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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

„Super, was wir voneinander gelernt haben!“ – Unterricht am Patienten in interprofessionellen Kleingruppen am Beispiel Morbus Parkinson

Artikel Interprofessionelle Ausbildung

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  • corresponding author Christine Schneider - Universitätsklinikum Augsburg, Klinik für Neurologie und klinische Neurophysiologie, Augsburg, Deutschland
  • author Petra Anders - Universitätsklinikum Augsburg, Akademie für Gesundheitsberufe, Berufsfachschule für Physiotherapie, Augsburg, Deutschland; Universität Augsburg, Medizinische Fakultät, Lehrstuhl für Medizindidaktik und Ausbildungsforschung (DEMEDA), Augsburg, Deutschland
  • author Thomas Rotthoff - Universität Augsburg, Medizinische Fakultät, Lehrstuhl für Medizindidaktik und Ausbildungsforschung (DEMEDA), Augsburg, Deutschland

GMS J Med Educ 2024;41(1):Doc6

doi: 10.3205/zma001661, urn:nbn:de:0183-zma0016618

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2024-41/zma001661.shtml

Eingereicht: 17. Februar 2023
Überarbeitet: 7. September 2023
Angenommen: 15. November 2023
Veröffentlicht: 15. Februar 2024

© 2024 Schneider et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Hintergrund: Während Patientenversorgung häufig interprofessionell erfolgt, sind interprofessionelle Lehreinheiten mit teilnehmenden Personen aus Humanmedizin und Physiotherapie noch eine Seltenheit. Zudem findet interprofessionelle Lehre häufig immer noch in Form von gesonderten Veranstaltungen mit interprofessionellen Inhalten statt und sind nicht in das klinische Curriculum integriert. Ziel dieses Projekts war daher die Entwicklung und Implementierung eines interprofessionellen Unterrichts an Patient*innen (UaP).

Kursentwicklung: Klinisches Thema des Kurses war „Morbus Parkinson“, da sich anhand dieser Erkrankung interprofessionelle Teamarbeit und unterschiedliche Kompetenzen exemplarisch darstellen ließen. Anhand eines interprofessionellen UaP und konkretem klinischen Kontext sollte Interprofessionalität als selbstverständlicher Teil des klinischen Handelns integriert und erlebbar gemacht werden. Eine Ummantelung des UaP erfolgte mit einer Vorlesung und eigenverantwortlicher Kleingruppenarbeit.

Evaluation: Der Kurs wurde erstmals im Wintersemester 2021/22 durchgeführt. Teilnehmende Personen waren Medizinstudierende und Physiotherapieschüler*innen, die Dozierendenteams waren ebenfalls interprofessionell. Eine begleitende Evaluation erfolgte mit Hilfe des University of the West of England Interprofessional Questionnaire (UWE-IP) vor und nach Kursteilnahme. Im UWE-IP ergaben sich in allen Subskalen Summenscores, die einer positiven Einstellung entsprachen. Einzige Ausnahme war die Skala „Interprofessionelles Lernen“ bei Physiotherapieschüler*innen, die einer neutralen Einstellung entsprachen. Signifikante Gruppenunterschiede ergaben sich in derselben Skala zum Zeitpunkt vor Kursteilnahme zwischen Medizinstudierenden und Physiotherapieschüler*innen (p<0,01) sowie bei Medizinstudierenden vor und nach Kursteilnahme (p=0,02).

Schlussfolgerung: Der Kurs erwies sich als gut geeignet, um interprofessionelle Lehrinhalte in die klinische Lehre zu integrieren und kann als Modell für weitere Lehreinheiten dienen. Die Evaluation spiegelte eine positive Einstellung bezüglich interprofessionellem Lernen wieder.

Schlüsselwörter: Interprofessionalität, Neurologie, Physiotherapie, Medizinstudierende, Ausbildung, Unterricht am Patienten, Untersuchungskurs, UWE-IP


1. Einleitung

1.1. Hintergrund

Interprofessionelle Zusammenarbeit in der Medizin gilt als ein entscheidender Faktor zur Qualitätssicherung in der Patientenversorgung und zur Bewältigung der steigenden Anforderungen im Gesundheitssystem. Zusätzlich können Patientensicherheit und Arbeitszufriedenheit in der Medizin durch eine gute interprofessionelle Zusammenarbeit erhöht werden [1], [2], [3]. Diese zeichnet sich durch Wissen über die Kompetenzen und Rollen der anderen Professionen und ein gemeinsames Verständnis der Arbeitsaufgaben aus [4]. Als Grundvoraussetzung gilt dabei eine interprofessionelle Ausbildung, bei der Studierende aus mindestens zwei Professionen miteinander lernen [5], [6], [7]. Interprofessionelle Kompetenzen sind daher im Absolventenprofil des Nationalen Kompetenzbasierten Lernzielkatalog Medizin (NKLM 2.0) verankert [8].

Die vorliegenden Studien zeigen, dass bei Studierenden der Gesundheitsberufe zu Beginn des Studiums eine hohe Zustimmung für interprofessionelles Lernen besteht [9], [10], die im Verlauf des Studiums jedoch signifikant abnimmt, ebenso wie die Zahl der Kontakte zwischen Studierenden unterschiedlicher Professionen [10].

Interprofessionelle Lehre sollte nach diesen Erkenntnissen möglichst früh im Studium beginnen, um von der positiven Einstellung der Studierenden zu profitieren. Interprofessionelle Unterrichtseinheiten werden mittlerweile zwar an verschiedenen universitären Standorten im Medizinstudium angeboten, doch handelt es sich häufig um einzelne, in sich abgeschlossene Veranstaltungen, meist in Form von freiwilligen Wahlangeboten [11], [12], [13] und nicht als standardisierter Teil des Curriculums [14], [15]. Interprofessionelle Ausbildungsstationen im Praktischen Jahr sind am Ende des Studiums angesiedelt und stehen ebenfalls nur einem Teil der Studierenden zur Verfügung. Physiotherapieschüler*innen haben durch den hohen Praxisanteil ihrer Ausbildung häufigere Kontakte zu anderen Gesundheitsberufen. Strukturierte interprofessionelle Lehreinheiten stellen jedoch auch für sie noch eine Ausnahme dar. Gemeinsame Veranstaltungen von Medizinstudierenden und Physiotherapieschüler*innen sind bislang vor allem auf das Fach Anatomie beschränkt [16], [17].

1.2. Ziel

Ziel des Projekts war die Entwicklung und Umsetzung eines interprofessionellen Lehrkonzepts, bei dem Studierende aus zwei Gesundheitsprofessionen von einem multiprofessionellen Team gemeinsam im klinischen Kontext unterrichtet wurden. Damit sollte auf die Anforderungen der Krankenversorgung und das daraus abgeleitete Absolventenprofil des NKLM 2.0 reagiert werden. Ziel war es, gestützt auf die Empfehlungen zur Gestaltung der interprofessionellen Lehre des Instituts für medizinische und pharmazeutische Prüfungsfragen [9] sowie des Framework for the Development of Interprofessional Education der University of Toronto [18], Interprofessionalität anhand eines medizinisch relevanten Themas erfahrbar zu machen. Durch die möglichst praxisnahe Einbettung in den klinischen Kontext sollte vermieden werden, dass interprofessionelle Inhalte als akademisch und separat vom klinischen Bezug begriffen werden. Durch ein interessantes klinisches Thema wurde zudem eine möglichst hohe Akzeptanz für das Thema angestrebt und auch die Lernenden angesprochen, die zu Interprofessionalität bislang wenig Bezug hatten. Die Lehreinheiten wurden daher entsprechend im Kerncurriculum von Studium und Ausbildung integriert, und nicht ausschließlich als Wahlfach bzw. gesonderte Veranstaltung zum Thema Interprofessionalität angeboten werden. Zu guter Letzt unterstrich die Einbettung in die jeweiligen Kerncurricula die Bedeutung von Interprofessionalität.

Begleitend sollten die teilnehmenden Personen vor und nach Absolvierung der Unterrichtseinheiten bezüglich ihrer Einstellung zu verschiedenen Aspekten von Interprofessionalität evaluiert werden.


2. Projektbeschreibung

2.1. Ausgangssituation

Der Modellstudiengang der Medizinischen Fakultät Augsburg ist als kompetenzorientiertes Spiralcurriculum mit vertikaler und horizontaler Integration der Fachgebiete konzipiert [19]. Klinische Inhalte werden in Verzahnung mit den Grundlagenfächern bereits ab dem ersten Semester gelehrt. Für das Gesamtcurriculum des Modellstudiengangs wurden zudem aufeinander aufbauende, longitudinale Lernziele bezüglich Interprofessionalität entwickelt, die sich am NKLM 2.0 [8] und dem Framework for the Development of Interprofessional Education der University of Toronto orientieren [18]. Die Lernziele sind in die Bereiche „Zusammenarbeit“, „Kommunikation“ und „Werte und Ethik“ unterteilt und zeitlich in die Achsen „In Kontakt kommen/Einstieg“, „Vertiefung/Weiterentwicklung“ und „Kompetenz/Performanz/Praxis“ gegliedert.

2.2. Projektentwicklung und Umsetzung

Die Lehreinheiten wurden von Studierenden der Humanmedizin und Schüler*innen der Physiotherapie besucht und von interprofessionellen Dozierendentandems (Neurologie/Physiotherapie) gelehrt.

Als klinischer Kontext wurde „Morbus Parkinson“ gewählt, da sich bei dieser Erkrankung interprofessionelle Teamarbeit und unterschiedliche Kompetenzen exemplarisch darstellen lassen. So wird z. B. – vereinfacht formuliert – die Kompetenz „klinische Untersuchung“ von neurologischer Seite angewandt, um die Diagnose zu stellen, von physiotherapeutischer Seite, um das Therapieregime festzulegen. Entsprechend unterscheidet sich der Ablauf der klinischen Untersuchung trotz prinzipieller Gemeinsamkeiten, je nachdem ob sie von einer Neurologin oder einem Physiotherapeuten durchgeführt werden. Der Modellcharakter der Parkinsonerkrankung wurde zusätzlich dadurch unterstrichen, dass im Rahmen der „Komplexbehandlung Parkinson“ eine enge multiprofessionelle Zusammenarbeit im klinischen Alltag gut etabliert ist.

Entsprechend der Einbettung des Kurses in die jeweiligen Kerncurricula beider Gruppen wurden „fachspezifische“ neurologische bzw. physiotherapeutische Lernziele und interprofessionelle Lernziele formuliert. Die interprofessionellen Lernziele waren in die unter 2.1 beschriebenen longitudinalen Lernziele eingebettet und lauteten:

Nach Abschluss des Kurses sollten die Studierenden in der Lage sein…

  • die fachlichen Kompetenzen und Verantwortlichkeiten der beteiligten Professionen zu beschreiben,
  • die gemeinsame Verantwortung für die Versorgung von Patient*innen anzuerkennen,
  • ihre professionsspezifischen Kenntnisse einzusetzen und Prioritäten und Erfordernisse gemeinsam abzustimmen,
  • die Bedeutung interprofessioneller Therapie am Beispiel des M. Parkinsons zu begründen,
  • Patient*innen im multiprofessionellen Team vorzustellen.

Eine schematische Darstellung der Lehreinheiten findet sich in Abbildung 1 [Abb. 1]. Sie fanden im 3. Semester Humanmedizin bzw. 2. Ausbildungsjahr Physiotherapie statt, in dem bei beiden Gruppen der inhaltliche Schwerpunkt auf Neuroanatomie liegt. Im dritten Semester findet zudem für die Studierenden eine Lehreinheit zur neurologischen Anamnese und der erste neurologische Untersuchungskurs statt. Für die Auszubildenden waren Lehreinheiten zu Gang und Gleichgewicht einschließlich spezifischer Anamnese und Untersuchung vorgesehen, so dass beide Gruppen auf ein relativ breites Vorwissen zurückgreifen können.

Der UaP wurde zudem vorbereitet durch eine gemeinsame Vorlesung für alle Teilnehmenden, die der Wissensvermittlung zum Krankheitsbild M. Parkinson und zu Prinzipien der fachspezifischen Anamnese und Befunderhebung sowie der interprofessionellen Therapie der Erkrankung diente. Die Vorlesung wurde von einem multiprofessionellen Dozierendenteam aus den Bereichen Neurologie, Physiotherapie und Logopädie gestaltet.

Zur weiteren Vorbereitung erfolgte dann eine eigenverantwortliche Gruppenarbeit, in der die Lernenden in interprofessionell gemischten Kleingruppen anhand von Leitfragen gemeinsam zu häufigen und alltagsrelevanten Symptomen des M. Parkinson und möglichen medikamentösen und nicht-medikamentösen Therapieformen dieser Symptome recherchierten. Zusätzlich reflektierten die Lernenden Voraussetzungen einer sinnvollen, patientenorientierten interprofessionellen Kommunikation. Den Gruppen war dabei freigestellt, ob sie sich für diesen asynchronen Teil selbstorganisiert online oder in Präsenz trafen. Die Leitfragen wurden über die Lernplattform online zur Verfügung gestellt.

Die zentrale Lehreinheit und gleichzeitig den Abschluss des Kurses bildete der Unterricht an Patienten*innen (UaP), in dem das bisher erlernte Wissen angewendet werden konnte.

Die Lernenden erhoben in den bereits bekannten interprofessionell gemischten Kleingruppen an Parkinsonpatient*innen die Anamnese und den klinisch-neurologischen bzw. physiotherapeutischen Befund. Anschließend fasste jede Gruppe ihre Anamnese und Untersuchungsbefunde in einem gemeinsamen strukturierten Dokument zusammen. Jede Gruppe identifizierte die für sie therapierelevanten Symptome und ordneten sie möglichen behandelnden Profession(en) zu. So sollte ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, welche Berufe involviert werden können, ohne dass ein detaillierter Therapieplan erstellt wurde, was für die Lernenden noch nicht möglich gewesen wäre. Die Ergebnisse wurden im Anschluss an den UaP im Plenum vorgestellt. Nach einem Feedback der Dozierendentandems zur Kommunikation mit den Patient*innen und im Team, zur Befunderhebung und zur Aufbereitung wurden die Kompetenzen und Grenzen der beteiligten Professionen diskutiert. Am Ende des UaP bestand Raum zur Selbstreflexion, Reflexion der Teamarbeit und der gelehrten interprofessionellen Inhalte. Dies erfolgte zunächst in Form eines „Blitzlicht“-Feedbacks aller Beteiligten einer Kleingruppe (Studierende, Schüler*innen, Patient*innen und Dozierende) auf die offenen Fragen: „Was nehmen Sie von diesem Kurs mit? Was können wir besser machen?“, dem sich dann ausgehend diesen Kommentaren eine weitere Diskussion anschließen konnte.

2.3. Teilnehmer*innen

An den Kursen nahmen, wie unter 2.2 ausgeführt, Medizinstudierende im 3. Semester (n=84) und Physiotherapieschüler*innen im 2. Ausbildungsjahr (n=20) teil. Die Kurse waren in das Kerncurriculum der Medizinstudierenden integriert (kein Wahlfach), es bestand jedoch keine Anwesenheitspflicht. Für die Schüler*innen war die Teilnahme verpflichtend.

2.4. Evaluation

Begleitend zur Implementierung wurde der Kurs evaluiert. Dies erfolgte einerseits in freier Form anhand eines Blitzlicht-Feedbacks am Kursende und der Möglichkeit, anonymes über die onlinebasierte Lernplattform abzugeben. Andererseits erfolgte eine standardisierte Evaluation anhand des University of the West of England Interprofessional Questionnaire (UWE-IP) [20], einem Fragebogen zur Selbstevaluation mit vier Subskalen (Kommunikation und Teamarbeit, interprofessionelles Lernen, interprofessionelle Interaktion, interprofessionelle Beziehungen), die insgesamt 35 Items umfassen. Die Items werden auf einer Likert-Skala von 1 („Ich stimme voll und ganz zu“) bis 5 („Ich stimme überhaupt nicht zu“) bewertet, mit Ausnahme der Subskala „Kommunikation und Teamarbeit“, die von 1 („Ich stimme voll und ganz zu“) bis 4 („Ich stimme überhaupt nicht zu“) bewertet wird. Der UWE-IP steht in einer validierten deutschen Übersetzung zur Verfügung, und findet in längs- und querschnittlichen Erhebungen zu interprofessioneller Lehre breite Anwendung [14], [21], [22], [23]. Die Erhebung mittels UWE-IP erfolgte anonym online-basiert vor und nach der Kursteilnahme.

Zusätzlich wurden Daten zu Alter, Geschlecht, Gruppenzugehörigkeit (Studierende/Schüler*innen) und zusätzliche Ausbildung in einem anderen Gesundheitsberuf erhoben.

Für die Auswertung wurden negativ formulierte Fragen des UWE-IP entsprechend der Vorgaben umcodiert. Eine fehlende Antwort pro Subskala wurde für die Analyse akzeptiert. Die statistische Auswertung wurde mittels Statistical Package for Social Sciences (SPSS) durchgeführt. Gruppenvergleiche wurden aufgrund der geringen Gruppengrößen mit nichtparametrischen Tests durchgeführt.

Ergänzend zur standardisierten Evaluation und zur Reflexionsrunde im Anschluss an den UaP hatten die Studierenden und Schüler*innen die Möglichkeit, anonymisiertes Feedback über die onlinebasierte Lernplattform abzugeben. Von Dozierenden und Parkinsonpatient*innen wurde nach Abschluss der Lehrveranstaltungen einzeln ein freies mündliches Feedback eingeholt, das anonymisiert in Stichpunkten schriftlich fixiert wurde.


3. Ergebnisse

3.1. Demographie

Der Kurs wurde in der hier beschriebenen Form im Wintersemester 2021/22 erstmals durchgeführt und evaluiert.

Knapp ein Drittel (32%) der Medizinstudierenden und 100% der Physiotherapieschüler*innen nahmen vor der Kursteilahme an der Evaluation teil. Den Kurs beendeten 66 Studierende (75% des Semesters) und 18 Schüler*innen (90% des Jahrgangs). Von diesen nahmen 82% Studierende und 72% der Schüler*innen an der zweiten Evaluation teil.

Demographische Daten sind Tabelle 1 [Tab. 1] zu entnehmen. 32% (Erhebung 1) bzw. 30% (Erhebung 2) der teilnehmenden Studierenden verfügten bereits über eine Ausbildung in einem anderen Gesundheitsberuf, während dies auf keine Schüler*in zutraf.

3.2. Freies Feedback

Das Feedback der Teilnehmenden war fast ausschließlich positiv (wie z.B. das Zitat im Titel dieser Arbeit). Wiederholt wurden gemeinsames Lernen von Beginn an, Knüpfen neuer Kontakte und die Sicht „über den Tellerrand hinaus“ als Bereicherung genannt. Sowohl Studierende als auch Schüler*innen gaben an, durch den Kurs voneinander gelernt zu haben. Genannt wurden dabei z.B. unterschiedliche bzw. zusätzliche Untersuchungstechniken wie die unterschiedliche Untersuchung des Gangbildes, die klinische Untersuchung verschiedener Tremorformen, die im Physiotherapieunterricht nicht gelehrt wurden bzw. die Untersuchung des Rigors am Rumpf, die den Medizinstudierenden nicht bekannt war. Die Schüler*innen gaben auch an, zusätzliches Wissen zur Erkrankung M. Parkinson erworben zu haben. Als ungewohnt wurde von manchen Teilnehmer*innen die selbstständige Organisation der eigenverantwortlichen Kleingruppenarbeit in Vorbereitung auf den UaP beschrieben, für die bewusst kein Termin oder örtlicher Rahmen vorgegeben wurde, um auch Treffen in informellem Setting zu ermöglichen. Wiederholt wurde der Wunsch nach weiteren gemeinsamen Lehreinheiten geäußert.

Aus Sicht der Dozierenden (n=5) war der Umgang der Teilnehmenden miteinander offen und wertschätzend. Anhand des Themas M. Parkinson ließen sich Kompetenzen und Verantwortlichkeiten der beteiligten Professionen gut darstellen. Beispielhaft wurde anhand der Unterschiede bei der klinischen Untersuchung des Gangbildes und Gleichgewichts die damit verbundenen Kompetenzen deutlich: während in der (ärztlichen) neurologischen Untersuchung nach Hinweisen für die klinischen Kardinalsymptome Hypokinese und posturale Instabilität gefahndet wurde, um anhand der Untersuchung die Diagnose zu stellen, wurden anhand der deutlich ausführlicheren physiotherapeutischen Ganguntersuchung funktionelle Einschränkungen erhoben, um daran den Therapiebedarf abzuleiten.

Das Feedback der Patient*innen (n=8), die überwiegend durch die Regionalgruppe der Deutschen Parkinsonvereinigung e.V. rekrutiert werden konnten, war ebenfalls positiv: Hervorgehoben wurde von ihnen die Möglichkeit, die vielfältigen Aspekte der Parkinsonerkrankung einschließlich psychischer Symptome und Schwierigkeiten bei der Bewältigung des Alltags berichten zu können. Eine gemeinsame Lehrveranstaltung von Neurologie und Physiotherapie wurde von allen teilnehmenden Patient*innen als sehr sinnvoll angesehen. Da die meisten von ihnen regelmäßig, z.T. mehrmals wöchentlich, Physiotherapie erhielten, konnten sie ihre eigenen Erfahrungen bezüglich der Schnittstellen zwischen den Gesundheitsberufen einbringen und eindrücklich den Mehrwert einer multiprofessionellen Therapie in Bezug auf die Beweglichkeit und damit die Selbständigkeit im Alltag schildern. Berichtet wurden aber auch Erfahrungen einer ungenügenden Abstimmung im ambulanten Sektor, die in der Regel auf ärztlichem Rezept und physiotherapeutischen Befundbericht basiert, was wiederum den Lernenden Einblicke in das System der Gesundheits- und Krankenversorgung ermöglichte.

3.3. UWE-IP

3.3.1. Summenscores

Die Mittelwerte und Standardabweichungen der Erhebung mittels UWE-IP sind in Tabelle 1 [Tab. 1] dargestellt. Sowohl Studierende als auch Schüler*innen erreichten in den Erhebungen vor und nach Kursteilnahme in den Subskalen jeweils Summenscores, die einer positiven Einstellung gegenüber den abgefragten Themen entsprachen. Lediglich in der Subskala „Interprofessionelle Interaktion“ entsprachen die Summenscores der Physiotherapieschüler*innen sowohl vor als auch nach Kursteilnahme einer neutralen Einstellung (MW±StA 23,7±3,1 bzw. 24,8±3,5), wobei sie nah an der Grenze zur positiven Einstellung lagen (cut off 22/23 Punkte).

3.3.2. Gruppenunterschiede

Signifikante querschnittliche Gruppenunterschiede zwischen Studierenden und Schüler*innen zum selben Erhebungszeitpunkt ergaben sich nur in der Subskala „Interprofessionelles Lernen“ zum Erhebungszeitpunkt vor Kursteilnahme, wobei beide Gruppen Werte erzielten, die einer positiven Einstellung entsprachen. Zum Zeitpunkt nach Kursteilnahme war der Gruppenunterschied nicht mehr signifikant und auch in den übrigen Subskalen ergaben sich keine signifikanten Unterschiede zwischen beiden Professionen. In der längsschnittlichen Erhebung nahm der Mittelwert des Summenscores der Subskala „Interprofessionelles Lernen“ für die Gruppe der Medizinstudierenden vor und nach Kursteilnahme signifikant ab. Weitere signifikante längsschnittliche Gruppenunterschiede ergaben sich nicht (siehe Tabelle 1 [Tab. 1]).


4. Diskussion

Das Lehrkonzept erwies sich als gut geeignet, um UaP interprofessionell zu gestalten und damit interprofessionelle Lehre im klinischen Kontext zu verankern. Die Kombination aus Physiotherapie und Neurologie war besonders geeignet, um anhand prinzipiell ähnlicher Vorgehensweisen in der klinischen Untersuchung Unterschiede in Aufgaben und Kompetenzen der einzelnen Professionen aufzuzeigen.

Die Ummantelung mit vorgeschalteter Vorlesung und Kleingruppenarbeit ermöglichte zum einen eine fundierte Wissensbasis vor Beginn des UaP, nicht nur bezüglich der Krankheit an sich, sondern auch zu interprofessionellen Therapiestrategien. Zum anderen konnten die verschiedenen Perspektiven auf das gleiche Thema „Morbus Parkinson“ schon im Vorfeld des UaP aufgezeigt werden, so dass die Lernenden bereits mit geweitetem Blick in den UaP starteten. Aus Sicht der Dozierenden lag der größte Mehrwert der Ummantelung jedoch darin, dass die Lernenden sich bereits vor dem UaP kennenlernen und etwaige Hemmschwellen abgebaut werden konnten. So konnten die Teilnehmenden beider Professionen ohne Anlaufphase mit gegenseitigem „Beschnuppern“ selbstbewusst in den UaP starten und die gemeinsame Zeit optimal nutzen.

In der Evaluation mittels UWE-IP zeigte sich bei beiden teilnehmenden Gruppen in allen Subskalen - mit Ausnahme der Subskala „Interprofessionelle Interaktion“ bei Physiotherapieschüler*innen – eine positive Einstellung zu den erfragten interprofessionellen Inhalten. Wie in vorhergehenden Erhebungen mittels UWE-IP ergab sich auch in unserer Studie eine positive Einstellung zu interprofessioneller Teamarbeit, Lehre und Beziehungen [14], [21], [22]. Während jedoch in unserer Erhebung bei Medizinstudierenden eine positive Einstellung auch bezüglich interprofessioneller Interaktion vorherrschte, ergaben zwei andere Studien negative Werte in dieser Subskala [14], [22]. Das Ergebnis war dabei unabhängig vom mehrwöchigen Aufenthalt auf einer interprofessionellen Ausbildungsstation [22] und unabhängig vom Stand der Ausbildung – befragt wurden Studierende im ersten [14] und letzten [22] Studienjahr.

Limitationen der Arbeit waren die unterschiedlichen Gruppengrößen. Die Gruppe der Physiotherapieschüler*innen war durch die Jahrgangsgröße vorgegeben. Auch die geringe Teilnahme der Medizinstudierenden im ersten Teil der Evaluation mit starkem Zuwachs im zweiten Teil der Befragung kann zu einer Verzerrung der Ergebnisse führen. Die geringe Beteiligung an der ersten Evaluation war möglicherweise darauf zurückzuführen, dass die Rekrutierung online über die Lehrplattform erfolgte und die Studierenden noch wenig Bezug zum Thema Interprofessionalität hatten. In der Physiotherapieschule hingegen wurde während des Unterrichts auf die Teilnahme an der Erhebung hingewiesen und die Schülerinnen und Schüler verfügten hatten im praktischen Teil ihrer Ausbildung bereits interprofessionelle Kontakte, was wahrscheinlich zur Teilnahmequote von 100% an der Eingangserhebung beitrug.

Trotz dieser Limitierungen konnten Ergebnisse aus interprofessionellen Studien mit Medizinstudierenden und Auszubildenden der Pflege reproduziert werden. Ein Faktor für die positive Einstellung unserer Medizinstudierender zu interprofessioneller Interaktion könnte der relativ hohe Anteil an Studierenden sein, die bereits Erfahrung in einem anderen Gesundheitsberuf haben, und der durch die Studienplatzvergabe in unserem Modellstudiengang bedingt ist. Auf eine Subgruppenanalyse wurde angesichts der geringen Gruppengröße jedoch bewusst verzichtet.


5. Schlussfolgerung

Zusammenfassend konnte durch den UaP interprofessionelle Ausbildung in die klinische Ausbildung von Medizinstudierenden und Physiotherapieschüler:innen integriert werden. Der Kurs wurde bereits zum wiederholten Mal im oben beschriebenen Ablauf durchgeführt und ließ sich gut verstetigen. Er kann als Model für andere interprofessionelle UaP-Einheiten dienen. Aus unserer Sicht wären dabei prinzipiell alle Krankheitsbilder geeignet, die im Alltag tatsächlich interprofessionell versorgt werden und bei denen ähnliche (Untersuchungs-) Techniken von verschiedenen Professionen mit unterschiedlichem Schwerpunkt angewendet werden, z.B. Erkrankungen aus den Fächern Unfallchirurgie oder Rheumatologie in Kombination mit Physiotherapie oder aus der HNO in Kombination mit Logopädie. Die Ummantelung mit vorgeschalteten interprofessionellen Lehreinheiten war aus unserer Sicht wie oben ausgeführt für das Gelingen des UaP sehr wichtig, und wird von uns auch für zukünftige Veranstaltungen trotz des Mehraufwands empfohlen.


Danksagung

Die Autor*innen danken allen Patientinnen und Patienten, die sich für den Unterricht zur Verfügung gestellt haben. Ein besonderer Dank gilt Frau Böck, der Leiterin der Regionalgruppe Augsburg der Deutschen Parkinson Vereinigung e.V., für ihre tatkräftige Unterstützung. Die Autor*innen danken außerdem Frau Anna Schmidt (Berufsfachschule für Physiotherapie, Universitätsklinikum Augsburg) und Frau Dr. Hildegard Kroiss (Klinik für Neurologie und klinische Neurophysiologie, Universitätsklinikum Augsburg) für die Unterstützung in der Planung und Durchführung der Kurseinheiten.

Die deutsche Version des UWE-IP wurde von der Abteilung Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung des Universitätsklinikums Heidelberg, Heidelberg, Deutschland zur Verfügung gestellt.



Interessenkonflikt

Die Autor*innen erklären, dass sie keinen Interessenkonflikt im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


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