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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Götz Fabry: Medizindidaktik – Für eine kompetenzorientierte, praxisrelevante und wissenschaftlich fundierte Ausbildung

Buchbesprechung Rezension

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  • corresponding author Angelika Homberg - Medizinische Fakultät Mannheim, Abteilung Medizinische Ausbildungsforschung, Universität Heidelberg, Mannheim, Deutschland

GMS J Med Educ 2023;40(5):Doc56

doi: 10.3205/zma001638, urn:nbn:de:0183-zma0016385

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2023-40/zma001638.shtml

Eingereicht: 8. August 2023
Überarbeitet: 8. August 2023
Angenommen: 8. August 2023
Veröffentlicht: 15. September 2023

© 2023 Homberg.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Bibliographische Angaben

Götz Fabry

Medizindidakitik – Für eine kompetenzorientierte, praxisrelevante und wissenschaftlich fundierte Ausbildung

Verlag: Hogrefe Verlag

Erscheinungsjahr: 2023, Seiten: 350, Preis: € 59,95

ISBN: 978-3-456-85852-4


Rezension

Medizindidaktik – gibt es diese überhaupt – und wenn ja, was müsste sie beinhalten? Als Fachdidaktik hätte sie den Anspruch einer Lehr- und Lernwissenschaft, welche den zentralen fachdidaktischen Fragen nach dem Warum, dem Was und dem Wie des Lehrens und Lernens im jeweiligen Fach nachgeht, Bezüge zu allgemeindidaktischen Prinzipien herstellt sowie dazu anregt, die individuelle und gesellschaftliche Relevanz der Lerninhalte und der zu vermittelnden Kompetenzen zu reflektieren. Die Frage ist: Erfüllt der Autor diese Anforderungen?

Im ersten Kapitel wird zunächst die Frage aufgegriffen, welche Ausbildung künftige Ärztinnen und Ärzte überhaupt benötigen. Die Problemstellung wird aus unterschiedlichen Perspektiven bearbeitet, aus Sicht der Absolventinnen und Absolventen, der Patientenversorgung und der Hochschuldidaktik. Hierbei werden historische und internationale Bezüge hergestellt, aktuelle Studien herangezogen und das Fach Medizin sowohl wissenschaftstheoretisch als auch im Diskurs der Professionalisierung verortet. Der kritische Blick des Autors zeigt Schwachstellen der medizinischen Ausbildung auf, überlässt es aber den Lesenden, sich selbst ein Urteil zu bilden. Damit wird der Bogen zunächst weit gespannt und es werden reichlich Impulse zur Reflektion der gesellschaftlichen Relevanz einer gelingenden medizinischen Ausbildung geliefert.

Im zweiten Kapitel werden dann allgemeingültige Konzepte wie Motivation, Kognition und Lernen hinsichtlich ihrer Bedeutung für die medizinischen Ausbildung beleuchtet. Es wird nicht belehrt, es wird argumentiert, begründet und belegt. Wer Lehren möchte, muss verstehen, wie gelernt wird – und das kann individuell sehr unterschiedlich sein. Also werden Lernstrategien differenziert, Lernaktivität analysiert, klinisches Denken kategorisiert. In Tabellen und anhand von Anwendungsbeispielen werden konkrete Möglichkeiten aufgezeigt, wie verschiedene Aktivitätsstufen beim Lehren adressiert werden können oder wie unterschiedliche didaktische Methoden die Expertiseentwicklung bei Studierenden unterstützen können. Die Bezüge zur Allgemeindidaktik sind hergestellt.

Nun endlich im dritten Kapitel wird es konkret: „Lehre planen“. So dachte ich. Auf jeden Fall werden die Fragen nach dem Warum, dem Was und dem Wie beantwortet, auch hier theoretisch fundiert, wissenschaftlich belegt und hermeneutisch begründet. Zunächst werden grundlegende Fragen geklärt, z. B. „Was sind eigentlich Kompetenzen?“ oder „Wie können Ziele für die ärztliche Ausbildung bestimmt werden?“ und „Welche Rolle spielt hierbei der Nationale Kompetenzorientierte Lernzielkatalog Medizin?“ Besonders hervorzuheben sind die Lernziel-Taxonomien. Die Bloomsche Taxonomie kennt (fast) jede versierte Lehrperson. Aber haben Sie gewusst, dass diese nur den kognitiven Bereich abdeckt? Und kennen Sie auch die Lernziel-Kategorien für den affektiven und psychomotorischen Bereich? So lästig es vielleicht für Lehrende ist, sich zunächst mit Kompetenzen und Lernzielen zu beschäftigen, so fruchtbar ist dies dann letztendlich für die weitere Planung und Unterrichtsgestaltung bis hin zur Entwicklung einer maßgeschneiderten Lernzielkontrolle. Der Aufwand lohnt sich, auch hier beim Lesen. Die echten Tipps fürs Lehren und Lernen finden sich dann endlich in Kapitel vier „Unterrichtsmethoden“. Diese werden sortiert nach „Formate für große Gruppen“, „Lernen in kleinen Gruppen“ und „Klinischer Unterricht“, ganz in der Logik der Unterrichtsformate an deutschen medizinischen Fakultäten. Hier profitiert die neue Auflage insbesondere durch neu hinzugekommene Themenbereiche und Unterkapitel wie „Vorlesungsaufzeichnungen“, „Flipped Classroom“ und „Feedback“.

Von der Überarbeitung der alten Auflage (2008) haben auch die Kapitel fünf „Prüfen: Information und Ergebniskontrolle“ und sechs „Lehrevaluation“ profitiert. So ist beispielsweise das Unterkapitel „Kompetenzorientiert prüfen – was heißt das?“ hinzugekommen. Die Frage „Was kann/soll geprüft werden?“ zeigt, dass auch hier weit über den Ist-Zustand hinausgeblickt wird. Prüfungen werden in ihrem Zusammenspiel auf curricularer Ebene betrachtet, aber auch im Einzelnen unter die Lupe genommen, zum Beispiel im Hinblick auf ihre formalen Anforderungen und Einsatzmöglichkeiten. Den Abschluss bildet, wie häufig auch im Lehrbetrieb, das Kapitel „Lehrevaluation“, welche verpflichtend nach der Approbationsordung für Ärzte (ÄApprO, 2002) vorgegeben ist, in ihrem Potential aber häufig nicht ausgeschöpft wird. Ja, es lassen sich tatsächlich valide Aussagen zur Qualität der Lehre entnehmen. Im Gegenzug wird aber auch gefragt: „Können die Studierenden die Qualität von Lehre beurteilen?“. Dieses Abwägen, Gegenüberstellen, unter die Oberfläche schauen kennzeichnet alle Kapitel und lädt dazu ein, sich mit einzelnen Fragestellungen vertiefend auseinanderzusetzen. Das umfangreiche Sachwortverzeichnis und die gute Strukturierung ermöglichen hierzu ein gezieltes Nachschlagen.

Jedes einzelne Kapitel endet mit einem Fazit und, neben einem umfangreichen Literaturverzeichnis, mit Empfehlungen für die vertiefende Lektüre. Sogenannte Werkzeugkästen, insgesamt 17 an der Zahl, umfassen beispielsweise Checklisten, Strategien sowie Beurteilungsbögen und ermöglichen hiermit einen hohen Praxisbezug.

Das Fazit? Die Medizindidaktik erfüllt alle Voraussetzungen als Fachdidaktik – mehr noch. Die Präzision, mit der einzelne Aspekte in den Blick genommen werden, bietet reichlich Anknüpfungspunkte für die Weiterentwicklung der Didaktik in Forschung und Lehre. Bemerkenswert sind die Deutlichkeit und gleichzeitige Behutsamkeit, mit der Kritik an der derzeitigen Ausbildung geübt wird, konstruktiv und konkret. Der Blick wird auf das gerichtet, was bereits wissenschaftlich erprobt ist, was sein könnte und was machbar ist und macht Lust auf mehr.

Wer nach schnellen Rezepten sucht, um seinen Unterricht eben mal aufzuhübschen, wird enttäuscht. Gute Lehre ist eben ein komplexes Unterfangen mit vielen Einflussvariablen. Lehrende, Lernende und Forschende, die sich tiefgründig mit dem Lehren und Lernen in der Medizin auseinandersetzen möchten, greifen hier in eine regelrechte Schatzkiste. Es lohnt sich.


Interessenkonflikt

Die Autorin erklärt, dass sie keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel hat.