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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Summative Integrierte Multiple Choice-Prüfungen: Ein Promotor oder eine Hindernis für bedeutungsorientiertes Lernen der Studierenden

Summative integrative multiple choice examinations: Do they promote or prevent deep learning approaches?

Forschungsarbeit/research article Humanmedizin

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  • corresponding author Monika Himmelbauer - Medizinische Universität Wien, Besondere Einrichtung für Medizinische Aus- und Weiterbildung (BEMAW), Wien, Österreich

GMS Z Med Ausbild 2009;26(4):Doc42

doi: 10.3205/zma000635, urn:nbn:de:0183-zma0006357

Eingereicht: 18. August 2008
Überarbeitet: 29. September 2009
Angenommen: 12. Oktober 2009
Veröffentlicht: 16. November 2009

© 2009 Himmelbauer.
Dieser Artikel ist ein Open Access-Artikel und steht unter den Creative Commons Lizenzbedingungen (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.de). Er darf vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden, vorausgesetzt dass Autor und Quelle genannt werden.


Zusammenfassung

Zahlreiche Studien belegen, dass die Lernorientierung von Studierenden einen Einfluss auf deren akademische Prüfungsleistung hat. Im Rahmen einer Studienplanreform im Fach Humanmedizin wurde 2001 an der Medizinischen Universität Wien ein neues Prüfungssystem implementiert, in welchem zur Wissensfeststellung vorwiegend Multiple-Choice-Prüfungen eingesetzt werden. Die Klärung der Frage, inwiefern die ziemlich starke Konzentration auf Multiple-Choice-Prüfungen die Lernorientierung in gewünschter Hinsicht fördert bzw. verhindert, war das Hauptziel dieser Arbeit. 58 im 8. Semester Studierende des ersten Studienjahrganges im Probebetrieb (MCW-150) wurden mittels Fragebogen interviewt. Erfasst wurden die Lernorientierung sowie die Prüfungsleistung. Die Ergebnisse demonstrieren, dass gute Prüfungsleistungen mit hoher Leistungsmotivation und Bedeutungsorientierung in Zusammenhang stehen. Der Reproduktionsorientierung - wie beispielsweise dem Auswendiglernen - kommt nur wenig Bedeutung für den Leistungserfolg zu. Nach Coles [2] liegt die Rolle der Prüfungen darin, wie Studierende ihre zu bewältigenden Aufgaben für ein erfolgreiches Studieren wahrnehmen. Folgt man dieser Interpretation sehen die Studierenden eine erfolgreiche Aufgabenbewältigung weniger im reinen Auswendiglernen, sondern als Herausforderung, die ein Lernen auf einem höheren Niveau erfordert. Insofern hat das neue Prüfungssystem im MCW-150 keinen nachteiligen Einfluss auf die Lernorientierung.

Schlüsselwörter: Lernorientierung, Prüfungsleistung, Multiple-Choice-Prüfungen, Prüfungsfragen

Abstract

Numerous studies provide evidence that the learning approach of students has an influence on their academic performance in examinations. As part of the 2001 reform of the medical curriculum at the Medical University of Vienna, a new assessment system was implemented for knowledge testing that predominantly relies on multiple-choice examinations. The principal purpose of this study was to clarify the question to what extent this rather strong concentration on multiple-choice questions promotes and/or prevents actual learning. Using a standardized questionnaire, 58 students in the 4th year of the curriculum (the first cohort in the test run of the new curriculum, MCW-150) were interviewed. The inventory included learning approaches as well as the academic performance on MC examinations. Results demonstrate that the best test performance correlates with high motivation to achieve, well-organised studying, and orientation towards deeper understanding. Surface approaches - for example memorization - have less relevance for achieving success. According to Coles [2] the role of examinations is to contribute to the way students find their best method for successful studying. Thus one may conclude that students see successful task management less in pure memorization, but view it as a challenge that requires learning on a higher level. Insofar the new assessment system has no adverse impact on learning orientation and learning approach in the cohort MCW-150.

Keywords: Learning approaches, test performance, multiple-choice questions, examination


Einleitung

Strukturelle Rahmenbedingungen

Seit dem WS 2001/2002 ist das reformierte Medizincurriculum Wien (MCW) in Betrieb. Der erste Studienjahrgang wurde als Probebetrieb geführt. Dafür wurden 150 Studierende nach Zufall aus einer Gruppe von 400 Freiwilligen ausgewählt (MCW-150-Kohorte). Mit Ende des Studienjahres 2006/07 hat diese erste Kohorte ihr Humanmedizinstudium beendet. Die Reform betraf vorwiegend die Umstellung des Curriculums vom fächerzentrierten zum fächerintegrierten System. Neben dem Studienplan wurde auch das Prüfungssystem reformiert. Während vor Einführung des MCW 23 mündliche Prüfungen den Hauptaspekt der Wissensüberprüfung darstellten, gibt es heute nach jedem Studienjahr eine Summative Integrierte Prüfung (SIP), die als Multiple-Choice (MC)-Prüfung im „one best answer“-Format angeboten wird und je nach Studienjahr 80 bis 230 Items umfasst. Entsprechend dem Unterricht findet auch die Prüfung in integrierter Form statt. Die integrative Form bezieht sich auf eine Integration mehrer Prüfungsfächer (z.B.: Anatomie, Histologie, Physiologie etc.), die auf eine Problemstellung hin orientiert sind. Die Problemstellung bezieht sich grundsätzlich auf Organ- bzw. Funktionssysteme (z.B. Herz und Kreislauf, Bewegung und Leistung etc.). Die Zahl der Prüfungen mit Konsequenzen für den Studienfortschritt (Summative Integrierte Prüfungen 1 bis 6, SIP1 bis SIP6) wurde deutlich reduziert und Prüfungsereignisse zur Steuerung des Lernprozesses und zur Selbstevaluierung angeboten [9].

Verschiedenartige Lernziele zum Erwerb von Wissen, Fertigkeiten und Einstellungen erfordern den gezielten Einsatz unterschiedlicher Prüfungsmethoden („Methodenmix“) [7], [8]. Inwieweit die starke Konzentration auf MC-Prüfungen im MCW die Lernsteuerung in gewünschter Hinsicht beeinflusst, soll diese Studie klären.

Lernorientierungen (Learning Approaches) nach Newble und Entwistle

Viele Studierende entwickeln, um ihr Universitätsstudium erfolgreich zu absolvieren, Lernstrategien, die möglicherweise das Gegenteil von dem sind, was man sich von Universitätsabsolventen erwarten und wünschen würde, nämlich verständnisorientiert und eigenverantwortlich zu lernen und sich weiterzubilden. Die Anwendung von spezifischen Lernstrategien hat insofern weitere Folgen als es immer wichtiger wird, sich selbständig und selbstorganisiert fortzubilden. Unter einer Lernstrategie wird die konkrete Verhaltensweise zur Bewältigung einer Lernaufgabe verstanden. Davon abzugrenzen ist der Lernstil, das sind die typischen Verhaltensweisen, die eine Person in Lernaufgaben situationsübergreifend zeigt [3]. Eine Reihe von Autoren spricht auch von Lernorientierungen (Learning Approaches) [1], [4]. Diesem Ansatz nach werden zusätzlich zu den Lernstrategien motivationale Voraussetzungen und Intentionen des Lernenden in einer konkreten Situation betrachtet. In dem interaktionistischen Modell von Newble und Entwistle (siehe Abbildung 1 [Abb. 1]) werden neben studentischen Charakteristika - wie Lernstil und Lernorientierung - auch der Einfluss der Lernumgebung wie Besonderheiten der Institution, des Prüfungssystems, der Lehre und des Curriculums berücksichtigt. Diese Faktoren gemeinsam beeinflussen demnach den Lernprozess und die Lernleistung [11].

Entwistle und Mitarbeiter [6] unterscheiden drei Lernorientierungen: Bedeutungsorientierung, Reproduktionsorientierung sowie Leistungsorientierung. Die Bedeutungsorientierung (Deep Approach) ist durch große Verarbeitungstiefe und intrinsische Lernmotivation gekennzeichnet. Die Leistungsorientierung (Strategic Approach) ist durch das Motiv geprägt, möglichst gute Leistungsergebnisse zu erzielen, wobei sich der Lernende ganz nach den Zielen und Standards der Lernumgebung richtet. Vor allem die Zeitorganisation spielt dabei eine wichtige Rolle. Die Reproduktionsorientierung (Surface Approach) zeichnet sich dadurch aus, dass die Angst vor Misserfolg und das Auswendiglernen für die Prüfung die zentralen Motive sind [3].

Das interaktionistische Konzept von Newble, Entwistle und Mitarbeitern [11], [6], das diese drei Lernorientierungen von Studierenden unterscheidet, die gemeinsam mit Umgebungsfaktoren (wie Institution, Lehre, Prüfung) einen maßgeblichen Einfluss auf die Prüfungsleistung haben sollen, bildet den Bezugsrahmen dieser Arbeit.

Lernorientierungen und Multiple-Choice-Prüfungen

Studierende passen ihre Lernorientierung an die Art bzw. Form der zu absolvierenden Prüfung an, aber nicht immer ganz in der vermuteten Weise. Wenn der Abschlusstest darauf abzielt, Fakten wiederzugeben, lernen die Studierenden reproduktionsorientiert, auch wenn sie anfänglich bedeutungsorientiert lernten [11]. Der Zusammenhang zwischen Bedeutungsorientierung und qualitativen Leistungsergebnissen (Aufsatz- und Seminararbeiten) ist gut dokumentiert [14], [20]. Wenn quantitative Merkmale gemessen wurden (wie z.B. Noten, Anzahl gelöster MC-Aufgaben) konnte nicht immer ein positiver Einfluss der Bedeutungsorientierung auf die Prüfungsleistung festgestellt werden [16], [20]. Über geringe Zusammenhänge zwischen Lernorientierung und Prüfungsleistung berichten auch Page und Alexitch [13]. Es zeigte sich in einigen Studien allerdings, dass die Reproduktionsorientierung einen negativen Einfluss auf das Prüfungsergebnis hat [10], [21]. Van Rossum und Schenk [21] konnten demonstrieren, dass Reproduktionsorientierung das Lernergebnis negativ beeinflusst, wobei das auf offene Prüfungsfragen mehr zutrifft als auf MC-Fragen. Nach Tang [19] lernen Studierende, die eine Prüfung als „quantitativ“ wahrnehmen (z.B.: großer Stoffumfang), eher reproduktionsorientiert. Im Vergleich dazu lernen Studierende, die eine Prüfung als „qualitativ“ einschätzen (die Qualität des zu Lernenden erscheint wichtig), eher bedeutungsorientiert. Der verlässlichste Prädiktor guter Prüfungsleistungen in (MC-)Prüfungen ist die Leistungsorientierung [12], [15], [18], [22]. Scouller und Prosser [17] konnten zeigen, dass Bedeutungsorientierung gepaart mit hoher Leistungsorientierung die Leistung in MC-Prüfungen am positivsten beeinflusst. Ein wichtiges Detail dieser Studie ist, dass diejenigen, die berichten, bedeutungsorientiert zu lernen, die MC-Prüfung als eine Prüfung wahrgenommen haben, die Wissen auf höherem Niveau erfordert. Inwieweit Studierende eine Bedeutungsorientierung entwickeln, hängt davon ab, wie sie die Aufgabenstellung im Rahmen einer Prüfung erfassen [2].

Die curricularen Voraussetzungen für Bedeutungsorientierung nach Coles [2]

1.
Studierende müssen klare, konkrete und anschauliche Hinweise über den Kontext ihres Lernens haben.
2.
Studierende müssen über relevante, abstrakte Informationen verfügen, die eine Beziehung zu ihren klinischen Erfahrungen haben.
3.
Studierende müssen ihre Aufgabe darin sehen, Wissensteile, die zu lernen sind, zu integrieren und diese auch mit ihren klinischen Erfahrungen in Beziehung zu bringen.

Insofern ist die Entwicklung bedeutungsorientierten Lernens eine Konsequenz curricularer Bedingungen. Die Rolle der Prüfungen in diesem Zusammenhang liegt darin, wie Studierende ihre zu bewältigenden Aufgaben für ein erfolgreiches Bestehen der Prüfung sehen. Wenn die Prüfung den Studierenden als Auswendiglernaufgabe erscheint, lernen sie reproduktionsorientiert. Wenn ihnen die Prüfung als eine Aufgabe erscheint, die ein Lernen auf höherem Niveau erfordert, lernen sie bedeutungsorientiert, sofern die curricularen Vorraussetzungen dafür gegeben sind.


Methoden

Fragestellungen und Hypothesen

In der nachfolgenden Untersuchung wurden zwei Fragen bearbeitet. Erstens, in welcher Beziehung stehen Lernorientierungen und Prüfungsleistung in MC-Prüfungen im reformierten Medizincurriculum Wien der MCW-150 Kohorte. Zweitens, wie stark sind die verschiedenen Lernorientierungen - nach Entwistle et al. [6] - vergleichweise ausgeprägt?

Die zentralen Hypothesen der Studie lauteten:

1.
Bedeutung- und Leistungsorientierung (Deep Approach und Strategic Approach) sind bei den Studierenden vergleichsweise höher ausgeprägt als Reproduktionsorientierung (Surface Approach).
2.
Bedeutung- und Leistungsorientierung (Deep Approach und Strategic Approach) stehen mit der Prüfungsleistung in positivem Zusammenhang.
3.
Reproduktionsorientierung (Surface Approach) steht mit der Prüfungsleistung in negativem Zusammenhang.

Design und Stichprobe

An der Querschnittsuntersuchung nahmen 58 Studierende der Kohorte des MCW teil, die im Probebetrieb mit 150 Studierenden begonnen wurde (MCW-150-Kohorte). Die Teilnahme war freiwillig. 53% (58 von 110 Studierenden, die zum Zeitpunkt der Erhebung noch im Studium waren) haben den Fragebogen retourniert, 62.1% davon waren weiblich, was für die Kohorte repräsentativ ist. Die Untersuchung fand im 4. Studienjahr gegen Ende des Sommersemesters 2005 im Rahmen der Lehrveranstaltung „Problemorientiertes Lernen (POL)“ statt. Die Studierenden waren zu diesem Zeitpunkt im 8. Semester und im Durchschnitt 22.5 Jahre alt (SD=3.0). Die Erhebung der Lernorientierungsskalen erfolgte im selben Semester, an dessen Ende die SIP4 (das ist nach dem vierten Studienjahr) stattfindet. Die Untersuchung wurde per Fragebogen durchgeführt und dauerte 20 Minuten.

Erhebungsinstrumente

Lernorientierung

Zur Erfassung der Lernorientierung wurde eine von uns ins Deutsche übersetzte Version des ASSIST (Approaches and Study Skills Inventory for Students) von Entwistle und Mitarbeitern [6] eingesetzt. Der Originalfragebogen umfasst insgesamt 13 Skalen mit jeweils 4 Items pro Skala. Als Grundlage für die Zuordnung der Items zu einer Skala im Originalfragebogen dienten explorative und konfirmatorische Faktorenanalysen sowie eine Clusteranalyse. Die 12 Skalen konnten zudem drei Generalfaktoren zugeordnet werden (siehe Tabelle 1 [Tab. 1]). Die Zuordnung der Items zu den Skalen wurde übernommen und die Zuordnung der Skalen zu den drei Generalfaktoren wurde durch eine weitere explorative Faktorenanalyse bestätigt:

1.
Deep Approach: 24.64% e.V. (= erklärte Varianz),
2.
Strategic Approach: 21.83% e.V.,
3.
Surface Approach: 22.25% e.V..

Die Antwortskala ist fünfstufig (trifft sehr zu = 1 bis trifft nicht zu = 5). 12 von 13 Skalen erwiesen sich als reliabel (siehe Tabelle 1 [Tab. 1]). Eine Skala (Aufmerksamkeit auf Prüfungsanforderungen) wurde aufgrund zu niedriger Reliabilität (α<0.5) aus der weiteren Analyse ausgeschlossen.

Prüfungsleistung in den Summativen Integrierten Prüfungen (SIP)

Als Maß des Studienerfolges wurde die Leistung in der Summativen Integrierten Prüfung nach jedem Studienjahr (SIP1 bis SIP6) erhoben. Insgesamt umfassen die Prüfungen 70 bis 230 MC-Items. Jedes MC-Item hat fünf Antwortalternativen, wobei nur eine davon die „bestmögliche“ sein kann. Die Fragen werden von den Lehrenden der jeweiligen Module erstellt. Die Fragenqualität in methodischer und inhaltlicher Hinsicht wird durch ein interdisziplinäres Komitee gesichert. In den klinischen Fächern der letzten beiden Studienjahre kommen vorwiegend Anwendungsfragen (= Fallvignetten) zum Einsatz. Die Prüfungsleistung entspricht der erreichten Punkteanzahl pro SIP. Jedes gelöste Item erbringt einen Punkt. Die internen Konsistenzen der Summativen Integrierten Prüfungen weisen ein Cronbach-α von .77 bis .95 auf (siehe Tabelle 2 [Tab. 2]).


Ergebnisse

Deskriptive Statistiken: SIP1 bis SIP6 und Lernorientierungen

Wie aus den Tabellen 2 [Tab. 2] und 3 [Tab. 3] ersichtlich, konnten die Studierenden bei allen sechs Prüfungen mindestens 70% der Aufgaben lösen. Die durchschnittlichen Prüfungsergebnisse sind über alle sechs Jahre hinweg ziemlich stabil. Nur die SIP3 weicht etwas ab (M = 80%). Diese Prüfung umfasst das kleinste Stoffgebiet, weshalb sie auch nur 70 Items beinhaltet. Die Streuung der Prüfungsergebnisse hat sich über die Studienjahre hinweg reduziert. Die Studienteilnehmer erzielten im Vergleich zur gesamten Kohorte keine abweichenden Prüfungsleistungen, was zeigt, dass die Stichprobe in dieser Hinsicht repräsentativ ist (overall mean [ganze Kohorte] = 73.6% versus overall mean [Studienteilnehmer] = 74.19%; t=0.379; df =166; p=.705 ).

Die Boxplots der Lernorientierungs-Skalen (siehe Abbildung 2 [Abb. 2]) demonstrieren, dass die Studierenden die höchsten Werte in den Skalen des Deep Approach haben (over all mean=3.52). Die Skalen des Surface Approach (Ausnahme Versagensangst) sind am geringsten ausgeprägt (over all mean=2.76). Die Skalen des Strategic Approach liegen im mittleren Bereich (over all mean=3.21). Die mittlere Spannbreite dreier von vier Surface Approach-Skalen (Lehrplanbezogenheit, Versagensangst und Auswendiglernen) ist am stärksten ausgeprägt. Auch die Streuung in zwei Skalen des Strategic Approach (Zeitmanagement und Leistungsmotivation) ist relativ hoch. Die geringsten Streuungen zeigen sich in den Skalen des Deep Approach- und der Strategic Approach-Skala „Zielsetzungsmangel“.

Korrelation von SIP-Ergebnissen und Lernorientierungen

Die Korrelationen zwischen Bedeutungsorientierung und Prüfungserfolg sowie zwischen Leistungsorientierung und Prüfungserfolg sind durchwegs positiv, die zwischen Reproduktionsorientierung und Prüfungsleistung negativ. (siehe Tabelle 4 [Tab. 4]). Die Höhe der Korrelationen variiert über die Studienjahre hinweg. Die stärksten Zusammenhänge zwischen dem Prüfungserfolg und den Deep Approach-Skalen zeigen sich in der SIP4 am Ende des 4. Studienjahres. Drei der vier Skalen des Deep Approach „Zusammenhängende Ideen“, „Einsatz von Beweismitteln“ und „Interesse an Ideen“ sowie die Strategic Approach-Skala „Organisiertes Studieren“ stehen mit drei oder mehr Prüfungsergebnissen in signifikantem Zusammenhang. Aber nur die Strategic Approach-Skala „Leistungsmotivation“ steht mit allen Prüfungsleistungen in einem signifikant positiven Zusammenhang (r=0.35 bis r=0.5; p=.019 bis p<.001). Von den Skalen des Surface Approach weisen die Skalen „Versagensangst“ und „Lehrplanbezogenheit“ zu zwei Prüfungsergebnissen bedeutsame negative Korrelationen auf.


Diskussion

Im Rahmen einer Reform des Curriculums „Humanmedizin“ wurde 2001 an der Medizinischen Universität Wien auch das gesamte Prüfungssystem erneuert. Seither sind sechs Summative Integrierte Multiple-Choice-Prüfungen (SIP1 bis SIP6) am Ende jedes Studienjahres der Hauptbestandteil des Prüfungssystems. Vielfach wird berichtet, dass MC-Fragen Bedeutungsorientierung – wie verstehendes und anwendungsorientiertes Lernen – verhindern und Reproduktionsorientierung – wie lehrplanbezogenes Auswendiglernen – fördern. Die Klärung der Frage, inwiefern die starke Konzentration auf Multiple-Choice-Prüfungen die Steuerung des Lernens in gewünschter Hinsicht fördert bzw. verhindert, war daher das Hauptziel dieser Arbeit.

Klar zeigte sich, dass eine hohe Leistungsmotivation mit den Prüfungsergebnissen in allen Summativen Integrierten Prüfungen (SIP) signifikant positiv korreliert. Dieses Ergebnis steht in Einklang mit der Ausgangshypothese ebenso wie mit Ergebnissen von Newble & Hejka [12] sowie Smith & Mathias [18]. Bedeutsam ist auch der Einfluss der Bedeutungsorientierung auf die Prüfungsleistung. Die Skalen "Zusammenhängende Ideen", "Interesse an Ideen" sowie "Beweismittel" stehen mit mindestens drei von sechs Prüfungsleistungen in positiver Beziehung. Die höchsten Korrelationen zwischen Bedeutungsorientierung und Leistungsergebnissen zeigen sich in der SIP4 (Summativen Integrativen Prüfung nach dem vierten Studienjahr). Die Erhebung der Lernorientierung erfolgte im selben Semester an dessen Ende die SIP4 stattgefunden hatte, weshalb diese Prüfung am stärksten beeinflusst sein sollte. Dieses Ergebnis ist daher erwartungsgemäß. Alle Korrelationen zwischen Surface Approach Skalen und Prüfungsleistung stehen in negativem Zusammenhang. Zwei davon - "Versagensangst" und "Lehrplanbezogenheit" - korrelieren mit zwei Prüfungsergebnissen bedeutsam negativ. Dies demonstriert, dass Reproduktionsorientierung keinen positiven Einfluss auf SIP-Leistungen hat. Dieses Ergebnis steht in Einklang mit den Studien von Van Rossum und Schenk [21] sowie Newble und Clarke [10]. Die besten Prüfungsergebnisse gehen also mit hoher Leistungsmotivation, gut organisiertem Studium sowie hoher Bedeutungsorientierung einher. Weitere Ergebnisse illustrieren, dass die Studierenden die höchsten Werte in den Skalen des Deep Approach haben. Die Skalen des Surface Approach sind mit Ausnahme der Versagensangst am geringsten ausgeprägt.

Die Ergebnisse belegen, dass das MC-Prüfungssystem zumindest nicht verhindert hat, dass Studierende des MCW-150 bedeutungsorientiert lernen. Nach Coles [2] liegt die Rolle der Prüfungen darin, wie Studierende ihre zu bewältigenden Aufgaben für ein erfolgreiches Studium sehen. Folgt man dieser Interpretation, sehen die Studierenden des MCW-150 die erfolgreiche Aufgabenbewältigung im Studium weniger im reinen Auswendiglernen, sondern als Herausforderung, die ein Lernen auf höherem Niveau erfordert.

Limitationen und Ausblick

Es handelt sich um die Untersuchung an Teilnehmern eines Pilotprojekts (siehe Kapitel 2.2). Möglicherweise haben die Studierenden dieser Kohorte ein anderes Lernsteuerungsverhalten als die Studierenden im etablierten Curriculum, weil sie aufgrund des „Probebetriebs“ besondere Herausforderungen zu bewältigen hatten. So ist es für diese Kohorte in viel geringerem Ausmaß möglich gewesen, sich durch Lernen von Prüfungsfragen aus früheren Prüfungsterminen auf die Prüfungen vorzubereiten, weil es keine Informationen über ältere Prüfungen gab. Dadurch könnte die Bedeutungsorientierung als Basis positiver Prüfungsleistungen stärker zum Tragen kommen. Inwiefern sich die gefundenen Ergebnisse an anderen Kohorden replizieren lassen – sollte eine weitere Studie klären. Dabei wäre es wichtig – wie von Newble & Entwistle [11] ausgeführt – auch andere curriculare Bedingungen (wie Form und Inhalte des Curriculums, Lernunterlagen, Form und Qualität der Lehre) zu erfassen.

Zudem wäre es sinnvoll eine longitudinale Untersuchung zur Entwicklung von Aspekten der Lernorientierung im Studienverlauf durchzuführen, um die gegenseitige Beeinflussung von Lernorientierung und MC-Prüfungsleistung genauer analysieren zu können.


Danksagung

Besonders herzlicher Dank gilt Herrn Prof. Martin Lischka, stv. Leiter der Besonderen Einrichtung für Medizinische Aus- und Weiterbildung der Medizinischen Universität Wien, für die Anregungen bei inhaltlichen und methodischen Fragestellungen, bei der Strukturierung dieses Textes sowie für das Korrekturlesen.


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