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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

To zoom or not to zoom – das Training kommunikativer Kompetenzen in Zeiten von Covid 19 an der Universität Witten/Herdecke am Beispiel „Informationen weitergeben“

Kurzbeitrag Kommunikation

  • author Katharina Knie - Universität Witten/Herdecke, Fakultät für Gesundheit, Lehrstuhl für die Ausbildung personaler und interpersonaler Kompetenzen im Gesundheitswesen, Witten, Deutschland
  • author Laura Schwarz - Universität Witten/Herdecke, Fakultät für Gesundheit, Lehrstuhl für die Ausbildung personaler und interpersonaler Kompetenzen im Gesundheitswesen, Witten, Deutschland
  • author Clarissa Frehle - Universität Witten/Herdecke, Fakultät für Gesundheit, Lehrstuhl für die Ausbildung personaler und interpersonaler Kompetenzen im Gesundheitswesen, Witten, Deutschland
  • author Heike Schulte - Universität Witten/Herdecke, Fakultät für Gesundheit, Lehrstuhl für die Ausbildung personaler und interpersonaler Kompetenzen im Gesundheitswesen, Witten, Deutschland
  • author Angelika Taetz-Harrer - Universität Witten/Herdecke, Fakultät für Gesundheit, Studiendekanat Humanmedizin, Witten, Deutschland; Universität Witten/Herdecke, Fakultät für Gesundheit, Lehrstuhl für Didaktik und Bildungsforschung im Gesundheitswesen, Witten, Deutschland
  • corresponding author Claudia Kiessling - Universität Witten/Herdecke, Fakultät für Gesundheit, Lehrstuhl für die Ausbildung personaler und interpersonaler Kompetenzen im Gesundheitswesen, Witten, Deutschland

GMS J Med Educ 2020;37(7):Doc83

doi: 10.3205/zma001376, urn:nbn:de:0183-zma0013767

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2020-37/zma001376.shtml

Eingereicht: 31. Juli 2020
Überarbeitet: 19. Oktober 2020
Angenommen: 29. Oktober 2020
Veröffentlicht: 3. Dezember 2020

© 2020 Knie et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Seit Oktober 2018 wird an der Universität Witten/Herdecke ein longitudinales Kommunikations-Curriculum für Medizinstudierende implementiert. Im Sommersemester 2020 sah das Konzept für das 4. Semester ein Training zum Thema „Informationen weitergeben“ vor, das aus drei zweistündigen Präsenzveranstaltungen mit Simulationspatient*innen (SP) bestand. Aufgrund der Covid 19-Pandemie wurde der Unterricht auf ein inverted classroom Konzept mit asynchroner und synchroner Lehre umgestellt. Die Studierenden bearbeiteten zuerst anhand von Reflexions- und Bearbeitungsaufgaben ein e-learning Modul der Lernplattform docCom.deutsch zum Thema „Informationen weitergeben“. In zwei digitalen Veranstaltungen hatten die Studierenden dann die Gelegenheit, Entlassungsgespräche und Gespräche zur Einschätzung von Screeningverfahren zur Krebsvorsorge zu üben, im 1. Zoom-Termin in Rollenspielen untereinander, im 2. Zoom-Termin mit SP. In der Evaluation wurde das Arbeiten mit dem e-learning Modul von 76% der Studierenden, die an der Evaluation teilnahmen, als gute Vorbereitung auf die Gespräche eingeschätzt. Bei den Zoom-Terminen war die Zufriedenheit mit den Gesprächen mit SP etwas größer als mit den Rollenspielen untereinander. Obwohl die Gruppenatmosphäre von allen antwortenden Studierenden als lernförderlich eingeschätzt wurde, bestätigte fast die Hälfte, dass die Nutzung von Zoom die Atmosphäre deutlich beeinträchtigt habe (47%). Die Umstellung des Kommunikationstrainings auf ein digitales Format hat rückblickend aus Sicht der Dozierenden und Studierenden besser funktioniert als erwartet. Explizit gelobt wurde von den Studierenden der Einsatz der SP. Aus Sicht der Dozierenden waren einzelne Aspekte einer gelungenen Kommunikation schwierig zu reflektieren, z.B. die nonverbale Kommunikation. Der Einsatz von e-learning als Vorbereitung auf das praktische Üben hat sich bewährt und wird auch zukünftig beibehalten.

Schlüsselwörter: medizinische Ausbildung, Ausbildung von Kommunikationsfähigkeiten, Informationsaustausch, Risikokommunikation, digitaler Unterricht, umgekehrtes Klassenzimmer, Covid 19 Pandemie


1. Hintergrund

Seit dem Wintersemester 2018/19 wird an der Universität Witten/Herdecke (UW/H) im Rahmen des Modellstudiengangs Medizin 2018+ ein longitudinales Kommunikations-Curriculum implementiert [1], [2]. Es sieht einen kumulativen Kompetenzaufbau vor, der in den ersten beiden vorklinischen Semestern mit der Vermittlung von Basiskompetenzen (z.B. Beziehungsaufbau, Umgang mit Emotionen, Gesprächsstrukturierung) beginnt. Im vorklinischen 3. Semester werden ärztliche Gesprächstechniken im Kontext von Anamnesesituationen mit Simulationspatient*innen (SP) trainiert und im Rahmen einer OSCE-Station geprüft. Das Konzept für das vorklinische 4. Semester, das erstmalig im Sommersemester 2020 durchgeführt werden sollte, sieht das Thema „Informationen weitergeben“ vor. Dieses sollte in drei zweistündigen Terminen am Anfang, in der Mitte und am Ende des Semesters mit SP trainiert werden. Aufgrund der Covid 19-Pandemie wurde an der UW/H im März 2020 entschieden, den Präsenzunterricht auf digitale Formate umzustellen. Dabei wurde für die technische Umsetzung von Seiten der Fakultät Zoom empfohlen, da Zoom zum einen für Bildungseinrichtungen kostenfrei und zum anderen zu Semesterbeginn relativ störungsfrei nutzbar war. Für das Kommunikationstraining wurde ein Inverted Classroom-Konzept [3] mit einer Kombination aus asynchronem und synchronem Unterricht erarbeitet.


2. Projektbeschreibung

Die asynchrone Lehre beinhaltete die schriftliche Bearbeitung eines e-learning Moduls in Vorbereitung auf die synchrone Lehre und bot die Möglichkeit zur zeitlichen Flexibilisierung. Der synchrone Unterricht beinhaltete das praktische Üben im digitalen Raum. Lerntheoretisch konnte dies mit den Überlegungen von Hargie [4] begründet werden, dass klinische Kommunikation eine soziale Kompetenz ist und Lernende davon profitieren, ein Fundament an prozeduralem Wissen aufzubauen, bevor sie es in Übungen anwenden.

Zu Beginn des Semesters erhielten die Studierenden per Email verpflichtende schriftliche Reflexions- und Bearbeitungsaufgaben für das e-learning-Modul 10 „Informationen vermitteln“ [5] der Lernplattform docCom.deutsch [https://doccom.iml.unibe.ch/startseite/] für das asynchrone Selbststudium. Die Reflexionsaufgabe diente der Aktivierung von Vorerfahrungen mit Patient*innenkontakten. Anschließend bearbeiteten die Studierenden mit einer strukturierten Aufgabenstellung das e-learning-Modul schriftlich. Die Aufgaben dienten dazu, sich mit den Inhalten des e-learning Moduls vertieft auseinanderzusetzen (z.B. mit den Techniken „ask-tell-ask“ oder „Buchmetapher“, unterstützenden und behindernden Einflussfaktoren im Prozess der Informationsvermittlung, Wünschen und Bedürfnissen von Patient*innen an eine Informationsvermittlung). Die Ausarbeitungen mussten per Email vor dem ersten Zoom-Termin eingereicht werden. Das Konzept des synchronen Unterrichts in Zoom-Meetings wurde anhand der offenen Fragen aus den gesichteten studentischen Texten an die Lernbedarfe angepasst. Zusätzlich erhielten die Studierenden zwei weitere freiwillige Übungen per Email zugeschickt: die Umformulierung geschlossener Fragenbeispiele in offene Fragen und die Übersetzung eines Entlassungsbriefes in Laiensprache [Idee nach [6]].

Die verpflichtenden Zoom-Termine wurden in sieben kleinen Gruppen á 6-7 Studierenden mit jeweils einer Dozentin durchgeführt. Während des 1. Zoom-Termins erarbeiteten die Studierenden eine Checkliste zur Vorbereitung von Entlassungsgesprächen. Anschließend übten sie ein Entlassungsgespräch in Rollenspielen untereinander. Grundlage war der Entlassungsbrief, den sie im Vorfeld zu Übungszwecken erhalten hatten. Die Studierenden übernahmen in den Rollenspielen drei verschiedene Perspektiven: Arzt/Ärztin, Patient*in und Beobachter*in, aus denen sie im Anschluss Rückmeldungen gaben.

Der 2. Zoom-Termin griff das Thema Risikokommunikation auf [7], [8]. Anhand der Beispiele von Screeningverfahren zur Brustkrebs- und Prostatakrebsvorsorge konnten die Studierenden erneut die Weitergabe von Informationen üben. Zuvor erhielten sie Informationsmaterial zum freiwilligen Selbststudium und eine Vorlesung zu den methodischen, statistischen und ethischen Grundlagen von Screeningverfahren. Nach der Diskussion offener Fragen und der gemeinsamen theoretischen Vorbereitung führten zwei Studierende jeweils ein Arzt/Ärztin-Patient*in-Gespräch zur Risikokommunikation mit einem/einer SP. Die anderen Studierenden beobachteten die Gespräche und gaben im Anschluss Feedback. Der Termin endete mit einer Feedbackrunde zum Kurskonzept.


3. Ergebnisse

Die Evaluation erfolgte mittels eines online-Fragebogens und umfasste 16 geschlossene Fragen (7-stufige Skala von 0=stimme gar nicht zu bis 6=stimme voll zu) und zwei offenen Fragen. Der Rücklauf lag bei 21 von 42 Studierenden, wobei 17 Antworten auswertbar waren (40%). Tabelle 1 [Tab. 1] fasst die wichtigsten Evaluationsergebnisse zusammen.


4. Diskussion

Die Herausforderung bei der Unterrichtsgestaltung des zurückliegenden Semesters war die schnelle Umstellung eines analogen Kommunikationstrainings auf ein ausschließlich digitales Konzept. Dabei kamen asynchrone und synchrone Unterrichtselemente zum Einsatz, die aufeinander aufbauten und sich an den Lernbedarfen der Studierenden orientierten. Spezifische Gesprächstechniken wurden beispielhaft in Rollenspielen mit und ohne SP geübt und griffen die Beratungsanlässe von Entlassungsgesprächen und die Risikokommunikation bezüglich Krebsvorsorge auf. Die Evaluationsergebnisse zeigen, dass die Studierenden die einzelnen Unterreichseinheiten sehr positiv erlebten und bestätigten, ihre kommunikativen Kompetenzen verbessert zu haben. Auch das Arbeiten mit dem e-learning Modul wurde von den meisten Studierenden sehr positiv evaluiert. Bei den Zoom-Terminen war der angenommene Nutzen für die Gespräche mit SP größer als für die Rollenspiele untereinander. Obwohl die Gruppenatmosphäre in den Zoom-Meetings von allen Studierenden als lernförderlich eingeschätzt wurde, bestätigte fast die Hälfte, dass die Nutzung von Zoom die Atmosphäre deutlich beeinträchtigt habe. Aus Sicht der Dozierenden war die Diskussion bestimmter kommunikativer Aspekte schwierig, z.B. Körpersprache und Blickkontakt. Insgesamt konnte die Lehre im digitalen Raum aber besser umgesetzt werden als erwartet. Die Teilnahme der SP am 2. Zoom-Termin wurde von den Studierenden in den offenen Kommentaren ausdrücklich begrüßt.

Ein Nachteil des neuen Formats war, dass nicht jede*r Student*in ein Gespräch mit einem SP führen konnte. Ein Vorteil war die gute theoretische Vorbereitung mittels e-learning, die im analogen Konzept in der Form nicht stattgefunden hätte. Für die Dozierenden war die Umstellung des Konzepts ein enormer zusätzlicher Aufwand (Anpassung didaktischer Konzepte, Entwicklung neuer Arbeitsblätter, Sichtung der bearbeiteten Arbeitsblätter, Einarbeitung in Zoom). Wie dies in der Berechnung des Lehraufwands abgebildet werden kann, ist aktuell eine offene Frage.


5. Schlussfolgerungen

Die neuen Erfahrungen führten zu einem Überdenken alter Konzepte und einer Erweiterung des didaktischen Repertoires. Die digitale Lehre bezüglich Kommunikationstrainings hat – wenn sinnvoll eingebunden – ihren Platz, insbesondere die asynchrone Vorbereitung mittels e-learning. Zoom-Meetings bieten die Möglichkeit, örtlich unabhängig Lehre durchzuführen. Gerade im dezentral gestalteten klinischen Abschnitt kann dieser Vorteil genutzt werden und Unterricht ermöglichen, der sonst mit Fahrzeit für Studierende oder Dozierende verbunden wäre. Die Etablierung einer guten Gruppenatmosphäre sowie die Reflektion nonverbaler Aspekte der Gesprächsführung im digitalen Raum bedarf jedoch weiterer Überlegungen.


Interessenkonflikt

Die Autorinnen erklären, dass sie keinen Interessenkonflikt im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


Literatur

1.
Kiessling C, Mennigen F, Schulte H, Schwarz L, Lutz G. Communicative competencies anchored longitudinally – the curriculum “personal and professional development” in the model study programme in undergraduate medical education at the University of Witten/Herdecke. GMS J Med Educ. accepted.
2.
Frost K, Edelhäuser F, Hofmann M, Tauschel D, Lutz G. History and development of medical studies at the University of Witten/Herdecke - an example of "continuous reform". GMS J Med Educ. 2019;36(5):Doc61. DOI: 10.3025/zma001269 Externer Link
3.
Tolks D, Schäfer C, Raupach T, KruseL, Sarikas A, Gerhardt-Szép S, Kllauer G, Lemos M, Fischer MR, Eichner B, Sostmann K, Hege I. An Introduction to the Inverted/Flipped Classroom Model in Education and Advanced Training in Medicine and in the Healthcare Professions. GMSJ Med Educ. 2016;33(3):Doc46. DOI: 10.3205/zma001045 Externer Link
4.
Hargie O. Skill in theory: Communication as skilled performance. In: Hargie O, editor. The handbook of communication skills. London: Routledge; 2006. DOI: 10.4324/9780203007037 Externer Link
5.
Kiessling C. DocCom.Deutsch Modul 10: Informationen vermitteln. Bern: Universität Bern; 2013. Zugänglich unter/available from: https://doccom.iml.unibe.ch/data/DOCCOM/lm_data/lm_475/10-informationen-vermitteln/modulstart/willkommen.html Externer Link
6.
Bittner A, Jonietz A, Bittner J, Beickert L, Harendza S. Translating medical documents into plain language enhances communication skills in medical students - A pilot study. Pat Educ Couns. 2015;98:1137-1141. DOI: 10.1016/j.pec.2015.05.024 Externer Link
7.
Spix C, Blettner M. Screening. Teil 19 der Serie zur Bewertung wissenschaftlicher Publikationen. Dtsch Ärztebl. 2012;109(21):385-390.
8.
Mata J, Dieckmann A, Gigerenzer G. Verständliche Risikokommunikation, leicht gemacht - Oder: Wie man verwirrende Wahrscheinlichkeitsangaben vermeidet. Z Allg Med. 2005;81:537-541. DOI: 10.1055/s-2005-918154 Externer Link