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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Einsatz von Telepräsenzsystemen in der Lehre – Transfer eines interprofessionellen Lehrmoduls zur digital gestützten Kommunikation in das Blockpraktikum „Innere Medizin“ während der Covid-19-Pandemie

Kurzbeitrag Kommunikation

  • corresponding author Elisa Haucke - Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Medizinische Fakultät, Dorothea Erxleben Lernzentrum, Halle (Saale), Deutschland
  • author Jens Walldorf - Universitätsklinikum Halle, Universitätsklinik und Poliklinik für Innere Medizin, Halle (Saale), Deutschland
  • author Christiane Ludwig - Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Medizinische Fakultät, Dorothea Erxleben Lernzentrum, Halle (Saale), Deutschland; Universitätsklinikum Halle, Universitätsklinik und Poliklinik für Innere Medizin, Halle (Saale), Deutschland
  • author Christian Buhtz - Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Medizinische Fakultät, Dorothea Erxleben Lernzentrum, Halle (Saale), Deutschland
  • author Dietrich Stoevesandt - Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Medizinische Fakultät, Dorothea Erxleben Lernzentrum, Halle (Saale), Deutschland
  • author Katharina Clever - Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Medizinische Fakultät, Dorothea Erxleben Lernzentrum, Halle (Saale), Deutschland

GMS J Med Educ 2020;37(7):Doc84

doi: 10.3205/zma001377, urn:nbn:de:0183-zma0013772

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2020-37/zma001377.shtml

Eingereicht: 31. Juli 2020
Überarbeitet: 2. Oktober 2020
Angenommen: 29. Oktober 2020
Veröffentlicht: 3. Dezember 2020

© 2020 Haucke et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Zielsetzung: Die Kontakteinschränkungen durch die Covid-19-Pandemie beeinträchtigen die patientennahe Lehre grundlegend. Um trotz der besonderen Herausforderungen eine patientennahe Ausbildung im Blockpraktikum „Innere Medizin“ am Universitätsklinikum Halle (Saale) zu realisieren, wurde das bereits etablierte Lehrmodul „Interprofessionelles Telekonsil“ adaptiert. Der Kurzbeitrag skizziert das interprofessionelle Lehrmodul mit ersten Evaluationsergebnissen und beschreibt das adaptierte Blockpraktikum.

Methodik: Im Blockpraktikum „Innere Medizin“ navigieren die Studierenden von einem Hörsaal aus ein von einem*r Ärzt*in begleitetes Telepräsenzsystem über die Station und führen so via Video- und Audio-Übertragung ein Anamnesegespräch ohne unmittelbaren Patientenkontakt.

Ergebnisse: Sowohl die Studierenden und Ärzt*innen als auch die Patient*innen standen dieser Form der Kommunikation während der Covid-19-Pandemie aufgeschlossen gegenüber und gewöhnten sich schnell an den Umgang mit dem Telepräsenzsystem. Um gegebenenfalls auf technische Herausforderungen (z.B. instabile Verbindung zwischen den Kommunikationspartner*innen) reagieren zu können, ist eine sorgfältige Vorbereitung der Dozent*innen notwendig.

Schlussfolgerung: Durch den Einsatz des Telepräsenzsystems kann die patientennahe Ausbildung der Studierenden im Blockpraktikum „Innere Medizin“ während der Covid-19-Pandemie mit niederschwelligem technischen Aufwand gewährleistet werden. Das Telepräsenzsystem ermöglicht dabei die Einbindung von Patient*innen in die studentische Lehre bei gleichzeitiger Einhaltung der erforderlichen Hygienemaßnahmen. Trotz technischer Herausforderungen ist das Lehrformat mit Telepräsenz als Alternative zur Präsenzlehre geeignet, wenn ein unmittelbarer Patientenkontakt nicht möglich ist.

Schlüsselwörter: Telemedizin, Lehr- und Lerntechnologie, Medizinische Ausbildung, Pflegeausbildung


Einleitung

Telemedizin bietet die Chance, medizinisches Wissen nicht nur räumlich, sondern auch sektorübergreifend besser zu nutzen und eine flächendeckende medizinische Versorgung zu gewährleisten [1]. Während der Covid-19-Pandemie hat die telemedizinische Versorgung stark an Bedeutung gewonnen [2]. Der vorliegende Kurzbeitrag zeigt, wie Telekommunikation während der Covid-19-Pandemie im Blockpraktikum „Innere Medizin“ (Sommersemester 2020) eingesetzt wurde, um trotz strenger Kontaktbeschränkungen am Universitätsklinikum Halle (Saale; UKH) eine patientennahe medizinische Ausbildung sicherzustellen.

Dafür wurde das bereits etablierte Lehrmodul „Interprofessionelles Telekonsil“ [3] adaptiert. Im Folgenden werden das Lehrmodul „Interprofessionelles Telekonsil“ einschließlich erster Evaluationsergebnisse sowie das adaptierte Blockpraktikum „Innere Medizin“ vorgestellt. Die Adaptation eines telepräsenzgestützten Lehrmoduls beschreibt dabei exemplarisch, wie die Gestaltung der praktischen Lehre während der Covid-19-Pandemie auf der Basis bereits bestehender Lehrformate, ressourcenschonend realisiert werden kann.


Lehrmodul „Interprofessionelles Telekonsil“

Das Lehrmodul „Interprofessionelles Telekonsil“ ist eingebettet in die curricular verankerte interprofessionelle Lehrreihe (Projekt GReTL2.0 – Gesundheitsberufe im reflexiven und transformativen Lernen) [4]. Studierende bzw. Auszubildende der Medizin und Pflege wenden ein ferngesteuertes Telepräsenzsystem (Double2, Double Robotics, USA) im Patientengespräch an und reflektieren dessen Einsatz. Das mobile Telepräsenzsystem bietet per Videokonferenz die Möglichkeit, aus der Distanz zu kommunizieren und sich in einer anderen Umgebung fortzubewegen. Nach einem Impulsvortrag zum Thema „Digitalisierung und assistive Technologie“ wird in interprofessionellen Kleingruppen eine simulierte Visite mit einem*r Schauspielpatient*in in einer stationären Pflegeeinrichtung vorbereitet. Die Pflegefachperson befindet sich bei einem*r immobilen Bewohner*in vor Ort, während der*die Hausärzt*in über ein Telepräsenzsystem zugeschaltet ist. Der*die Hausärzt*in navigiert das Telepräsenzsystem über einen Laptop aus einer simulierten Hausarztpraxis (siehe Abbildung 1 [Abb. 1]). Im abschließenden strukturierten Feedback werden die erlebte Visite reflektiert sowie Möglichkeiten und Grenzen von Telepräsenzsystemen diskutiert.

Die Pilotierung des Lehrmoduls wurde von 29 Teilnehmenden (16 Pflegeauszubildende, 13 Medizinstudierende) evaluiert. Die Evaluationsergebnisse weisen auf eine hohe Akzeptanz des Modulablaufs und des didaktischen Aufbaus hin (siehe Tabelle 1 [Tab. 1]). Das Lehrmodul bietet damit die Möglichkeit der berufsgruppenübergreifenden Sensibilisierung für den Einsatz digitaler Technologien im Berufsalltag.


Telepräsenz im Blockpraktikum „Innere Medizin“

Da die Kontakteinschränkungen durch die Covid-19-Pandemie die patientennahe Lehre erheblich beeinträchtigen, „Präsenz“ gerade im Patientenkontakt aber eine wichtige Rolle spielt, wurde das Lehrmodul „Interprofessionelles Telekonsil“ für die Lehre im Blockpraktikum „Innere Medizin“ adaptiert. Im Vergleich zum simulierten Patientengespräch im Lehrmodul „Interprofessionelles Telekonsil“ musste im klinischen Einsatz der Datenschutzbeauftragte sowie der Leiter der Informations- und Kommunikationstechnik des UKH einbezogen werden, um eine sichere und stabile Datenübertragung zu gewährleisten.

An dem dreistündigen Blockpraktikum nahmen jeweils 20 Medizinstudierende unter Einhaltung der geltenden Hygienevorschriften (Abstand, Mund-Nasen-Schutz, Händedesinfektion) in einem Hörsaal teil. Per Videoübertragung mittels Telepräsenzsystem begleiteten die Studierenden eine*n Ärzt*in über die Station und führten abwechselnd mit verschiedenen Patient*innen (ca. 3-4), unter Einbezug der digitalen Krankenakte, Anamnesegespräche. Dabei befand sich jeweils ein Studierender am Laptop und führte das Gespräch mit dem*r Patient*in, während die anderen Studierenden den*die Patient*in über eine Leinwand sahen. Zur Unterstützung der Gesprächsführung zogen die Studierenden ggf. auch einzelne visuelle, makroskopische Aspekte für die Differentialdiagnostik heran. Die Anamnesegespräche wurden von einem*einer zweiten Ärzt*in im Hörsaal begleitet und ggf. moderiert. Die Patient*innen wurden im Vorfeld über das Setting informiert sowie das mündliche Einverständnis eingeholt und in der Patientenakte dokumentiert.

Insgesamt schätzten sowohl die Studierenden als auch die Ärzt*innen den ermöglichten Patientenkontakt in der aktuellen Pandemie-Situation und gewöhnten sich schnell an die Handhabung des Telepräsenzsystems. Auch die Patient*innen standen dieser Form der Kommunikation unserer Erfahrung nach aufgeschlossen gegenüber. Die Herausforderung der Anwendung eines Telepräsenzsystems im Blockpraktikum „Innere Medizin“ liegt unter anderem in der Sicherstellung einer stabilen Verbindung zwischen den Kommunikationspartner*innen. Einschränkungen können zu Qualitätsverlusten in der Bild- und Tonübertragung führen. Dies verursacht wiederum Verzögerungen im Ablauf und führt zu Missverständnissen in der Kommunikation. Um eventuellen technischen Herausforderungen ad hoc begegnen zu können, ist eine sorgfältige Vorbereitung der Dozent*innen und der involvierten Abteilung/Station notwendig.

Der Einsatz eines Telepräsenzsystems ermöglicht Studierenden trotz strenger Kontaktbeschränkungen während der Covid-19-Pandemie die aktive Teilnahme am direkten Patientengespräch, bei der gleichzeitig die erforderlichen Hygienemaßnahmen zum Schutz der Patient*innen eingehalten werden können. Perspektivisch ist der Einsatz des Telepräsenzsystems auch in anderen Situationen möglich, z.B. um Studierenden die Teilnahme an der Visite bei infektiösen Patient*innen zu ermöglichen. Neben der Inneren Medizin werden telepräsenzgestützte Blockpraktika bereits auch auf anderen Stationen des UKH (u.a. Pädiatrie) bzw. als Ambulanzpraktika (z.B. Orthopädie, Reproduktionsmedizin, Urologie) durchgeführt. Trotz technischer Herausforderungen eignet sich das Lehrformat mit Telepräsenzsystem als Alternative zur Präsenzlehre, wenn ein unmittelbarer Patientenkontakt nicht möglich ist.


Interessenkonflikt

Die Autor*innen erklären, dass sie keinen Interessenkonflikt im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


Literatur

1.
Brauns J, Loos W. Telemedicine in Germany: Status, barriers, perspectives. Bundesgesundheitsbl Gesundheitsforsch Gesundheitsschutz. 2015;58:1068-1073. DOI: 10.1007/s00103-015-2223-5 Externer Link
2.
Ärzteschaft. Telemedizin: Kräftiger Schub für Videosprechstunden. Ärztebl. 2020. Zugänglich unter/available from: https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/110997/Telemedizin-Kraeftiger-Schub-fuer-Videosprechstunden Externer Link
3.
Haucke E, Schwarz K, Luderer C, Clever K, Ludwig C, Stoevesandt D. Digitale Kommunikation in der Medizin - interprofessionelles Telekonsil. In: Gemeinsame Jahrestagung der Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA), des Arbeitskreises zur Weiterentwicklung der Lehre in der Zahnmedizin (AKWLZ) und der Chirurgischen Arbeitsgemeinschaft Lehre (CAL). Frankfurt am Main, 25.-28.09.2019. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2019. DocP-06-01. DOI: 10.3205/19gma300 Externer Link
4.
Haucke E, Luderer C. GReTL2.0: Interprofessionelle Ausbildung im reflexiven und transformativen Lernen. In: Robert Bosch Stiftung GmbH, editor. Gemeinsam besser werden für Patienten: Interprofessionelle Lehrkonzepte aus der Förderung der Robert Bosch Stiftung. Stuttgart: Robert Bosch Stiftung; 2018. p.58-63. Zugänglich unter/available from: https://www.bosch-stiftung.de/sites/default/files/publications/pdf/2018-08/OP-Team_Lehrkonzepte.pdf Externer Link