j.pec.2007.05.018 Externer Link
12.
Seif GA, Brown D. Video-recorded simulated patient interactions: can they help develop clinical and communication skills in today's learning environment? J Allied Health. 2013;42(2):e37-44.
13.
Fukkink RG, Trienekens N, Kramer LJ. Video feedback in education and training: Putting learning in the picture. Educ Psychol Rev. 2011;23(1):45-63. DOI: 10.1007/s10648-010-9144-5 Externer Link
14.
Kurtz SM, Silverman JD. The Calgary-Cambridge Referenced Observation Guides: an aid to defining the curriculum and organizing the teaching in communication training programmes. Med Educ. 1996;30(2):83-89. DOI: 10.1111/j.1365-2923.1996.tb00724.x Externer Link
15.
Zhang H, Mörelius E, Goh SHL, Wang W. Effectiveness of Video-Assisted Debriefing in Simulation-Based Health Professions Education: A Systematic Review of Quantitative Evidence. Nurse Educ. 2019;44(3):E1-E6. DOI: 10.1097/NNE.0000000000000562 Externer Link
16.
Bocquillon M, Derobertmasure A. The interaction between supervisor and trainee teacher in the context of video feedback a statistical analysis of qualitative data. Reflect Pract. 2018;19(1):118-134. DOI: 10.1080/14623943.2017.1379386 Externer Link
17.
Pelgrim EAM, Kramer AWM, Mokkink HGA, van der Vleuten CPM. Reflection as a component of formative assessment appears to be instrumental in promoting the use of feedback; an observational study. Med Teach. 2013;35(9):772-778. DOI: 10.3109/0142159X.2013.801939 Externer Link
18.
Schaufelberger M, Frey P, Woermann U, Schnabel K, Barth J. Benefits of communication skills training after real patient exposure. Clin Teach. 2012;9(2):85-88. DOI: 10.1111/j.1743-498X.2011.00511.x Externer Link
19.
Kurtz SM, Silverman JD. The Calgary-Cambridge Referenced Observation Guides: an aid to defining the curriculum and organizing the teaching in communication training programmes. Med Educ. 1996;30(2):83-89. DOI: 10.1111/j.1365-2923.1996.tb00724.x Externer Link
20.
Guttormsen S, Langewitz W, Daetwyler C, editors, DocCom.Deutsch. Die Lernplattform Für Kommunikation Im Gesundheitswesen. Bern: Universität Bern, Institut für Medizinische Lehre; 2011. Zugänglich unter/available from: http://doccom.iml.unibe.ch Externer Link