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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Famulatur in der hausärztlichen Versorgung: eine Querschnittsstudie zu Erwartungen und Erfahrungen von Medizinstudierenden

Forschungsarbeit Humanmedizin

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  • author Stephan Fuchs - Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Medizinische Fakultät, Sektion Allgemeinmedizin, Halle/Saale, Deutschland
  • corresponding author Andreas Klement - Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Medizinische Fakultät, Sektion Allgemeinmedizin, Halle/Saale, Deutschland
  • author Thomas Lichte - Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, Medizinische Fakultät, Institut für Allgemeinmedizin, Magdeburg, Deutschland
  • author Jens Abendroth - Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Medizinische Fakultät, Sektion Allgemeinmedizin, Halle/Saale, Deutschland

GMS Z Med Ausbild 2014;31(4):Doc44

doi: 10.3205/zma000936, urn:nbn:de:0183-zma0009366

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2014-31/zma000936.shtml

Eingereicht: 22. Mai 2014
Überarbeitet: 17. Juli 2014
Angenommen: 20. August 2014
Veröffentlicht: 17. November 2014

© 2014 Fuchs et al.
Dieser Artikel ist ein Open Access-Artikel und steht unter den Creative Commons Lizenzbedingungen (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.de). Er darf vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden, vorausgesetzt dass Autor und Quelle genannt werden.


Zusammenfassung

Einleitung: Mit Novellierung der Approbationsordnung für Ärzte 2012 wurde eine vier wöchige Famulatur in der hausärztlichen Versorgung (FHV) obligatorisch. Wir untersuchten daher mit welchen Erwartungen Studierende die FHV beginnen, nach welchen Kriterien FHV-Plätze ausgesucht und welche Erfahrungen in der FHV gemacht werden.

Methode: In einer Querschnittserhebung wurden alle Medizinstudierenden des dritten Studienjahres der beiden medizinischen Fakultäten in Sachsen-Anhalt in 2013 zu Erwartungen und Erfahrungen bezüglich FHV befragt. Dieses war der letzte Jahrgang, in dem die FHV fakultativ absolviert werden konnte. Erfragt wurden 29 Items zu 6 Themenkomplexen (Person, FHV-Ortsauswahl, FHV-Praxisauswahl, Erwartungen, Erfahrungen, Fachgebietswahl).

Ergebnisse: Von 446 Studierenden antworteten N=424 (Rücklauf 95,1%; davon weiblich 61,8%). Hiervon hatten 71 (16,7%) die FHV absolviert und 70 (16,5%) planten diese, weitere 267 (63%) hatten (noch) keine FHV geplant. Wohnort der Eltern, persönliche Empfehlung der Famulaturpraxis und Attraktivität der Region waren die wichtigsten Auswahlkriterien für den Famulaturort. Nach der FHV spiegelten sich in den Erfahrungen der Studierenden die Lernziele in ähnlicher Reihenfolge und Gewichtung wie in der Erwartungen der Studierenden mit geplanter FHV oder (noch) ohne geplante FHV. Ein relevanter Einfluss der FHV auf die Bestärkung einer Fachgebietswahl für Allgemeinmedizin oder die ambulante Versorgung wurde von den Absolventen der FHV nicht angegeben.

Zusammenfassung: Die FHV wird nach Ort und Praxis nach persönlichen Kriterien ausgewählt und mit priorisierten Lernzielen verbunden. Die häufigsten Lernziele werden nach FHV auch als gemachte „Erfahrung“ aus Sicht der Studierenden angegeben. Die FHV wirkt jedoch nicht bestärkend auf die Fachgebietswahl für Allgemeinmedizin.

Schlüsselwörter: Allgemeinmedizin, Famulatur, Hausärztliche Versorgung, Erwartungen, Erfahrungen


Einleitung

Die Sicherung hausärztlicher Versorgung der Bevölkerung durch Nachwuchsförderung und -gewinnung wird zunehmend als staatliche Aufgabe im Rahmen der Daseinsvorsorge wahrgenommen und von der Legislative entsprechend einschlägiger Empfehlungen auch an die Hochschulen weitergegeben [1]. Für eine Einflussnahme auf die Fachgebietswahl über Veränderungen in der medizinischen Ausbildung sprechen Belege, dass Struktur- und Prozessmerkmale der medizinischen Ausbildung (u.a. Zeitpunkte, -dauer und Intensität der Kontakte mit Primärversorgung) für eine spätere Fachgebietswahl in der ambulanten ärztlichen Versorgung bedeutend sind [2]. Mit Novellierung der Ärztlichen Approbationsordnung vom 24.07.2012 müssen nun Studierende der Humanmedizin im klinischen Studienabschnitt (bei Anmeldung zum 2. Abschnitt der ärztlichen Prüfung nach dem 10.06.2015) eine 4-wöchige Famulatur in „einer Einrichtung der hausärztlichen Versorgung“ (FHV) nachweisen. Diese kann in Praxen von Allgemeinärzten, Internisten ohne Schwerpunkt oder Kinderärzten absolviert werden.

Nach den Erwartungen der Gesundheitsadministration soll diese sog. `Pflichtfamulatur´ die „(…)Nachwuchsgewinnung fördern und die Allgemeinmedizin stärken“. Neben dem Einfluss des Studiums gibt es jedoch bereits eine ganze Reihe weiterer gut untersuchter Prädiktoren für die spätere Fachgebietswahl: neben soziodemographischen (u.a. Geschlecht) und berufsbezogenen Faktoren (u.a. Berufsausübungsbedingungen) [2] sind dies beruflicher Anspruch [3], [4], [5], individuelle Lebensplanung, geographische Herkunft, familiäre Bindung [6], [7], Kinder [3], [6], Möglichkeit zur Teilzeittätigkeit, Mentoring-Programme [8], Praxisform [5] und Vereinbarkeit von Familie und Arztberuf [5], [6], [9].

Eine mögliche Beeinflussung oder Wechselwirkung zwischen FHV und Fachgebietswahl ist bisher in Deutschland wenig untersucht worden. Entsprechend fraglich ist, ob durch die FHV mögliche Ablehnungsgründe gegenüber einer hausärztlichen Fachgebietswahl positiv beeinflusst werden können: gefühlte zu geringe berufliche Anerkennung [5], vermutetes niedriges Einkommen [4], angenommene hohe administrative Belastung [3], [5], gefürchtete Regressgefahren [5] und vermeintlich geringe berufliche Selbstbestimmung [3].

Daher untersuchten wir am letzten Jahrgang, für den die FHV noch nicht obligatorisch ist und die deshalb noch als „Ausgangsdaten“ vor Inkrafttreten der „Pflichtfamulatur“ gelten könnten, mit welchen Erwartungen, Lernzielen und Kriterien zur Praxisauswahl die Studierenden an die FHV herantreten und ob nach der FHV die Absolventen eine Bestärkung einer Fachgebietswahl für Allgemeinmedizin oder die ambulante ärztliche Versorgung angeben.


Methodik

Durchgeführt wurde eine Querschnittsstudie mittels standardisierten Fragenbogen an allen Medizinstudierenden in obligatorischen Lehrveranstaltungen des dritten Studienjahres an den Universitäten Halle und Magdeburg im Juli 2013. Es wurden 29 Items zu 6 Skalen (Person, Famulatur, Erfahrungen & Erwartungen, erreichte / erwartete Lernziele, Kriterien zum Ort der Famulatur, Einfluss der Famulatur auf die Fachgebietswahl) mittels single-choice, multiple-choice oder bipolarer Likert – Ratingskala (1=volle Zustimmung bis 6=volle Ablehnung) erfragt. Die „erwarteten Lernziele“ beschreiben dabei Kompetenzen, die sich Medizinstudierende von einer geplanten oder (noch) nicht absolvierten FHV erhoffen, bzw. die von Studierenden von einer FHV erwartet werden, auch wenn diese von ihnen derzeit (noch) nicht geplant wird. Die „erreichten Lernziele“ beinhalten die subjektiv von Studierenden erworbenen Kompetenzen nach absolvierter FHV. Nicht eindeutige Angaben zum Famulaturstatus (n=16) führten zur Nichtbetrachtung der Aussagen des jeweiligen Studierenden. Studierende mit nicht absolvierter FHV (geplant bzw. (noch) nicht geplant) werden getrennt beschrieben. Die statistische Bearbeitung mittels SPSS.22 erfolgte deskriptiv für Mittelwerte, Standardabweichungen und Odds-Ratios mit 95%-Konfidenzintervall. Mittelwertunterschiede wurden mittels t-Test und Signifikanzniveaus der Odds-Ratios mittels logistischer Regression geprüft.


Ergebnisse

Die Auswertung umfasste 424 Fragebögen von insgesamt 446 befragten Studierenden (Rücklauf 95,1%). Aufgrund sehr ähnlicher soziodemographischer Stichproben-zusammensetzung und Antwortverhalten wurden die Kohorten Halle und Magdeburg zu einer Stichprobe zusammengefasst. Die Geschlechts- und Altersverteilung entsprechen den zu erwartenden Werten für ein drittes Studienjahr in Deutschland, auch im Hinblick auf einen Anteil von 11% Studierender „höherer Semester“ infolge Quereinstieges oder prüfungs-bedingter Verzögerungen im Studienverlauf. Auffällig ist jedoch der relativ geringe Anteil von Studierenden mit bereits erfolgter bzw. bereits geplanter FHV von insgesamt etwa 30% unter allen Antwortenden (siehe Tabelle 1 [Tab. 1]).

Die menschliche und fachliche Eignung des Lehrarztes, Teamklima in der Lehrpraxis, breites Patientenspektrum und gute Erreichbarkeit zählen sowohl zu den wichtigsten Erwartungen bzw. Erfahrungen der Studierenden. Übernachtungsmöglichkeiten am Famulaturort sowie Fahrkostenerstattungen waren für Studierende mit durchgeführter FHV weniger wichtig und wurden auch von beiden Gruppen Studierender (noch) ohne FHV seltener erwartet.

Die Lernziele Ärztliche Gesprächsführung, Untersuchungstechniken, Anamneseerhebung sowie die Langzeitbetreuung chronisch Kranker wurden in der FHV häufig kennen gelernt. Diese Erwartungen hatten in ähnlicher Rangordnung auch Studenten, welche die FHV (noch) nicht absolviert hatten. Arbeitsmanagement und betriebswirtschaftliche Praxisführung wurden dagegen seltener kennengelernt und auch seltener erwartet. Es fällt auf, dass in beiden Gruppen der Studierenden (noch) ohne FHV die erwarteten Lernziele überwiegend höher gewichtet werden als die von den Studierenden nach absolvierter FHV angegebene „erfahrene“ Lehre. Auffällig ist besonders der Unterschied zwischen Erwartungen und Erfahrungen beim Lernziel „Auswertung und Interpretation von Befunden“, das deutlich häufiger erwartet (MW 1,63; SD 0,85) als in der Praxis als Lernziel „erfahren“ (MW 2,49; SD 1,26) wurde.

Hinsichtlich der Kriterien zur Auswahl von FHV-Praxis und -Ort war den Studierenden mit und ohne absolvierte FHV die Nähe zum elterlichen Wohnort und die Empfehlung der Lehrpraxis am Wichtigsten. Die Nähe zum Studienort sowie Famulaturbörsen bzw. die Vermittlung durch universitäre Institutionen hatten für die Studierender aller drei Gruppen keine große Bedeutung (siehe Tabelle 2 [Tab. 2]).

Zur Bedeutung der FHV für die spätere Fachgebietswahl zeigten sich durchgängig nur mäßige Zustimmungswerte ohne wesentliche Unterschiede zwischen Studierenden mit absolvierter FHV bzw. (noch) ohne geplante FHV. Insgesamt hat die absolvierte FHV die befragten Studierenden nach FHV nicht in der Entscheidung für das Fach Allgemeinmedizin (MW 3,89; SD 1,66) oder ein anderes Fachgebiet in der ambulanten Versorgung (MW 3,28; SD 1,69) bestärkt. Ebenso erwarten Studierende mit geplanter bzw. (noch) ohne geplante FHV in ähnlicher Ausprägung nicht, dass sie durch eine FHV in der Fachgebietswahl für Allgemeinmedizin oder ein anderes Fach der ambulanten Versorgung bestärkt werden würden (siehe Tabelle 3 [Tab. 3]).

In Betrachtung der möglichen Prädiktoren für die spätere Fachgebietswahl (für Allgemeinmedizin oder ein anderes Fachgebiet der ambulanten ärztlichen Versorgung) unter den Studierenden mit bereits absolvierter FHV (n=71) finden sich nur Tendenzen in Abhängigkeit von z.B. den unabhängigen Variablen Alter, Geschlecht und Studienort. Keine dieser Tendenzen erreicht jedoch infolge kleiner Stichprobengröße und breiter Varianz das Niveau statistischer Signifikanz. Im Folgenden werden einzelne Tendenzen trotz fehlender statistischer Signifikanz aufgezeigt, weil sie in vorangegangenen Untersuchungen zu den Effekten allgemeinmedizinischer Lehre auf die Fachgebietswahl eine wichtige Rolle spielten: So weisen weibliche Absolventen der FHV eine 33% höhere Chance für eine Fachgebietswahl Allgemeinmedizin bzw. eine 115% höhere Chance in einem anderen Fachgebiet der ambulanten Versorgung tägig zu werden als Männer. Auch Studierende jenseits des 23ten Lebensjahres weisen eine um 22% höhere Chance zur Fachgebietswahl Allgemeinmedizin auf als jüngere Studierende. Der Studienort Halle erhöht die Chance zur Fachgebietswahl Allgemeinmedizin um 84%, jedoch nicht für andere Fachgebiete der ambulanten ärztlichen Versorgung (siehe Tabelle 4 [Tab. 4]).


Diskussion

Eine Famulatur in der hausärztlichen Versorgung (FHV) ist von Seiten der Studierenden mit einer geplanten FHV mit realistisch priorisierten Erwartungen verbunden. Erfahrungen der Studierenden nach absolvierter FHV zeigen, dass diese häufig erfüllt wurden. Dennoch findet sich kein Hinweis auf eine hierdurch bestärkte Entscheidung zu einer Fachgebietswahl für Allgemeinmedizin oder für andere ambulant versorgende Fachgebiete durch die FHV.

Die Erwartungen und Erfahrungen der Studierenden zur FHV stimmen weitgehend mit anderen Untersuchungen zum Blockpraktikum Allgemeinmedizin (BPAM) überein [10]. Es ist erfreulich, dass Studierende eine realistische Priorisierung von Lernzielen für die FHV aufweisen. Erstaunlich ist aber, dass Mittelwerte und Reihenfolge der einzelnen Erwartungen bzw. Erfahrungen nach einer FHV und vor einer geplanten FHV bzw. auch ohne geplante FHV sehr ähnlich sind. Denn aufgrund der in Halle und Magdeburg (wie an den meisten deutschen Fakultäten) später platzierten BPAM und Hauptvorlesung stellt die FHV den ersten Berührungspunkt mit Allgemeinmedizin und „ambulanter Versorgung“ dar. Umso bedeutsamer ist daher die Funktion der Lehrärzte in dieser Ausbildungsphase, die sie trotz wenig standardisierter Bedingungen überwiegend zu erfüllen scheinen [10], [11].

Die 1:1-Betreuung der Studierenden in der Praxis verlangt von Lehrärzten Ressourcen zur Vorbereitung (u.a. Abfrage von Erwartungen und Lernzielen), Durchführung (u.a. Fallbesprechungen, Instruktion zu Untersuchungen und Befundauswertung) und Nachbereitung (u.a. Feedback und Reflexion der Erfahrungen), welche aktuell nicht (flächendeckend) vergütet oder ausreichend strukturell unterstützt werden. Damit zukünftig ca. 8000 Famulaturen pro Jahr in ausreichend geschulten und motivierten Lehrpraxen durchgeführt werden können, sind daher Förderungs- und Motivationsinstrumente für Lehrärzte notwendig um schließlich Studierende für das Fach und den Versorgungsbereich zu gewinnen [2], [12], [10], [13].

Die von den Studierenden vor einer geplanten FHV erwarteten und nach einer absolvierten FHV subjektiv erfahrenen Lernziele wurden mit einer leichten Tendenz zur „höheren Erwartung“ besonders im Hinblick auf die vier wichtigsten Lernziele bewertet: Ärztliches Gespräch, Anamneseerhebung, körperliche Untersuchungstechniken und Befundbewertung. Möglicherweise deutet dies auf die Gefahr eines gewissen „Praxisdämpfers“ hin, denn nicht immer ist im Praxisalltag ausreichender Raum für Gespräche, Fallbesprechungen mit Befundbewertung und Vermittlung komplexer Kompetenzen [11]. Doch gerade zur Entwicklung von komplexen Kompetenzen benötigen die Studierenden einen geschützten Raum zur aktiven und supervidierten Teilhabe an Arzt-Patienten-Kontakten [14]. Möglicherweise könnte hier durch Nutzung eines „Famulatur-Logbuch“ die Kommunikation zwischen Studierenden und Lehrärzten hinsichtlich des Kompetenzerwerbs weiter verbessert und Lehrinhalte etwas standardisierter vermittelt werden [15].

Auch die Wahl des „richtigen“ Famulatur-Zeitpunktes bestimmt möglicherweise Erwartungen und Erfahrungen mit, mangelnde „praktische“ Fertigkeiten und klinische Erfahrung am Anfang des klinischen Studienabschnittes könnten sowohl zu allzu unkritischer Übernahme von „Erfahrungswissen“ wie zu unrealistischen Erwartungshaltungen der Studierenden führen: für Lehrärzte stellt dies eine große Herausforderung dar. Wenngleich allgemeinmedizinische Ausbildungsabschnitte im dritten und vierten Studienjahr bereits mit der Fachgebietswahl für Allgemeinmedizin positiv korrelieren, gilt es also - im Hinblick auf den gewünschten Effekt der FHV auf „Nachwuchsgewinnung“ - zukünftig die studentischen Vorerfahrungen aus der FHV effektiv in bestehende Lehre zu integrieren um Redundanzen zu vermeiden und mögliche Perspektivfehler zu korrigieren [16], [17].

Da die Studierenden meist am elterlichen Wohnort ihre Famulaturen absolvierten, spielten Unterbringung und Fahrkostenerstattung eine untergeordnete Rolle bei der Wahl des FHV-Ortes. Famulaturbörsen, wie z. B. auf der Homepage der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (http://www.degam.de), die sich zum Befragungszeitpunkt noch im Aufbau befanden, wurden von den Studierenden selten als Entscheidungshilfe für den FHV-Ort genutzt , was sich bei zukünftig stärkerer Nachfrage nach FHV-Praxen jedoch ändern könnte.

Eine positive Beeinflussung der Fachgebietswahl Allgemeinmedizin durch die absolvierte FHV lässt sich aus unseren Daten nicht ableiten. Dies steht im Widerspruch zu Studien zu anderen allgemeinmedizinischen Lehrveranstaltungen, allerdings ist die FHV auch keine formalisierte „geplante“ curriculare Lehre und die Koordinationsstellen allgemeinmedizinischer Hochschullehre an den Universitäten haben keinerlei formale Auswahl- oder Interventionsmöglichkeiten bezüglich der FHV-Praxen [10], [13], [18].

Vermutungen und Vorurteile der Studierenden zum Fach Allgemeinmedizin (z.B. Bürokratielast, Regressgefahren, mangelndes fachliches Ansehen) bilden gut beschriebene motivationale Barrieren für die Fachgebietswahl [16]. Umso wichtiger ist es, in der FHV realistische Vorstellungen durch positive menschlich und fachlich überzeugende Vorbilder zu gewinnen [19], [20], [21].

Die Neigung zur Fachgebietswahl Allgemeinmedizin nimmt bekanntlich im Verlauf des Studiums ab, was der Konkurrenz zu anderen klinischen Fachgebieten zugeschrieben wird [2]. Eine gegenläufige Motivationssteigerung könnte möglicherweise durch früher einsetzende, langfristig angelegte und supervidierte und schließlich in den Gesamtverlauf des Medizincurriculums eingebettete Lehrveranstaltungen/Praktika in der Allgemeinmedizin bzw. im ambulanten Versorgungssektor erwartet werden. Auch in diesem Zusammenhang sollten daher die Erwartungen, Vorkenntnisse und Erfahrungen der Studierenden im Hinblick auf die FHV systematisch integriert werden [15], [18], [22].

Übereinstimmend mit anderen Untersuchungen zeigte sich in unserer Befragung eine Tendenz weiblicher und älterer Studierender sich für eine Fachgebietswahl in der ambulanten Versorgung, insbesondere der Allgemeinmedizin zu entscheiden. Dieses könnte möglicherweise an erwarteten familienfreundlichen Arbeitszeit- und Beschäftigungsmodellen liegen [2], [12], [14]. Die tendenzielle Bedeutung des Studienorts für die Neigung zur Fachgebietswahl Allgemeinmedizin wurde als Faktor der „Institutionalisierung“ bereits für bayrische Hochschulstandorte beschrieben: je präsenter und überzeugender die Lehre eines Faches im Studium – umso eher wird dies bei der Fachgebietswahl erwogen [23].

Stärken und Schwächen:

Unsere Befragung ist repräsentativ für Sachsen-Anhalt, als dem Bundesland mit der niedrigsten Arztdichte pro Fläche und pro Kopf der Bevölkerung. Nicht jedoch für ganz Deutschland, da lediglich 5% aller Medizinstudierenden erfasst wurden. Insbesondere könnten unterschiedliche Herkunftsregionen der Studierenden eine Verzerrung der Ergebnisse verursacht haben. Vermutlich gibt es Einstellungsveränderungen zum Fach Allgemeinmedizin zwischen Studierenden mit und ohne absolvierte FHV (bzw. später durchgeführter FHV), die wir infolge mangelnder Stichprobengröße und Querschnittscharakter der Erhebung nicht aufdecken konnten. Nicht eindeutige Angaben zum Famulaturstatus erschwerten die Auswertung durch Fallzahlminderung zusätzlich. Der Erhebungszeitpunkt unter Studierenden am Ende des dritten Studienjahres im Juli 2013, bildet eine weitere mögliche Verzerrungsquelle, denn diese hatten nach dem Physikum nur enge Zeitfenster für eine FHV zur Verfügung. . Inwiefern eine „(noch) nicht geplante FHV“ bedeutet, dass diese auch in der Zukunft nicht erwogen wird, haben wir nicht gesondert erfragt. Im Hinblick auf Fragen zur Fachgebietswahl betrachtet unsere Befragung eine Population, deren Entscheidungen hierzu häufig noch nicht feststehen, mutmaßlich noch durch zukünftige Ereignisse veränderlich sind und unsere Fragen hierzu demnach einen eher hypothetischen Charakter haben [24].

Zukünftig und in höheren Studienjahren wird der Anteil absolvierter FHV ansteigen und möglicherweise Veränderungen im Antwortverhalten auch im Hinblick auf die Fachgebietswahl nach sich ziehen. Insbesondere ist dies zu erwarten, wenn auch diejenigen Studierenden erfasst werden, für die eine FHV verpflichtend werden wird, was dann an einer größeren repräsentativen Stichprobe längsschnittlich mit möglichst validierten Instrumenten überprüft werden sollte.


Schlussfolgerungen

Die FHV zeigt bisher keine nachweisbaren Effekte auf die spätere Fachgebietswahl von Studierenden. Wirkungen von Lehrarztschulungen, Logbüchern und systematischer Evaluation in der FHV sollten zukünftig ebenso wie die Frage nach einer aufwandsgerechten Lehrarztvergütung und Steuerung durch die Universitäten besonders im Hinblick auf die Beeinflussung der Fachgebietswahl längsschnittlich untersucht werden.


Interessenkonflikt

Die Autoren erklären, dass sie keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


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