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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Evaluation eines digitalisierten Kurses zur Arzt-Patient-Kommunikation aus der Sicht Medizinstudierender in der Vorklinik: Ersatz für die Präsenzlehre?

Kurzbeitrag Kommunikation

  • corresponding author Sabine Fischbeck - Universitätsmedizin Mainz, Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie, Mainz, Deutschland
  • author Jochen Hardt - Universitätsmedizin Mainz, Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie, Mainz, Deutschland
  • author Camila Malkewitz - Universitätsmedizin Mainz, Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie, Mainz, Deutschland
  • author Katja Petrowski - Universitätsmedizin Mainz, Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie, Mainz, Deutschland

GMS J Med Educ 2020;37(7):Doc85

doi: 10.3205/zma001378, urn:nbn:de:0183-zma0013780

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2020-37/zma001378.shtml

Eingereicht: 31. Juli 2020
Überarbeitet: 15. Oktober 2020
Angenommen: 23. Oktober 2020
Veröffentlicht: 3. Dezember 2020

© 2020 Fischbeck et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Zielsetzung: Die sich aus der Covid-19 Epidemie ergebenden Beschränkungen in der Lehre waren Grund, den Kursus der Medizinischen Psychologie und Medizinischen Soziologie (Arzt-Patient-Kommunikation) in einen asynchronen E-Learning Kursus zu überführen. Für diesen Zweck wurden zehn Übungsaufgaben entwickelt, welche die Studierenden wöchentlich herunterladen und die Lösungen an den Kursdozenten zurückschickten. Zusätzlich zeichneten je zwei Studierende eines von acht Arzt-Patient-Übungsgesprächen auf, das von vier anderen Studierenden sowie dem jeweiligen Dozierenden bewertet wurde.

Methodik: Zur Evaluation füllten die Studierenden einen übungs- und effektbezogenen Fragebogen mit 21 Items aus.

Ergebnisse: Den Fragebogen bearbeiteten n = 203 (98%) der Studierenden (59% weibliche, 41% männlich). Für die meisten hatten die videobasierten Situationsanalysen (91%) ziemlich/sehr gut die Nähe zur Praxis der Ärztlichen Gesprächsführung hergestellt. Die Übung „Aufklärungsgespräch/SPIKES-Protokoll“ beurteilten 76% als ziemlich oder sehr hilfreich, um Konzepte der Ärztlichen Gesprächsführung einzuüben. Gefragt zu den Effekten sahen die Meisten den Gedanken der Patientenorientiertheit in der Medizin ziemlich oder sehr befördert (83%). Etwa ein Viertel (24%) gaben an, der Online-Kursus könne nicht oder nur wenig die Präsenzlehre ersetzen. Bei weiblichen Studierenden war diese Einschätzung weniger ausgeprägt als bei dem männlichen (Wilcoxon-Test p<.01).

Schlussfolgerung: Unser Online-Kurskonzept der Arzt-Patient-Gesprächsführung hat bei vorklinischen Studierenden der Medizin insgesamt eine gute Resonanz gefunden. Allerdings sind die Teilnehmer-/innen gespalten, inwieweit das Konzept die Präsenzlehre ersetzen kann.

Schlüsselwörter: Online-Ausbildung, Arzt-Patienten-Kommunikation, Medizinstudenten, Web-basiertes Lernen, E-Learning


1. Einführung und Problemstellung

Die Covid-19 Epidemie ließ es notwendig werden, die Präsenzlehre der Universitätsmedizin in Mainz auch im Fach Med. Psychologie und Med. Soziologie in digitale Lehre umzusetzen. Dies stellte für den Kursus des Faches, der im zweiten Semester der Vorklinik positioniert ist, eine besondere Herausforderung dar, weil zuvor hier die Ärztliche Gesprächsführung auf der Basis von Rollenspielen und in kleinen Gruppen von je 15 Teilnehmern (10 Termine, je 95 Minuten; Themen siehe Tabelle 1 [Tab. 1]) gelehrt und geprüft (mittels Situational Judgement Test oder OSCE) wurde [1]. Weder Rollenspiele vor Ort noch der Einsatz von Simulationspatienten waren nun möglich. Konzepte anderer Fakultäten standen kaum zur Verfügung, und bisher gibt es nur wenige rein webbasierter Kursbeipiele für die Ausbildung in Arzt-Patient-Gesprächsführung . Sie führten aus Sicht ärztlicher Teilnehmer/innen etwa zu einem subjektiven Kompetenzgewinn [2], bei studentischen Nutzern auch zu nachweislich besseren Kommunikationsfertigkeiten [3], [4]. Insbesondere Nachteile webbasierter Programme wie die soziale Isoliertheit, eine ent-individualisierte Instruktion sowie technische Probleme [5] erschienen uns durchaus gegeben. Unser Ziel war es, mittels des nun webbasierten Kurses kommunikatives Handlungs- und Prozesswissen anhand fallbasierter simulativer Umgebungen unterstützt von Lernmanagement Systemen [6] zu vermitteln und die Resonanz und den subjektiven Lerngewinn zu ermitteln.


2. Online-Kurskonzept

Aus dem bisherigen Präsenzkonzept des Kursus standen uns Skriptum, Lehrbuchkapitel, Präsentationsfolien im Power Point®-Format sowie Rollenskripte und dazu passende Checklisten zur Verfügung. Da nur wenig Zeit für die Überführung in ein Online-Konzept vorhanden war, haben wir Themenstruktur und die Aufteilung der Literatur auf die zehn Kurseinheiten belassen. Das Skriptum sowie einen Themen- und Literaturplan konnten die Studierenden schon vor Beginn des Kursus runterladen. Für jede Kurseinheit wurden Woche für Woche die vorhandenen Folien zu Kommunikationskonzepten ohne und mit Tonspur auf die Plattform ILIAS hochgeladen. Dazu haben wir jeweils praxisorientierte Übungen (4-7 Seiten) beigefügt, welche die Studierenden lösen und binnen vier Tagen bearbeitet an die Kursdozenten zurückschicken sollten. Die Übungsaufgaben waren größtenteils im Sinne von Situational Judgement Test gestaltet, z. B. Antworten auf Patientenäußerungen formulieren, Verbesserung von Kommunikation auf der Basis eines Arzt-Patient-Fotos oder -Videos vorschlagen. Optimallösungen wurden nach Ende der Bearbeitungszeit zur Verfügung gestellt. Um das ärztliche Gespräch einzuüben, stellten wir allen Studierenden die Aufgabe, sich etwa via SKYPE mit einem anderen Kursteilnehmer/einer anderen Kursteilnehmerin zu verabreden und ein Arzt-Patient-Simulationsgespräch nach Rollenvorgabe aufzuzeichnen (5-10 Min, insgesamt 230 Aufzeichnungen) und zurückzusenden. Je vier (weitere) Studierenden und die Dozierenden gaben mittels aufgabenbezogener Checklisten (Peer)-Rückmeldung. Die Themen des Kursus sind Tabelle 1 [Tab. 1] zu entnehmen. Zu Beginn des Kurses fand ein virtuelles Treffen der Kursteilnehmer/innen mit dem jeweiligen Dozierenden statt, der auch später noch bei Rückfragen kontaktiert werden konnte.


3. Methodik

Als theoretisches Gerüst erschien ein erweitertes Konzept der „Responsiven Evaluation“ von Heim und Thommen [7] am vorteilhaftesten. Als Evaluation qua Resonanz führt sie dazu, die Studierenden urteilen zu lassen, wie sie die Bestandteile und Effekte des Online-Konzeptes hinsichtlich des Erreichens der mitgeteilten Lernziele einschätzen. Ein entsprechender Ad-hoc Fragebogen bezog sich auf: Praxisbezugs der Übungen (5 Items), die Behilflichkeit bei der Einübung der mitgeteilten Konzepte der Ärztlichen Gesprächsführung (10 Items) und der lernzielbezogenen Effekte des Online-Kurses (6 Items). Die Studierenden konnten auf einer 5-stufigen Likert Skala (1=nicht, 2=wenig, 3=mittelmäßig, 4=ziemlich, 5=sehr) angeben, wie gut sie die genannten Aspekte jeweils ausgeprägt fanden. Der Fragebogen wurde der letzten Übung beigefügt. Zur Auswertung wurden deskriptive Statistiken herangezogen, bei den Effektitems wurden zudem Geschlechterunterschiede mittels Wilcoxon-Rangtest ausgewertet, wobei anzunehmen war [4], das Online-Konzept fände bei Studenten eine bessere Bewertung als bei Studentinnen.

Von den N=208 Studierenden des Semesters füllte N=203 (98%) den Evaluationsfragebogen aus. Von den N=148, die ihr Studiensemester nannten, waren regulär im zweiten Studiensemester 63% (Alter M=24.2 Jahre, N=116/59% weiblich, N=116/56%) ledig/alleinlebend. Eine medizinbezogene Ausbildung hatten 59% (N=116) abgeschlossen, vorwiegend als Krankenpfleger/in (N=50, 43%).


4. Ergebnisse

Gefragt danach wie gut die Aufgabenformen in den zehn Übungen die Nähe zur Praxis der Ärztlichen Gesprächsführung bzw. Kompetenz hergestellt haben, wurden die videobasierten Situationsanalysen am besten bewertet, wie auch aus Tabelle 1 [Tab. 1] zu ersehen ist: hier berichteten 91%, dies sei ziemlich/sehr gut der Fall gewesen.

Die Übung „Aufklärungsgespräch/SPIKES-Protokoll“ befanden 76% als ziemlich/sehr hilfreich, ärztliche Gesprächsführung einzuüben; etwas weniger gut war dies für „Stress und Stressbewältigung“ (60%) der Fall.

Was den Kompetenzgewinn und das Erreichen der Ziele des Online-Kurses betrifft, waren die meisten der Ansicht, die Übungen hätten den Gedanken der Patientenorientiertheit in der Medizin ziemlich/sehr befördert (83%) und ebenso einen Fortschritt im medizinpsychologischen Wissen bewirkt (70%). Etwa ein Viertel (24%) meinten, der Online-Kursus könne nicht oder nur wenig die Präsenzlehre ersetzen. Bei weiblichen Studierenden war diese Einschätzung signifikant weniger ausgeprägt als bei dem männlichen (w: M=3.43, SD=1.19, m: M=3.01, SD=1.17; Wilcoxon-Test p<.01). Diese befanden auch stärker, der Kursus hätte den Gedanken der Patientenorientiertheit in der Medizin befördert (w: M=4.38, SD=.74, m: M=4.06, SD=.74; Wilcoxon-Test p<.001).


5. Schlussfolgerung

Eine Überführung eines Pflichtkursus der Ärztlichen Gesprächsführung in ein Online-Format im vorklinischen Studienabschnitt stellt sich aus der Sicht der Studierenden hinsichtlich der Praxisnähe, der Qualität der Übungen und des Kompetenzgewinns als insgesamt gut zufriedenstellen dar. Für ein Teil der Studierenden, und – im Vergleich mit Peksen [8] unerwartet – vor allem den männlichen Kursteilnehmer ist er jedoch kein adäquater Ersatz für die Präsenzlehre. Welche Lernbedürfnisse hier nicht erfüllt worden sind, kann unsere Evaluation nicht beantworten; dies wollen wir im Wintersemester 2020/21 eruieren. Inwiefern unser webbasiertes Konzept in gleichem Maße wie die Präsenzlehre nachweisbar geeignet ist, die kommunikative Kompetenzen bei dem Studierenden zu befördern, sollte künftig in einem experimentellen Ansatz überprüft werden. Zumindest die Präsenzlehre im Blended-learning Ansatz mit webbasierten Anteilen zu ergänzen, scheint hier eine günstige Strategie für den Erwerb von Handlungswissen auf Ebene des Know-how darzustellen. Ob Online-Aufzeichnungen der Arzt-Patient-Simulationsgespräche und die entsprechenden Checklisten Rückmeldungen zu eine ähnlichen Lerngewinn wie die Arbeit in Kleingruppen führen, ist eine ein weiteres Forschungsdesiderat. Insgesamt ermutigt uns die positive Resonanz der Studierenden, so lange erforderlich an unserem Online-Konzept festzuhalten.


Interessenkonflikt

Die Autor*innen erklären, dass sie keinen Interessenkonflikt im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


Literatur

1.
Fischbeck S, Mauch M, Leschnik E, Beutel ME, Laubach W. Überprüfung ärztlicher kommunikativer Kompetenz mittels einer OSCE bei Studierenden der Medizin im ersten Studienjahr. Psychother Psych Med. 2011;61:465-471. DOI: 10.1055/s-0031-1291277 Externer Link
2.
Bravender T, Tulsky JA, Farrell D, Alexander SC, Østbye T, Lyna P, Dolor RJ, Coffman CJ, Bilheimer A, Lin P, Pollak KI. Teen CHAT: Development and Utilization of a Web-Based Intervention to Improve Physician Communication with Adolescents About Healthy Weight. Patient Educ Couns. 2013;93(3):525-531. DOI: 10.1016/j.pec.2013.08.017 Externer Link
3.
Lee CA, Chang A, Chou CL, Boscardin C, Hauer KE. Standardized Patient-Narrated Web-Based Learning Modules Improve Students' Communication Skills on a High-stakes Clinical Skills Examination. J Gen Intern Med. 2011;26(11):1374-1377. DOI: 10.1007/s11606-011-1809-3 Externer Link
4.
Artemidou E, Adams CL, Vallevand A, Violato C, Hecker KG. Measuring the Effectiveness of Small-Group and Web-Based Training Methods in Teaching Clinical Communication: A Case Comparison Study. J Vet Med Educ. 2013;40(3):242-251. DOI: 10.3138/jvme.0113-026R1 Externer Link
5.
Cook DA. Web-based learning: pros, cons and controversies. Clin Med. 2007;7(1):37-42. DOI: 10.7861/clinmedicine.7-1-37 Externer Link
6.
Boeker M, Klar R. E-Learning in der ärztlichen Aus- und Weiterbildung. [E-learning in the education and training of physicians. Methods, results, evaluation] Bundesgesundheitsbl Gesundheitsforsch Gesundheitsschutz. 2006;49(5):405-411. DOI: 10.1007/s00103-006-1259-y Externer Link
7.
Heim E, Thommen M. Curriculum Psychosoziale Medizin – Entwicklung und Evaluation. In: Saladin P, Schaufelberger HJ, Schläppi P, editors. "Medizin" für die Medizin. Basel: Helbing & Lichtenhahn; 1989. p.187-205.
8.
Peksen S. Wie weiblich ist die digitale Hochschullehre? Geschlechtsspezifische Unterschied in der Digitalisierung der Hochschullehre. Arbeitsbericht der CHE, Arbeitspapier 204. Gütersloh: CHE; 2018. Zugänglich unter/available from: https://www.che.de/wp-content/uploads/upload/CHE_AP_204_Frauen_digitale_Hochschullehre.pdf Externer Link