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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Integratives fallbezogenes Lernen aus Sicht zahnmedizinischer Absolventen in Bezug auf spätere Berufsanforderungen

Forschungsarbeit Zahnmedizin

  • corresponding author Philip L. Keeve - Universität Witten/Herdecke, Fakultät für Gesundheit, Department Zahnmedizin, Abteilung für Parodontologie, Witten, Deutschland
  • Ute Gerhards - Universität Witten/Herdecke, Fakultät für Gesundheit, Department Zahnmedizin, Abteilung für Zahnerhaltung und Präventive Zahnmedizin, Witten, Deutschland
  • Wolfgang A. Arnold - Universität Witten/Herdecke, Fakultät für Gesundheit, Department Zahnmedizin, Abteilung für Kraniofaziale Anatomie, Witten, Deutschland
  • Stefan Zimmer - Universität Witten/Herdecke, Fakultät für Gesundheit, Department Zahnmedizin, Abteilung für Zahnerhaltung und Präventive Zahnmedizin, Witten, Deutschland
  • Axel Zöllner - Universität Witten/Herdecke, Fakultät für Gesundheit, Department Zahnmedizin, Abteilung für Zahnärztliche Prothetik und Dentale Technologie, Witten, Deutschland

GMS Z Med Ausbild 2012;29(4):Doc54

doi: 10.3205/zma000824, urn:nbn:de:0183-zma0008243

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2012-29/zma000824.shtml

Eingereicht: 17. Januar 2012
Überarbeitet: 8. März 2012
Angenommen: 19. April 2012
Veröffentlicht: 8. August 2012

© 2012 Keeve et al.
Dieser Artikel ist ein Open Access-Artikel und steht unter den Creative Commons Lizenzbedingungen (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.de). Er darf vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden, vorausgesetzt dass Autor und Quelle genannt werden.


Zusammenfassung

Einführung: Das fallbezogene und patientenorientierte Studium nimmt eine Schlüsselstellung in der Ausbildung von Human- und Zahnmedizinern ein. Ziel dieser Studie war es zu prüfen, ob Studierende durch ein integratives fallbezogenes Curriculum in bestimmten Schlüsselkompetenzen den späteren Berufsanforderungen entsprechend vorbereitet werden.

Methodik: Von 407 Absolventen eines integrativen Zahnmedizinstudiums mit fallbezogenen Lerninhalten, die ihre Ausbildung erfolgreich zwischen 1990 und 2006 abschlossen, wurden 404 Absolventen zwischen 2007 und 2008 anhand eines standardisierten Fragebogens zu neun Schlüsselkompetenzen befragt. Die Schlüsselkompetenzen wurden auf einer 6-Punkte-Likert Skala bezüglich der „Vermittlung und Förderung während des Studiums“ und „Anforderungen im Berufsleben“ bewertet. Die statistische Darstellung der numerischen Variablen erfolgte durch Mittelwerte ± Standardabweichungen. Aus der Subtraktion der beiden Bewertungsskalen (Mittelwert-Differenzen ∆) konnte eine Aussage über die Suffizienz der Ausbildung (negative Mittelwert-Differenz ∆ als Kompetenzdefizit; positive Mittelwert-Differenz ∆ als Kompetenzüberschuss) getroffen werden. Statische Signifikanzen wurden durch den Spearman Rangkorrelationskoeffizienten bestimmt (Statistische Signifikanz bei einem p-Wert < 0.05).

Ergebnisse: Die Rücklaufquote lag bei 41.6% (n=168 Absolventen). Eine homogene Verteilung der Daten konnte bezüglich Geschlecht, Abschlussjahrgang, Berufserfahrung und durchschnittlicher Abschlussnote erreicht werden.

Schlüsselkompetenzen wie „Forschungskompetenz“ (∆+0.6), „Interdisziplinäres Denken“ (∆+0.47), „(zahn-)medizinisches Fachwissen“ (∆+0.43), „praktisch zahnärztliche Tätigkeiten“ (∆+0.21), „Teamarbeit“ (∆+0.16) und „Selbstständiges Lernen/Arbeiten“ (∆+0.08) wurden den Berufsanforderungen entsprechend gefördert, wohingegen „Problemlösungs-/Analytische Fähigkeiten“ (∆-0.07), „Psychosoziale Kompetenz“ (∆-0.66) und „Betriebswirtschaftliche Kenntnisse“ (∆-2.86) Kompetenzdefizite aufwiesen.

Diskussion: Das integrative fallbezogene Studium bewährte sich in fast allen Schlüsselkompetenzen bezüglich der Vorbereitung auf das Berufsleben. Die psychosozialen und betriebswirtschaftlichen Kompetenzen bedürfen jedoch einer wesentlichen Verbesserung in zukünftigen curriculären Entwicklungsprozessen.

Schlüsselwörter: Zahnmedizinische Ausbildung, Selbsteinschätzung, fallbezogenes Lernen, Schlüsselkompetenzen


Einleitung

Die herkömmlichen Methoden der zahnmedizinischen Ausbildung vermitteln die Fähigkeiten für das spätere Berufsleben nicht in fallbezogenen, sondern in fachbezogenen Curricula [1], [2]. Die Effektivität dieser konventionellen Methoden muss bei dem Ziel, Absolventen mit einem möglichst breiten Spektrum an zahnmedizinischen Kompetenzen in das Berufsleben zu entlassen, in Frage gestellt werden [3].

Im Wandel des Zahnarztberufes zum Arzt für Mund-, Kiefer- und Zahnheilkunde muss die zahnmedizinische Ausbildung auf die dafür notwendigen Lernerfolge und Schlüsselkompetenzen fokussieren [2].

Im Bericht des IOM (Institute of Medicine) [4] wird empfohlen, den zahnmedizinischen Studiengang eher generalistisch als spezialisiert zu gliedern, eine Patienten-bezogene anstatt Studenten-bezogenen Ausbildung zu etablieren und eine kontinuierliche Ausbildung am Patienten ohne zeitliche Aufgliederungen zu gewährleisten. Das fallbezogene Lernen soll mit dem Berufsalltag im Kontext stehende Fragestellungen und Kompetenzen erarbeiten und vermitteln. Dabei sollen das Lernverhalten und die Kompetenzakquise der Studierenden angeregt und mittels klinischer Fallbeispiele unterstützt werden [5], [6]. Diese Studie beschäftigt sich mit einem Patienten-bezogenen, fallbezogenen Studium der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde. Das Curriculum basiert auf mehreren Säulen: einer umfangreichen biowissenschaftlich-medizinischen Grundlage, einer vollständig integrierten und interdisziplinären präklinischen Ausbildung, einer medizinisch klinischen Ausbildung in Theorie und Praxis und einer außerordentlich umfangreichen zahnmedizinischen Ausbildung mit dem Fokus auf klinische Fähigkeiten und Kompetenzen, aber auch auf Fachwissen, auch in möglichen späteren Spezialisierungsbereichen. Das Curriculum ist ganzheitlich aufgestellt und beinhaltet im integrativen Konzept fast alle zahnärztlichen Fachbereiche wie Konservierende Zahnheilkunde, Parodontologie, Zahnärztliche Prothetik, Zahnärztliche Behindertenbehandlung und Alterszahnmedizin. Einzelne Behandlungsschritte werden von Studierenden selbstverantwortlich durchgeführt. Medizinisches und zahnmedizinisches Fachwissen und der klinische Umgang mit diesem Wissen werden in theoretischen und praktischen Modulen kombiniert und im Sinne einer Lernspirale mit aufsteigendem Schwierigkeitsgrad wiederholend vermittelt. Die Patientenbehandlung und die medizinische Grundversorgung gelten dabei als die wichtigsten Ansätze des klinischen integrierten und fallbezogenen Kurses.

Die Selbsteinschätzung von Absolventen gilt als eine Möglichkeit, die Effektivität einer zahnmedizinischen Ausbildung zu überprüfen. Hier werden Schlüsselkompetenzen, Vor- und Nachteile des Curriculums und die damit verbundene Bedeutung für das spätere Berufsleben durch Absolventen evaluiert [3], [7], [8], [9], [10], [11], [12], [13], [14].

Mittlerweile gibt es solche Studien in der medizinischen Ausbildung [15], doch bis heute konnte keine Studie zeigen, inwiefern eine fallbezogene, integrative zahnmedizinische Ausbildung unter Berücksichtigung der Selbsteinschätzungen von Absolventen den Ausbildungszielen für den Berufsalltag, der Förderung von Schlüsselkompetenzen und den späteren Berufsanforderungen in diesen Schlüsselkompetenzen gerecht wird. Wir vermuten, dass ein fallbezogenes Curriculum das selbstständige Lernen und Arbeiten der Studierenden fördert und eine gleichwertige oder verbesserte Vorbereitung in Schlüsselkompetenzen gegenüber den entsprechenden späteren Berufsanforderungen liefert.

Der primäre Endpunkt dieser Studie war es, durch Absolventen des fallbezogenen Curriculums zu überprüfen, ob neun Schlüsselkompetenzen den späteren Berufsanforderungen entsprechend vermittelt worden sind. Als sekundärer Endpunkt wurde durch Absolventenselbsteinschätzungen beurteilt, wie bestimmte Schlüsselkompetenzen während der fallbezogenen, integrativen zahnmedizinischen Ausbildung gefördert wurden und inwieweit diese Vorbereitungen auf den Berufsalltag ausreichend waren.


Material und Methoden

Studienpopulation

Im Rahmen einer standarisierten Untersuchung in Anlehnung an das unabhängige Centre of Higher Education Development (CHE, Deutschland) wurden 404 Absolventen, die zwischen 1990 und 2006 das Patienten-bezogene, fallbezogene zahnmedizinische Curriculum (Universität Witten/Herdecke, Deutschland) erfolgreich abgeschlossen hatten, befragt [15], [16].

Zwischen 2007 und 2008 wurden 404 von 407 Absolventen (aufgrund fehlender Adressdaten im Alumni-Almanach für 3 Absolventen) mittels Post und E-Mail kontaktiert. Die gewünschte Rücklaufquote konnte mit einem Reminderverfahren, welches zwei postalische Zustellungen und vier E-Mail-Zustellungen nach einem bestimmten Zeitschema beinhaltete, erreicht werden. Eine anonymisierte Codierung jedes Absolventen verhinderte Mehrfachnennungen. Die Randomisierung und Verblindung der Daten wurde durch einen Datenschutzbeauftragten (Career Service, UW/H) nach BDSG §5 sichergestellt. Alle Absolventen dieser Studie nahmen freiwillig teil (BDSG §4a) und gaben ihr Einverständnis.

Zielvariablen

Der standardisierte Fragebogen bestand aus 38 Items [15], [16], darunter auch Fragen über demographische Daten und Berufsstatus. Fokussiert auf neun Schlüsselkompetenzen wurde im Fragebogen bewertet, mit welcher Relevanz diese im Berufsalltag benötigt werden und ob sie adäquat im zu untersuchenden Curriculum gefördert wurden (Formulierung im Fragebogen: „Bitte geben Sie an, (A) in welchem Maße die folgenden Kompetenzen in Ihrer beruflichen Tätigkeit gefordert und (B) in welchem Maße diese durch Ihr Studium gefördert worden sind“). Die folgenden neun Schlüsselkompetenzen aus dem Studienprotokoll des unabhängigen Centre of Higher Education Development (CHE, Deutschland) [16] wurden als vergleichbare Zielvariablen genutzt: „Selbstständiges Lernen und Arbeiten”, „Praktisch zahnärztliche Fähigkeiten”, „Psychosoziale Kompetenz”, „Teamarbeit”, „Problemlösungs- / Analytische Fähigkeiten”, „(Zahn-)medizinisches Fachwissen”, „Interdisziplinäres Denken”, „Betriebswirtschaftliche Kenntnisse” und „Forschungskompetenz”. Die Zielvariablen wurden durch die Absolventen auf einer 6-Punkte-Likert-Skala evaluiert, wobei Bewertungen mit eins (1) die Positivseite („sehr stark gefördert/hoch gefordert“), und mit sechs (6) die Negativseite („sehr wenig gefördert/gering gefordert“) auf der Skala wiedergeben.

Statistische Analyse

Demographische Daten und weitere Studieninformationen wurden als Mittelwerte ± Standardabweichung (SD) für numerische Variablen und als Prozentangaben für kategoriale Variablen dargestellt.

Durch die Berechnung der Mittelwert-Differenz (∆) aus der Subtraktion der Schlüsselkompetenzbewertungen über die Förderungen im Studium und Forderungen im Berufsalltag konnte bestimmt werden, ob die zahnmedizinische Ausbildung den Berufsanforderungen gerecht wurde. Dieser Vergleich zeigte, ob die Ausbildung in Bezug auf den Berufsalltag ausreichend war. Darüber hinaus konnten für jede einzelne Schlüsselkompetenz resultierende Kompetenzdefizite (negative Mittelwert-Differenz [∆]) und Kompetenzüberschüsse (positive Mittelwert-Differenz [∆]) ermittelt werden. Statistische Signifikanzen wurden mittels Spearmans Rangkorrelationskoeffizienten bestimmt. Eine statistische Signifikanz wurde ab einem p-Wert<0.05 angenommen.

Zur statistischen Analyse wurde das Programm PASW Statistics (SPSS) (Version 18.0.0., IBM Cooperation, Somers, NY 10589, USA) verwendet.


Ergebnisse

Studienpopulation

Die Rücklaufquote belief sich auf 41,6% und beinhaltete 168 vollständig ausgefüllte Fragebögen.

An der Untersuchung beteiligten sich männliche und weibliche Absolventen zu fast gleichen Anteilen (männlich: 51.8% vs. weiblich: 48.2%), wobei die Verteilung nach Studienabschluss geringfügig mehr Daten über jüngere Absolventenjahrgänge (1990-1998: 40.1% vs. 1998 – 2006: 59.9%) (siehe Tabelle 1 [Tab. 1]) ergab. Es konnten homogene Verteilungsstärken der Absolventenjahrgänge in Bezug auf Geschlecht, Alter zum Zeitpunkt des Staatsexamens und zum Zeitpunkt der Untersuchung (Durchschnittsalter 34.73 Jahre), Studienzeit, aktuelles Arbeitsverhältnis, Erlangung der Promotion und Berufserfahrung erreicht werden (siehe Tabelle 1 [Tab. 1]).

Benötigte Schlüsselkompetenzen im Berufsalltag von Zahnmedizinern

Die am dringendsten benötigten Schlüsselkompetenzen im Berufsalltag waren laut Likert-Skala die „praktisch zahnärztlichen Fähigkeiten“ (1.84±1.46.), „Selbstständiges Lernen/Arbeiten“ (2.01±1.37), „Betriebswirtschaftliche Kenntnisse“ (2.27±1.57) und „Psychosoziale Kompetenz“ (2.32±1.38) (siehe Tabelle 2 [Tab. 2]). Auf der anderen Seite bewerteten die Absolventen „Teamarbeit“ (2.50±1.53), „Interdisziplinäres Denken“ (2.76±1.32) und „Forschungskompetenz“ (4.40±1.42) als weniger erforderlich im Beruf (siehe Tabelle 2 [Tab. 2]).

Förderung von Schlüsselkompetenzen in der zahnmedizinischen Ausbildung

Die Absolventen empfanden, dass das fallbezogene zahnmedizinische Curriculum die „praktisch zahnärztlichen Fähigkeiten“ (1.59±0.67), das „Selbstständige Lernen/Arbeiten“ (1.89±0.88) und „(Zahn-)medizinisches Fachwissen“ (1.98±0.83) stark förderte (siehe Tabelle 2 [Tab. 2]). Demgegenüber wurden die Vorbereitungen in „Psychosozialer Kompetenz” (2.93 ±1.23), „Forschungskompetenz“ (3.72±1.28) und „Betriebswirtschaftlichen Kenntnissen” (5.10±1.07) im fallbezogenen Curriculum als schwach bewertet (siehe Tabelle 2 [Tab. 2]).

Unterschiede zwischen den im Berufsalltag benötigten und den in der zahnmedizinischen Ausbildung geförderten Schlüsselkompetenzen

Diese Studie zeigt, dass die Qualifikationen in stark geförderten Schlüsselkompetenzen wie “praktisch zahnärztliche Fähigkeiten” (∆+0.21, p<0.001) und „(Zahn-)medizinisches Fachwissen” (∆+0.42, p<0.001) die entsprechenden Anforderungen im Berufsleben übertrafen und die Absolventen in diesen Bereichen einen deutlichen Kompetenzüberschuss zu verzeichnen hatten.

Sogar in dem schlechter bewerteten Bereich der „Forschungskompetenz“ empfanden die Absolventen, den Berufsanforderung mehr als angemessen gefördert worden zu sein (∆+0.60, p<0.001) (siehe Abbildung 1 [Abb. 1]).

„Psychosoziale Kompetenz“ (∆-0.66, NS) und „Problemlösungs-/Analytische Fähigkeiten“ (∆-0.07, p<0.001) wurden nicht entsprechend gelehrt und die Absolventen stellten hier Kompetenzdefizite fest (siehe Abbildung 1 [Abb. 1]). „Betriebswirtschaftliche Kenntnisse“ wurden im Berufsalltag stark benötigt, allerdings kaum in der zahnmedizinischen Ausbildung vermittelt (∆-2.86, p<0.001).

Die Absolventen des fallbezogenen zahnmedizinischen Curriculums gaben an, dass sie in sechs von neun Schlüsselkompetenzen über die Berufsanforderungen hinaus qualifiziert waren (statistische Signifikanzen: p<0.001; Spearmans rho>0). Die zahnmedizinische Ausbildung wurde den im Berufsalltag benötigten „Problemlösungs-/Analytischen Fähigkeiten“ gerecht (p<0.001; Spearmans rho>0). „Psychosoziale Kompetenz“ (NS) und „Betriebswirtschaftliche Kenntnisse“ (p<0.001; Spearmans rho<0) wurden nicht entsprechend den Berufsanforderungen gelehrt (siehe Abbildung 1 [Abb. 1]).


Diskussion

Benötigte Schlüsselkompetenzen im Berufsalltag von Zahnmedizinern

Schlüsselkompetenzen wie „praktisch zahnärztliche Fähigkeiten“ und „Selbstständiges Lernen/Arbeiten” haben hohe klinische Relevanz und spiegeln damit klassische Stärken eines fallbezogenen Curriculums wider [17], [18].

Interessanterweise bewerten die zahnmedizinischen Absolventen die nicht-medizinische Schlüsselkompetenz “Selbstständiges Lernen/Arbeiten” im Berufsalltag als stärker benötigt als andere (zahn-)medizinische Schlüsselkompetenzen. Das trifft das Ziel fallbezogener und problemorientierter Lerntheorien, in denen Absolventen auf einen lebenslangen Lernprozess mit der entsprechenden offenen Einstellung gegenüber zukünftigen Fragestellungen vorbereitet werden sollen [17], [19].

Im Gegensatz zu problemorientierten Curricula beurteilten die Absolventen des fallbezogenen Curriculums die “Forschungskompetenz” als im Berufsalltag weniger benötigt [15]. Die Bewertungen des im Berufsalltags vermehrt gebrauchten „(zahn-)medizinischen Fachwissens“ gegenüber der weniger benötigten „Forschungskompetenz“ erwecken den Anschein, dass Absolventen des fallbezogenen Curriculums ihr (zahn-)medizinisches Fachwissen nur selten durch eigenständiges Erarbeiten der wissenschaftlichen Datenlage abgleichen [17], [20].

Die Wichtigkeit dieser Thematik wird von einer Publikation von Cowpe et al. [21] unterstützt: Die 2005 publizierte [22] und 2009 aktualisierte [21] Arbeit stellt eine Leitlinie zu “Profile and competences for graduating European dentist” vor. Während die Schlüsselkompetenzen in dieser Studie auf den Zielen medizinischer Ausbildung basieren, verfolgt Cowpe et al. die Spezifizierung auf die zahnmedizinische Ausbildung und damit auch die deutlichere Definierung der Ausbildungsziele in der Zahnmedizin [21]: Im Punkt “Berufsausübung” (I) schließt Cowpe et al. „Problemlösungs-/ Analytische Fähigkeiten“, „Teamarbeit“ und „Betriebswirtschaftliche Kenntnisse“ ein; in interpersonellen, sozialen und Kommunikationsfähigkeiten (II) ist „Psychosoziale Kompetenz” eingeschlossen; in Grundlagenwissen und Informationskompetenz (III) sind „(Zahn-)medizinisches Fachwissen“, „Forschungskompetenz“ und „Selbstständiges Lernen/Arbeiten“ enthalten; der Punkt klinische Kenntnisse (IV) beinhaltet „(Zahn-)medizinisches Fachwissen“ und „Praktisch zahnärztliche Fähigkeiten“; Diagnose und Therapieplanung (V) schließt „Praktisch zahnärztliche Fähigkeiten“ und „Interdisziplinäres Denken“ ein; die Punkte Therapiedurchführung (VI) und Präventionsmedizin (VII) berücksichtigen vornehmlich „Praktisch zahnärztliche Fähigkeiten“.

Förderung von Schlüsselkompetenzen in der zahnmedizinischen Ausbildung

Die Absolventen eines fallbezogenen Curriculums fühlen sich in “Praktisch Zahnärztliche Fähigkeiten” stärker gefördert als Absolventen konventioneller Curricula [23]. Das könnte auf die Vermittlung der theoretischen Lerninhalte in einem fallbezogenen Kontext mit einem anschließenden beträchtlichen Anteil praktischer Kurse, in denen diese Inhalte im Sinne einer Lernspirale wiederholend aufgearbeitet werden, zurückzuführen sein. Unsere Ergebnisse unterstreichen Stärken und Schwächen des fallbezogenen, integrativen Curriculums und entsprechen denen anderer Studien über zahnmedizinische Absolventen [3], [7], [8], [9], [10], [13].

Die Beurteilung des “Selbstständigen Lernens/Arbeitens” attestiert dem fallbezogenen Curriculum die Vermittlung kognitiver und exekutiver Kompetenzen anhand von komplexen Patientenfällen über verschiedene Fachbereiche hinweg als Stärke. In diesem Curriculum sind die Studenten zu Eigenverantwortung bezüglich patientenorientierter Behandlungsplanung und folgenden Ausführungen an ihren Patienten aufgerufen, und dies kann zu einer starken Förderung der Schlüsselkompetenz „Selbstständiges Lernen/Arbeiten“ führen. Die Ergebnisse unterstützen die Hypothese, dass eine fallbezogene Ausbildung die (zahn-)medizinischen Fähigkeiten direkt und indirekt – durch selbstständiges Lernen – fördert [20], [24], [25], [26].

Die Vermittlung der „Forschungskompetenz“ kann als Schwäche des fallbezogenen Curriculums nachgewiesen werden. Das evaluierte Curriculum ist patienten-orientiert und vernachlässigt möglicherweise eine intensivere Ausbildung in der Grundlagenforschung oder Vorlesungen zur „good clinical practice“. In Übereinstimmung mit dem Review von Colliver et al. über problemorientierte Curricula [27] zeigt das evaluierte fallbezogene Curriculum einen eindeutigen Nachteil bei der Abtrennung der theoretischen Lerninhalte von der Forschung [27].

Unterschiede zwischen den im Berufsalltag benötigten und den in der zahnmedizinischen Ausbildung geförderten Schlüsselkompetenzen

Unsere Studie zeigt, dass das fallbezogene Curriculum in sechs von neun Schlüsselkompetenzbereichen allen Berufsanforderungen gerecht wird und in diesen, besonders in „(Zahn-)medizinischem Fachwissen“ und „Praktisch zahnärztlichen Fähigkeiten“, sogar einen signifikanten Kompetenzüberschuss (p<0.001) erzielt.

In sieben von neun Kompetenzen war der Spearmans Rangkorrelationskoeffizient positiv (0.115<Spearmans rho<0.323) und deutet daraufhin, dass eine leichte Tendenz zu gleicher Beurteilung der Schlüsselkompetenzen in Ausbildungsförderung und Berufsanforderungen vorhanden ist.

Als Resultat dieser Studie kann ebenfalls festgehalten werden, dass „Betriebswirtschaftliche Kenntnisse“ im fallbezogenen Curriculum unzureichend vermittelt werden. Spearmans Rangkorrelationskoeffizient ist in diesem Fall negativ (Spearmans rho=-0.315) und erklärt eine leichte Tendenz zu entgegengesetzten Bewertungen dieser Schlüsselkompetenz bei der Vermittlung im Studium und der Notwendigkeit im Berufsalltag. Somit wäre die Einführung von offenbar im Berufsalltag benötigten betriebswirtschaftlichen Aspekten und Praxismanagement als Weiterentwicklung des Curriculums wünschenswert [3], [7], [8], [28]. Zusätzlich sollte die Förderung der „Psychosozialen Kompetenzen“, die im fallbezogenen Curriculum den Berufsanforderungen auch nicht gerecht werden, weiter verbessert werden, um dieses Ziel zu erreichen [7], [8].

Studienlimitationen

Die Studienergebnisse müssen unter Berücksichtigung unserer Studienlimitationen betrachtet werden. Die Rücklaufquote war adäquat [11]. Die Absolventen stammten nur von einer zahnmedizinischen Fakultät (Universität Witten/Herdecke, Deutschland), und durch die unterschiedlichen Umsetzungen von fallbezogenen Curricula in anderen Studien bleibt die externe Vergleichbarkeit dieser Ergebnisse eingeschränkt. Zudem müssen die unterschiedlichen methodologischen Herangehensweisen beim Vergleich von verschiedenen Ausbildungsformen wie fallbezogene, problemorientierte und konventionelle Methoden in Betracht gezogen werden. Aufgrund dieser spezifischen methodologischen Betrachtungsweise sind die Ergebnisse dieser Studie nur annähernd auf andere fallbezogene Curricula übertragbar. Dennoch stellen die Studienergebnisse einen hilfreichen wissenschaftlichen Beitrag zur Diskussion über zukünftige curriculare Weiterentwicklungen dar – gerade auch im Hinblick auf die Ziele von Cowpe et al. [21].

Die Beurteilungen der Schlüsselkompetenzen basierten auf der Selbsteinschätzung von Absolventen [7], [14]. Einige Studien verweisen auf eine Differenz zwischen Selbsteinschätzungen und objektiven Bewertungen [29], [30], doch Schlett et al. erkennt sehr ähnliche Beurteilungsmuster bei Selbst- und objektiven Einschätzungen [15]. Aufgrund der Studienlimitationen scheinen weitere Untersuchungen wie longitudinale Follow-Up-Studien und objektive Beurteilungen der Schlüsselkompetenzen zur Bestätigung der vorliegenden Ergebnisse obligatorisch.


Schlussfolgerung

Diese Untersuchung unter zahnmedizinischen Absolventen demonstriert, dass das fallbezogene Curriculum einen starken positiven Einfluss auf fast alle im Berufsalltag benötigten Schlüsselkompetenzen hat. Allerdings verdienen psychosoziale Kompetenzen und betriebswirtschaftliche Aspekte in der zukünftigen Weiterentwicklung fallbezogener Curricula mehr Aufmerksamkeit.


Danksagung

Wir danken Frau Kerstin Gardeik vom Career Service Witten/Herdecke, Deutschland für ihre herausragende Unterstützung.


Interessenkonflikt

Die Autoren erklären, dass sie keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


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