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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Besonderheiten, Bedingungsfaktoren und Barrieren multiprofessionellen Lehrens und Lernens von Gesundheits- und Nicht-Gesundheitsberufen: Eine explorative Befragung aus Sicht der Lehrenden

Artikel Interprofessionelle Ausbildung

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  • corresponding author Daniela Schmitz - Universität Witten/Herdecke, Department für Pflegewissenschaft, Witten, Deutschland
  • author Ulrike Höhmann - Universität Witten/Herdecke, Department für Pflegewissenschaft, Witten, Deutschland

GMS J Med Educ 2016;33(2):Doc26

doi: 10.3205/zma001025, urn:nbn:de:0183-zma0010258

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2016-33/zma001025.shtml

Eingereicht: 13. August 2015
Überarbeitet: 27. Februar 2016
Angenommen: 27. Februar 2016
Veröffentlicht: 29. April 2016

© 2016 Schmitz et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Zielsetzung: Die Versorgung von Menschen mit Demenz gilt als multiprofessionelle Herausforderung, die eine kollaborative Gestaltung der Gesundheits- und Nicht-Gesundheitsberufe erfordert. Didaktische Konzepte zur gemeinsamen Qualifizierung dieser Berufsgruppen fehlen. Der Beitrag zeigt ausgewählte Besonderheiten, Barrieren und Bedingungsfaktoren deren gemeinsamen Lernens am Beispiel eines multiprofessionellen Masterstudiengangs auf und zieht Konsequenzen für didaktische Konzepte.

Methodik: Die Einschätzungen von 12 Lehrenden dieses Masterstudiengangs, die unterschiedliche Professionen repräsentieren, wurden mit einer qualitativ-explorativen Befragung zu den genannten drei Dimensionen ermittelt. Mit Hilfe einer zusammenfassenden Inhaltsanalyse wurden deren Aussagen kondensiert und abstrahiert, um Anforderungen an geeignete methodisch-didaktische Lernszenarien abzuleiten.

Ergebnisse: Vor dem Hintergrund sehr divergierenden Vorwissens der Studierenden besteht die zentrale Herausforderung darin, eine Balance zwischen Expertise und Langeweile zu finden. Das Herstellen notwendiger gemeinsamer Gegenstandsverständnisse und Sensibilität für unterschiedliche Perspektiven ist besonders dadurch erschwert, dass Gesundheits- und Nicht-Gesundheitsberufe sich in ihren Arbeits- und Herangehensweisen stark unterscheiden. Zur Zielerreichung sind je nach Zusammensetzung der Lerngruppe unterschiedlich konturierte inhaltliche Schwerpunkte und didaktisch-methodische Konzepte notwendig. Ein Rückgriff auf didaktische Regelkonzepte ist nur begrenzt möglich.

Schlussfolgerungen: Das gemeinsame Lehren und Lernen von Gesundheits- und Nicht-Gesundheitsberufen zielt auf ein erweitertes Berufsverständnis ab: Durch die Wahrnehmung als Teil der Versorgungskette, die wechselseitige Bedingtheit der eigenen und fremden Professionsbeiträge zu erkennen und zu gestalten.

Schlüsselwörter: didaktisches Konzept, multiprofessionelles lernen, didaktische Methoden, Demenz, Masterstudiengang


1. Herausforderung: Versorgung von Menschen mit Demenz und didaktische Fragestellung

Die Versorgung von Menschen mit Demenz (MmD) ist eine Gestaltungsaufgabe, die nur durch die Zusammenarbeit verschiedener Berufsgruppen gelingen kann. Dabei müssen Gesundheitsberufe (GB) ihre Handlungskonzepte inhaltlich und strategisch abgleichen und ihre Beiträge immer in Voraussetzungen, Rahmenbedingungen und Folgen des Handelns von rahmensetzenden Nicht-Gesundheitsberufen (NGB) einordnen. Denn die direkte Versorgungspraxis ist immer in Bedingungen eingebunden, die andere herstellen, und das eigene Handeln erzeugt wiederum Folgen für andere. Um dies systematisch zu realisieren, müssen sowohl die GB als auch die NGB ihre Berufsperspektive erweitern. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Thema „Demenz“ bei allen Professionen innerhalb deren Wissenskorpus und beruflichem Anforderungsprofil auf einer anderen Hierarchieebene angesiedelt ist. Für Pflegende beispielsweise hat die passgenaue Versorgung in der täglichen Interaktion mit MmD zentrale Handlungsrelevanz. Für einen Architekten ist das Thema „nur“ in einen erweiterten Kontext eingebettet, welches sich für ihn in spezifischen Anforderungen an die Raumgestaltung und in Rahmenbedingungen für ein Bauprojekt äußert. Die Interaktion mit MmD hat für den konkreten Berufsalltag nur untergeordnete Bedeutung. Zur Stärkung einer kollaborativen Praxis müssen GB und NGB, die Wechselwirkungen im Umgang mit Klienten und ihren Angehörigen, mit Organisationen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen der Versorgung erkennen lernen.

Das Studiengangskonzept

Auf diese Anforderungen bereitet der multiprofessionelle, berufsbegleitende Masterstudiengang „Versorgung von Menschen mit Demenz“ an der Universität Witten/Herdecke vor. Ziel ist es, „change agents“ auszubilden, die ein erweitertes Verständnis ihrer Berufspraxis entwickeln und zielgerichtet mit dem Handeln anderer Berufe abstimmen. Change agents werden in der Professionssoziologie als Veränderungsagenten bezeichnet [1].

Studierende kommen sowohl aus GB als auch NGB. Sie arbeiten in Tätigkeitsfeldern mit organisationsbezogenen Gestaltungsmöglichkeiten. In erster Linie sind es: Pflegewissenschaftler, Therapeuten, Pädagogen, Sozialarbeiter, weiterhin Mediziner, Ökonomen, Techniker, Psychologen, Historiker, Journalisten, Theologen, Architekten und Bauplaner.

Die im Studiengang erworbenen Kompetenzen erlauben die Bewältigung häufiger und unvorhergesehener Veränderungen in Feldern der Versorgungsgestaltung. Die Studierenden erwerben Fachkompetenzen, mit denen sie in ihren Berufsfeldern die zentralen Fragen der Versorgung identifizieren und mit relevanten Akteuren und ihren Interessen abstimmen. Auf dieser Grundlage erarbeiten sie multiprofessionelle Problemlösungen unter Berücksichtigung von Wechselwirkungen im Umgang mit Klienten und Angehörigen, Organisationen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Sie können ihre Lösungsansätze implementieren und evaluieren. Alle Berufsgruppen lernen, ihre Praxisbeiträge an die anderer Professionen anschlussfähig zu machen [2]. Das Curriculum beschreibt einen aufbauenden Lernweg von der Mikro- zur Makroebene. Zunächst werden ein gemeinsames Grundverständnis zum Phänomen Demenz sowie pflegerische und therapeutische Grundkonzepte erarbeitet. Es schließen sich institutionelle Aspekte und kommunale Konzepte der Versorgung an, die letztendlich in politische und gesamtgesellschaftliche Anforderungen münden.

Die Professionen entscheiden sich für den Studiengang auf Grund der flexiblen Selbstlernphasen [3] und des multiprofessionellen Lernens. Sie verbinden damit eine individuelle Kompetenzentwicklung. Das folgende Beispiel veranschaulicht die Erarbeitung gemeinsamer Lösungen: Ein Architekt, eine Ergotherapeutin und ein Betriebswirt sollen ein Konzept zur Gestaltung eines Tages- und Beschäftigungsraum in einer neu zu errichtenden stationären Pflegeeinrichtung entwickeln. Die ersten Diskussionen behandeln Fragen der farbigen Gestaltung von Wänden und Decke, dem Fußbodenbelag, um Licht und Fenster, um Möblierung und um die Frage, ob die Pflegenden einen direkten Einblick benötigen. Soll die Küche integriert werden oder besser nicht? Gibt es da hygienische Bedenken? Nach kurzer Zeit merkt die Gruppe, dass jeder offensichtlich andere Bewohner vor Augen hat. Jeder hat eine andere Vorstellung davon, wie die Menschen dort am besten den Tag verbringen sollen. Klar wird: Für die Gestaltung des Raumes muss sowohl das Gesamtkonzept der Einrichtung erfragt werden, die differenzierten Rahmenbedingungen der Arbeitsabläufe und die spezifischen Anforderungen an tägliche Interaktionen berücksichtigen.

Der Studiengang ist aufgrund des gemeinsamen Lernens von GB und NGB deutschlandweit einzigartig. Denn die Versorgung von MmD erfordert, die Rahmenbedingungen auf der Organisations- und gesellschaftlichen Ebene für GB verständlich zu machen, wie diese entstehen und gestaltet werden. Zudem müssen rahmensetzende NGB wissen, was es bedeutet, mit einer Demenz zu leben und wie Versorgungskonzepte aussehen, um die Konsequenzen der eigenen Entscheidungen zu verstehen und passgenaue Strukturen zu schaffen.

1.1. Gegenstandsbestimmung: Didaktik für multiprofessionelle Lehr-/Lernkontexte

Multiprofessionelle Lerneinheiten werden zunehmend obligatorisch für die Ausbildung in medizinischen, therapeutischen und pflegebezogenen Studiengängen. Didaktische Konzepte fokussieren bisher nur das gemeinsame Lernen von Gesundheitsberufen und die Einordnung ihrer jeweiligen Praxisbeiträge in beruflichen Interaktionen [4], [5], [6], [7], [8], [9], [10], [11], [12]. Für die Versorgung von MmD reicht dies nicht aus. Hier müssen die Beiträge von NGB, deren Voraussetzungen und Folgen für das Handeln der GB miteinander verzahnt werden. Diese Besonderheit macht auch besondere didaktische Konzepte erforderlich, um alle Lernenden gleichermaßen zu fördern und zu beteiligen. Bisher fehlen passende didaktische Konzepte [13], die zudem mit einem klaren Begriffsverständnis von Multiprofessionalität arbeiten [14].

Im Studiengang dient die konstruktivistische Didaktik als Rahmenmodell. Lehren und Lernen sind als individuell eigentätige soziale Konstruktionen zu begreifen. Demnach sind soziale Konstruktionen vielfältiger Perspektiven möglich, in denen eine gemeinsame Wirklichkeit, als gemeinsames Gegenstandsverständnis, auszuhandeln ist [15]. Die Herausforderungen der didaktischen Gestaltung liegen in der Brückung der Perspektiven von GB mit NGB [16] und im unausweichlichen Zusammentreffen dieser relativ hoch spezialisierten Berufsgruppen, mit jeweils unterschiedlichen Zugängen, Abstimmungserfordernissen und fachlichen Austauschbedarfen zur Versorgung von MmD [17]. Die Komplexität ergibt sich aus der Interdisziplinarität der Lerninhalte und den heterogenen Professionen der Lehrenden und Lernenden. Die Lehrenden benötigen hohe fachliche und reflexive Kompetenzen. Sie müssen eine transdisziplinäre Haltung besitzen, über das eigene Fach und die Grenzen der eigenen Profession hinauszudenken [18]. Methoden und Denkweisen anderer Fächer müssen sie reflektieren, verschiedene Perspektiven integrieren, gemeinsame Synthesen mit Lehrenden anderer Professionen versuchen und diese für die Vermittlung von Lerninhalten aufbereiten. Die Fächer sollen jenseits disziplinärer Ordnungen transformiert vermittelt werden [19], [20].

Gelingt es, didaktisch alle Lernenden dort abzuholen, wo sie stehen, dann liegt der Benefit des gemeinsamen Lernens darin, dass beide Gruppen wechselseitig ihre Praxisbeiträge auf den verschiedenen Ebenen einordnen können. Ein Mediziner hat in der Regel kein Grundlagenwissen zur Architektur und Stadtplanung in seinem Studium erworben und ein Architekt hat umgekehrt kein therapeutisches Grundlagenwissen in seiner bisherigen Ausbildung erhalten. Gemeinsames Wissen hilft, für die Betroffenen eine passende Versorgung und Rahmenbedingungen abzustimmen.

Ziel des Beitrags ist es, die Besonderheiten, Bedingungsfaktoren und Barrieren des gemeinsamen Lernens von Gesundheits- und Nicht-Gesundheitsberufen aufzuzeigen und daraus Gestaltungsfaktoren für gemeinsame Lernsituationen abzuleiten.

1.2. Literaturübersicht

Anhand einer systematischen Literaturrecherche wurden förderliche und hemmende Rahmenbedingungen des multiprofessionellen Lernens ermittelt. Da im vorliegenden Verständnis Multiprofessionalität über Gesundheitsberufe hinausgeht, wurde in fachspezifischen Datenbanken recherchiert wie FIS Bildung, Wiso Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, PSYNDEX, EBSCO, google scholar und auch PubMed sowie letztendlich über ein Schneeballsystem weitere relevante Artikel identifiziert. Ausschlussfaktoren waren Erlebnisberichte, Stellungnahmen und Praxisprojektbeschreibungen. Aus den über 500 Artikeln lieferten 96 Anhaltspunkte für die Didaktik relevanten förderlichen und hemmenden Faktoren, 30 davon gingen nach inhaltlicher Durchsicht in die konkrete Analyse ein. In der Regel wurde Multiprofessionalität in medizinischen und pflegerischen Kontexten bi- oder triprofessionell gedacht. In der Sozialen Arbeit zählen zum Teil auch Mediziner, Therapeuten, Pflegekräfte neben Sozialarbeitern und Verwaltungsangestellten dazu. Das umfassendste, unserem am nächsten kommende Verständnis ist das der Schulentwicklung und Kindertagespflege. Hier werden auch rahmensetzende Berufsgruppen aus der Hauswirtschaft, Haustechnik, Politik, Behörden, Verwaltung sowie Eltern und Betroffene zum multiprofessionellen Team gezählt [21], [22].

Hemmende Faktoren haben ihren Ursprung in der Praxis und entstehen meist aus mangelndem Wissen, kulturell vorgeformten und im Alltag reproduzierten Vorannahmen über andere Professionen [23], [24]. Sie können sich in Lehr-/Lernkontexten auf personaler, interpersonaler oder organisationaler Ebene auswirken. Auf personaler Ebene kann sich fehlende Anerkennung der eigenen professionellen Rolle in der Praxis und ein Mangel an berufsständischer Sicherheit nachteilig auswirken [25]. Fehlender Teamgeist, unterschiedliche Wissenskörper, Sprachen (in den Ingenieurwissenschaften wird zum Beispiel statt vom Stand der Forschung vom Stand der Technik gesprochen) und Denkweisen wirken sich auf interpersonaler Ebene hemmend aus [26], [27]. Dem gemeinsamen Lernen können unterschiedliche Arbeitsstile und Arbeitshaltungen, ein fehlender Abgleich von Erwartungen an Gruppenarbeit und fehlende Vereinbarungen über die Zusammenarbeit entgegenstehen [23]. Zum Teil bestehen Macht- und Deutungshierarchien zwischen einzelnen Professionen und der jeweils im Mittelpunkt stehenden Themen [8], [10]. Auf organisatorischer Ebene erschweren jeweils andere Aufgaben, Situationsverständnisse und Zieltätigkeiten [28], [29] die Zusammenarbeit.

Förderliche Faktoren für das multiprofessionelle Lehren und Lernen können auf personaler, organisatorischer und auf der Ebene gemeinsamer Lernprozesse wirksam werden. Auf personaler Ebene müssen die Heterogenität des individuellen Erfahrungswissens, der Ausbildungen und Berufssozialisationen bewusst und anschlussfähig gemacht werden. Dazu muss eine gemeinsame Sprache und ein offener Umgang miteinander gefunden werden, für den organisatorisch Zeit und Raum zur Verfügung stehen. Auf der Ebene gemeinsamer Lernprozesse geht es um die Vermittlung von Wissen über Aufgaben, Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten der beteiligten Professionen. Durch gegenseitiges Kennenlernen können falsche Vorannahmen korrigiert werden. Förderliche Faktoren der interprofessionellen Ausbildung liegen in den gemeinsamen positiven Lernerfahrungen, ermöglichen Erfahrungsaustausch, eliminieren Statusdifferenzen, bieten Reflexionsmöglichkeiten, bereiten auf kollaborative Zusammenarbeit vor und kultivieren diese [23], [16], [4], [6].

Aus den ermittelten Faktoren stellt sich die Frage, welche der förderlichen und hemmenden Faktoren auch für den Lehr-/Lernkontext von GB und NGB gelten und welche spezifischen hinzukommen können. Hier setzte die explorative Untersuchung an. Die Ergebnisse der Recherche dienen als Abgleich und zur Einordnung der Aussagen der Befragten. Die forschungsleitende Annahme für die Befragung war, dass zum einen ein Großteil der Förder- und Hemmfaktoren hier auch zutreffen und zum anderen einige Faktoren sich durch den erweiterten Beteiligtenkreis relativieren und neue hinzukommen.


2. Methode – qualitativ-explorative Befragung

Forschungslücke und Prozedur

Die qualitativ-explorative Befragung soll einen Beitrag zur Verringerung der Forschungslücke zum gemeinsamen Lernen von GB und NGB leisten, die sich in Versorgungskontexten auswirken sollen. Bisherige Forschungsansätze beziehen sich auf das gemeinsame bi- oder triprofessionelle Lernen von GB. Daher wurde für das gemeinsame Lernen dieser Berufsgruppen eine explorative, qualitative, schriftliche Befragung von Lehrenden entwickelt und vom 05.02.- 22.02.2015 durchgeführt. Der explorative Ansatz trägt den fehlenden spezifischen didaktischen Konzepten für dieses besondere Lernsetting Rechnung.

Stichprobe

Adressaten der Befragung waren die länger beschäftigten, langfristig im Studiengang eingeplanten Lehrenden (n=23), mit mindestens dreisemestriger Lehrerfahrung in diesem seit 2012 bestehendem Studiengang. Die Lehrenden wurden per Email angeschrieben.

Material

Ausgehend von der Literatur wurden den Lehrenden 6 offene Fragen schriftlich vorgelegt, die auf zentrale didaktische Fragen multiprofessioneller Lehre und Praxis Bezug nehmen. Sie unterteilen sich in je 3 Fragen zur Beschreibung des Phänomens Multiprofessionalität sowie zur Einschätzung der förderlichen und hemmenden Faktoren des Lehrens und Lernens. Zum Beispiel wurde gefragt: „In welchen Zusammenhängen erleben Sie in der Interaktion mit Studierenden deren unterschiedliche multiprofessionelle Hintergründe? Bitte nennen Sie Beispiele.“ und "Welche Situationen in der Lehre haben Sie erlebt, wo Multiprofessionalität gemeinsame Lernprozesse der Studierenden gefördert hat?"; analog wurde nach gehemmt gefragt. Die Frage nach konkreten Situationen erleichtert das Abrufen konkreter Erfahrungen. Die Lehrenden formulierten ihre Antworten auf die Fragen mit Beispielen in Satzform in der Wordvorlage aus und sendeten sie per Email zurück.

Analyse

Die Befragungsdaten wurden inhaltsanalytisch nach Mayring mittels der Technik der deduktiv zusammenfassenden Inhaltsanalyse ausgewertet [30], indem die Aussagen paraphrasiert und zu Kategorien kondensiert wurden. Als Synthese der aufbereiteten Daten werden im Folgenden dimensional zusammengefasste Anforderungen an ein didaktisches Konzept abgeleitet. Anforderungen, die als bedeutsam bewertet wurden, alle Professionen gleichermaßen zu fördern, ins Lerngeschehen zu integrieren und das Interesse Aller am gesamten Prozess zu erhalten. Die Darstellung der Ergebnisse erfolgt anhand der Indikatoren Besonderheiten, Bedingungsfaktoren und Barrieren.


3. Ausgewählte Ergebnisse

Nach einer Erinnerung zur Teilnahme an der Befragung betrug die Rücklaufquote 52%, das sind 12 Lehrende.

Die Lehrenden wurden vorweg gebeten, Angaben zur ihrer Profession zu machen. Einige ordneten sich mehreren Professionen zu, da sie über Doppelqualifikationen verfügen, so dass die Anzahl der Professionszuordnungen in Tabelle 1 [Tab. 1] größer ist als die der Befragten. Fünf der 12 Lehrenden ordneten sich insgesamt 13 unterschiedlichen Professionen zu und verfügen damit über eine „inhärente“ Multiprofessionalität.

Im Folgenden werden die besonderen Faktoren von Multiprofessionalität aus der Sicht der Lehrenden dargestellt, die didaktisch über die allgemeinen Einflussgrößen der Literatur hinausgehen.

3.1. „Differenziertes Vorwissen und berufliche Aufgaben: Langeweile bei hohem spezifischem Fachwissen“ - Besonderheiten multiprofessionellen Lehrens und Lernens (11 Nennungen von 7 Lehrenden)

Die Wahrnehmung und Beschreibung des Phänomens Multiprofessionalität zeichnet sich für einen Großteil der Lehrenden durch das zentrale Erfordernis aus, für alle Lernenden eine Balance zwischen Langeweile und der individuell spezifischen Fachexpertise zu finden und zwar mit Inhalten, die für alle Berufsfelder von Relevanz sind. Die Lehrenden betonen, dass unterschiedliche Wissenslevels zu unterschiedlichen Expertenrollen führen, die die Lehrenden didaktisch ins Lehrgeschehen einbinden müssen.

Diese unterschiedlichen Wissenslevels und heterogenen Relevanzbereiche werden zum Beispiel in unterschiedlichen inhaltlich relevanten Kategorien des Umgangs mit dem Phänomen Demenz sichtbar. Die Ergebnisse zeigen, dass Lernende professionseigene Kategorien zur sprachlichen Einordnung und Darstellung von Lerninhalten nutzen und formulieren je professionseigene Bewertungsmaßstäbe: „wenn eine Studierende aus der Pflegewissenschaft stammt, nutzt sie bei der Beschreibung des Beispiels zunächst Fachbegriffe und argumentiert mit den Konzepten aus ihrem fachlichen Hintergrund“ (Lehrender 6).

So sind die Studierenden je nach Lerninhalt mal Experten oder mal Novizen auf den einzelnen Wissensgebieten. Jede Profession hat im Studiengang systematisch beide Rollen, je nachdem welches Wissensgebiet im Fokus steht, wie tief und breit das berufliche Vorwissen ist. Dies beschreibt Lehrender 3 am folgenden Beispiel: „es gibt große Unterschiede im Wissen über und in der Offenheit gegenüber ökonomischen Denken und gegenüber technischen Lösungen zur Unterstützung der Versorgungsarbeit“. Dabei ist eine positive Haltung der Lernenden zu den einzelnen Lerninhalten erforderlich, die sich in einer Offenheit gegenüber fachfremdem Wissen und Begrifflichkeiten zeigt und auch Inhalte zulassen müssen, die für ihre Berufsgruppe nur am Rande unmittelbare Handlungsrelevanz hat. Zugleich müssen Lernende bei facheigenen Inhalten hinnehmen, ihre Wissenslevels „nur“ zu aktualisieren.

Die Multiprofessionalität von Lernenden zeigt sich in den Ergebnissen besonders in Unterschieden: Sie haben unterschiedliche Vorstellungen und Kompetenzen zum wissenschaftlichen Arbeiten und Berufsverständnis, ihre Arbeitsstile variieren hinsichtlich Selbstständigkeit, Recherchekompetenz, Aufbereitung von Inhalten sowie Präsentationstechniken. Bei allen professionsbezogen Unterschieden reicht die Bezugsgröße der Studierendenpopulation in der jeweiligen Kohorte von etwa 15 Studierenden nicht aus, um diese Differenzen eindeutig den Herkunftsdisziplinen zuzuordnen.

Als ein Ergebnis der Befragung zeigt sich, dass aus didaktischer Perspektive nach der Ansicht der Lehrenden einzelne Professionen im Lehr-/Lerngeschehen aktiviert werden können, indem spezifische professionsbezogene Anker als kognitive Anknüpfungspunkte gesetzt werden. Zum Beispiel wurde das PICOS Schema als professionsbezogener Anker für Medizin und Pflege und zum Teil Therapeuten bei forschungsbezogenen Themen von Lehrenden benannt. Außerhalb von Medizin und Pflege besteht in Nicht-Gesundheitsberufen aufgrund der professionsspezifischen Forschungslogik und der Komplexität von Forschungsfragen kein Anwendungsbedarf. Ein anderes Beispiel aus den Ergebnissen ist das Thema Beziehungsgestaltung, hier sind Beziehungsdynamik und frühkindliche Beziehungserfahrungen Anker für Psychologen, Pädagogen und Sozialarbeiter. Anker für Architekten und Ingenieure ist das social design. Je nach Lerninhalt können Lehrende und Lernende professionsspezifische Aspekte als Novizen oder als Experten thematisieren, diese mit den Berufsgruppen gemeinsam problembezogenen diskutieren und professionsspezifische Selbstverständlichkeiten externalisieren.

3.2. „Gemeinsames Verständnis entwickeln“ – förderliche Bedingungsfaktoren multiprofessionellen Lehrens und Lernens (9 Nennungen von 8 Lehrenden)

Nach Ansicht der Lehrenden ist es zur Förderung multiprofessioneller Lernprozesse wichtig, Möglichkeiten zu schaffen, dass die unterschiedlichen Studierenden ihr je berufsbezogenes individuelles Erfahrungs-, Handlungs- und Expertenwissen gezielt einbringen können, zum Beispiel „werden in Diskussionen während des Seminars für die meisten Studierenden gängige Konzepte aus der Pflege erwähnt. Studierende aus anderen Disziplinen fragen nach den Konzepten und möchten diese erklärt bekommen. Das Erklären hilft in der Situation allen, ein gemeinsames Verständnis des Konzepts zu entwickeln. Oft wird dabei deutlich, dass das scheinbar geteilte Grundverständnis doch nicht so eindeutig war“ (L6). Die eigene professionelle Expertise weiterzuentwickeln und dabei gleichzeitig mit anderen Perspektiven abzugleichen steht dabei im Vordergrund. Die Bearbeitung komplexer Problemstellungen und gemeinsame Projektarbeiten werden in den Ergebnissen dazu als besonders geeignet bewertet. Das gemeinsame Lernen wird ferner durch gezielt angeregten Rollenwechsel befördert, in dem Lernende mit ihrem Expertenwissen zu bestimmten Lerninhalten auch zu Lehrenden werden. Dabei geht es darum, Konzepte anderer Professionen zu kennen und für die eigene Problemsicht anschlussfähig zu machen sowie die Voraussetzungen, Folgen und Rahmenbedingungen des Handelns abzustecken. Ein weiteres Beispiel aus den Ergebnissen ist, dass Lehrende bei den Lerninhalten alle Perspektiven einholen und zum Abgleich und Erweiterung der Perspektiven unter den Lernenden anregen sollen. Ziel soll dabei sein, ein gemeinsames Verständnis des Lerninhaltes zu entwickeln.

3.3. „wie viel muss ich davon wissen, obwohl ich kein Architekt bin?“ – Barrieren multiprofessionellen Lehrens und Lernens (12 Nennungen von 11 Lehrenden)

Lehrende benennen gleichfalls Faktoren, die multiprofessionelle Lernprozesse schwierig gestalten können. Diese beziehen sich auf die bekannten Probleme, wenn es nicht gelingt, wechselseitigen Respekt und Vertrauen in das Können der Anderen herzustellen und Unterschiede in der Deutungsmacht, im Vertrauen, den Hierarchien und den Fachgebieten der jeweiligen Berufe nicht zu überbrücken sind. Gleichzeitig weisen drei Lehrende darauf hin, dass sich dies im Interaktionsgeschehen der Lerngruppe als weniger schwierig herausstellt als im Arbeitsalltag. Im Arbeitsalltag kommt es häufig eher zum Rückzug statt zum Suchen nach Anschlussfähigkeit. Daraus lässt sich ableiten, dass es oft es vom Berufsalltag der Studierenden abhängt und didaktisch durch die im Curriculum vorgesehenen Studienübungen nur schwer zu beeinflussen ist, ob die ökonomische Relevanz des Wissenserwerbs zum Interessenmaßstab wird anstatt der Beschreibung konkreter Aufgaben in der Versorgung.

Besonders die Zusammensetzung der Lerngruppe wird von den befragten Lehrenden als entscheidend angesehen: Vier Lehrende weisen auf die Bedeutung ungefährer quantitativer Gleichgewichte der Professionen in Lerngruppen hin. „Wenn die Mehrzahl der Studierenden aus einer Disziplin kommt und nur wenige Andere anderen Disziplinen angehören, wird es oft mühsam, Konzepte, die die Mehrheit schon kennt, einzelnen Studierenden aus anderen Disziplinen immer wieder zu erklären. Wenn viele Disziplinen vertreten sind, dann gibt es eine viel größere Bereitschaft sich auf neue und andere Konzepte einzulassen bzw. diese zu erklären. Dann besteht auch eher Konsens darüber, dass man voneinander lernen kann. Im ersten Falle entsteht eher der Eindruck, dass Einzelne „mitgezogen“ werden müssen“ (Beispiel Lehrender 6). Anders kann es bei Nicht-Grundlagenwissen dazu kommen, dass professionsspezifische Inhalte an die jeweilige Experten-Profession delegiert werden, in dem Sinne, dass jene dafür zuständig sind und die eigene Verantwortung hier aufhört. In Diskussionen oder Gruppenarbeitsphasen können Vorbehalte oder Besserwisserei Lernprozesse blockieren oder gar dazu führen, dass keine Einigung und kein gemeinsam getragenes Ergebnis zu Stande kommen. Letztlich können Lernprozesse verlangsamt werden, wenn ständig und erneut Abgrenzungen geklärt und Rollen ausgehandelt werden müssen.

Als ein Ergebnis der Befragung zeigt sich, dass Lehrende in solchen strukturell nicht veränderbaren Situationen, für die Gruppe akzeptable Regelungen und Ausgleichsmechanismen finden müssen. Hilfreich können aktivierende Lehr-Lernmethoden sein, die die Rolle Einzelner in Gruppenarbeitsphasen stärken. Neben der Berücksichtigung der Individualität spielt dabei eine Rolle, inwieweit es Lehrenden gelingt, die berufskulturelle Prägung der Lernenden in Rechnung zu stellen. Um eigenständig hemmende Faktoren abzumildern, müssen die Lernenden ein hohes Maß an Eigeninitiative realisieren können und die Lerninhalte bei allen Professionen Neugier wecken. Für diese besonderen Lernsituationen gibt es keine didaktischen Standardkonzepte.


4. Diskussion

Im Folgenden konzentrieren wir uns auf die förderlichen Faktoren des multiprofessionellen Lernens der GB und NBG (a&b) und diskutieren die damit einhergehenden didaktischen Implikationen für Projektstudien und Methoden für multiprofessionelle Lernsequenzen (c&d).

a) Aufbau und Abgleich gemeinsamer Wissensbestände

Der Aufbau eines gemeinsamen Wissensbestands ist durch professionseigene sprachliche Kategorien geprägt. Lehrende müssen herauszuarbeiten, dass z.B. Ökonomen und Architekten andere handlungsrelevante Kategorien zur Beschreibung des Phänomens Demenz heranziehen, als Pflegende und Mediziner. Implizite berufliche Selbstverständlichkeiten werden nach H.Garfinkels Ethnomethodologie jedoch erst bewusst, wenn andere im Argument dagegen verstoßen. Dazu geeignete kontrollierte „Verstöße“ gegen professionsspezifische Selbstverständlichkeiten gilt es nun herbeizuführen und für die Gruppe produktiv nutzbar zu machen.

Außerdem müssen diese Unterschiede wechselseitig verstehbar sein und gemeinsame Sinnverständnisse hergestellt werden. So steht für einen Architekten z.B. das Thema Orientierung im Raum im Vordergrund, für eine Pflegekraft der tägliche Umgang mit herausforderndem Verhalten. Die Zusammensetzung der Lerngruppe ist entscheidend. Trotz curricularer Festlegungen ist es im Vorhinein schwierig zu bestimmen, welche jeweiligen Berufs- und Erfahrungsfelder, Wissensbestände und Orientierungen die Lernenden als besonders zu beachtende Rahmenbedingungen mitbringen.

Es muss eine gemeinsame Wirklichkeitskonstruktion [15] als „gemeinsames Grenzobjekt des Verstehens“ [31] ausgehandelt werden. Dazu empfehlen sich lehrveranstaltungsvorbereitende Grundlagentexte für alle, weil ein Mediziner in der Regel kein Wissen im Studium über Bauplanung erworben hat. Die Arbeit mit Grundlagentexten wird durch das fehlende Grundlagenwissen vieler Professionen mit ihrem Erfahrungswissen gebrochen und unterscheidet sich elementar von Lernenden im Erststudium, so dass es hier als zentrale Methode für das gemeinsame Lernen produktiv genutzt werden kann. Die Breite und Tiefe der gemeinsamen Themenbearbeitung kann je nach Zusammensetzung der Lerngruppe unterschiedlich aussehen. Notwendigerweise ist im ersten Schritt ein gemeinsamer Wissenskörper aufzubauen, der die verschiedenen Perspektiven enthält und als unhinterfragte Steuerungskonzepte aktiv ins Bewusstsein ruft. Bei der Versorgung von MmD bezieht sich diese Anforderung auf GB und NGB, die damit befasst sind, wie MmD im Stadtviertel leben, wie Läden und Nachbarschaften einbezogen werden können, um zum Beispiel eine Selbstgefährdung auszuschließen.

b) Reflektiertes Erfahrungswissen und Rollenwechsel

Aus der Befragung der Lehrenden wurde hinsichtlich der fördernden Faktoren die Bedeutung des Rollenwechsel vom Lernenden zum Lehrenden und damit das Einbringen von über Reflexion bewusst gemachten Erfahrungswissen deutlich. Methodisch lässt sich dies über verunsichernde Fragen zum Lerninhalt und Begriffsverständnissen initiieren. Die Professionen werden permanent aufgefordert, ihre Fachexpertise als selbst wahrgenommenes Fremdbild zu beschreiben, welche Auswirkungen das eigene Handeln auf andere hat. Als Abgleich werden die betroffenen Professionen befragt [21], [22], welche konkreten Auswirkungen sie erleben und inwiefern beide Wahrnehmungen übereinstimmen. Außerdem lassen sich so dialogisch die individuellen sozialen Konstruktionen [15] als wechselseitige Voraussetzungen, Rahmenbedingungen und Folgen des jeweiligen Handelns herausarbeiten.

c) Besondere Bedeutung des Projektstudiums

Im Rahmen eines multiprofessionellen Projektstudiums lassen sich professionsbezogene Kategorien und Gemeinsamkeiten im Forschungsprozess aufzeigen [23], [32]. Das Projektstudium wird anhand des Forschungszyklus [33] strukturiert: Zunächst muss eine für alle Beteiligten bedeutsame Fragestellung entwickelt werden. Danach werden gemeinsame Problem- und Gegenstandsverständnisse auf der Basis eines gemeinsamen analytischen Orientierungsrahmens erarbeitet. Nach dem Abgleich der divergierenden Forschungsverständnisse, wird ein Forschungsdesign zur gemeinsamen Herangehensweise festgelegt. In der Projektarbeit können die Studierenden Problemlösungen aus verschiedenen Blickwinkeln diskutieren, anschlussfähige Umsetzungsstrategien entwickeln und erproben. Sie erwerben so Kompetenzen zur reflexiven Begründung professionsbezogener Arbeitsstile, Verfahrenstechniken (z.B. bei der Projektentwicklung) und der Zielbestimmung von Entwicklungsprojekten. Eine kontinuierliche, angeleitete Reflexion sollte daher das Projektstudium in allen Projektphasen begleiten. Der Wert des Projektstudiums liegt im Erlernen von wechselseitigen Abstimmungsprozessen und in der gemeinsamen Lösung, die idealerweise die Fachexpertisen der beteiligten Professionen repräsentieren [34]. Zudem wird praxisnah in einem realen Berufsumfeld die Bedeutung der Voraussetzungen und Folgen des Handelns anderer Professionen deutlich sowie die realen Kollaborationsbedingungen in Rechnung gestellt - im Gegensatz zum sonst alltagsentlasteten, multiprofessionellen Lernen.

d) Methoden für multiprofessionelle Lernsequenzen

Werden gängige Lehr-/Lernmethoden auf die Anforderungen zum Perspektivabgleich hin analysiert, eignen sich z.B. die multidisziplinäre kollegiale Beratung, Kreativitätstechniken, Planspiele, Podiumsdiskussionen oder multiperspektivische Fallstudien für multiprofessionelle Lernen. Projektarbeit, forschendes Lernen, Kreativitätstechniken, Podiumsdiskussionen, Planspiele, Fallstudien sollten daher im Methodenkoffer von Lehrenden in multiprofessionellen Lerngruppen vorhanden sein. Eine exemplarische Lernsequenz ist eine multiprofessionelle Podiumsdiskussion. In der Vorbereitung werden die einzelnen Perspektiven geschärft, Aufgaben und Verantwortlichkeiten ausgehandelt sowie Erwartungen und Zielvorstellungen ausgetauscht. In der Diskussion können Bedingungen des eigenen und Folgen für anderes Handeln bemerkbar werden. Professionsspezifische Sichtweisen und Selbstverständlichkeiten lassen sich in der Auswertung und Reflexion der Diskussion herausarbeiten. Ziel multiprofessioneller Lernsequenzen muss es sein, die Perspektiven der Lernenden zu erweitern und letztendlich die Kommunikation der individuellen sozialen Konstruktionen zu fördern.


5. Schlussfolgerungen

Für eine bedarfsgerechte Versorgung von MmD kommt es letztendlich auf das Erlernen einer systematischen multiprofessionellen Perspektivverschränkung an. Diese zeigt sich in der Berücksichtigung von Voraussetzungen und Rahmenbedingungen, die andere Berufsgruppen für das eigene Handeln erzeugen sowie in der Sensibilität und Wahrnehmung der Folgen des eigenen Handelns für andere. Für das multiprofessionelle Lernen steht somit als oberstes Lehrziel die Reflexion, dass Handeln immer in Bedingungen und Konsequenzen für andere eingebunden ist. Diese Prämisse ermöglicht, heterogene Berufsgruppen gemeinsam gewinnbringend zu qualifizieren und ein komplexes Verständnis problemorientierter Versorgung zu vermitteln. Nur wenn die Berufsgruppen ihr Berufsverständnis in gesellschaftlichen Tatsachen und Arbeitsbedingungen einbetten, können sie relevante Anforderungen in ihrem Berufsverständnis zusammenbringen.

Aufgrund der kleinen Fallzahl liegen Limitationen der Übertragbarkeit der didaktischen Ansätze auf andere Lehr-/Lernkontexte und Lehrende vor. Gleichwohl lassen sich Ansätze einzelner Methoden auch für weitere bi- oder triprofessionelle Lehr-/Lernkontexte einsetzen [23], [9], [11], [12], [35], [36], [37]. Jedoch beziehen sich die hier vorgestellten Konzeptbestandteile für multiprofessionelles Lehren und Lernen von GB und NGB, um zwischen diesen Gruppen ein umfassendes Verständnis der versorgungsrelevanten Gestaltungsanforderungen und Problemlösungen zu vermitteln [2].

Limitationen ergeben sich zudem durch den explorativen Charakter. Grundsätzlich liegen ähnliche Ergebnisse wie in multiprofessionellen Kontexten der Berufsgruppen eines Feldes vor. ABER hier kommen zusätzliche Herausforderungen wie die divergierenden professionellen Zugriffe auf das Phänomen Versorgung von MmD hinzu. Zudem müssen alle Professionen lernen, dass ihr Handeln im Berufsalltag nur als Verschränkung von personalen, organisationalen und gesamtgesellschaftlichen Anforderungen funktioniert. Sie müssen sich stets darauf einlassen, über die eigene Praxis hinaus in Versorgungskontexten und Handlungsketten zu denken und damit eine neues, erweitertes Berufsverständnis entwickeln.


Interessenkonflikt

Die Autoren erklären, dass sie keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


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