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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Interprofessionelles Lernen unter SARS-CoV-2 (COVID-19)-Pandemiebedingungen: Das Lernprojekt I-reCovEr als Ersatz für den Einsatz auf einer interprofessionellen Ausbildungsstation

Kurzbeitrag Interprofessionell

  • corresponding author Sebastian Bode - Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Medizinische Fakultät, Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin, Klinik für Allgemeine Kinder- und Jugendmediziin, Arbeitsgruppe Lehre und Lehrforschung/Lehrentwicklung, Freiburg/Brsg., Deutschland
  • Alexandra Dürkop - Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Medizinische Fakultät, Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin, Klinik für Allgemeine Kinder- und Jugendmediziin, Arbeitsgruppe Lehre und Lehrforschung/Lehrentwicklung, Freiburg/Brsg., Deutschland; Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Medizinische Fakultät, Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin, Hauptpraxisanleitung, Universitätsklinikum Freiburg, Stabsstelle Hauptpraxisanleitung, Pflegedirektion, Freiburg/Brsg., Deutschland
  • Helena Wilcken - Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Medizinische Fakultät, Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin, Hauptpraxisanleitung, Universitätsklinikum Freiburg, Stabsstelle Hauptpraxisanleitung, Pflegedirektion, Freiburg/Brsg., Deutschland
  • Stephanie Peters - Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Medizinische Fakultät, Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin, Praxisanleitung St. Moro, Freiburg/Brsg., Deutschland
  • Christine Straub - Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Medizinische Fakultät, Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin, Klinik für Allgemeine Kinder- und Jugendmediziin, Arbeitsgruppe Lehre und Lehrforschung/Lehrentwicklung, Freiburg/Brsg., Deutschland

GMS J Med Educ 2021;38(1):Doc13

doi: 10.3205/zma001409, urn:nbn:de:0183-zma0014097

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2021-38/zma001409.shtml

Eingereicht: 29. Juli 2020
Überarbeitet: 20. Oktober 2020
Angenommen: 24. November 2020
Veröffentlicht: 28. Januar 2021

© 2021 Bode et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Die COVID-19 Pandemie hat zu massiven Veränderungen in der Ausbildung der Gesundheitsberufe geführt. Insbesondere sind hiervon die praktischen Ausbildungsanteile betroffen, die nicht mehr in der üblichen Form im klinischen Alltag stattfinden können. Auch die am Universitätsklinikum Freiburg etablierte Interprofessionelle Ausbildungsstation in der Pädiatrie (IPAPÄD) konnte seit März 2020 nicht mehr durchgeführt werden. In diesem Bericht wird das interprofessionelle Covid-19 Ersatzprogramm (I-reCovEr) als alternatives Lernformat für die IPAPÄD am Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin Freiburg vorgestellt. In dieser Lehrveranstaltung lernen Auszubildende der Gesundheits- und Kinderkrankenpflege (N=6) und Medizinstudierende (N=9) im Praktischen Jahr gemeinsam unter Beachtung der Hygiene- und Abstandsregeln. Anhand einer Fallvignette werden an vier Terminen ausgewählte Inhalte zur interprofessionellen Zusammenarbeit und Kommunikation erarbeitet. Die Teilnehmenden berichten in der Evaluation mit der Interprofessional Socialization and Valuing Scale (ISVS) -9A von einem Wissenszuwachs über die Arbeit der jeweils anderen Berufsgruppe. Im Vergleich zu Teilnehmenden der IPAPÄD findet sich in der Selbsteinschätzung jedoch kein Erwerb sonstiger interprofessioneller Kompetenzen. I-reCovEr kann daher als Einstieg in die interprofessionelle Ausbildung dienen, das interprofessionelle Lernen und Arbeiten auf einer pädiatrischen Ausbildungsstation jedoch nicht ersetzen.

Schlüsselwörter: interprofessionelles Lernen, interprofessionelle Ausbildungsstation, interprofessionelle Kommunikation, fallbasiertes Lernen


Einleitung

Am Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin (ZKJ) Freiburg ist seit 2017 die interprofessionelle Ausbildungsstation in der Pädiatrie (IPAPÄD) etabliert [1]. Hier übernehmen Auszubildende der Gesundheits- und Kinderkrankenpflege (AGKKP) und Medizinstudierende im Praktischen Jahr (PJ) gemeinsam Verantwortung in der Versorgung von Patient*innen und lernen von-, mit- und übereinander. In den jeweils zweiwöchigen Durchführungsphasen werden sie von pflegerischen und ärztlichen Lernbegleitenden unterstützt [2].

Im März 2020 wurde aufgrund der COVID-19-Pandemie der Studienbetrieb an der Universität Freiburg ausgesetzt, die ab März 2020 geplanten Durchführungsphasen der IPAPÄD konnten daher nicht stattfinden. Ab Mai 2020 war, unter Einhaltung der vorgeschriebenen Hygienemaßnahmen, wie zum Beispiel das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes, klinische Lehre in eingeschränkter Form wieder möglich. Die interprofessionelle Arbeitsgruppe Lehre und Lehrforschung am ZKJ bestehend aus pflegerischen Praxisanleiterinnen, Sozialwissenschaftlerin und Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin erarbeitete daraufhin ein Programm, um unter Pandemiebedingungen interprofessionelle (IP) Lehre anbieten zu können. Das interprofessionelle Covid-19 Ersatzprogramm (I-reCovEr) wurde im Mai und Juli 2020 durchgeführt. Lernziele beinhalten das Bewusstwerden der eigenen Rolle und Rolle der anderen Berufsgruppe, Feedback, Übergabe, sowie theoretische Grundlagen zur Meningitis und praktische Durchführung einer Lumbalpunktion. Ausgewählte Lernmaterialien der IPAPÄD (s.u.) wurden eingesetzt. Im Folgenden wird das Projekt und die Evaluation von I-reCovEr, im Vergleich mit der Evaluation von Teilnehmenden (TN) der IPAPÄD, vorgestellt.


Projektbeschreibung

I-reCovEr besteht aus vier Präsenzterminen à 60 Minuten (Teil 1-4) (siehe Abbildung 1 [Abb. 1]) verteilt über zwei Wochen. Im ersten Teil erfolgt eine Einführung zum IP Lernen und zur IP Zusammenarbeit. PJ und AGKKP stellen ihre Ausbildung bzw. ihr Studium vor. Gemeinsamkeiten der Ausbildungen werden diskutiert. Danach bilden die TN interprofessionelle Teams unter Beachtung der vorgegebenen Hygienemaßnahmen (siehe Abbildung 2 [Abb. 2]) zur Bearbeitung einer Fallvignette. Die Fallvignette beschreibt die Akutvorstellung eines Kleinkindes mit klinischem Verdacht auf Meningitis. Die TN werden aufgefordert das Kleinkind entsprechend einzuschätzen, Aspekte der klinischen Untersuchung, empfohlene Diagnostik und Therapie aus pflegerischer und medizinischer Sicht zu diskutieren. Im zweiten Teil wird das SBAR-Übergabeschema [3], [4] vorgestellt und angewendet. Im dritten Teil erfolgt Input zu Feedback und zur Durchführung einer Lumbalpunktion. Die Punktion wird von den TN vorbereitet und an einem Punktionsdummy durchgeführt. Die TN selbst und das IP Leitungsteam geben im Anschluss Feedback. Im vierten Teil wird die Fallvignette abgeschlossen und diskutiert. Die Veranstaltung wird, wie auch die IPAPÄD, prä und post mit dem ISVS-9A [5] (eigene Übersetzung, Antwortmöglichkeiten von 0=„stimme überhaupt nicht zu“ bis 6=„stimme voll und ganz zu“) evaluiert. Der ISVS-9A fragt in 9 Items Einstellungen zur interprofessionellen Zusammenarbeit ab. Zusätzlich füllten die Teilnehmenden einen für diese Lehrveranstaltung entworfenen Fragebogen mit sieben Items (Antwortmöglichkeiten von 0=„kein Wissen/keine Bedeutung“ bis 5=„sehr viel Wissen/sehr hohe Bedeutung“) aus, dieser beinhaltete die Freitextfrage „Haben Sie weitere Kommentare zur interprofessionellen Lerneinheit?“.


Ergebnisse

Bisher nahmen 15 Personen (6 AGKKP und 9 PJ) an I-reCovEr teil. Von 12 TN war eine Evaluation vor und nach der LV vorhanden. I-reCovEr wurde nach deutschen Schulnoten mit m=1,5 (SD±.45) bewertet, ähnlich wie die IPAPÄD von 69 TN (m=1,48 (SD±.55)). Die beiden Teilnehmendengruppen waren vergleichbar hinsichtlich der Zusammensetzung der Berufsgruppen, Geschlecht und Alter.

Das Item „Ich habe ein zunehmendes Bewusstsein über die Rollen der anderen Berufsgruppen in einem Team erworben“ des ISVS-9A wurde nach I-reCovEr signifikant höher als vor Teilnahme bewertet (prä m=4,33 (SD±.85); post m=5,42 (SD±.64); p<.01). Im Fragebogen zu I-reCovEr zeigte sich ein selbsteingeschätzter Wissenszuwachs über die andere Profession (prä m=3,08 (SD±64); post m=4,0 (SD±.58); p<.01). Weitere signifikante Unterschiede fanden sich nicht, insbesondere wurde kein Kompetenzzuwachs angegeben. Im Gegensatz dazu zeigten Teilnehmende der IPAPÄD nach Einsatz auf der IPAPÄD signifikant höhere Werte bezüglich Wissen oder Kompetenzen in 7/9 Items des ISVS-9A und in 5/7 Items der IPAPÄD-Evaluation.

In den Freitextkommentaren zu I-reCovEr wurden vor allem die Möglichkeit zum interprofessionellen Austausch, die gemeinsame Fallbearbeitung und die praktische Übung (Lumbalpunktion) positiv hervorgehoben.


Diskussion

Das Projekt I-reCovEr zeigt, dass auch durch gemeinsame Arbeit an Fallvignetten Wissen über die andere Berufsgruppe erworben werden kann. Teilnehmende nach zweiwöchigem Einsatz auf der IPAPÄD schätzen dagegen nicht nur ihren Wissens- sondern auch ihren Kompetenzzuwachs höher ein, was auch auf anderen IP Ausbildungsstationen gezeigt werden konnte [6], [7], [8], [9]. Dies kann dadurch erklärt werden, dass auf der IPAPÄD TN über zwei Wochen täglich gemeinsam arbeiten und lernen, im Rahmen von I-reCovEr jedoch nur an vier Terminen. Zusätzlich übernehmen die TN auf der IPAPÄD gemeinsam im interprofessionellen Team Verantwortung für die Versorgung von Patienten. Das Erarbeiten entsprechender Kompetenzen in Patientenversorgung, Verantwortungsübernahme und Teamkommunikation kann nicht durch die Arbeit mit Fallvignetten ersetzt werden. I-reCovEr kann daher die Teilnahme an einer IP Ausbildungsstation nicht ersetzen. Das diskussionsbasierte Lernformat kann aber als Einstieg in interprofessionelle Lehre genutzt werden oder als minimale IP-Ausbildungsform, wenn Ressourcen für aufwendigere IP-Lernformate nicht vorhanden sind. Zukünftig wird bei I-reCovEr der Fokus noch stärker auf den Kompetenzerwerb der TN gelegt werden.

Die Lumbalpunktion als interprofessionelle Lernsituation im Rahmen von I-reCovEr wurde aufgrund ihrer Praxisrelevanz besonders positiv hervorgehoben. Die Durchführung ist jedoch nur unter gelockerten Hygienebedingungen möglich.


Schlussfolgerung

Mit der vorgestellten interprofessionellen Lehrveranstaltung I-reCovEr können zumindest einige der auf der IPAPÄD vermittelten Lerninhalte auch unter Pandemiebedingungen an AGKKP und PJ vermittelt werden. Sollten weitere Durchführungen der IPAPÄD abgesagt werden müssen, wird I-reCovEr als Alternative, jedoch nicht als adäquater Ersatz für die IPAPÄD, erneut angeboten werden.


Interessenkonflikt

Die Autor*innen erklären, dass sie keinen Interessenkonflikt im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


Literatur

1.
Peters S, Bode S, Straub C. Interprofessional training ward in paediatrics (IPAPAED) at the Centre for Paediatric and Adolescent Medicine Freiburg: Overcoming borders - learning and working together. JuKiP. 2018;4(7):173-174.
2.
Straub C, Duerkop A, Bode SF. Learning support on an interprofessional training ward. J Nurs Educ Patient Educ Train. 2020.
3.
Raymond M, Harrison MC. The structured communication tool SBAR (Situation, Background, Assessment and Recommendation) improves communication in neonatology. S Afr Med J. 2014;104(12):850-852. DOI: 10.7196/SAMJ.8684 Externer Link
4.
von Dossow V, Zwissler B. Recommendations of the German Association of Anesthesiology and Intensive Care Medicine (DGAI) on structured patient handover in the perioperative setting : The SBAR concept. Anaesthesist. 2016;65(Suppl 1):1-4. DOI: 10.1007/s00101-016-0237-5 Externer Link
5.
King G, Orchard C, Khalili H, Avery L. Refinement of the Interprofessional Socialization and Valuing Scale (ISVS-21) and Development of 9-Item Equivalent Versions. J Contin Educ Health Prof. 2016;36(3):171-177. DOI: 10.1097/CEH.0000000000000082 Externer Link
6.
Reeves S, Freeth D, McCrorie P, Perry D. 'It teaches you what to expect in future . . . ': interprofessional learning on a training ward for medical, nursing, occupational therapy and physiotherapy students. Med Educ. 2002;36(4):337-344. DOI: 10.1046/j.1365-2923.2002.01169.x Externer Link
7.
Jakobsen F, Larsen K, Hansen TB. This is the closest I have come to being compared to a doctor: views of medical students on clinical clerkship in an Interprofessional Training Unit. Med Teach. 2010;32(9):e399-406. DOI: 10.3109/0142159X.2010.496009 Externer Link
8.
Morphet J, Hood K, Cant R, Baulch J, Gilbee A, Sandry K. Teaching teamwork: an evaluation of an interprofessional training ward placement for health care students. Adv Med Educ Pract. 2014;5:197-204. DOI: 10.2147/AMEP.S61189 Externer Link
9.
Mette M, Baur C, Hinrichs J, Östreicher-Krebs E, Narciß E. Implementation MIA - Mannheim's interprofessional training ward: first evaluation results. GMS J Med Educ. 2019;36(4):Doc35. DOI: 10.3205/zma001243 Externer Link