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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Wie kann die Allgemeinmedizin longitudinal im Studium verankert werden? Die Perspektive der Studierenden auf die Gestaltung eines neuen Schwerpunktprogramms im ländlichen Raum

Artikel Allgemeinmedizin

  • corresponding author Linda Barthen - Goethe-Universität Frankfurt, Institut für Allgemeinmedizin, Frankfurt/Main, Deutschland
  • author Gisela Ravens-Taeuber - Goethe-Universität Frankfurt, Institut für Allgemeinmedizin, Frankfurt/Main, Deutschland
  • author Michael A. Paulitsch - Goethe-Universität Frankfurt, Institut für Allgemeinmedizin, Frankfurt/Main, Deutschland
  • author Ferdinand M. Gerlach - Goethe-Universität Frankfurt, Institut für Allgemeinmedizin, Frankfurt/Main, Deutschland
  • author Monika Sennekamp - Goethe-Universität Frankfurt, Institut für Allgemeinmedizin, Frankfurt/Main, Deutschland

GMS J Med Educ 2018;35(3):Doc42

doi: 10.3205/zma001188, urn:nbn:de:0183-zma0011886

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2018-35/zma001188.shtml

Eingereicht: 12. Oktober 2017
Überarbeitet: 17. Mai 2018
Angenommen: 6. Juni 2018
Veröffentlicht: 15. August 2018

© 2018 Barthen et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Zielsetzung: Beteiligung von Medizinstudierenden im Rahmen der konzeptionellen Entwicklung eines zielgruppenspezifischen und attraktiven allgemeinmedizinischen Lehrangebots im ländlichen Raum.

Methodik: Es wurde ein Fragebogen entwickelt, der die Bewertung der Studierenden hinsichtlich des aktuellen Ablaufs ihres Studiums, den späteren Berufswunsch sowie die Anforderungen an ein zu entwickelndes allgemeinmedizinisches Schwerpunktprogramm im ländlichen Raum erfasst. Mittels einer Online-Befragung wurden im Sommer 2015 alle Medizinstudierende ab dem vierten vorklinischen Semester (n=2.150) der Goethe-Universität Frankfurt einmalig befragt. Die statistische Auswertung erfolgte primär deskriptiv. Die persönliche Einstellung hinsichtlich der Bereitschaft, als Hausarzt tätig zu werden, wurde auf statistische Signifikanz überprüft. Zudem wurde erhoben, ob ein messbarer Zusammenhang zwischen der eigenen Herkunft und dem späteren Wunscharbeitsort besteht.

Ergebnisse: Von insgesamt 2.150 kontaktierten Studierenden nahmen 617 an der Befragung teil (Rücklaufquote=28,7%). Die Ergebnisse repräsentieren eine große Bandbreite an Ideen und Anregungen, die sowohl die Meinung von Befürwortern als auch eher kritisch gegenüber der Lehre in der Allgemeinmedizin eingestellten Medizinstudierenden widerspiegeln. Von dem geplanten Schwerpunktprogramm erwarten die Studierenden einen starken Praxisbezug ebenso wie das Kennenlernen administrativer sowie wirtschaftlicher Hintergründe zum Führen einer Praxis.

Schlussfolgerungen: Durch die Einbeziehung der Zielgruppe am Entwicklungsprozess bestand die Möglichkeit, das zu entwickelnde Schwerpunktprogramm auf die späteren Teilnehmer passgenauer zuzuschneiden. Zudem ist zu erwarten, dass die Beteiligung der Studierenden zu einer höheren Akzeptanz des Programms führt. Die gewonnenen Ergebnisse zur Gestaltung eines Lehrangebots können als Orientierung für die mögliche Entwicklung ähnlicher Schwerpunktprogramme an anderen medizinischen Fakultäten dienen.

Schlüsselwörter: Allgemeinmedizin, Medizinstudierende, Curriculum, Landarztprogramm, Hausarztmangel


Einleitung

Vor dem Hintergrund eines zunehmenden Mangels an Hausärzten, vor allem in den ländlichen Regionen Deutschlands, stellt die Gewinnung des medizinischen Nachwuchses eine essentielle Herausforderung dar. Die Förderung der Allgemeinmedizin in Form von Schwerpunktangeboten während des Medizinstudiums kann einen positiven Effekt auf die Bereitschaft haben, nach dem Studium hausärztlich (in ländlichen Gebieten) tätig zu werden [1]. Im Ausland, vor allem in den USA, Kanada und Australien, existieren bereits zahlreiche Schwerpunktprogramme, die zum Ziel haben, die Allgemeinmedizin während der Ausbildung zu fördern [2], [3]. Auch in Deutschland wächst die Zahl solcher Angebote [4], [5]. Erste Hinweise deuten darauf, dass der Kompetenzerwerb im Rahmen allgemeinmedizinischer Programme einen positiven Einfluss auf die Präferenz zur Fachgebietswahl Allgemeinmedizin hat [6] bzw. das Fach als erste Karriereoption gefördert wird [7].

Am Fachbereich Medizin in Frankfurt am Main gibt es seit 2012 das Angebot der „Landpartie Fulda“: Ein freiwilliges Förderprogramm bei dem die teilnehmenden Studierenden ihr Blockpraktikum Allgemeinmedizin in ausgewählten Landarztpraxen im Landkreis Fulda in Hessen absolvieren. Es konnte belegt werden, dass die Teilnahme am Programm zu einem signifikanten Motivationszuwachs, später hausärztlich tätig zu werden, führt [8]. Wie von Fachvertretern und Studierenden gefordert, sollte die Allgemeinmedizin zukünftig jedoch auch longitudinal im Studium verankert werden [9], [10]. Daher sollte in Kooperation mit dem Studiendekanat zusätzlich zu dem bereits bestehenden Angebot der „Landpartie Fulda“ ein über mehrere Semester laufendes und auf weitere Landkreise ausgedehntes Programm konzipiert werden.

Bei curricularen Änderungen oder Neuerungen dieser Art sind Studierende allerdings selten involviert. Dabei konnten Studien belegen, dass die Beteiligung der Zielgruppe selbst eine Kernvoraussetzung für den Erfolg und die Akzeptanz einer Curriculumsänderung ist [11]. Die Studierenden als Experten in eigener Sache wissen um die Defizite und Potenziale ihres bisherigen Studienplans und sind zudem hoch motiviert, am Veränderungsprozess mitzuwirken [12].

Ziel der hier dargelegten Erhebung war es daher, die Studierenden in die konzeptionelle Entwicklung eines neuen „Landarztprogramms“ (folgend auch „Schwerpunktprogramm“) miteinzubeziehen. Im Mittelpunkt stand die Frage, welche Wünsche und Anforderungen die Studierenden selbst an ein Schwerpunktprogramm, das die Allgemeinmedizin im ländlichen Raum fördert, stellen. Zudem wurden der Berufswunsch sowie die Bewertung der Allgemeinmedizin im aktuellen Studium erfasst.


Methoden

Datenerhebung

Die Einladung zur Beteiligung an einer webbasierten Befragung im Querschnittsdesign wurde an alle Studierenden ab dem 4. vorklinischen Semester der Goethe-Universität Frankfurt verschickt. Die Kontaktaufnahme erfolgte per E-Mail-Verteiler durch das Dekanat und das Institut für Allgemeinmedizin. Die Auswahl der Studienpopulation basierte zum einen auf der Annahme, dass Studierende erst ab dem 4. vorklinischen Semester ausreichend über die Studienstrukturen und den weiteren Studienverlauf informiert sind. Zudem lagen für diese Jahrgänge E-Mail-Verteiler vor, sodass eine Ansprache direkt möglich war. Die E-Mail enthielt ein kurzes Informationsschreiben sowie den zur Online-Befragung führenden Link. Insgesamt wurden 2.150 Studierende erstmals Ende Mai 2015 kontaktiert, was der Grundgesamtheit entsprach. Ein Erinnerungsschreiben folgte Mitte Juni 2015.

Erhebungsinstrument

Der selbstkonzipierte Fragebogen (siehe Anhang 1 [Anh. 1]) wurde auf Grundlage der Ergebnisse aus einer bundesweiten Befragung von Medizinstudierenden aus dem Jahr 2015 erstellt [13] und in einem interdisziplinären Team bestehend aus einer Ärztin in Weiterbildung, einem erfahrenen Hausarzt, einer Pädagogin, einem Psychologen und einer Gesundheitswissenschaftlerin weiterentwickelt sowie abgestimmt.

Der Fragebogen wurde in einem Pretest von drei Studierenden geprüft und anschließend angepasst. In seiner Endversion enthielt der Fragebogen insgesamt 19 Items zu den Themenbereichen Sozio-demographische Angaben, Berufswunsch und Studium sowie Angaben zu dem zu entwickelnden Schwerpunktprogramm. Das Interesse im Studienverlauf an einer hausärztlichen Niederlassung wurde anhand einer sechsstufigen Ratingskala erfasst (1=„Trifft voll zu“; 6=„Trifft überhaupt nicht zu“). Neben überwiegend geschlossenen Fragen gab es fünf offene Fragen im Bogen.

Im letzten Themenbereich wurde den Befragten eingangs eine erste Konzeptidee des zukünftigen Programms auf Basis der Literatur bzw. bereits andernorts etablierter Programmen beschrieben (Bestandteile: Praxisphasen, Begleitendes Seminar- und Mentoringprogramm) [z.B. [14], [15], [16], [17]. Die Teilnehmer sollten die skizzierte Idee anschließend in einzelnen Fragen kommentieren und abschließend angeben, ob sie selbst an solch einem Angebot teilnehmen würden.

Für die Befragung wurde das Umfrage-Tool Survey Monkey gewählt, um einen niederschwelligen Zugang zu ermöglichen. Dadurch sollten auch Studierende erreicht werden, die bisher keinen oder wenig Kontakt zur Allgemeinmedizin hatten oder kritisch gegenüber allgemeinmedizinischer Lehre eingestellt sind.

Die aus der Befragung abgeleiteten Ansätze für das Schwerpunktprogramm wurden im Nachgang mit einzelnen Studierenden aus der Fachschaft in einer Gesprächsrunde final abgestimmt.

Datenauswertung

Die Auswertung der Daten erfolgte primär deskriptiv mittels der Statistiksoftware IBM SPSS. Für die kategorialen Variablen wurden die absoluten und relativen Häufigkeiten ermittelt. Potentielle Mittelwertunterschiede hinsichtlich der Bereitschaft als Hausarzt tätig zu werden, wurden anhand eines gepaarten Wilcoxon-Tests auf statistische Signifikanz hin überprüft. Zur Quantifizierung möglicher Unterschiede wurde die Effektstärke von Cohens d berechnet: 0,2–0,4=kleiner Effekt; 0,5–0,8=mittlerer Effekt und >0,8=großer Effekt [18]. Zudem wurde die Korrelation nach Spearman zwischen der eigenen Herkunft und dem späteren Wunscharbeitsort überprüft (α≤5%).

Bei der Darstellung der sozio-demographischen Angaben wurde die ursprünglich sechsstufige Ratingskala der eigenen Herkunft auf die dichotome Skalierung Landgemeinde und Stadt reduziert [19].

Die offenen Antworten wurden mittels einer quantitativen Inhaltsanalyse ausgewertet. Bei dieser Methode werden die relevanten Merkmale der Textpassagen erfasst, indem sie einem entwickelten Kategoriensystem zugeordnet und somit operationalisiert werden. Die Häufigkeiten in den einzelnen Kategorien können dann als Indikator für die Eigenschaften der Texte dienen [20]. In der Befragung antworteten die Teilnehmer in der Regel stichpunktartig oder in ganzen Sätzen. Einzelne Stichpunkte wurden als eine Einheit (z.B. Frage 13 a: „Eigene Patienten zur Voruntersuchung“), längere Stichpunkte oder mehrere Sätze je nach Inhalt in mehreren Einheiten erfasst (z.B. Frage 13 a „Praxis sollte mind. einen freien Untersuchungsraum für den Studenten zu Verfügung haben, außerdem wäre die Möglichkeit apparativer Diagnostik zu üben schön“). Die einzelnen Einheiten wurden dann den Kategorien zugeordnet (z.B. „Eigene Patienten zur Voruntersuchung“=Praktisch tätig sein; „Praxis sollte mind. einen freien Untersuchungsraum für den Studenten zu Verfügung haben“=Eigener Behandlungsraum; „…apparativer Diagnostik zu üben…“=Kennenlernen und Anwenden der Diagnosetechniken), die zuvor anhand des vorliegenden Textmaterials abgeleitet wurden (induktiv geleitetes Vorgehen). Die Auswertung der offenen Antworten erfolgte durch zwei Kodiererinnen. Bei der Darstellung der Ergebnisse wurden nur Kategorien mit mindestens zehn Nennungen berücksichtigt (vgl. Tabelle 1 [Tab. 1]).


Ergebnisse

Nach einer Datenbereinigung konnten 617 Fragebögen für die Auswertung berücksichtigt werden (Rücklaufquote=28,7%). Unter den Teilnehmern waren 423 weiblich (68,6%). Das mittlere Geburtsjahr betrug 1990 (Range: 1968-1995) und im Schnitt befanden sich die Teilnehmer im 8. Fachsemester (Range: 2.-16. Fachsemester; Eine Person gab an, sich erst im 2. Fachsemester zu befinden). Die Mehrzahl (76,0%) ist in einer Stadt (>5.000 Einwohner) aufgewachsen. Circa ein Fünftel (21,0%) entstammt dagegen einer Landgemeinde (<5.000 Einwohner). Ferner gibt knapp ein Fünftel (18,5%) an, über eine abgeschlossene Berufsausbildung zu verfügen. Lediglich 4,5% der Befragten haben Kinder.

Aktuelle Studiensituation und Berufswunsch

Danach befragt, in welchem Abschnitt des Medizinstudiums Studierende erstmalig praktische Erfahrungen in einer hausärztlichen Praxis sammeln sollten, spricht sich insgesamt knapp ein Viertel der Befragten (23,5%) für die Vorklinik aus. Die deutliche Mehrheit mit knapp zwei Dritteln (65,8%) hält dagegen den klinischen Studienabschnitt für geeignet. Lediglich 5,4% befürworten ein Praktikum vor Beginn des Studiums. Unterschiede zeigen sich hier zwischen der Vorklinik und Klinik. Während 41,7% der Studierenden aus dem vorklinischen Studienabschnitt selbigen als geeigneten Zeitpunkt zum Erstkontakt mit der hausärztlichen Praxis einstufen, teilen diese Einschätzung nur 17,6% der Studierenden ab dem klinischen Abschnitt.

Die bisherigen Erfahrungen mit dem Fach Allgemeinmedizin wurden in der Befragung nicht erfasst, dürften zwischen den Teilnehmer jedoch variieren in Abhängigkeit des jeweiligen Studienjahres.

Unter der Annahme, dass eine spätere hausärztliche Tätigkeit in Frage kommt, sollten die Studierenden weiterhin angeben, ob sie sich hierzu durch ihre bisherige Ausbildung ausreichend vorbereitet fühlen. Die Frage wird mit zunehmendem Fachsemester bejaht. Dennoch geben 19,0% aller Befragten ab dem 11. Fachsemester (N=158) an, dass sie sich nicht ausreichend vorbereitet fühlen bzw. 55,1% sagen, sich nur zum Teil ausreichend vorbereitet zu fühlen (insgesamt 74,1%). Voraussetzungen für eine ausreichende Vorbereitung sind aus Sicht der Befragten (N=97; offene Frage): Mehr Praxis (53,6%), Administrative und wirtschaftliche Hintergründe einer Praxis kennen (15,5%) sowie Mehr fächerübergreifendes Wissen (11,4%).

Auch das grundsätzliche Interesse an einer allgemeinmedizinischen Tätigkeit wurde erfasst. Anhand einer sechsstufigen Ratingskala (1=„Trifft voll zu“; 6=„Trifft überhaupt nicht zu“) wurden die Teilnehmer gefragt, “Ob sie sich zu Beginn des Studiums vorstellen konnten, als niedergelassener Hausarzt zu arbeiten“ (Mittelwert=3,81) und „Ob sie sich jetzt vorstellen können, später als niedergelassener Hausarzt zu arbeiten“ (Mittelwert=3,36). Ein Vergleich der Werte mittels des Wilcoxon-Tests zeigt, dass das Interesse im Laufe des Studiums statistisch signifikant zunimmt (p<0,001; N=617). Anhand von d nach Cohen zeigt sich mit 0,278 ein kleiner Effekt [18]. Ferner geben 43,5% (n=268) der Studierenden an, sich eher nicht bis überhaupt nicht vorstellen zu können, später als Allgemeinmediziner zu arbeiten. Dennoch haben hiervon beispielsweise 46,7% (n=125) konkrete Vorschläge und Ideen zur Ausgestaltung der Praxisphasen gegeben, die in den Ergebnissen in Tabelle 1 [Tab. 1] mündeten.

In Abbildung 1 [Abb. 1] ist die präferierte Anzahl an Einwohnern des späteren Arbeitsortes angegeben. Zwischen den Variablen der eigenen Herkunft und des Wunscharbeitsortes zeigt sich anhand einer Korrelation eine mittlere Effektstärke bei statistischer Signifikanz (r=0,366; p<0,001; N=458) [20]. Knapp ein Drittel der Teilnehmer, die aus Landgemeinden stammen, gibt an, noch keine Präferenz für den späteren Arbeitsort zu haben.

Angaben zu dem zu entwickelnden Schwerpunktprogramm

Zur Ausgestaltung des Schwerpunktprogramms wurde den Studierenden eine erste Konzeptidee skizziert (Bestandteil I: Praxisphasen; Bestandteil II: Begleitendes Seminar; Bestandteil III: Mentoringprogramm). Etwa die Hälfte der Teilnehmer nutzte die Gelegenheit, Anforderungen an das allgemeinmedizinische Schwerpunktprogramm und eigene Ideen in Form von Freitextantworten zu formulieren.

Als wichtigste Voraussetzung für die Praxisphasen beim Hausarzt (Bestandteil I) wird von 62,9% der Teilnehmer der Aktive Praxisbezug genannt. Hierunter fällt vor allem die selbstständige Behandlung eigener Patienten von der Anamneseerhebung, über die Diagnostik bis hin zur Therapieempfehlung unter (anfänglicher) Supervision. Daneben wünscht sich über ein Drittel der Befragten (35,0%) ein regelmäßiges und ausführliches Feedback durch den Lehrarzt. Bei den begleitenden Kleingruppenseminaren an der Universität (Bestandteil II) werden vorrangig konkrete Themen für die inhaltliche Gestaltung des Seminars genannt. Als besonders bedeutsam werden dabei Praktische Übungen (42,6%) sowie Erfahrungsaustausch und Fallbesprechungen nach den Praxisphasen (29,0%) eingestuft. Von einem Mentoring (Bestandteil III) erwarten sich die Teilnehmer einen Hausarzt, der Ihnen fachliche/praktische Tipps und Feedback gibt (23,6%) sowie als Ansprechpartner bei Fragen jeglicher Art (25,1%) zur Seite steht. Durch das Mentoring erhoffen sich die Studierenden zudem die Entwicklung praktischer Fertigkeiten beispielsweise in Form von Praktika (27,0%). Die vollständigen Ergebnisse sind in Tabelle 1 [Tab. 1] abgebildet.

Befragt nach der gewünschten Dauer des Schwerpunktprogramms gehen die Antworten auseinander (Antworten waren vorgegeben). Über ein Viertel (27,7%) spricht sich für ein Semester aus. Jeweils ein weiteres Viertel wünscht sich eine Dauer von mehreren Semestern (23,0%) oder hat keine Vorgaben solange „das Angebot für mich sinnvoll ist“ (23,5%). Weniger als 5% wünschen sich ein Schwerpunktprogramm, das das gesamte Studium umfasst.

Abschließend wurden die Teilnehmer gefragt, ob sie an dem skizzierten Angebot teilnehmen würden (Ja=45,4%; Nein=17,5%; Weiß nicht=30,6%; keine Angabe=6,5%). Diejenigen, die sich gegen eine Teilnahme aussprechen, begründen dies mit kein Interesse an der Allgemeinmedizin (61,5%), kein Interesse, in einer ländlichen Region tätig zu werden (45,0%), keine Zeit im Studium (41,3%), kein Interesse an einer Niederlassung (21,1%) sowie kein Interesse an weiteren Praktika (21,1%).


Diskussion

617 Medizinstudierende ab dem 4. vorklinischen Semester nutzten die Online-Befragung, um sich an der Entwicklung eines allgemeinmedizinischen Schwerpunktprogramms für den ländlichen Raum zu beteiligen.

Insbesondere der Bedarf an mehr Praxis im Studium spiegelt sich in den Ergebnissen der vorliegenden Untersuchung bzw. den formulierten Anforderungen an das zu entwickelnde Lehrangebot wider. In allen drei Kernbereichen (Praxisphasen, begleitendes Seminar- und Mentoringprogramm) fordern die potentiellen Teilnehmer einen starken Praxisbezug. Der Wunsch, eigene Patienten zu behandeln, die persönlichen Fähigkeiten weiterzuentwickeln und aktiv in den Praxisalltag einbezogen zu werden, wird jeweils auf die offenen Fragen angegeben. Darüber hinaus spielen das Kennenlernen des Praxismanagements sowie der Praxisorganisation eine wichtige Rolle und stellen somit einen Bereich dar, der im Schwerpunktprogramm Beachtung finden sollte.

Unabhängig vom Fach präferiert über die Hälfte der Befragten (54,0%) eine spätere Tätigkeit in einer Mittel- oder Großstadt (>20.000 Einwohner). Ob dies „ein Wohnen in der Stadt und ein Arbeiten auf dem Land“ als mögliches Zukunftsmodell ausschließt, bleibt allerdings unklar. Dass Studierende mit einer ländlichen Herkunft eher bereit sind, dorthin zurückzukehren ist zudem bereits mehrfach beschrieben worden [1], [21]. Dass jedoch knapp ein Drittel (31,3%) der Studierenden aus Landgemeinden hinsichtlich des später gewünschten Arbeitsorts unentschlossen ist, weist auf das Potential hin, diese Zielgruppe für die Teilnahme an dem Schwerpunktprogramm anzusprechen und somit für einen entsprechenden Werdegang frühzeitig zu begeistern.

Knapp dreiviertel aller Teilnehmer (74,1%) ab dem 11. Fachsemester fühlen sich nicht oder nur unzureichend auf eine mögliche hausärztliche Tätigkeit vorbereitet. Gründe hierfür sind vorrangig fehlende praktische Erfahrungen, aber auch unzureichende Kenntnisse über die administrativen sowie wirtschaftlichen Voraussetzungen zum Führen einer Praxis. Die Ergebnisse stellen per se keinen Grund zur Beunruhigung dar, da erst die Facharztweiterbildung zum Allgemeinmediziner diese Anforderungen in Gänze erfüllen sollte. Das Studium verfolgt hingegen das Ziel „…grundlegende Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten in allen Fächern zu vermitteln, die für eine umfassende Gesundheitsversorgung der Bevölkerung erforderlich sind.“ [https://www.gesetze-im-internet.de/_appro_2002/BJNR240500002.html]. Dennoch konnte eine Absolventenbefragung zeigen, dass der mangelnde Praxisbezug und die unzureichende Vermittlung praktischer, ärztlicher Fähigkeiten als defizitäre Aspekte des Medizinstudiums wahrgenommen werden [22]. Auch die Politik hat diese Probleme erkannt und versucht nun, im Rahmen des Masterplans Medizinstudium 2020, aktiv dagegen anzugehen. So sieht der Masterplan vor, nicht nur den allgemeinen Praxisanteil im Studium zu erhöhen, sondern insbesondere auch die Ausbildung im hausärztlichen Versorgungssetting zu stärken [23].

Die Untersuchung konnte zudem zeigen, dass das Interesse der Studierenden an einer möglichen allgemeinmedizinischen Tätigkeit im Studienverlauf zunimmt. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch eine Studie aus dem Jahr 2015 von Jacob, Kopp und Schultz [13]. Weiterhin ist anzumerken, dass sich 45,4% der Antwortenden eine Teilnahme am skizzierten Programm vorstellen können, obwohl dieses zum Befragungszeitpunkt nur in groben Umrissen beschrieben werden konnte und es sich darüber hinaus um ein sehr fokussiertes Schwerpunktprogramm handeln wird (Allgemeinmedizin im ländlichen Raum). Zwar kann nicht davon ausgegangen werden, dass dies der tatsächlichen Nachfrage entsprechen wird, dennoch wird hier frühzeitig ein Bedarf deutlich, der die Sinnhaftigkeit eines solchen Programms bekräftigt.

Die vorliegenden Ergebnisse müssen mit einigen Einschränkungen interpretiert werden. Der Fragebogen wurde für die Zwecke der Studie entwickelt und ist daher kein bereits validiertes Instrument. Ferner sollte bedacht werden, dass in einer Querschnittserhebung Veränderungen im „Studienverlauf“ nicht längsschnittlich bei identischen Studierenden untersucht werden können, sodass Unterschiede zwischen verschiedenen Jahrgangskohorten auch auf hier nicht erfasste Einflüsse zurückgeführt werden könnten. Mit Blick auf die Übertragbarkeit des Vorgehens und des entwickelten Konzepts auf andere deutsche Studienstandorte ist darauf zu achten, dass sich die Rahmenbedingungen zwischen den Universitäten voneinander unterscheiden können. Die vorliegenden Ergebnisse sind somit nicht repräsentativ für Deutschland und eine Umsetzung andernorts müsste den entsprechenden Gegebenheiten angepasst werden. Eine Stärke der Studie ist hingegen in der Beteiligung der Studierenden an der Entwicklung eines curricularen Angebots zu sehen. Es konnte gezeigt werden, dass auch Studierende, die der Allgemeinmedizin kritisch gegenüberstehen bzw. kein Interesse an einer allgemeinmedizinischen Tätigkeit haben, an der Befragung teilgenommen haben. Dadurch konnte ein möglichst breites Stimmungsbild eingefangen werden und war in diesem Fall der Methode von Fokusgruppen vorzuziehen, da so der Effekt vermieden wurde, dass nur besonders (an der Allgemeinmedizin) Interessierte in die Entwicklung eingeschlossen wurden. Um dennoch eine Feedbackschleife von den Studierenden zu erhalten, wurde das entwickelte Konzept im Nachgang mit einzelnen Studierenden aus der Fachschaft in einer Gesprächsrunde final vorgestellt und abgestimmt.


Schlussfolgerungen

Insgesamt hat die Beteiligung der Studierenden dazu beigetragen, die inhaltliche, organisatorische sowie thematische Gestaltung des Landarztprogramms zu konkretisieren. Erste Ideen konnten weiterentwickelt, neue Ansätze generiert und Hinweise berücksichtigt werden, die zuvor nicht bedacht wurden. Anhand der Ergebnisse wurde beispielsweise entschieden, dass das Schwerpunktprogramm erst ab dem klinischen Studienabschnitt startet und nicht das gesamte Studium umfasst. Ferner werden Themen zur Praxisführung und zum Praxismanagement Bestandteile der Seminarreihe sein. Im Kern wird und muss das Programm zudem einen kontinuierlichen Praxisbezug aufweisen, der sich auch in den Seminaren in Form von praktischen Übungen zeigen wird.

Es ist zudem zu erwarten, dass die Einbeziehung der Zielgruppe zu einer höheren Akzeptanz des Programms bei derselbigen führt. Für die Zukunft könnte jedoch überlegt werden, wie die Rückkopplung zu den Studierenden intensiviert und verbessert werden könnte, um gewonnene Ergebnisse nochmals zu spiegeln. Insgesamt kann das methodische Vorgehen, Studierende bei der Curriculumsentwicklung einzubeziehen, empfohlen werden. Die gewonnenen Ergebnisse können als Orientierung für die Entwicklung weiterer Schwerpunktprogramme an anderen medizinischen Fakultäten dienen.


Danksagung

Wir danken insbesondere Inga Beig, die uns bei der Dateneingabe tatkräftig unterstützt hat.


Interessenkonflikt

Die Autoren erklären, dass sie keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


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