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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Produktion und digitale Diskussion von Videoreferaten durch Student_innen – ein Projektbericht

Kurzbeitrag Studierende

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  • Katja Krug - Universitätsklinikum Heidelberg, Abteilung Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung, Heidelberg, Deutschland
  • corresponding author Johanna Mink - Universitätsklinikum Heidelberg, Abteilung Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung, Heidelberg, Deutschland

GMS J Med Educ 2020;37(7):Doc71

doi: 10.3205/zma001364, urn:nbn:de:0183-zma0013644

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2020-37/zma001364.shtml

Eingereicht: 22. Juli 2020
Überarbeitet: 21. September 2020
Angenommen: 15. Oktober 2020
Veröffentlicht: 3. Dezember 2020

© 2020 Krug et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Im Rahmen der Umstellung auf Online-Lehre im Sommersemester 2020 wurde im Studiengang „Interprofessionelle Gesundheitsversorgung, B.Sc.“ das Modul „Menschen in verschiedenen Lebensphasen“ entsprechend angepasst. Die ursprünglich als Präsenzreferat geplante Prüfungsleistung wurde von den Student_innen in interprofessionellen Tandems als Videoreferat zu eigenen Fallbeispielen erbracht. Basierend auf kognitivem und sozialem Konstruktivismus wurden diese Videoreferate von allen Student_innen anhand der „Think-Pair-Share-Methode“ reflektiert. Die Wissensvermittlung anhand der Videoreferate fand, ähnlich wie in regulären inverted classroom Methoden, asynchron und kognitiv konstruierend statt; begleitende Diskussionsfragen der jeweiligen Referent_innen wurden von den Kommiliton_innen schriftlich beantwortet (Think). Die Student_innen trafen sich selbstständig online regelmäßig in Kleingruppen, um die jeweiligen Referate und Fragen basierend auf persönlichen und professionellen Erfahrungen zu diskutieren (Pair; sozial konstruiert). In einer offenen Online-Nachbesprechung mit den Dozentinnen, den Referent_innen und allen interessierten Student_innen wurden relevante Aspekte nochmals aufgegriffen und diskutiert (Share). Erste Erfahrungen zeigen, dass die Student_innen Freude an der Produktion der Videoreferate hatten und viele freiwillig an den Diskussionsrunden teilnahmen, in denen über die Referate hinausgehende Aspekte der Gesundheitsversorgung diskutiert wurden. Unter Berücksichtigung der gemachten Erfahrungen kann die Verstetigung dieses Formats gewinnbringend für Dozent_innen und Student_innen sein.

Schlüsselwörter: E-Learning, Gesundheitsberufe, interprofessionelles Lernen, Think-Pair-Share, Inverted Classroom, Videoreferat


Einleitung

Für das Lernen mit digitalen Medien ist eine Einbettung in soziale Interaktion wichtig [1], [2], da Wissen nicht nur subjektiv konstruiert, sondern auch in sozialem Austausch angeglichen und gefestigt wird. In interprofessioneller Lehre ist dieser sogenannte soziale Konstruktivismus neben der individuellen Auseinandersetzung mit neuen Inhalten im Sinne eines kognitiven Konstruktivismus bedeutsam für den Kompetenzerwerb [3]. Eine Integration unterschiedlicher Lernformen wie im Blended Learning und in Form von Inverted-Classroom-Methoden kann positive Auswirkungen auf den Lernzuwachs in der Ausbildung von Gesundheitsberufen haben [4], [5]. Wissen kann bspw. mit Hilfe von Videos [6] in einem asynchronen Format kognitiv und in interaktiven Präsenzphasen sozial konstruiert werden.

Durch den Umstieg auf reine Online-Lehre wurde im ausbildungsintegrierenden Studiengang „Interprofessionelle Gesundheitsversorgung, B.Sc.“ (IPG) auch das 2-semestrige Modul „Menschen in verschiedenen Lebensphasen“ angepasst.

Herausforderung war, eigenverantwortliches und kollektives Lernen online so zu ermöglichen, dass alle Student_innen in kognitiver und sozialer Wissenskonstruktion unterstützt werden. Im Onlineformat wurde das Referat als Prüfungsform beibehalten und als Videoreferat umgesetzt. Die Produktion von Lernvideos ermöglicht die eigenverantwortliche Konstruktion von Wissen, da Inhalte verstanden und didaktisch aufbereitet werden müssen [7]. Für Reflexion und Diskussion der Videoreferate wurde die „Think-Pair-Share-Methode“ [8] in modifizierter Form online angewendet, da diese die individuelle, kognitive (Think) wie auch die kollektive, soziale (Pair, Share) Wissenskonstruktion ermöglicht.


Modulbeschreibung

Regulärer Modulablauf

Das Modul beginnt regulär im 7. Semester (Winter) mit der Vermittlung theoretischer Grundlagen zu Gesundheits- und Krankheitsaspekten in verschiedenen Lebensphasen. Im anschließenden Sommersemester analysieren die Student_innen normalerweise als Referat im interprofessionellen Tandem ein Fallbeispiel aus der Praxis anhand eines Lebensphasenmodells [9], [10], [11], identifizieren Chancen und Herausforderungen, die mit der Lebensphase einhergehen, und analysieren die interprofessionelle Zusammenarbeit. Grundlegend sind dabei Inhalte aus dem Wintersemester, eigene Erfahrungen und professionsspezifische Expertisen. Die Referate schließen mit Diskussionsfragen, um einen Austausch der Kommiliton_innen aus unterschiedlichen Gesundheitsberufen anzuregen. So erhalten die Student_innen Einblick in die Tätigkeitsfelder der anderen Berufe und können das eigene Rollenverständnis weiterentwickeln.

Aktualisierter Modulablauf im Sommersemester 2020 – online

Nachdem das Wintersemester regulär stattgefunden hatte, erhielten die 16 Student_innen im 8. Semester (abgeschlossene Berufsausbildung in Logopädie, Physiotherapie, MTRA, MTLA, Pflege, Orthoptik) zu Beginn des Sommersemesters via E-Learning (Moodle) Beispielvideos und eine schriftliche Zusammenfassung mit Informationen zur Videoerstellung, anhand derer sie die Videos bewerteten und in Einzelarbeit Kriterien guter Videos ableiteten. Die eingereichten Kriterien wurden von den Dozentinnen in einem Dokument zusammengefasst und allen Student_innen via Moodle zur Verfügung gestellt, basierend auf dem konstruktivistischen Ansatz.

Die Student_innen (Referent_innen) erstellten unter der regulären inhaltlichen Aufgabenstellung in interprofessionellen Tandems Videoreferate mit abschließenden Diskussionsfragen. Jeweils maximal 2 Videoreferate wurden den Student_innen via Moodle an 5 festen Terminen zugänglich gemacht und jeweils mit Hilfe der „Think-Pair-Share-Methode“ in 14-tägigen Zyklen reflektiert und diskutiert (siehe Abbildung 1 [Abb. 1]). Dadurch konnten die Student_innen in eigener Lernzeit vorhandenes Wissen abrufen und mit neuem Wissen verknüpfen; die Meinungen und Expertise aller konnten integriert werden.


Erfahrungen

Derzeit liegt keine strukturierte Evaluation vor, es werden lediglich erste Erfahrungen basierend auf informellem Feedback der Student_innen und lessons-learned der Dozentinnen geschildert. Die Student_innen hatten laut eigener Aussage Freude an der Produktion der Videoreferate (v.a. Legetechnik und Screencasts). In den schriftlichen Reflexionen zeigte sich, dass sich die Student_innen intensiv mit den Fallbeispielen und den Modulinhalten im Sinne einer kognitiven Wissenskonstruktion auseinandersetzten (Think). Die Kleingruppentreffen (Pair) förderten das selbstverantwortliche Lernen und gaben Planungsfreiheit. An jeder der 5 Referatsbesprechungen (Share) nahmen mindestens 60% der Student_innen teil, es wurden über das Referat hinausgehende Themen diskutiert, Expertisen und Perspektiven ausgetauscht und soziale Wissenskonstruktion erreicht. Das individuelle Feedback der Dozentinnen, das häufig Denkanstöße für die Diskussion beinhaltete, wurde von den Student_innen zwar positiv als Wertschätzung des eigenen Arbeitsaufwandes erlebt, aber selten in der Referatsbesprechung von ihnen aufgegriffen.


Diskussion

Die online Anwendung der „Think-Pair-Share“-Methode ist gelungen. Videoreferate können als Prüfungsformat beibehalten werden. Produktion und Rezeption von Videos als Referatsersatz ermöglichen eine individuelle Gestaltung der eigenen Lernzeit und eine erfahrungsbasierte Beschäftigung mit der Thematik. Die strukturierte Reflexion und Diskussion ermöglichen kollaboratives und interprofessionelles Lernen.

Wünschenswert wäre, im Sinne des Blended Learning, die Referatsbesprechungen in Präsenzlehre abzuhalten, da die Online-Konferenzen weniger intensive Interaktion ermöglichen.

Für die Rückmeldung zu den Einzelreflexionen könnte im Rahmen von Think-Pair-Share ein Peer-Feedback sinnvoll sein, um weitere soziale Wissenskonstruktion zu fördern. Eine klare Formulierung des Arbeitsauftrages für die Referate und Diskussionsrunden ist dafür essentiell.


Interessenkonflikt

Die Autorinnen erklären, dass sie keinen Interessenkonflikt im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


Literatur

1.
Stegmann K, Wecker C, Mandl H, Fischer F. Lehren und Lernen mit digitalen Medien. Ansätze und Befunde der empirischen Bildungsforschung. In: Tippelt R, Schmidt-Hertha B, editors. Handbuch Bildungsforschung. 4., überarbeitete und aktualisierte Auflage. Heidelberg: Springer VS; 2018. p.967-988. DOI: 10.1007/978-3-531-19981-8_42 Externer Link
2.
Waterston R. Interaction in online interprofessional education case discussions. J Interprof Care. 2011;25(4):272-279. DOI: 10.3109/13561820.2011.566647 Externer Link
3.
Hean S, Craddock D, O'Halloran C. Learning theories and interprofessional education: a user's guide. Learn Health Soc Care. 2009;8(4):250-262.
4.
Liu Q, Peng WJ, Zhang F, Hu R, Li YX, Yan WR. The Effectiveness of Blended Learning in Health Professions: Systematic Review and Meta-Analysis. J Med Internet Res. 2016;18(1):e2. DOI: 10.2196/jmir.4807 Externer Link
5.
Tolks D, Schäfer C, Raupach T, Kruse L, Sarikas A, Gerhardt-Szép S, Klauer G, Lemos M, Fischer MR, Eichner B, Sostmann K, Hege I. An Introducation tot he Inverted/Flipped Classroom Model in Education and Advanced Training in Medicine and in the Healthcare Professions. GMS J Med Educ. 2016;33(3):Doc46. DOI: 10.3205/zma001045 Externer Link
6.
Grosser J, Bientzle M, Kimmerle J. A Literature Review on the Foundations and Potentials of Digital Teaching Scenarios for Interprofessional Health Care Education. Int J Environ Res Public Health. 2020;17(10):3410. DOI: 10.3390/ijerph17103410 Externer Link
7.
Arnold S, Zech J. Kleine Didaktik des Erklärvideos. Braunschweig: Westermann; 2019.
8.
Bönsch M. Unterrichtsmethoden - kreativ und vielfältig. Baltmannsweiler: Schneider-Verl. Hohengehren; 2002.
9.
Erikson EH. Identity and the life cycle. New York, London: W.W. Norton; 1980.
10.
Piaget J. Das Erwachen der Intelligenz beim Kinde. Stuttgart: Klett; 1969.
11.
Schulz R, Heckhausen J. A Life Span Model of Successful Aging. Am Psychol. 1996;51(7):702-714. DOI: 10.1037/0003-066X.51.7.702 Externer Link