gms | German Medical Science

GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Auswertung von sechs Übersichtsartikeln über die Qualität von Evaluationsinstrumenten zur Beurteilung interprofessioneller Lehre im deutschsprachigen Raum

Artikel Interprofessionelle Lehre

  • corresponding author Jan P. Ehlers - Universität Witten/Herdecke, Fakultät für Gesundheit, Didaktik und Bildungsforschung im Gesundheitswesen, Witten, Deutschland
  • author Sylvia Kaap-Fröhlich - Universität Zürich, Medizinische Fakultät, Studiendekanat, Zürich, Schweiz
  • author Cornelia Mahler - Universität Heidelberg, Medizinische Fakultät, Abteilung Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung, Heidelberg, Deutschland
  • author Theresa Scherer - Berner Fachhochschule, Fachbereich Gesundheit, Bachelorstudiengang Pflege, Bern, Schweiz
  • author Marion Huber - Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, Interprofessionelle Lehre (IPL), Zürich, Schweiz

GMS J Med Educ 2017;34(3):Doc36

doi: 10.3205/zma001113, urn:nbn:de:0183-zma0011137

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2017-34/zma001113.shtml

Eingereicht: 17. Juni 2016
Überarbeitet: 16. Januar 2017
Angenommen: 4. Mai 2017
Veröffentlicht: 15. August 2017

© 2017 Ehlers et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Hintergrund: Sowohl weltweit als auch in den deutschsprachigen Ländern erfolgt zunehmend die Entwicklung und Etablierung von interprofessionellen Lehr- und Lernszenarien in den Ausbildungen der Gesundheitsberufe. Um die unterschiedlichen didaktischen Herangehensweisen wie auch die unterschiedlichen, situationsabhängigen Ergebnisse der Vermittlung interprofessioneller Kompetenzen zu evaluieren, ist es erforderlich, geeignete Instrumente einzusetzen. Dabei sind gerade interkulturelle Instrumente hilfreich, um eine internationale Vergleichbarkeit zu erzielen. Die GMA-Arbeitsgruppe „Interprofessionelle Ausbildung in den Gesundheitsberufen“ hat sich zum Ziel gesetzt, bestehende Instrumente zur Evaluation interprofessioneller Lehre zu identifizieren, um Empfehlungen für den deutschsprachigen Raum auszusprechen.

Methoden: Eine systematische Literaturrecherche auf den Internetseiten zur interprofessionellen Ausbildung internationaler Fachorganisationen (CAIPE, EIPEN, AIPEN) sowie in den Datenbanken PubMed und Cinahl wurde durchgeführt. Reviews mit Hauptaugenmerk auf quantitativen Instrumenten zur Evaluation des interprofessionellen Kompetenzerwerbs auf Grundlage der modifizierten Kirkpatrick Kompetenzstufen wurden gesucht. Diese wurden hinsichtlich ihrer psychometrischen Eigenschaften, Sprache/Land und Voraussetzungen des Instrumenteinsatzes untersucht und erfasst.

Ergebnisse: Es wurden sechs Reviews aus 73 Treffern der Literatursuche inkludiert. Eine Großzahl an Instrumenten wurde identifiziert, deren Gütekriterien und Einsatz allerdings sehr heterogen war, weshalb sie nicht in die Untersuchung aufgenommen wurden. Die Instrumente sind vorwiegend den Kirkpatrick Stufen 1, 2a & 2b zuzuordnen. Die meisten wurden in englischer Sprache entwickelt. Gütekriterien wurden selten ausführlich berichtet. Nur sehr wenige Instrumente sind in deutscher Sprache verfügbar.

Schlussfolgerung: Es ist schwierig geeignete deutschsprachige Instrumente zu finden. International gibt es unterschiedliche Ansätze und Zielsetzungen in der Evaluation und Messung der interprofessionellen Kompetenzen, die sich z.B. nicht allein auf die Ausbildung sondern oft auf das spätere Handeln im Team beziehen. Es stellt sich die Frage, ob es sinnvoll ist, bereits bestehende Instrumente zu übersetzen oder den langen Prozess der eigenen Entwicklung zu verfolgen.

Die Evaluation von interprofessioneller Lehre mit quantitativen Instrumenten erfolgt bisher vorwiegend auf den Stufen 1 und 2. Die Stufen 3 und 4 können größtenteils wahrscheinlich nur mit qualitativen Methoden oder “mixed methods” erfasst werden. Neben dem auf deutsch vorliegendem UWEIPQ ist die Entwicklung weiterer Instrumente in deutscher Sprache oder die Lokalisierung (Übersetzung und Anpassung an nationale Gegebenheiten) englischer Instrumente (z.B. ISVS) notwendig.

Schlüsselwörter: interprofessionelle Ausbildung, Evaluation, Methoden, Validierung, Gütekriterien


1. Einleitung

In den deutschsprachigen Ländern gewinnt die interprofessionelle Zusammenarbeit im Gesundheitswesen zunehmend an Bedeutung. Parallel werden auch immer mehr interprofessionelle Lehr- und Lernszenarien in den Ausbildungen der Gesundheitsberufe1 etabliert.

1.1. Hintergrund zur Evaluation von Interprofessioneller Lehre

Interprofessionelle Lehre (IPL) ist mit einer ca. 25-jährigen Geschichte ein relativ junger Bereich in der Lehre und der angegliederten Forschung. Hierbei finden sich ganz unterschiedliche Lehr- und Lernansätz, sowohl was die Methodik (z.B. gemeinsame Seminare oder Projektarbeiten), die Zusammensetzung der Veranstaltungen (z.B. verschiedene Gesundheitsberufe mit und ohne Mediziner) und auch die Inhalte (z.B. Rollenverständnis, Teambildung oder fachliche Kompetenzen) angeht. Einen sehr guten Überblick über Projekte im deutschsprachigen Raum bietet das Themenheft der GMS Journal for MedicalEducation [12]. Systematische Reviews zur Evaluation von IPL konnten zunehmend positive Effekte sowohl in der Ausbildung als auch in der späteren gemeinsamen Tätigkeit von unterschiedlichen Gesundheitsberufen aufzeigen [8], [17]. Probleme in der übergreifenden Interpretation stellten die Heterogenität der Studien [8], das Fehlen eines theoretischen, kompetenzorientierten interprofessionellen Rahmens für die Ausbildung [17] sowie vergleichbare und standardisierte Evaluationsinstrumente dar. Deshalb wurden in den letzten Jahren unterschiedliche interprofessionelle Kompetenzrahmen entwickelt [4], [7], [11], [15]. Außerdem wurden Empfehlungen für die Planung und Durchführung von Evaluationsstudien interprofessioneller Lehre ausgesprochen [16] und eine Vielzahl von Instrumenten zur Evaluation entwickelt und in unterschiedlichen Settings überprüft [3], [15].

Für die Anwendung von Instrumenten stellt sich die Frage, welche für welches Lernergebnis (Outcome) geeignet sind. Als Orientierung bietet sich das Kirkpatrick-Rahmenmodell an, das für die Evaluation von Bildungsmaßnahmen entwickelt wurde und auf vier Stufen die Lernergebnisse misst. Die ursprünglichen vier Evaluationsstufen wurden für die Evaluation von IPL [1], [5] zu sechs Stufen weiterentwickelt (siehe Tabelle 1 [Tab. 1]). Dabei wurden die ursprüngliche Stufe 2 „Lerner“ und Stufe 4 „Ergebnisse“ in jeweils zwei Stufen aufgeteilt, um eine Unterscheidung der Lernergebnisse auf Personen- und Versorgungsebene zu erreichen. Trotz der Kritik an diesem Modell und der Limitationen [20] stellt es einen ersten klaren Rahmen dar. Die sechs Stufen finden inzwischen bei der Evaluation von Maßnahmen in den Gesundheitsberufen häufig Anwendung [20]. Somit stellen diese Stufen grundsätzlich eine gute Orientierung für die praxisorientierte Auswahl von vergleichbaren Evaluationsinstrumenten dar.

1.2. Fragestellung

Um die Qualität von IPL beurteilen zu können, ist es erforderlich reliable und valide Instrumente einzusetzen. In einem ersten Schritt sollten dazu bereits bestehende Instrumente in der Fachliteratur identifiziert und auf ihre grundsätzliche, aber auch spezielle Eignung für den deutschsprachigen Raum beurteilt werden. Aufgrund der vielfältigen und heterogenen Publikationen auf diesem Gebiet wurde beschlossen, nicht einzelne Studien heranzuziehen, sondern von Übersichtsarbeiten (Reviews) auszugehen

Geeignete Instrumente sollten anschließend für den deutschsprachigen Raum verfügbar gemacht werden. Aus den Ergebnissen soll in den folgenden Jahren eine praxisnahe Handreichung mit Instrumenten für die Evaluation von interprofessionellen Lehrveranstaltungen und Projekten geboten werden.

Vor diesem Hintergrund stellten sich folgende Forschungsfragen: Welche Instrumente werden in der zusammengefassten Übersichtsliteratur für die Evaluation interprofessioneller Lehre auf welcher Evaluationsstufe nach Kirkpatrick empfohlen?

Welche Instrumente stehen in deutscher Sprache zur Verfügung bzw. können für die Übersetzung ins Deutsche empfohlen werden?


2. Methode

Methodisch waren zwei Phasen des Herangehens notwendig.

1. Phase

Da sich das Feld der interprofessionellen Zusammenarbeit und Lehre rasant entwickelt, wurden systematisch die Internetseiten der einschlägigen nationalen und internationalen, interprofessionellen Netzwerke (CAIPE - Centre for the Advancement of Interprofessional Education, EIPEN - European Interprofessional Practice and Education Network, AIPEN - Australasian Interprofessional Practice and Education Network, NIPNET - Nordic Interprofessional Network) nach Instrumenten zur Evaluation von Lehraktivitäten durchsucht.

2. Phase

Zur weiteren Beantwortung der Fragestellung sollte ein systematisierter Literaturreview erstellt werden. Wie im Hintergrund beschrieben, sollten hier nicht einzelne Studien herangezogen werden, sondern im Sinne einer Metasynthese von Übersichtsarbeiten (Reviews) ausgegangen werden. Dabei wurde das Hauptaugenmerk auf Reviews zu Instrumenten für die Evaluation als Bewertungstool, nicht für die Evaluation als kompletten Steuerungszyklus gelegt. Der Einsatz der Evaluationstools sollte auf Lehrebene und nicht auf Zusammenarbeitsebene erfolgen.

Als passende Literaturdatenbanken für die Recherche wurden PubMed/Medline und CINAHL identifiziert. Es wurden datenbankspezifische Suchstrategien mit den Suchbegriffen „review“, „evaluation“ und „interprofessional education“ formuliert (genaue Suchstrategien siehe Anhang 1 [Anh. 1]). In einem nächsten Schritt wurden konsensual die doppelt gefundenen oder thematisch nicht passenden Publikationen von drei Experten der Arbeitsgruppe eliminiert. Dabei wurden nur Reviews inkludiert, die:

  • Studien über Evaluationsinstrumente für die interprofessionelle Ausbildung heranziehen
  • diese den Evaluationsstufen nach Kirkpatrick [5] zuordnen und
  • die psychometrischen Gütekriterien beschreiben.

Die so ermittelten, eingeschlossenen Reviews wurden danach kriteriengeleitet mittels der Critical Appraisal Skills Programme Checkliste (CASP, [19]) unabhängig von zwei Experten (MH, JE) auf ihre Qualität anhand der Güte der Forschungsfrage, der Literaturrecherche, der Publikationen, der Qualitätsüberprüfung und der Ergebnisse beurteilt, wobei zunächst ein unabhängiges Ausfüllen der Checkliste erfolgte, dann ein Vergleich der Ergebnisse und unter erneutem Hinzuziehen strittiger Reviews eine konsensuale Ergebnisfindung.

Die Angaben zur Testgüte der einzelnen Studien in den jeweiligen Reviews wurden anschließend von zwei unabhängigen Experten (MH, JE) der Arbeitsgruppe beurteilt. Die so ermittelten geeigneten Instrumente wurden in einer Kurzcharakteristik beschrieben. Als geeignete Beschreibung der Testgüte wurden umfassende Angaben zur Objektivität, Reliabilität, Validität sowie zu diagnostisch-psychometrischen Kennzahlen (wie Sensitivität und Spezifität) gewertet.

Besonders erfolgreiche Werkzeuge sowie in Deutsch vorliegende wurden nochmal einzeln kritisch diskutiert und vorgestellt.


3. Ergebnisse

1. Phase

Bei der Sichtung der interprofessionellen Netzwerke wurden zwei Repositorien für Evaluationstools gefunden:

  • Canadian Interprofessional Health Collaborative [15]
  • National Center for Interprofessional Practice and Education [3].

Beide Sammlungen stellen sehr umfänglich Werkzeuge vor, zeigen allerdings auch Limitationen. So beschränken sie sich nicht allein auf die interprofessionelle Ausbildung, sondern berücksichtigen auch Instrumente zur Evaluation interprofessioneller Zusammenarbeit. Diese Datenbanken sind sehr offen gestaltet, sodass ein freies Hochladen von Werkzeugen möglich ist. Allerdings unterliegen die integrierten Werkzeuge keiner kritischen Evaluation und keinem Qualitätsmanagement, sodass keine sichere Aussage über die Validität und Reliabilität getroffen werden kann. Somit wurden keine der auf den Datenbanken befindlichen Instrumente in dieses Review inkludiert.

2. Phase

Die PubMed-Suche ergab 24 Treffer, die Cinahl-Suche 49 Treffer (siehe Anhang 1 [Anh. 1] und Abbildung 1 [Abb. 1]). Nach Sichtung der Abstracts konnten 63 Publikationen ausgeschlossen werden, da sie nicht das gesuchte Thema behandelten oder nicht den vorher vereinbarten Vorgaben entsprachen (z.B. interprofessionelle Zusammenarbeit oder qualitative Untersuchungen). Von den zehn geeigneten Reviews erfolgte in vier Reviews keine Zuordnung der Studien zu den Kirkpatrick-Stufen [5].

Die sechs verbliebenen Reviews wurden mittels der CASP-Checkliste beurteilt und auf der Suche nach validen und passenden Tools im Volltext durchgearbeitet (siehe Tabelle 2 [Tab. 2] und Abbildung 2 [Abb. 2]).

Die Auswertung der Reviews zeigt unterschiedliche Ergebnisse bezüglich der Güte der inkludierten Reviews aber auch in Bezug auf empfohlene Messinstrumente. Drei Reviews weisen eine hohe Güte auf [9], [10], [14]. Allen drei Reviews liegen Standards zu Grunde (z.B. Cochrane Guidelines für Systematical Reviews oder Standards zur Beurteilung der in den Studien inkludierten Assessmenttools). Zudem bieten die drei Reviews eine klare Zuordnung der von ihnen identifizierten Evaluationsinstrumente zu den Kirkpatrick-Stufen. Es wurde ein Review mit mittlerer Güte [6] und zwei Reviews mit niedriger Güte [2], [20] in die vorliegende Übersichtsarbeit inkludiert. Bei allen drei Reviews fand in erster Linie eine explorative Suche statt oder der Literaturreview war Bestandteil einer Multimethoden-Untersuchung. Die in diesen Reviews inkludierten Studien wurden nicht kritisch gewürdigt, was die Aussagekraft der Reviews deutlich schmälert. Des Weiteren wurden die Assessments nur teilweise oder gar nicht bezüglich ihrer psychometrischen Eigenschaften hin beurteilt. Der meist genannte Wert in diesem Zusammenhang ist Cronbach’s Alpha. Bezüglich weiterer psychometrischer Kennzahlen wurde nichts berichtet.

Einzig Havyer et al. [9] geben eine klare Empfehlung auf Basis der Testgütekriterien ab. Aus ihrer Sicht genügen die Instrumente Collaborative Healthcare Interdisciplinary Relationship Planning (CHRIP), Readiness for Interprofessional Learning Scale (RIPLS), Communication and Teamwork Skills assessment (CATS) und Teamwork Mini-Clinical Evaluation Exercise (T-MAX) den Gütekriterien. In ihrer Publikation von 2014 werden der Safety Attitudes Questionnaire (SAQ) und das Team Climate Inventory (TCI) ausdrücklich benannt, jedoch nicht explizit empfohlen. Havyer et al. [10] beziehen sich mit ihren Empfehlungen auf einen konkreten Kompetenzrahmen der Association of American Medical Colleges (AAMC). Als einziges Messgröße für Gütekriterien wurde von Hayer et al. [9], [10] für die inkludierten Studien mehrheitlich Cronbach’s Alpha als Maß der Reliabilität genannt. Faktorenanalytische Untersuchungsergebnisse, zur Darstellung der Inhaltsvalidität, werden nicht benannt.

Oates und Davidson [14] kommen nach einer Festlegung eigener minimaler, testtheoretischer Gütekriterien zum Schluss, dass einzig die Interprofessional Socialisation and Valuing Scale (ISVS) alle minimalen Gütestandards erfüllt. Fünf weitere Instrumente (Interprofessional Collaborator Assessment Rubric - ICAR, Attitudes Towards Teamwork in Training Undergoing Designed Educational Simulation - KidSIM ATTITUDES Questionnaire, Interdisciplinary Education Perception Scale - IEPS und University of the West of England Interprofessional Questionnaire - UWEIPQ) erfüllen die Minimalstandards nur teilweise, drei (RIPLS, Attitudes to Shared Learning - ASL und StudDat Questionnaire) erfüllen die Standards nicht oder nur ungenügend.

Gillan [6] bieten einen umfassenden Überblick über Evaluationsinstrumente und kategorisieren alle Items aus den gefunden Instrumenten. Die Literatursuche wurde ausführlich beschrieben, sodass diesem Review eine mittlere Güte zugesprochen werden kann. Für die Praxis von großem Nutzen ist die klare Zuordnung der in den Evaluationstools enthaltenen Items zu den Kirkpatrick-Stufen [5]. Die Autoren bieten somit einen sehr transparenten Überblick. Es zeigt sich, dass eine Zuordnung zu den Stufen 1- 4a möglich ist. Zur Stufe 4b konnte kein Item zugeordnet werden.

Blue et al. [2] schlossen ausschließlich Reviews in ihre Arbeit ein. Es wird allerdings nur ungenau beschrieben, welche Arten von Reviews sie in ihre Übersichtsarbeit integriert haben. Eine kritische Beurteilung der integrierten Reviews fehlt ganz. Die explorative Literatursuche wurde allerdings als Zusatz zu einer „mixed-method“ Untersuchung durchgeführt, deren Inhalt sich jedoch nicht auf die vorliegende Fragestellung bezieht. Von daher wurde lediglich der Reviewanteil von Blue et al. [2] auf seine Güte hin untersucht.

Thistlethwaite et al. [20] suchten in ihrem Review in erster Linie nach Interventionsstudien, welche Instrumente zur Evaluation interprofessioneller Lehre und Zusammenarbeit enthielten. Es gilt anzumerken, dass lediglich eine Direktsuche in Zeitschriften durchgeführt wurde. Datenbanken wurden keine gesichtet. Zudem sind die Keywords zu dieser Suche nicht ersichtlich. Thistlethwaite et al. [20] empfehlen eine multimethodische Erhebung interprofessioneller Kompetenzen.

Insgesamt konnte festgestellt werden, dass eine breite Anzahl an Instrumenten entwickelt wurde, die auf unterschiedlichen Stufen des modifizierten Kirkpatrick-Frameworks eingesetzt werden [2]. Bei der Untersuchung der Volltexte wurde deutlich, dass für die Stufe 4b [1] vermutlich kein quantitatives Evaluationsinstrument existiert.

Weiterhin bestand eine große Heterogenität hinsichtlich der Validierung und der Gütekriterien, des Evidenzgrads und der Evaluationsstufen nach dem abgeänderten Kirkpatrick Framework [1].

Trotzdem konnten die folgenden vier Instrumente eruiert werden, die den Anforderungen der Suche, d.h. Ausrichtung an einer oder mehreren Kirkpatrick Stufen und/oder interprofessionellen Kompetenzen gerecht wurden: Readiness for Interprofessionl Learning Scale (RIPLS), University of the West of England Interprofessional Questionairre (UWEIPQ), Interprofessional Socialization and Valuing Scale (ISVS) und das Team Climate Inventory (TCI). Eine Kurzdarstellung der einzelnen Instrumente findet sich in Anhang 2 [Anh. 2].


4. Diskussion

Bei der Betrachtung der bereits vorhandenen Online-Repositorien über Evaluationswerkzeuge zur Interprofessionalität hat sich gezeigt, dass hinsichtlich der Verwendbarkeit und Übersichtlichkeit eine Fokussierung auf bestimmte Fragestellungen sowie eine Form der Qualitätssicherung unumgänglich sind. In der vorliegenden Untersuchung erwies sich die unsystematische Herangehensweise in den gesichteten Reviews und somit die fehlende kritische Beurteilung der in die Reviews inkludierten Studien als problematisch.

Zusammenfassend ist zu sagen, dass die heterogene Lage bezüglich der Güte der in dieser Arbeit inkludierten Reviews nur eingeschränkt eine Empfehlung zulässt. Aus testtheoretischer Sicht sollten die Empfehlungen von Havyer et al. [9] berücksichtigt werden. Da jedoch nicht eindeutig ersichtlich ist, wie die Empfehlung zu Stande kam, gilt auch diese mit Vorsicht zu genießen, da insbesondere der Einsatz des RIPLS aufgrund seiner Gütekriterien inzwischen kritisch diskutiert wird [13], [18]. Keiner der Reviews benennt in Bezug auf die Testverfahren psychometrische Maße wie Sensitivität oder Spezifität. Zudem ist für keines der genannten Instrumente eine Überprüfung der Konstruktvalidität beschrieben. Es wird lediglich teilweise beschrieben, dass eine Faktorenanalyse durchgeführt wurde. Zudem ist das konkrete Konstrukt, welches durch die Tools überprüft werden soll, nur inhaltlich erfassbar, jedoch nicht testtheoretisch nachgewiesen. Eine Überprüfung verschiedener Evaluationsinstrumente in Bezug auf die Übereinstimmung der Konstrukte (concurrent validity) wäre hier unterstützend. Auch fehlen Angaben zur Objektivität bzw. Inter-Rater-Übereinstimmung. Diese wären jedoch bezüglich der Testgüte von Bedeutung. Die Tatsache, dass meist nur die Reliabilität der Instrumente berichtet wird, deutet auf die noch mangelnde theoretische Orientierung an einem Rahmen bei der Entwicklung der Instrumente hin, die eine Validitätsüberprüfung erst erlauben würden.

Es gibt eine Vielzahl an Instrumenten zur Messung von IPL, die Outcomes auf unterschiedlichen Kirkpatrick-Stufen evaluieren. Man muss sich sowohl über Outcome wie auch Kirkpatrick-Ebene Gedanken machen, wenn man ein Evaluationsinstrument auswählt bzw. einsetzt. Es gibt (noch) nicht viele Instrumente, die als reliabel und valide erachtet werden können. Die Zuordnung eines Outcomes zu einem Kompetenzrahmen kann bei der Wahl eines Instruments hilfreich sein.

Zusätzlich können nicht alle Kirkpatrick-Stufen durch quantitative Einschätzungen abgebildet werden. Es erscheint notwendig, dass auch qualitative Evaluationen hinzugezogen werden.

TCI und ISVS werden in unterschiedlichen Reviews benannt. Von Seiten der Testgüte wird die ISVS als einzig den Kriterien genügendes Instrument von Oates und Davidson [14] beschrieben. Zudem kann die ISVS drei Kirkpatrick-Stufen zugeordnet werden. Des Weiteren wird die ISVS auch in allen anderen Reviews als Instrument benannt. Der RIPLS gilt zwar als eines der meist genutzten Instrumente, welches auch in deutscher Sprache vorläge, kann jedoch aus testtheoretischer Sicht nicht empfohlen werden, wie auch von Oates und Davidson [14] ebenfalls kritisch angemerkt wird. Der UWEIPQ, ein ebenfalls häufig genutztes Instrument, erfüllt allerdings nur teilweise die Gütekriterien, liegt jedoch ebenfalls in deutscher Sprache vor.

Abschließend kann aus testtheoretischer Sicht einzig die ISVS derzeit empfohlen werden. Da hier ein hochwertiges Werkzeug bereits vorliegt, das nicht neu entwickelt werden muss, wird der ISVS von der Arbeitsgruppe gerade übersetzt, lokalisiert und in der deutschen Fassung validiert werden.


5. Schlussfolgerung

Der Übergang von Edukation zur Praxis muss, wie die Ergebnisse dieser Untersuchung zeigen, ebenfalls in den Fokus genommen werden. Dazu gehören Evaluationen auf der Teamebene, Überprüfung des Transfers und Entwicklung geeigneter Instrumente und Benchmarks für die Sicherstellung des Geschäftserfolgs bzw. der organisationsbezogenen Veränderungen (z.B. Patientensicherheit, Berufszufriedenheit, Critical Appraisal).

Ein deutscher Kompetenzrahmen zur IPL ist derzeit von einer anderen Arbeitsgruppe des GMA-Ausschusses für Interprofessionelle Ausbildung in Bearbeitung. Nach der Erstellung und Verabschiedung dieses Kompetenzrahmens soll die Passung der empfohlenen Instrumente erneut überprüft werden. Anschließend kann entschieden werden, inwiefern erneute, adaptierte Empfehlungen bzw. neue, der Komplexität entsprechende Instrumente entwickelt werden müssen.


Anmerkung

1 Unter Gesundheitsberufe wird an dieser Stelle sowohl die Human- und Zahnmedizin wie auch die Pflege-, Therapie- und Diagnostische Berufe verstanden.


Interessenkonflikt

Die Autoren erklären, dass sie keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


Literatur

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