Artikel
Einflussfaktoren auf das Sprachverstehen nach CI-Versorgung: Hat der Bildungsgrad der Patienten einen Einfluss auf das CI-Outcome?
Suche in Medline nach
Autoren
Veröffentlicht: | 9. Oktober 2024 |
---|
Gliederung
Zusammenfassung
Die postoperative Hörleistung, die mit dem Cochlea-Implantat (CI) erzielt werden kann, ist sehr individuell und von vielen Faktoren abhängig. Dazu zählen u.a. die Ätiologie, wie die Ursache der Ertaubung und die Dauer der auditorischen Deprivation, sowie die tägliche CI-Nutzungsdauer. Diese Faktoren wurden bereits vielfach untersucht. Es ist davon auszugehen, dass es noch weitere Faktoren gibt, die das Hörergebnis mit dem CI beeinflussen können. Bislang wenig erforscht ist, inwieweit sozioökonomische Faktoren einen Einfluss auf den Hörerfolg mit dem CI haben.
Das Ziel der Arbeit ist die Untersuchung des Einflusses des Bildungsgrads der CI-Träger auf das postoperative Sprachverstehen.
In die Studie wurden 326 CI-Patienten eingeschlossen. Das mittlere Alter betrug 58,6 Jahre (Min/Max 20,2/92,2 Jahre). Die Datenerhebung erfolgte retrospektiv im Zeitraum von November 2021 bis Dezember 2022. Dabei wurden über einen speziellen Fragebogen „Arbeit und Leben“, der in der klinischen Routine regulär ausgegeben wurde, verschiedene sozioökonomische Parameter erhoben, darunter auch der Bildungsstand der Patienten. Dieser beinhaltete die besuchte Schulform sowie den schulischen und beruflichen Abschluss. Weiterhin wurde im Rahmen der Studie das präoperative Einsilberverstehen mit Hörgerät dokumentiert und das postoperative Sprachverstehen nach 6 und 12 Monaten CI-Nutzung mittels des Freiburger Einsilbertests und dem Oldenburger Satztest (OlSa) im Störgeräusch erfasst.
Die Ergebnisse zeigten einen Unterschied zwischen den besuchten Schulformen. Patienten, die eine Regelschule besucht haben, wiesen sowohl prä- als auch postoperativ ein besseres Sprachverstehen in Ruhe auf als Patienten, die eine Schwerhörigen-/Gehörlosenschule besucht haben. Auch hinsichtlich des Ausbildungsabschlusses zeigte sich ein Unterschied. Patienten mit einem Hochschulabschluss wiesen postoperativ ein besseres Sprachverstehen in Ruhe auf als Patienten mit einem beruflich-schulischen Abschluss. Die Ergebnisse zeigten keinen Unterschied zwischen den verschiedenen schulischen Abschlüssen der CI-Träger.
Die klinische Routine hat gezeigt, dass der Hörerfolg mit dem CI sehr individuell ist. Zur Prognose des Hörerfolgs ist es notwendig, viele Faktoren zu berücksichtigen. Sozioökonomische Faktoren können dabei einen Einfluss auf die Hörleistung mit dem CI haben.
1 Einleitung
Das Cochlea-Implantat (CI) zählt zur Standardversorgung von Patienten mit hochgradiger bis an Taubheit grenzender Hörstörung, sowie bei vollständiger Ertaubung [1], [2]. Durch eine CI-Versorgung kann das Sprachverstehen und die Lebensqualität der Patienten verbessert werden [3], [4]. Die postoperative Hörleistung, die mit dem CI erzielt werden kann ist dabei sehr individuell und von vielen Faktoren abhängig [2]. Dazu zählt u.a. die Ätiologie, wie beispielsweise Ursache der Ertaubung und Dauer der auditorischen Deprivation, sowie die tägliche CI-Nutzungsdauer. Diese Faktoren wurden bereits vielfach untersucht [5], [6], [7]. Es ist zu vermuten, dass es noch weitere Faktoren gibt, die das Hörergebnis mit dem CI beeinflussen können. Bislang wenig erforscht ist, inwieweit sozioökonomische Faktoren einen Einfluss auf den Hörerfolg mit dem CI haben.
Das Ziel dieser Studie war die Untersuchung des Einflusses des Bildungsgrads der CI-Träger auf das postoperative Sprachverstehen.
1.1 Material und Methode
Die Studie wurde retrospektiv im Zeitraum von November 2021 bis Dezember 2022 durchgeführt. Es lag ein Votum der zuständigen Ethikkommission vor (Ethikkommission des Fachbereichs Medizin an der Universität Frankfurt, Geschäftsnummer 2022-642). Es konnten 326 erwachsene CI-Patienten (190 w/136 m) in die Datenauswertung eingeschlossen werden. Das mittlere Alter der Patienten betrug 58,6 Jahre (Min. 20,2 Jahre/Max. 92,2 Jahre).
Zur Datenerhebung wurde ein speziell für die klinische Routine entwickelter Fragebogen „Arbeit und Leben“ verwendet. Dieser wird regulär im Rahmen der CI-Voruntersuchung an die Patienten ausgehändigt. Mit Hilfe dieses Fragebogens werden verschiedene sozioökonomische Parameter erhoben, darunter der Bildungsgrad der Patienten. Im Rahmen der Datenauswertung wurde die besuchte Schulform sowie der schulische und berufliche Abschluss der CI-Träger betrachtet. Weiterhin wurde das präoperative Sprachverstehen mit Hörgeräten und das postoperative Sprachverstehen mit CI nach 6 und 12 Monaten CI-Nutzung evaluiert. Das Sprachverstehen in Ruhe wurde mit Hilfe des Freiburger Einsilbertests [8] bei 65 dB SPL im Freifeld gemessen. Weiterhin wurde das Sprachverstehen im Störgeräusch mittels des Oldenburger Satztests (OlSa) [9] bei einem festen Sprachpegel von 65 dB SPL und einem adaptiven Rauschpegel durchgeführt. Die Messung erfolgte im Freifeld mit Sprach- und Rauschsignal von vorn (S0N0).
Zur statistischen Auswertung wurden die Daten mit Hilfe des Kolmogorov-Smirnov-Tests auf Normalverteilung geprüft. Da keine Normalverteilung vorlag, wurde ein paarweiser Vergleich mit Hilfe des Mann-Whitney-U Tests (MWU) durchgeführt. Dabei wurde ein Signifikanzniveau von 0,05 festgelegt.
2 Ergebnisse
2.1 Schulform
Die Auswertung der Hörleistung der CI-Träger im Hinblick auf die besuchte Schulform zeigte, dass Patienten, die eine Regelschule besucht haben, sowohl präoperativ als auch nach 6 Monaten CI-Erfahrung ein signifikant besseres (prä-OP: ZMWU=–2,506, pMWU=0,036/6M: ZMWU=–2,726, pMWU=0,018) Einsilberverstehen aufwiesen (prä-OP: 10%/6M: 65%) als Patienten, die eine Schwerhörigen-/Gehörlosenschule besucht haben (prä-OP: 0%/6M: 50%; siehe Abbildung 1 [Abb. 1]). Im Sprachverstehen im Störgeräusch (OlSa) hingegen zeigte sich kein Unterschied in den prä- und postoperativen Hörleistungen zwischen den untersuchten Schulformen (Regelschule: 6M: –1,0 dB SNR/12M: –1,4 dB SNR; Schwerhörigen-/Gehörlosenschule: 6M: 0,25 dB SNR/12M: 0,4 dB SNR).
2.2 Schulabschluss
Die Ergebnisse hinsichtlich der schulischen Abschlüsse der CI-Träger wiesen ein vergleichbares prä- und postoperatives Sprachverstehen in Ruhe und im Störgeräusch auf (siehe Tabelle 1 [Tab. 1]). Hier zeigte sich kein signifikanter Unterschied (p>0,05) zwischen den verschiedenen Schulabschlüssen, sodass das Sprachverstehen mit dem CI unabhängig von der Qualität des Schulabschlusses war. Die Patientengruppe ohne Schulabschluss erreichte vergleichbare Ergebnisse wie Patienten mit einem Schulabschluss.
2.3 Beruflicher Abschluss
Die Datenauswertung hinsichtlich der beruflichen Abschlüsse der CI-Träger zeigte, dass Patienten mit einem Hochschulabschluss ein signifikant (ZMWU=–2,887, pMWU=0,04) besseres postoperatives Sprachverstehen in Ruhe aufwiesen als Patienten mit einem beruflich-schulischen Abschluss (Hochschulabschluss: 75%/beruflich-schulischer Abschluss: 55%, siehe Abbildung 2 [Abb. 2]). Beim Sprachverstehen im Störgeräusch konnte kein signifikanter Unterschied zwischen den beruflichen Abschlüssen gefunden werden. Des Weiteren wiesen Patienten ohne einen beruflichen Abschluss ein vergleichbares Sprachverstehen auf wie Patienten mit einem beruflichen Abschluss.
3 Diskussion
Die klinische Routine hat gezeigt, dass der Hörerfolg mit dem CI sehr individuell ist. Zur Prognose des postoperativen Hörerfolgs ist es notwendig, viele Faktoren zu berücksichtigen. Besonders der Einfluss sozioökonomischer Faktoren ist dabei wenig untersucht. Die Studienergebnisse konnten zeigen, dass die besuchte Schulform und die Art des Ausbildungsabschlusses als sozioökonomische Faktoren einen Einfluss auf die postoperative Hörleistung mit dem CI haben können.
Bei der Interpretation der Ergebnisse ist zu beachten, dass es vermutlich Unterschiede in der Art der Kommunikation zwischen Schwerhörigen-/Gehörlosenschulen und Regelschulen gibt. Patienten, die eine Schwerhörigen-/Gehörlosenschule besuchten, haben möglicherweise einen anderen Zugang zu Sprachmaterial als Patienten, die die Regelschule besucht haben. Dadurch könnten die Testwörter des Freiburger Einsilbertests mitunter weniger oder gar nicht bekannt sein. Die Patienten mit einem Hochschulabschluss wiesen ein besseres postoperatives Sprachverstehen auf als Patienten mit einem beruflich-schulischen Abschluss. Es ist zu vermuten, dass CI-Träger mit einem höheren Ausbildungsabschluss einen einfacheren Zugang zu Sprachmaterial/Trainingsmaterial haben, bzw. besser gelernt haben, sich selbst Kenntnisse anzueignen und somit die Motivation für ein eigenständiges Hörtraining etwas höher ist. Dies könnte sich dann auf die postoperative Hörleistung mit dem CI auswirken. Weiterhin ist bei der Bewertung der Studienergebnisse die große Alterspanne der Patienten von 20 bis 92 Jahren zu berücksichtigen. Es ist zu vermuten, dass sich die Gewichtung einer schulischen und beruflichen Ausbildung im Laufe der Zeit verändert hat, besonders für Frauen. Zudem ist das Sprachmaterial des Freiburger Einsilbertests veraltet und jüngeren Patienten u.U. nicht bekannt. Daher ist ein Bias in den Ergebnissen nicht auszuschließen. Weiterhin sollte bei der Interpretation beachtet werden, dass die CI-Träger verschiedene Ätiologien aufwiesen. Besonders hinsichtlich der Dauer der auditorischen Deprivation ist ein Bias in den Sprachtestergebnissen möglich.
3.1 Ausblick
Sozioökonomische Parameter als Einflussfaktoren auf die postoperative Hörleistung mit dem CI sind bislang wenig untersucht. Ziel zukünftiger Studien kann die Untersuchung weiterer sozioökonomischer Faktoren sein, die die individuelle Hörleistung mit dem CI beeinflussen.
Anmerkungen
Konferenzpräsentation
Dieser Kurzbeitrag wurde bei der 26. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Audiologie präsentiert und als Abstract veröffentlicht [10].
Interessenkonflikte
Die Autorin und Autoren erklären, dass sie keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.
Literatur
- 1.
- Hoppe U, Liebscher T, Hornung J. Anpassung von Cochleaimplantatsystemen [Cochlear implant fitting strategies]. HNO. 2017 Jul;65(7):546-51. DOI: 10.1007/s00106-016-0226-7
- 2.
- Lenarz T. Cochlear Implant – State of the Art. Laryngorhinootologie. 2017 Apr;96(S 01):S123-S151. DOI: 10.1055/s-0043-101812
- 3.
- Sun CH, Chang CJ, Hsu CJ, Wu HP. Feasibility of early activation after cochlear implantation. Clin Otolaryngol. 2019 Nov;44(6):1004-10. DOI: 10.1111/coa.13427
- 4.
- Rader T, Haerterich M, Ernst BP, Stöver T, Strieth S. Lebensqualität und Schwindel bei bilateraler Cochleaimplantation: Fragebogeninstrumente zur Qualitätssicherung [Quality of life and vertigo after bilateral cochlear implantation: Questionnaires as tools for quality assurance]. HNO. 2018 Mar;66(3):219-28. DOI: 10.1007/s00106-017-0456-3
- 5.
- Janeschik S, Teschendorf M, Bagus H, Arweiler-Harbeck D. Influence of etiologic factors on speech perception of cochlear-implanted children. Cochlear Implants Int. 2013 Sep;14(4):190-9. DOI: 10.1179/1754762812Y.0000000017
- 6.
- Bernhard N, Gauger U, Romo Ventura E, Uecker FC, Olze H, Knopke S, Hänsel T, Coordes A. Duration of deafness impacts auditory performance after cochlear implantation: A meta-analysis. Laryngoscope Investig Otolaryngol. 2021 Apr;6(2):291-301. DOI: 10.1002/lio2.528
- 7.
- Craddock L, Cooper H, Riley A, Wright T. Cochlear implants for pre-lingually profoundly deaf adults. Cochlear Implants Int. 2016 Apr;17(Suppl 1):26-30. DOI: 10.1080/14670100.2016.1161122
- 8.
- Hahlbrock KH. Über Sprachaudiometrie und neue Wörterteste [Speech audiometry and new word-tests]. Arch Ohren Nasen Kehlkopfheilkd. 1953;162(5):394-431.
- 9.
- Wagener K, Kühnel V, Kollmeier B. Entwicklung und Evaluation eines Satztests für die deutsche Sprache. I: Design des Oldenburger Satztests. Z Audiol. 1999;38(1):4-15.
- 10.
- Bruschke S, Broeder C, Baumann U. Einflussfaktoren auf das Sprachverstehen nach CI-Versorgung: Hat der Bildungsgrad der Patienten einen Einfluss auf das CI-Outcome? In: Deutsche Gesellschaft für Audiologie e.V., editor. 26. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Audiologie. Aalen, 06.-08.03.2024. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2024. Doc162. DOI: 10.3205/24dga162