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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Themenfeld Patientensicherheit im Medizinstudium: Implementierung des Themas in das studentische Pflichtcurriculum Anästhesiologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf

Artikel Curriculumsentwicklung

  • corresponding author Nicolas Hoffmann - Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Zentrum für Anästhesiologie und Intensivmedizin, Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie, Hamburg, Deutschland
  • author Jens C. Kubitz - Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Zentrum für Anästhesiologie und Intensivmedizin, Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie, Hamburg, Deutschland
  • author Alwin E. Goetz - Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Zentrum für Anästhesiologie und Intensivmedizin, Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie, Hamburg, Deutschland
  • author Stefan K. Beckers - RWTH Aachen, Medizinische Fakultät, Uniklinik RWTH Aachen, Klinik für Anästhesiologie, Aachen, Deutschland

GMS J Med Educ 2019;36(2):Doc12

doi: 10.3205/zma001220, urn:nbn:de:0183-zma0012208

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2019-36/zma001220.shtml

Eingereicht: 11. Februar 2018
Überarbeitet: 7. Januar 2019
Angenommen: 22. Januar 2019
Veröffentlicht: 15. März 2019

© 2019 Hoffmann et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Einleitung: Patientensicherheit rückt immer stärker in den Fokus der gesellschaftlichen und gesundheitspolitischen Aufmerksamkeit. Untersuchungen zufolge erliegen jährlich mehr als 30.000 Patienten den Folgen von Behandlungsfehlern. Im Pflichtcurriculum des Medizinstudiums in Deutschland spielten Lernziele wie Patientensicherheit bisher keine Rolle. Der Nationale Kompetenzbasierte Lernzielkatalog Medizin von 2015 sieht nunmehr 13 eigene Lernziele vor.

Methoden: In einer deskriptiven Studie wurden Lerninhalte hierzu in den Studienabschnitt „Operative Medizin“ an der Medizinischen Fakultät der Universität Hamburg implementiert. Als Lernziele wurden Definition und Entstehung von Fehlern sowie Strategien zum Umgang und Vermeidung von Fehlern in einer interaktiven Vorlesung, einem Problemorientierten-Lernen-Fall sowie im Unterricht-am-Krankenbett Anästhesiologie vermittelt. Studierende konnten die Vorlesung direkt evaluieren. Im Unterricht im Anästhesie-Simulator wurden die Studierenden bei Abfrage von sicherheitsrelevanten Informationen mit einer Kontrollgruppe aus dem vorhergehenden Trimester verglichen.

Ergebnisse: Das Thema Patientensicherheit ließ sich durch einfache Lehrveranstaltungsänderungen in das Curriculum „Operative Medizin“ integrieren. Positiv wurden die Schilderung von persönlichen Erlebnissen sowie die Wichtigkeit des Themenfeldes rückgemeldet, dagegen redundant empfundene Inhalte kritisiert. Im Simulator schienen die Studierenden die präoperativen sicherheitsrelevanten Informationen vollständiger abzufragen als in der Vergleichsgruppe.

Schlussfolgerung: Die Relevanz des Themas, das positive Feedback und der Trend zur Verhaltensänderung im Simulator ermutigen die Autoren, eine Einführung der Thematik Patientensicherheit als gelungen zu betrachten.

Schlüsselwörter: Medizinstudium, Fehler, Patientensicherheit, Anästhesiologie


Einleitung

In den vergangenen Jahren haben die Themen Patientensicherheit und der Umgang mit (Beinahe-) Behandlungsfehlern zunehmend gesellschaftliche, gesundheitspolitische und mediale Aufmerksamkeit bekommen. Dies wurde zum Anlass genommen, das Thema Patientensicherheit in das studentische Pflichtcurriculum Anästhesiologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) zu implementieren. Bei dem Projekt des korrespondierenden Autors im Rahmen des Studiums Master of Medical Education (in Deutschland) wurde sich am „6-Step-Approach“ für „Curriculum Development for Medical Education“ („Kern-Zyklus“) orientiert [1].

Schritt 1: „Problemidentifikation und generelle Bedarfsanalyse“ [1]

Nach Angaben der American National Academy of Medicine aus dem Jahr 2000 sind jährlich bis zu 100.000 Todesfälle in den USA auf Behandlungsfehler zurückzuführen [2]. Epidemiologische Daten aus Deutschland beziffern durch fehlerhafte Behandlung bedingte Todesfälle auf ca. 30.000-80.000/Jahr [3]. Neben Gesundheitseinschränkungen oder Tod führen diese Patientenschädigungen neben juristischen Auseinandersetzungen zu vermehrten Gesundheitskosten und stellen daher einen erheblichen ökonomischen Aspekt dar.

Obwohl im Volksmund der Ausspruch „Fehler passieren jedem!“ eine gewisse Allgemeingültigkeit erlangt hat, herrscht in der Medizin häufig noch weiter die Kultur einer Unfehlbarkeit.

Schritt 2: „Spezielle Bedarfsanalyse“ [1]

Die Bemühungen um die Weiterentwicklung des Medizinstudiums in Deutschland sind seit Beginn des vergangenen Jahrzehnts enorm gestiegen. Immer mehr Lerninhalte finden Beachtung, u. a. kommunikative Kompetenzen, Simulationsunterricht und moderne bildgebende Verfahren.

Die Medizinstudierenden von heute sind als Ärzte von morgen ebenfalls nicht vor Behandlungsfehler gefeit. Neben den Gesundheitseinbußen geschädigter Patienten („first victim“) droht durch Fehler bei den Behandlern auch ein Schaden im Sinne einer psychischen Belastungssituation („second victim“). Trotz der hohen Bedeutung für Patienten und Ärzte hat das Thema Patientensicherheit bisher nicht flächendeckend Einzug in das Pflichtcurriculum des Medizinstudiums erhalten. Noch vor wenigen Jahren waren lediglich vereinzelte Berichte über obligate Unterrichtsinhalte in einem chirurgischen Blockpraktikum [4] bzw. optionale Kursangebote als Wahlpflichtfach [5] zu diesem Thema publiziert. Zuletzt wurden allerdings jeweils Lernzielkataloge (LZK) von der WHO international 2009 [6] sowie von dem Ausschuss für Patientensicherheit und Fehlermanagement der Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA) in Deutschland 2016 [7] veröffentlicht. Im 2015 publizierten Nationalen Kompetenzbasierten Lernzielkatalog Medizin (NKLM) [8] finden sich insgesamt 13 patientensicherheitsbezogene Lernziele.

Im Hamburger LZK des klinischen Studienabschnitts KliniCuM waren unter den Begriffen „Patientensicherheit“ kein und „Fehler“ lediglich ein Eintrag zu finden. Mit Patientensicherheit wird aber jeder klinisch tätige Arzt jeden Tag seines beruflichen Lebens konfrontiert. Daher sahen die Autoren eine Notwendigkeit, trotz der hohen Dichte medizinischer Lernhinhalte die Themen Patientensicherheit und Umgang mit Fehlern in das Pflichtcurriculum zu integrieren.


Projektbeschreibung

Als deskriptive Studie wurde in dem Trimester Themenblock 2 „Operative Medizin“ am UKE eine Curriculumsänderung mittels neuer Vorlesung, neuem Problemorienterten-Lernen-Fall (POL-Fall) [9] und einer Beobachtungsaufgabe im Unterricht-am-Krankenbett (UaK) Anästhesiologie vorgenommen und evaluiert.

Schritt 3: „Übergeordnete und spezifische Lernziele“ [1]

Grundsätzlich ist das Ziel einer Veränderung in der medizinischen Ausbildung das verbesserte Patienten-Outcome [10]. Dies wäre z.B. durch eine Reduktion von Behandlungsfehlern durch Implementierung von Fehlervermeidungsstrategien und damit einer Erhöhung der Patientensicherheit zu erreichen. Konkretes Ziel dieses Projektes war die Implementierung der Lerninhalte Patientensicherheit und Umgang mit Fehler in das Pflichtcurriculum des Medizinstudiums, so dass sich alle Studierende während des Studiums mit der Thematik in einem Mindestmaß auseinandergesetzt haben müssen. Für die Veranstaltungen wurden übergeordnete Lernziele (LZ) entwickelt (siehe Tablelle 1 [Tab. 1]): Für die Inhaltsauswahl wurden Themen aus klinikinternen Fortbildungen zu Patientensicherheit sowie Verfahrensanweisungen und Präsentationen des UKE Qualitätsmanagements gesammelt, mit einer Matrixanalyse priorisiert und den Lehrveranstaltungen zugeordnet.

Schritt 4: „Lehrmethoden“ [1]

Da 2013 für neue Lerninhalte im Themenblock 2 keine weitere Unterrichtszeit zur Verfügung war, wurde auf bestehenden Unterricht zurückgegriffen. Erstens wurde auf eine 60-minütige Einführungsvorlesung zum Thema Atemweg verzichtet. Zweitens wurde ein neuer Fall für den im Trimester longitudinal begleitendem POL-Unterricht entwickelt. Drittens wurde eine für den anästhesiologischen UaK genutzte Checkliste für praktische Tätigkeiten („Mini-Logbuch“) um drei Beobachtungsaufgaben zum Thema Patientensicherheit erweitert.

Interaktive Vorlesung „Irren ist menschlich“

Diese Vorlesung der ersten Trimester-Woche fand vor den klinischen Praktika des Trimesters statt. Sieben spezifische LZ wurden formuliert und einer Taxonomie-Stufe nach Bloom [11] zugeordnet (siehe Tablelle 2 [Tab. 2]).

Diese interaktive Vorlesung wurde nach dem Sandwichprinzip [12] entwickelt, in dem sich Phasen der kollektiven und frontalen Informationspräsentation mit Verarbeitungsphasen abwechseln. Die Struktur und Inhalt der Vorlesung sind detailliert in Anhang 1 [Anh. 1] dargestellt. Die Reflexionsaufgaben in den Phasen der Verarbeitung hatten das Ziel, den Lernerfolg zu erhöhen [13], in dem sie z.B. über eigene Fehler ("Welche Fehler sind mir schon passiert?“) die eigene Fehlbarkeit bewusst und damit die Studierenden für die Thematik „empfänglich“ machen sollten („law of readiness“) [https://en.wikipedia.org/wiki/Principles_of_learning cited 2018 Jun 11].

Die Vorlesung wurde mit dem Ausblick auf den POL-Fall sowie auf eine spezielle Beobachtungsaufgabe im UaK beendet. Neben den Verarbeitungsphasen innerhalb der interaktiven Vorlesung sollten die Lehrinhalte durch die wiederholte Konfrontation (in POL und UaK) vertieft werden (siehe Anhang 1 [Anh. 1]).

POL-Fall „Eingriffsverwechslung“

Im longitudinalen POL-Unterricht des Themenblocks 2 wurde an insgesamt 10 dreistündigen Terminen mit je 15 Studierenden sowie ärztlichem Tutor der vorherige Fall abgeschlossen und ein neuer, geführter POL-Fall besprochen. Hierfür wurde ein anästhesiologischer Fall gegen einen neuen, offenen POL-Fall mit einer Eingriffsverwechslung ausgetauscht. Der POL-Fall „Schnitt!...“ (siehe Anhang 2 [Anh. 2]) beschreibt die präoperative Vorbereitung eines Patienten vor orthopädischen Eingriff an der unteren Extremität bis zum Einschneiden in das falsche Bein nach einer Seitenverwechslung. Fünf spezifische LZ wurden zu Begriffsdefinitionen, fehlerbegünstigenden Faktoren, systematische Fehleranalyse und Fehlervermeidung sowie Reflexion zum Umgang mit Fehlern operationalisiert. Die LZ beinhalten bewusst eine große Schnittmenge mit den LZ der interaktiven Vorlesung, um mit der Wiederholung („law of repetition“) [https://en.wikipedia.org/wiki/Principles_of_learning cited 2018 Jun 11] eine Steigerung des Lernerfolges zu ermöglichen.

Beobachtungsaufgabe mittels Checkliste im Unterricht am Krankenbett

Für den UaK wurde bereits in der Vergangenheit den Studierenden eine Checkliste mit abzuleistenden praktischen Ausbildungsinhalten als Struktur im Sinne eines „Mini-Logbuches“ mit an die Hand gegeben (siehe Anhang 3 [Anh. 3]), die sie selbst zu führen hatten. Um zusätzlich auf Inhalte zu Patientensicherheit zu fokussieren, wurde die Checkliste mit drei praktischen Aufgaben ergänzt:

  • Präoperativer Check (inkl. Patientenidentifikation, Nüchternheit, Allergien, Intubationshindernisse, Eingriffsidentifikation, Aufklärungen) durchführen
  • Medikamentenetiketten demonstriert bekommen
  • an einem „Team-Time-out“ teilnehmen
Schritt 5: „Implementierung“ [1]

An UKE wurde 2013 im Regelstudiengang KliniKuM in Trimestern unterrichtet. Der klinische Abschnitt im Studienjahr 3-5 war in insgesamt 9 in der Reihenfolge frei wählbare „Blöcke“ (Trimester) eingeteilt: 6 Themenblöcke, einen Wahl(fach)block sowie 2 Freiblöcke. Der Themenblock 2 „Operative Medizin“ wurde als „Ort“ für die Implementierung der drei Lehrveranstaltungen ausgewählt. Die Intervention der Curriculumsänderung wurde im 2. Trimester 2013 (April - Juli) vorgenommen. Die interaktive Vorlesung fand für alle Studierenden des Themenblock 2 in der ersten Woche des Trimesters statt. Den POL-Unterricht ebenso wie den UaK Anästhesiologie hatten die Studierenden innerhalb der „Anästhesie-Woche“ gemäß eines Rotationsplanes unterschiedlich in der zweiten bis elften Woche des Trimesters.

Schritt 6: „Evaluation und Feedback“ [1]

Die anwesenden Studierenden wurden im Anschluss an die Vorlesung „Irren ist menschlich!“ um eine unmittelbare Rückmeldung gebeten. Sie wurden aufgefordert, freiwillig nach der Methode „one-minute-paper“ jeweils ein Stichwort auf eine Karteikarte zu notieren, was sie gut bzw. verbesserungswürdig an der Lehrveranstaltung hielten. Die gesammelten Kommentare wurden auf Übereinstimmung geprüft und nach Möglichkeit thematisch gruppiert.

Des weiteren wurden die Studierenden des Themenblocks 2 während des Simulator-Unterrichtes Anästhesiologie am Ende der „Anästhesie-Woche“ beobachtet, um einen Eindruck für einen möglichen Effekt der Curriculumsentwicklung (Intervention) gewinnen zu können. Sowohl in einer Kontrollgruppe in dem der Intervention vorhergehenden Trimester (Januar - März 2013) als auch in der Interventionsgruppe wurden das Sicherheitsverhalten der Studierenden observiert. Von den unterrichtenden Dozenten wurde das Abfragen von relevanten Sicherheitsfragen (Name und Geburtsdatum des Patienten, Nüchternheit, Allergien, Zahnstatus, Prämedikation und geplanten Eingriff) durch die Studierenden vor Anästhesie-Einleitung im Patientensimulator dokumentiert (siehe Anhang 4 [Anh. 4]). Die Auswertung erfolgte im Hinblick auf Häufigkeit der gestellten Fragen quantitativ. Alle Studierenden erklärten zu der Beobachtung ihrer speziellen „Patientensicherheits-Leistung“ sowie deren Dokumentation zur Auswertung im Sinne der Curriculumsevaluation ihre mündliche Einwilligung.

Zusätzlich zu der gezielten Evaluation lieferte die reguläre Themenblock-Evaluation am Ende des Trimesters noch einzelne Aussagen zu dem neuen Unterricht zur Patientensicherheit.


Ergebnisse

Die Intervention mit neuen Lehrveranstaltungen interaktive Vorlesung „Irren ist menschlich“ und der POL-Fall Eingriffsverwechslung „Schnitt!...“ fanden wie geplant im 2. Trimester 2013 von April bis Juli statt. Allen 122 Studierenden des Trimesters stand die Checkliste UaK Anästhesiologie („Mini-Logbuch“) mit den drei Beobachtungsaufgaben zur Verfügung.

Feedback aus interaktiver Vorlesung

Die Vorlesung wurde am 15.04.2013 von ca. 75 Studierenden besucht. Nach subjektiver Wahrnehmung des Dozenten waren die Studierenden insbesondere beim Vorlesungseinstieg mit den drei Behandlungsfehler-Fällen sehr aufmerksam (ruhige Atmosphäre). An den interaktiven Phasen beteiligten sich ca. 70% der Studierenden. Die Feedback-Methode „one-minute-paper“ wurde von 30 Studierenden wahrgenommen. Basierend auf inhaltlich wiederholte Nennungen kristallisierte sich die offene Art des Dozenten (33%), die Fallbeispiele (30%), wichtiges Thema (23%) und Eigenreflexion (20%) als positiv heraus. Allerdings wurde die Veranstaltung als zu lang (30% der Nennungen) und theoretisch (17%) befunden.

Kommentare Themenblock-Evaluation zum POL-Fall

In der regulären online-Trimester-Evaluation im Juli 2013 konnten fünf Kommentare zum POL-Fall „Schnitt!...“ zugeordnet werden. Darin wurde der offen gestaltete POL-Fall von nur einer Fallvignette auf einer Seite als inhaltlich „zu dünn“ kritisiert. Der Vorschlag war, den POL-Fall als geführten Fall mit mehreren Seiten zu gestalten und ihn gegebenenfalls mit einem anderen POL-Fall zu kombinieren.

Ergebnisse Simulator

In der Kontrollgruppe des der Intervention vorhergehenden Trimester Januar - März 2018 wurden insgesamt 28 Studierende bei der Abfrage der Sicherheitsfragen des präoperativen Checks beobachtet. In der Interventionsgruppe konnten 25 Studierende observiert werden (siehe Abbildung 1 [Abb. 1]).

Der prozentuale Anteil der tatsächlich abgefragten Sicherheitsinformationen stellte sich in der Interventionsgruppe bei allen sieben Items höher dar. Auf einen statischen Signifikanznachweis wurde aufgrund der zu gering standardisierten Studienbedingungen bewusst verzichtet.


Diskussion

Erneut Schritt 1: „Problemidentifikation und generelle Bedarfsanalyse“ [1]

Auf der einen Seite rückt das Thema Patientensicherheit immer mehr in den gesellschaftlichen und medizinischen Fokus. Eine erhebliche Zahl von Todesfällen pro Jahr sind auf Behandlungsfehler zurückzuführen [2], [3]. Auf der anderen Seite bietet das inhaltlich sehr gefüllte Pflichtcurriculum des Medizinstudiums wenig Platz für neue Aspekte. Im NKLM sind insgesamt knapp 2000 LZ aufgeführt [8], lediglich 13 davon mit dem Thema Patientensicherheit gekennzeichnet oder assoziiert. Bei zeitlich begrenztem Studium von 6 Jahren [https://www.gesetze-im-internet.de/_appro_2002/BJNR240500002.html] sehen die klinischen Disziplinen erfahrungsgemäß eher einen Mehrbedarf an Unterrichtszeit, als dass sie bereitwillig Lehrressourcen an andere Fachabteilungen abgeben würden.

Ziel des Projektes war es, in dem Unterricht der Klinik für Anästhesiologie mit der Umstellung von einer Vorlesung, einem POL-Fall und der Erweiterung des UaK mit einer Beobachtungsaufgabe eine effiziente Implementierung des Themas Patientensicherheit zu erreichen.

Unterrichtszeit –„neutral“ konnten alle Studierende des Themenblock 2 „Operative Medizin“ des Hamburger Regelstudienganges mit dem Thema Patientensicherheit erreicht werden. Dies ist bisher nur in einem 3-stündigen Pflichtmodul des chirurgischen Blockpraktikums der Universität Greifswald gelungen [4]. Eine weitere publizierte Lehrveranstaltung schilderte ein ausführliches Wahlpflichtmodul über 12 Seminare [5] und hatte lediglich Pilotcharakter.

Strukturell waren die geringen Änderungen gut umsetzbar. Die Rückmeldungen der Studierenden in der Vorlesung waren durchaus positiv und unterstrichen den Bedarf als auch die Herausforderung für die Behandlung der Thematik. Es wurde im Feedback der Vorlesung positiv herausgehoben, dass dieser als wichtig angesehener Lehrinhalt Patientensicherheit im Unterricht überhaupt behandelt wird. Der Wunsch nach weiteren derartigen Veranstaltungen wurde geäußert. Mehrere Teilnehmer wünschten sich z.B. noch mehr Inhalte dazu, wie man sich nach einem Behandlungsfehler inklusive Patientenschaden verhalten solle. Generell war das Feedback zur Lehrveranstaltung („one-minute-paper“) für den Dozenten lohnenswert, da diese Veranstaltung erstmalig angeboten und das Feedback sehr hilfreich für ihre weitere Verbesserung war.

Die Beobachtung im anästhesiologischen Simulator-Unterricht, dass die Studierenden noch umfassender wichtige Sicherheitsaspekte vor Anästhesie-Einleitung abzufragen scheinen, erweckte den positiven Eindruck, dass auch die zeitlich kurze Thematisierung von Patientensicherheit und Umgang mit Fehlern zu einer Steigerung dessen im Bewusstsein der Studierenden geführt haben könnte.

Als Limitationen dieses Projektes sind folgende Aspekte zu benennen: Mit den geringen Veränderungen der Lehrveranstaltungen sind auch nicht mehr wie nur „kleine Ziele“ zu erwarten. Der nachhaltige Lerneffekt von theoretischen LZ auch einer interaktiven Vorlesung ist als gering zu erwarten. Auch wenn durch Reflexionsaufgaben und bewusste Wiederholungen der Inhalte im POL-Fall und UaK versucht wurde, die theoretischen LZ zu verfestigen, ist alleine die „Kontaktzeit“ der Thematik mit den Studierenden zu kurz, um konkrete Inhalte weitreichend reproduzieren zu können.

Für den POL-Unterricht wurde ein „offener Fall“ entwickelt. Die freiwilligen Kommentare der Trimester-Evaluation zu dem POL-Fall demonstrieren, dass ein „offener“ POL-Fall für die Studierende unbekannt war. Da im KliniKuM-Curriculum „geführte“ POL-Fälle die Regel sind, war die Behandlung des Falles ungewohnt und führte zu negativen Rückmeldungen. Im Verlauf wurde dieser Fall mit einem anderen „geführten“ anästhesiologischen Fall verknüpft. Nach subjektivem Eindruck kamen die Studierenden hiermit besser zurecht.

Die drei in der Checkliste für den UaK Anästhesiologie aufgeführten Beobachtungsaufgaben haben inhaltlich ihre Berechtigung, allerdings ist erfahrungsgemäß die Nutzung von Checklisten sowie Logbüchern im klinischen Unterricht gering [14]. Von daher ist ein nachhaltiger Lerneffekt nicht sicher gewährleistet.

Die Entwicklung der LZK zu Patientensicherheit national durch den GMA-Ausschuss Patientensicherheit und Fehlermanagement [7] und international durch die WHO [6] untermauern den Bedarf für die Implementierung von der Thematik in das Pflichtcurriculum. Das vollständige Volumen z. B. des LZK Patientensicherheit für das Medizinstudium des GMA-Ausschuss [7] ist mit den geschilderten einfachen Curriculums-Änderungen nicht zu erreichen. Dieser besteht aus den 3 Kapiteln mit insgesamt 38 Lernzielen. Doch immerhin werden 12 Lernziele verteilt in allen 3 Kapiteln durch diese Intervention behandelt (siehe Tablelle 3 [Tab. 3]).

Der 2009 veröffentlichte WHO Patient Safety Curriculum Guide beschreibt umfangreich Grundlagen, Ziele, Struktur und Strategien zur Umsetzung, Überprüfung und Evaluation eines Patientensicherheits-Curriculums und schildert ausführlich 11 inhaltliche Themenfelder [6]. Für jedes dieser Themenfelder wird eine Unterrichtszeit von 60-90 Minuten angedacht. In dem dargestellten Projekt werden zwar 7 der 11 von der WHO kategorisierten Kapiteln (Topic 1,2,5-7,10 und 11) thematisch explizit angesprochen und behandelt, doch kann mit einer 60-minütigen Vorlesung, einem POL-Fall und einer Beobachtungsaufgabe im UaK nicht der Umfang des WHO-LZK, komplett vermittelt werden. In einer 2015 publizierten Übersichtsarbeit zur Effektivität von Patientensicherheits-Curricula wird ein eher heterogenes Bild an Kursdauer, -struktur und -inhalt der 26 analysierten Curricula-Innovationen gezeichnet [15]. Bei einem Drittel dieser Curricula betrug die Kursdauer ca. 2-6 h, in dessen Größenordnung die vorgestellte Curriculums-Änderung einzuordnen ist. Ein analysiertes Patientensicherheits-Curriculum dauerte demgegenüber eine volle Woche lang, basierte auf dem WHO-LZK und behandelte alle 11 Themenfelder [16].

Die Autoren begrüßen die Entwicklung der Lernzielkataloge. Ein vollständiges Umsetzen der LZK ist eine erstrebenswerte Aufgabe, stellt allerdings bei den überfüllten Pflichtcurricula eine sehr große Herausforderung dar. Nichtsdestotrotz sollte in Zukunft die Implementierung der Thematik weiter vorangetrieben werden. Denkbar ist vor allem, durch andere medizinische Disziplinen Teilaspekte des Themas im Sinne eines longitudinalen Curriculums zu Patientensicherheit auszubilden zu lassen.


Schlussfolgerung

Das Thema Patientensicherheit erfährt zunehmende Bedeutung. Verschiedene internationale wie nationale Institutionen fordern mit den publizierten LZK die Einführung des Themas Patientensicherheit in das Pflichtcurriculum des Medizinstudiums.

Mit wenigen curricularen Veränderungen und ohne neue Lehrveranstaltung lassen sich neue, für moderne Medizin notwendig Lehrinhalte wie das Thema Patientensicherheit und Umgang mit Fehlern implementieren.

Auch wenn eine Überprüfung der LZ sich als herausfordernd darstellt, scheint durch eine gezielte Konfrontation des Themas bei den Studierenden effektiv wahrgenommen und von ihnen als wichtig betrachtet zu werden.

Eine Limitation dieses Projektes ist die fehlende statistische Analyse, ob die Curriculums-Änderung einen signifikanten Mehrwert für die medizinische Ausbildung bedeutet (im Sinne einer „justification study“). Bedingt durch die geringe Unterrichtszeit ist nur ein limitierter Anteil der in den publizierten LZK zu Patientensicherheit aufgeführten Inhalte zu behandeln.

Die Autoren bewerten das Projekt „Implementierung von Patientensicherheit und Umgang mit Fehlern ins Medizinstudium“ als ersten Schritt für die Einführung in diese wichtige Thematik für gelungen und erfolgreich. Die interaktive Vorlesung und der POL-Fall sind als Konsequenz in den neuen Hamburger Modellstudiengang iMED mit übernommen worden.


Interessenkonflikt

Die Autoren erklären, dass sie keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


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