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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Lehre von Alkohol- und Raucherberatung in Zeiten von COVID-19 bei Medizinstudierenden im 6. Semester: Erfahrungen mit einem rein digitalen und einem Blended Learning-Lehrkonzept unter Einsatz von Rollenspielen und Feedback

Artikel Gesundheitsförderung

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  • author Elena Tiedemann - Universitätsklinikum Würzburg, Institut für Allgemeinmedizin, Würzburg, Deutschland
  • corresponding author Anne Simmenroth - Universitätsklinikum Würzburg, Institut für Allgemeinmedizin, Würzburg, Deutschland

GMS J Med Educ 2021;38(7):Doc117

doi: 10.3205/zma001513, urn:nbn:de:0183-zma0015135

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2021-38/zma001513.shtml

Eingereicht: 16. April 2021
Überarbeitet: 22. Juli 2021
Angenommen: 17. August 2021
Veröffentlicht: 15. November 2021

© 2021 Tiedemann et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Zielsetzung: Nicht erst seit Beginn der Pandemie werden digitale Lehrformate verstärkt eingesetzt. Kognitive, praktische und kommunikative Lernziele können auch so effektiv vermittelt werden. Wir beschreiben die Umsetzung eines reinen Online-Kurses zur Alkohol-/Raucherberatung im COVID-19-Sommersemester (SS) 2020 und ein Inverted Classroom (IC)-Konzept im Wintersemester (WS) 2020/21 am Universitätsklinikum Würzburg.

Methodik: Im Querschnittsfach „Prävention“ wird Wissen zum riskanten Alkoholkonsum/Rauchen und das Durchführen einer verbalen Kurzintervention unterrichtet. Alle 143 (SS) bzw. 131 (WS) Medizinstudierenden des 6. Semesters durchliefen einen auf 90 Minuten angelegten Kurs: Modul 1 umfasste eine Prezi®-Präsentation über Grundlagen zu Alkohol/Rauchen. In Modul 2 wurde je nach Wahl ein Beratungskonzept (Alkohol oder Rauchen) online oder in Präsenz (nur WS) vorgestellt. Im Online-Praxisteil erstellte jeder Studierende zu Hause ein Beratungsvideo und eine Reflexion, später gab es schriftliches Feedback von Dozierenden/Tutor*innen. In der Präsenzform im WS wurden Rollenspiele unter Supervision durchgeführt. Jeweils am Semesterende folgten 2 Klausurfragen zu Modul 1.

Ergebnisse: Die befragten Studierenden (11%) zeigten sich zufrieden mit Modul 1. In der Evaluation der Präsenzform (Response: 97%) wurden praktisches Üben und Feedback gelobt. Aus Zeitgründen führten nicht alle eine Beratung durch. Im Online-Praxisteil drehte die Mehrheit ein Rollenspiel live. Die Klausurfragen lösten 31% (SS) bzw. 36% (WS) richtig.

Schlussfolgerung: Beratung kann auch digital gelehrt werden: Das Drehen eigener Videos mit zeitlich versetztem schriftlichem Feedback ist eine innovative Lehrform. Wir streben nun einen Mix beider Themen als IC mit 90 Minuten praktischen Übungen in Präsenz an.

Schlüsselwörter: E-Learning, Prävention, Rollenspiel, Reflexion, Alkoholkonsum, Rauchen, Beratung


Einleitung

Nicht erst seit Beginn der COVID-19-Pandemie wird der Einsatz digitaler Lehrformate wie z.B. Blended Learning (BL) verstärkt diskutiert [1], [2]. Der Inverted Classroom (IC), eignet sich besonders gut für diese Art der Lehre: nach einer vorgeschalteten (Online-) Selbstlernphase wird anschließend eine Präsenzveranstaltung [2] (oder eine Online-Veranstaltung [3]) mit thematisch vorbereiteten Studierenden durchgeführt. Auch wenn die Studienlage hier noch heterogen ist, deuten erste Übersichtsarbeiten darauf hin, dass E-Learning mindestens genauso effektiv [4] und BL bzw. IC mit Präsenzanteil sogar erfolgreicher als traditionelle Lehrformen sein können [5], [6]. Selbst kommunikative Fertigkeiten scheinen digital effektiv vermittelbar zu sein [7]. Diese werden z. B. in der suchtbezogenen Beratung im Rahmen des Querschnittsfaches Prävention benötigt. Auch in diesem Bereich findet bereits digitale Lehre statt [8], [9].

Unabhängig von der Lehrform stellt die Beratung von rauchenden bzw. riskant trinkenden Patienten immer noch ein unterrepräsentiertes Thema im Medizinstudium dar [10], obwohl Kurzinterventionen als effektiv gelten [11], [12]. Am Universitätsklinikum Würzburg (UKW) wurde deshalb im Sommersemester (SS) 2020 erstmals ein Kurs zu beiden Themen pilotiert und im Wintersemester (WS) 2020/21 erneut durchgeführt.

Hauptlernziele des Kurses waren die Vermittlung medizinischer und epidemiologischer Grundlagen des riskanten Alkoholkonsums/Rauchens und das Durchführen einer verbalen Kurzintervention (siehe Tabelle 1 [Tab. 1]). Diese Lernziele finden sich auch im Nationalen Kompetenzbasierten Lernzielkatalog Medizin (NKLM [http://www.nklm.de]) wieder, wonach Medizinstudierende „suchtmittelspezifische Risiken nennen und in der Beratung vermitteln“ (VIII.4-04.3.3.) oder „auf Basis von grundlegendem Wissen Beratungen und ggf. Interventionen zur Verhaltens- und Lebensstilveränderung durchführen“ können sollen (VIII.2-04.3.3.). Die dafür nötige Wissensbasis sollte in den ersten vier Semestern gelegt werden, der nun im Folgenden beschriebene Kurs findet bei uns im 6. Semester statt.

Der Artikel beschreibt Erfahrungen mit der Umsetzung eines reinen Online-Moduls zur Alkohol-/Raucherberatung im Covid-Sommersemester 2020 und ein ergänzendes Inverted Classroom-Konzept mit Präsenzanteil im Wintersemester 2020/21 am Universitätsklinikum Würzburg.


Projektbeschreibung

Teilnehmende

Im SS nahmen alle 143 Studierenden des 6. Semesters am Kurs des Querschnittsbereichs Prävention und Gesundheitsförderung (Q10) teil, im WS 131 (je 62% weiblich).

Q10 umfasst 2 Semesterwochenstunden mit insgesamt 16 Vorlesungen mit einem breiten Themenspektrum (u.a. Prävention psychischer Krankheiten im Erwachsenenalter, Darmkrebs-Vorsorgeuntersuchung, Schwangerschaftsvorsorge, Tertiärprävention etc.). Hinzu kommt ein Impfkurs mit zwei Vorlesungen, zehn virtuellen Patienten-Fällen und anschließendem Präsenzkurs. Alle Vorlesungen wurden in den COVID-19-Semestern als vertonte PowerPoint-Präsentationen zur Verfügung gestellt.

Kursablauf

Unser Kurs (siehe Abbildung 1 [Abb. 1]) umfasste einen Theorieteil zu riskantem Alkoholkonsum und Nikotinabhängigkeit (Modul 1) und einen Praxisteil mit Übungen zur Motivierenden Gesprächsführung (Modul 2). In Modul 2 konnte entweder eine Beratung zu riskantem Alkoholkonsum oder zum Rauchen belegt werden.

Die fünf Lernziele des Kurses sind in Tabelle 1 [Tab. 1] in Anlehnung an das Konzept des Constructive Alignment [13] dargestellt. Das Erreichen der Lernziele in Modul 1 wurde mittels summativen Assessment in der Abschlussklausur geprüft. In Modul 2 wurde formatives Feedback zu dem Rollenspiel einer Beratungssituation gegeben.

Zunächst war geplant, in Form eines Inverted Classroms [5] mit Präsenzanteil Modul 1 online zu lehren und Modul 2 als Präsenz-Seminar mit Rollenspielen anzuschließen. Aufgrund der COVID-19-Pandemie musste im SS auch Modul 2 komplett online vermittelt werden, im WS konnte zwischen Präsenz oder online gewählt werden.

Modul 1: Theorie zu Rauchen und Alkoholkonsum

Modul 1 umfasste 160 Prezi®-Folien (hälftig zum Alkohol und Rauchen), einen Podcast eines Patienten mit Alkoholabhängigkeit (3 min) [14] und kurze Erklärvideos [15], [16], [17]. Prezi erlaubt neben einer chronologischen Betrachtung durch „zoomen“ auf einzelne Themen einen selbst gewählten Ablauf [18]. In der hier verwendeten Premiumversion ist auch eine Aufzeichnung der Nutzungsdaten (Verweildauer) möglich. Stellenweise waren aktivierende Elemente in die Prezi-Präsentation eingebaut („Schätzfragen“, Reflexionen zum eigenen Alkoholkonsum), die nicht erfasst wurden. Modul 1 endete mit einer der Qualitätskontrolle des Moduls dienenden Evaluation (6 geschlossene, 4 offene Fragen) auf EvaSys, welche u.a. Bewertung des Moduls, Bearbeitungsdauer, und Verbesserungsvorschläge abfragte. Bei EvaSys handelt es sich um eine Evaluationssoftware, die sowohl Online- als auch Papierfragebögen verabeiten kann und an der Universität Würzburg seit langem standardmäßig eingesetzt wird [19].

Modul 2: Beratung bei riskantem Alkoholkonsum/Rauchen
Online

Die Raucherberatungs-Prezi-Präsentation stellte den Leitfaden der WHO zur Beratung nach den „5 As“ [20] und ein exemplarisches Beratungsvideo (15 min) [21] vor. Analog wurde die Beratung bei riskantem Alkoholkonsum mit Folien und Videodemonstration (5 min) dargestellt [22]. Beide Prezi-Präsentationen endeten mit der Aufgabenstellung für den Praxisteil und einer Evaluation (nur WS). Der Praxisteil – stellvertretend für die Rollenspiele im Kurs – verlangte das Drehen eines Beratungsvideos in der Rolle als Famulant*in (Dauer max. 10 min) und das Einreichen eines Reflexionsberichts (siehe Tabelle 2 [Tab. 2]). Die Person in der Patientenrolle (Mitstudierender/Familienmitglied) sollte strukturiert Feedback geben. Für beide Beratungsthemen wurden Rollenskripte, Feedback-Anleitung und Gesprächsleitfaden bereitgestellt (Vorlagen: [23], [24]).

Alle Studierenden erhielten zusätzlich ein persönliches schriftliches Feedback zum Beratungsvideo und dem Reflexionsbericht (siehe Tabelle 1 [Tab. 1]), im SS von Kursdozierenden, im WS wurden die Feedbacks zusätzlich z.T. von 2 Tutor*innen unter Supervision verfasst.

Präsenz (nur WS)

Das 60-minütige Präsenzmodul im WS wurde mit 15 PowerPoint-Folien analog zur Online-Prezi-Präsentation von 1-2 Dozentinnen theoretisch eingeleitet. Die Dozent*innen supervidierten dann mit zwei Tutor*innen die Rollenspiele in Dreiergruppen (Famulant*in, Patient*in, Beobachter*in), die mit Mindestabstand und Maske durchgeführt wurden. Rollenskripte und Gesprächsleitfäden waren identisch mit dem Material des Videodrehs. Für 2-3 Gespräche mit Feedback standen 40 Minuten zur Verfügung. Am Ende folgte eine kurze Papier-Evaluation.

Klausur

Die Abschluss-Klausur des Q10 Prävention umfasst jedes Semester 20 MC-Fragen, die sich aufgrund des breit gefächerten Spektrums von Q10 mit sehr unterschiedlichen Themen befassen. Pro Semester zielen zwei Fragen der 20 Fragen auf die Lernziele von Modul 1 des beschriebenen Kurses ab (Beispiel für Klausurfragen: siehe Anhang 1 [Anh. 1]).

Schulung des Lehrpersonals

Das Lehrpersonal des Kurses wurde im Vorfeld geschult: Die Tutor*innen (Medizinstudierende höherer Semester) nahmen an einer zweistündigen Schulung mit Fokus auf Feedback geben anhand von Beratungsvideos teil und wurden mit dem Ablauf des Präsenzkurses vertraut gemacht. Die Schulung wurde von den beiden Autorinnen des Artikels geleitet.

Bei den Dozent*innen im Kurs handelte es sich um Ärzt*innen und Psycholog*innen aus dem Institut für Allgemeinmedizin. Dozent*innen, die im Präsenzkurs unterrichteten, hatten vorher im Kurs hospitiert und an einer halbstündigen Einführung über Zoom teilgenommen. Für die Evaluation/das Feedback der Videos des Online-Teils erhielten Dozent*innen die Kursmaterialien per Mail und konnten sich bei Fragen an erfahrene Kursdozierende wenden. Die eingereichten Beratungsvideos wurden von den Dozent*innen angeschaut, die mehrheitlich auch im letzten Semester (vor der Pandemie) im Kurs unterrichtet hatten.

Kursorganisation und Datenschutz

Die Kursmaterialien wurden von Dozentinnen und Doktoranden nach Literaturstudium entwickelt und im WS 18/19 (Rauchen) [25] und WS 19/20 (Alkohol) pilotiert.

Die Materialien wurden auf der am UKW üblichen Lernplattform WueCampus hochgeladen, die Videos und Reflexionsberichte durch die Studierenden auf GigaMove [26]. Die für Angehörige der Universität kostenlose Webanwendung erlaubt eine passwortgeschützte Bereitstellung einer Datei bis zu einer Größe von 2 GB. Die eingereichten Dateien wurden auf einem passwortgeschützten Laufwerk des UKW gespeichert.

In der Prezi-Präsentation und im WueCampus-Raum wurde eine Datenschutzerklärung hochgeladen: Diese informierte die Studierenden, dass die übermittelten Daten (auch Audio- bzw. Videodaten) ausschließlich für Zwecke des Kurses „Prävention – Seminar Allgemeinmedizin“ verarbeitet werden (Berechtigung nach Art. 6 Abs. 1 Buchst. a, b und c DSGVO). Es wurde festgehalten, dass die Daten gemäß der Aufbewahrungsfrist für Prüfungsunterlagen gespeichert (2 Jahre) und dann vernichtet werden, und dass eine Datenweitergabe an Dritte nicht erfolgt. Mit dem Einsenden des Beratungsvideos erklärten die Studierenden, die Datenschutzerklärung zur Kenntnis genommen zu haben, und damit einverstanden zu sein.


Ergebnisse

Modul 1

Im Mittel wurde Modul 1 mit Note 1,7 (SS) bzw. 1,3 (WS) bewertet, wobei je nur 11% (n=16/15) evaluierten. In den Freitextantworten im SS wurden die aktivierenden Elemente mittels Videos, Prezi und Gestaltung des Moduls positiv hervorgehoben, so auch im WS, daneben wurde Prezi im Vergleich mit PowerPoint als abwechslungsreicher empfunden. Insgesamt verbrachten die Studierenden laut Prezi Analytics ca. 140 (SS) bzw. 107 (WS) Stunden mit Modul 1, was bei Zugrundlegen der Studierendenanzahl des jeweiligen Semesters einer Bearbeitungsdauer von 59 bzw. 49 Minuten pro Kopf entspricht. Hier ist zu berücksichtigen, dass Prezi Analytics bei Inaktivität von mindestens einer Minute nicht mehr weiterzählt, und so vermutlich die Zeit des Abspielens der Videos nicht komplett erfasst wurde. Laut Selbstangabe in der Evaluation lag der Median der Bearbeitungszeit bei 60 (20-150 Min; SS) bzw. 70 (35-200 Min; WS) Minuten.

Modul 2

Die Mehrheit der Studierenden wählte für die Beratung den „riskantem Alkoholkonsum“ (SS: 64%; WS: 61%). Im WS waren online und Präsenz gleich beliebt (Präsenz: 49%, online: 51%).

Analysen zu Modul 2 sind in Tabelle 3 [Tab. 3] zu finden. Wegen des geringen Rücklaufs (n=3 pro Thema) wurde die Evaluation des Online-Teils nicht ausgewertet, an der Präsenz-Evaluation im WS nahmen 65 Studierende teil (Rücklauf: 97%).

Bei den 5 Präsenzkursen variierte die Gruppengröße zwischen 11 und 19 Studierenden (Corona-bedingte Beschränkung auf 28 Personen). Ein Großteil stimmte danach der Aussage eher oder voll zu, sich ein kurzes Beratungsgespräch mit rauchenden (88%, n=24) bzw. auf riskantem Niveau Alkohol trinkenden (83%, n=40) Patient*innen zuzutrauen. Positiv hervorgehoben wurden in den Freitextantworten der Evaluation die Rollenspiele, wobei auch kritisiert wurde, dass die Zeit zu knapp war und nicht jeder in der Dreiergruppe die Rolle des Famulanten bzw. der Famulantin übernehmen konnte. Zudem wurde der Wunsch nach Videobeispielen geäußert.

Im Online-Teil drehten fast alle Studierenden ein Rollenspiel in einer Livesituation mit einer gleichaltrigen Person, vermutlich einem*r Kommilitonen*in oder WG-Mitbewohner*in. Fünf (SS) bzw. 15 (WS) Studierende führten eine Beratung über Skype durch. Bis auf eine Ausnahme pro Semester (Audio) wurden Videos eingereicht. Die meisten Beratungen folgten dem Skript der Patientenrolle, vereinzelt wurden auch andere Beratungsgespräche (eigene Rolle, echter Beratungsanlass) geführt.

Die selbstgedrehten Videos dauerten 4-20 Minuten, z.T. wurde das Feedback mit aufgezeichnet. Der Arbeitsaufwand für die Beurteilung eines Videos durch die Dozierenden bemaß sich an der Länge des Videos, zusätzlich waren geschätzt mindestens 10 Minuten nötig, um das stichpunktartige Feedback zu formulieren und den Reflexionsbericht zu lesen. Gemäß dieser Schätzung waren im WS mind. 20 Stunden und im SS doppelt so viele Stunden nötig, die Feedbacks zu verfassen.

Klausur

Die lediglich zwei auf Faktenwissen abzielenden Fragen in der MC-Klausur des QBs können nicht zur Evaluation des hier vorgestellten auf Kompetenzerwerb abzielenden Lehrkonzeptes herangezogen werden, sollen aber an dieser Stelle dennoch kurz dargestellt werden. Insgesamt wurden von den 20 MC-Fragen im Mittel 18 Fragen in beiden Semestern richtig beantwortet. Die mittlere Schwierigkeit aller Fragen lag bei p=0,85, die Trennschärfe war gering (ritc=0,00-0,35).

Die zwei auf unser Modul abzielenden Fragen (siehe Anhang 1 [Anh. 1]) waren sowohl im SS (n=142) als auch im WS (n=129) bis auf eine Ausnahme die schwersten in der Klausur: Nur ein Drittel beantwortete beide richtig (SS: 31%, WS: 36%), weitere 47% (SS) bzw. 36% (WS) zumindest eine Frage, etwa ein Viertel keine Frage (SS: 22%, WS: 27%). Im SS wurden die Fragen zu Standardgläsern (Lernziel 1; 53,5%) und zum Rauchstopp in der Schwangerschaft (Lernziel 1; 55,6%) von jeweils der Hälfte richtig beantwortet. Im WS löste ebenfalls etwas mehr als der Hälfte der Studierenden die Frage zum Alkohol-Screening mit dem CAGE-Fragebogen [27] (Lernziel 2; 51,9%) und zum transtheoretischen Modell der Verhaltensänderung [28] (Lernziel 3; 57,4%).


Diskussion

Lehre unter Pandemiebedingungen ist vor allem im Bereich der Kommunikation eine Herausforderung: Unsere Erhebungen aus zwei Semestern haben gezeigt, dass Wissen und kommunikative Kompetenz zum Thema „riskanter Alkoholkonsum“ und „Raucherberatung“ auch mit dem Inverted-Classroom-Konzept oder rein elektronisch asynchron gut umsetzbar sind. Hauptlernziele waren die Vermittlung medizinischer und epidemiologischer Grundlagen des riskanten Alkoholkonsums/Rauchens und das Durchführen einer Kurzintervention.

Einziger Indikator für das Erreichen der Lernziele in Modul 1 waren zwei Fragen in der Abschlussklausur, die in beiden Semestern nur von einem Drittel der Studierenden richtig gelöst wurden. Eine mögliche Erklärung für das eher schlechte Abschneiden könnte eine unzureichende Nutzung von Modul 1 sein. Dem steht entgegen, dass die Studierenden laut Prezi Analytics im Schnitt mindestens eine Dreiviertelstunde mit Modul 1 verbrachten. Allerdings stellt dieser Wert nur eine grobe Schätzung dar: Es ist unklar, ob manche Studierende das Modul ausgiebig und andere kaum nutzten, wie es die großen Schwankungen der selbst angegebenen Bearbeitungszeiten in der Evaluation nahelegen. Es wäre daher möglich, dass diejenigen, die die Klausurfragen korrekt beantwortet haben, mehr Zeit in Modul 1 investierten. Eine alternative Erklärung ist, dass die Fragen zu spezifisch waren, sodass selbst bei tiefergehender Beschäftigung mit dem Modul die Fragen zu schwer waren und daher das Erreichen des Lernziels nicht angemessen abprüfen konnten.

Hauptlernziel von Modul 2 war, dass jeder Studierende ein Beratungsgespräch zum Rauchen oder zum Alkohol im Sinne einer Kurzintervention selbst durchführt. Für die Online-Variante war dies gesichert, da jeder Studierende ein eigenes Video einreichen musste. Bei der Präsenzvariante reichten 60 Minuten nicht immer für drei Rollenspiele in der Kleingruppe aus. Obwohl im Präsenzkurs die Mehrheit der Studierenden der Aussage zustimmte, sich ein Beratungsgespräch zuzutrauen, wurde dieses Lernziel nicht von allen erreicht.

Unsere Online-Lernform ermöglichte eine mehrfache Reflexion des Beratungsgesprächs: Studierende reflektierten schriftlich selbst, erhielten idealerweise mündliches Feedback durch den oder die Rollenspielpartner*in und wiederum schriftliches durch Dozierende/Tutor*innen. Die Videos zeigten, dass viele Studierende eigene Notizen angefertigt und sich mit dem Stoff zuvor gut befasst hatten. Die Beschäftigung mit eigenen Stärken/Schwächen auf Basis von Videos mithilfe offener Fragen stellt eine geeignete Selbsteinschätzungsmethode dar [29]. Wie Hammoud et al. auf Basis ihres Reviews empfehlen, soll bei videobasiertem Feedback die Selbsteinschätzung der Studierenden idealerweise mit Feedback von Expert*innen kombiniert werden [30].

Im WS zeigte sich, dass das Präsenzangebot ebenso beliebt war. Hier waren Studierende besonders zufrieden mit dem persönlichen Feedback im Rollenspiel, auch von Tutor*innen, was sich mit der Literatur deckt [31]. Die persönliche Kommunikation mit den Studierenden im festen Rahmen des Präsenzkurses stellte im Gegensatz zur Online-Variante sicher, dass das Feedback die Studierenden unmittelbar erreichte und auch wirklich gegeben wurde. So war eine Person in der Dreiergruppe immer nur für das Feedback zuständig. Es ist unklar, ob die Teilnehmenden des Online-Kurses wirklich alle von ihren Rollenspielpartner*innen Feedback erhalten hatten, und ob alle ihr Beratungsvideo nach Erhalt des Feedbacks der Expert*innen tatsächlich nochmal reflektierten.

Limitationen

Die Beteiligung an den Online-Evaluationen war gering, was mit den vielen zusätzlichen Online-Befragungen während der elektronischen Semester zusammenhängen könnte und auch viele andere Unterrichtsveranstaltungen in Würzburg betraf. Laut Auskunft des Studiendekanats war die Response bezüglich der Evaluationen im betreffenden Semester bei einem „historischen Tief“ von 11%. Ähnliches wurde beispielsweise auch in Göttingen berichtet, wo gegenüber 50% im Präsenzsemester nur jeder fünfte Studierende an der Evaluation im Covid-Sommersemester 2020 teilnahm [32]. Ein weiterer Grund könnte sein, dass für die Evaluation nicht getrennt aufgefordert wurde, sondern sie direkt am Ende der Prezi-Präsentation online erschien. Im Präsenzkurs nahmen nach persönlicher Ansprache fast alle Studierenden an der Evaluation teil.

Unabhängig vom Lehrformat konnte der Lernerfolg in Bezug auf die Beratungsfertigkeiten nach Durchführen einer Beratung nicht objektiv gemessen werden, ein PJ-Reife-OSCE (Objective Structured Clinical Examination) findet erst im Jahr 2022/2023 für die untersuchte Studierendenkohorte statt. Dennoch vermuten wir einen Lernerfolg durch unseren Kurs, da er Elemente beinhaltet, die sich an anderen Standorten als effektiv in der Steigerung der Beratungsfertigkeiten erwiesen haben (Konzept 5 As/transtheoretisches Modell der Verhaltensänderung, aktivierende Methoden, Feedback) [33], [34].

Ausblick

Wie sich gezeigt hat, reichen 60 Minuten nicht regelhaft für das Durchführen von drei Rollenspielen mit Feedback aus. Es ist daher geplant, Modul 2 ab dem Wintersemester 2021/22 für alle Studierenden als 90-minütige Präsenzveranstaltung zu beiden Schwerpunkten (Alkohol und Rauchen) gleichzeitig mit Rollenspielen anzubieten. Vorgeschaltet werden soll Modul 1 im Sinne des Inverted Classrooms, zusätzlich sollen im Vorfeld des Kurses Beratungsvideos angeschaut werden, wie es auch im Präsenzkurs als Wunsch geäußert wurde. Sollte aus Pandemie-Gründen ein Präsenzmodul nicht möglich sein, ist jederzeit wieder der Wechsel auf einen reinen Online-Kurs möglich, sodass jeder Studierende Gelegenheit zum praktischen Üben hat.

Die gleichzeitige Lehre beider Schwerpunkte knüpft an die Beobachtung des Reviews von Hauer et al. an, wonach Kurse zur Beratung häufig nur einen Schwerpunkt legen (am häufigsten Alkohol- oder Raucherberatung), Patient*innen oft aber unterschiedliche bzw. multiple Beratungsanlässe mitbringen und angehende Ärzt*innen auf möglichst viele davon vorbereitet sein sollten [34]. Perspektivisch ist daher angedacht, das 5 A-Modell in den Rollenspielen auf weitere Beratungsanlässe wie z. B. Adipositas auszuweiten und anzuwenden.


Fazit

Alkohol- und Raucherberatung können rein asynchron elektronisch oder als Inverted Classroom mit Präsenzanteil vermittelt werden:

  • Online-Teile eignen sich dabei besonders für die Darstellung von Videos.
  • Das Drehen eigener Videos mit zeitlich versetztem schriftlichem Feedback ist eine innovative alternative Lehrform in Pandemie-Zeiten.
  • Feedback – dann mündlich – kann unmittelbarer im Präsenzkurs gegeben werden.

Um die Vorteile zu kombinieren, wird das Online-Modul 1 um Beispielberatungsvideos ausgeweitet, der Präsenzkurs zu Modul 2 wird auf 90 Minuten verlängert.


Interessenkonflikt

Die Autorinnen erklären, dass sie keinen Interessenkonflikt im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


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