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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Kriterien von Medizinstudierenden für die Auswahl ihrer zukünftigen klinischen Weiterbildung: Eine Querschnittsbefragung an der Medizinischen Fakultät Rostock

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  • author Anke Gebhard - Universitätsmedizin Rostock, Institut für Immunologie, Rostock, Deutschland
  • corresponding author Brigitte Müller-Hilke - Universitätsmedizin Rostock, Institut für Immunologie, Rostock, Deutschland

GMS J Med Educ 2019;36(6):Doc76

doi: 10.3205/zma001284, urn:nbn:de:0183-zma0012842

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2019-36/zma001284.shtml

Eingereicht: 16. Juni 2018
Überarbeitet: 24. August 2019
Angenommen: 4. September 2019
Veröffentlicht: 15. November 2019

© 2019 Gebhard et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Zielsetzung: Trotz steigender Absolventenzahlen im Studiengang Humanmedizin wird für die kommenden Jahre nicht nur ein Ärzte-, sondern auch ein Facharztmangel in Deutschland vorhergesagt. Gleichzeitig gibt es nur wenige Studien darüber, welche Faktoren Medizinstudierende bei der Facharztwahl überhaupt beeinflussen. Vor diesem Hintergrund wurde an der Universitätsmedizin Rostock eine Studie durchgeführt, um die Entscheidungskriterien für die spätere Facharztwahl zu ergründen.

Methoden: In Fokusgruppen von je vier bis sieben Teilnehmern jeden Studienjahres wurden Kriterien ermittelt, die den Studierenden bei ihrer Facharztwahl als relevant erschienen. Die Interviews wurden transkribiert und die Antworten und Argumente der Teilnehmer in Überkategorien eingeteilt. Anschließend wurde mit den gewonnenen Daten ein Fragebogen erstellt und an alle Studierenden der Humanmedizin elektronisch versandt. Mittels explorativer Faktorenanalyse wurden wichtige Kriterien und ihre Zusammenhänge ermittelt.

Ergebnisse: Insgesamt nahmen 421 Studierende an der Umfrage teil (31,4% Rücklauf) und gaben die eigene klinische Erfahrung, aber auch Patientenkontakt und Work-Life-Balance als wichtigste Kriterien für eine zukünftige Facharztwahl an. 44,8% der Teilnehmer hatten zum Zeitpunkt der Befragung ihre Facharztwahl bereits getroffen, wobei dies mehrheitlich im klinischen Studienabschnitt stattfand und am häufigsten für die Fächer Innere Medizin (15,3%), Allgemeinmedizin (14,2%), Pädiatrie (12,0%) und Chirurgie (11,5%). Bei bereits entschiedenen Studierenden waren die Größe und Komplexität des Fachs sowie die Möglichkeit, eine Beziehung zum Patienten aufzubauen, ausschlaggebend für die Wahl. Die noch nicht Entschiedenen gaben an, dass für ihre Facharztwahl die Familienfreundlichkeit des Fachs, Freizeit und die Meinung anderer wichtig sein würden.

Schlussfolgerungen: Unsere Ergebnisse zeigen, dass die eigene klinische Erfahrung die zukünftige Facharztwahl maßgeblich beeinflussen kann. Früher Kontakt mit den verschiedenen Fachrichtungen könnte daher strukturiert als Entscheidungshilfe eingesetzt werden, um etwaige Vorurteile abzubauen und drohenden Facharztmangel abzuwenden.

Schlüsselwörter: Humanmedizin, Ausbildung, Facharztwahl


Einleitung

Nach abgeschlossenem Studium stehen Mediziner vor der Entscheidung, in welcher Fachrichtung sie als Arzt/Ärztin in Weiterbildung tätig werden möchten. In Deutschland kann zwischen 33 verschiedenen Fachrichtungen gewählt werden, wobei laut aktueller Statistik der Bundesärztekammer die meisten Ärzte in der Inneren Medizin (53.362=13,9%) beschäftigt sind, gefolgt von der Allgemeinmedizin (43.524=11,3%) und der Chirurgie (36.991=9,6%) [1]. Obwohl die Anzahl an Ärzten im Vergleich zu den Vorjahren weiterhin ansteigend ist, wird für Deutschland in den kommenden Jahren aufgrund des zunehmenden Bedarfs ein Ärzte- und Facharztmangel vorhergesagt. Gründe für den Mehrbedarf an ärztlicher Versorgung sind unter anderem die steigendende Altersstruktur der Bevölkerung, die Arbeitszeitverkürzung und zunehmende Beschäftigungsmöglichkeiten. Besonders in der Allgemeinmedizin wird die Problematik deutlich, da dünn besiedelte Regionen zunehmend unterversorgt sind [2], [3].

Um einem drohenden Facharztmangel vorzubeugen und junge Ärzte für vermeintlich unbeliebte Spezialisierungen zu gewinnen, müssen die Kriterien, anhand derer sich letztendlich für ein Fach entschieden wird, bekannt sein. Während es dazu in Deutschland bisher nur wenige Untersuchungen gibt, legen internationale Studien retrospektiver Befragungen von Ärzten nahe, dass Vorbilder mit professionellem Verhalten und Expertise [4] neben der Vereinbarkeit von Beruf und Familie [5], den eigenen Fähigkeiten, dem Patientenkontakt und der klinischen Erfahrungen eine wichtige Rolle spielen [6]. In der vorliegenden Querschnittsstudie wurden Studierende an der Universitätsmedizin Rostock nach ihrem aktuellen Stimmungsbild bezüglich ihrer zukünftigen Facharztwahl befragt. Unser Ziel war es herauszufinden, welche Kriterien die Studierenden in diesem frühen Stadium der Entscheidungsfindung benennen. Folgende Fragestellungen waren von Relevanz:

  • Welche Kriterien beeinflussen die Facharztwahl?
  • Welche Fachrichtungen sind bei Studierenden am beliebtesten?

Methoden

Interviews

Die Datensammlung und -verarbeitung erfolgte angelehnt an die „Grounded Theory“ [7]. So wurden zunächst teilstandardisierte Interviews in Fokusgruppen von je vier bis sieben Teilnehmern des zweiten bis sechsten Studienjahrs durchgeführt. Die Interviewteilnehmer wurden mithilfe selbstgestalteter Flyer, Mundpropaganda und direktem Ansprechen nach Vorlesungen gewonnen. Die Leitfragen des Interviews waren:

  • „Hast du deine Facharztwahl bereits getroffen?“
  • „Wenn ja, für welche Fachrichtung hast du dich entschieden und wie kam es dazu?“
  • „Wenn nein, warum hast du dich noch nicht entschieden?“

Alle Interviews wurden anschließend verbatim transkribiert, mit Hilfe der MAXQDA software (Verbi software GmbH, Berlin) kodiert, und die angegebenen Kriterien in Überkategorien eingeordnet. Die lokale Ethikkommission hat unsere Studie für unbedenklich erklärt (A 2016-0186).

Fragebogenerstellung

Anhand der gesammelten Kriterien und deren Überkategorien wurde mit dem Programm Evasys ein Fragebogen erstellt, der demographische Daten der Studienteilnehmer abfragte und 36 Fragen zu den Kriterien für die Facharztwahl beinhaltete. Die Fragentypen waren sowohl offen, als auch geschlossen. Bei geschlossenen Fragen wurden zum einen dichotome Antwortmöglichkeiten vorgegeben, aber auch Antworten auf Skalenniveau von 1-5 (1: nicht wichtig/trifft überhaupt nicht zu, 5: sehr wichtig/trifft zu). Der Fragebogen wurde im Sommersemester 2017 durch das Studiendekanat Rostock in Form einer Online-Umfrage an alle Studierenden der Universitätsmedizin Rostock versendet. Der Fragebogen ist im Anhang 1 [Anh. 1] zu finden.

Statistische Auswertung

Die Umfrage wurde mithilfe von Microsoft Excel (Microsoft Corporation, Redmond, WA, USA) und IBM SPSS (Armonk, NY, USA) ausgewertet. Die Normalverteilung der Daten wurde mittels Kolmogorow-Smirnow Test überprüft. Um Aussagen über die Reliabilität machen zu können, wurde die innere Konsistenz durch Berechnung von Crohnbachs a bestimmt. X2-Tests (Fragen mit dichotomer Antwortoption) und Mann-Whitney-U-Tests (Fragen mit skalierter Antwortoption) wurden durchgeführt, um die Entscheidungskriterien von bereits entschiedenen und noch nicht entschiedenen Studierenden zu vergleichen. Um die Eignung des Datensatz für eine Faktorenanalyse zu prüfen, wurden sowohl das Kaiser-Meyer-Olkin-Maß und die Kommunalitäten bestimmt, als auch die Anti-Image-Kovarianz-Matrix analysiert. Es wurden insgesamt 47 Variablen berücksichtigt. Anschließend wurde eine explorative Faktorenanalyse (Hauptachsenmethode) mit Varimax-Rotation durchgeführt, um die Kriterien inhaltlich interpretieren und einordnen zu können. Zur Bestimmung der Faktorenzahl wurden das Kaiser-Guttmann-Kriterium und der Scree-Test angewendet.


Ergebnisse

Entwicklung des Fragebogens und Beschreibung des Studienkollektivs

Mit dem Ziel, möglichst viele Kriterien für die Facharztwahl zu identifizieren, wurden fünf teilstrukturierte Fokusgruppeninterviews mit insgesamt 25 Vertretern des jeweils zweiten bis sechsten Studienjahres durchgeführt, wovon 21 weiblich waren. Die Auswertung dieser Interviews bestätigte eine Sättigung der Argumente und erlaubte eine Einteilung der für die Facharztwahl wichtigen Kriterien in die folgenden sechs Überkategorien:

1.
eigene Fähigkeiten/eigener Charakter,
2.
eigene Erfahrungen,
3.
Work-Life-Balance,
4.
Vorbilder,
5.
Berufsperspektive und
6.
Erwartungen/Einschätzungen von außen.

Aus diesen Überkategorien wurde ein Fragebogen mit insgesamt 36 Fragen erstellt, der anschließend elektronisch an alle Studierenden der Humanmedizin an der Universitätsmedizin versendet wurde. Die Berechnung der internen Konsistenz des Fragebogens ergab einen Wert von 0,61 für Crohnbachs a.

Insgesamt nahmen 421 Studierende an dieser Umfrage teil. Bei einer durchschnittlichen Jahrgangsgröße von 224 Studierenden lag der Rücklauf durchschnittlich bei 31,4% mit einer leichten Häufung im 4. und 5. Studienjahr mit 36,6 bzw. 40,6%. Das Durchschnittsalter der Teilnehmer lag bei 23,7±3,4 Jahren und mehr als 70% waren weiblich.

Ergebnisse der explorativen Faktorenanalyse

Um die verschiedenen Argumente im Zusammenhang zu betrachten und die wichtigsten hervorzuheben, wurde eine explorative Faktorenanalyse durchgeführt. Die Ergebnisse dieser Analyse sind in Tabelle 1 [Tab. 1] zusammengefasst und zeigen, dass in unserer Studie acht Komponenten den Großteil an der Gesamtvarianz ausmachten und somit für die Facharztwahl wichtige Kriterien waren. Die Tabelle sortiert diese acht Komponenten nach ihrem Anteil des Eigenwertes an der Gesamtvarianz und listet die beinhalteten Kriterien nach absteigender rotierter Faktorladung. Dabei wurden nur solche Kriterien aufgeführt, deren rotierte Faktorladung größer als 0,5 war. Mit einem Eigenwert von 8,3% war für die Teilnehmer unserer Umfrage die eigene klinische Erfahrung das wichtigste Kriterium bei der Entscheidung für – oder gegen – eine bestimmte Fachrichtung. Diese Komponente war sowohl vom Fachsemester als auch dem Zeitpunkt der Facharztwahl geprägt und beinhaltete Famulaturen, klinische Praktika und Kontakt mit Ärzten. Weitere wichtige Komponenten waren der Patientenkontakt, die Work-Life-Balance, rationale Gesichtspunkte wie Einkommen und Jobsicherheit, externe Einschätzungen, Einfluss der Lehre, die Größe des jeweiligen Fachs sowie das Geschlecht. Diese 8 Komponenten sammelten 39,1% der Gesamtvarianz auf sich.

Zeitpunkt der Entscheidung

Zum Zeitpunkt der Umfrage hatte mit 44,8% bereits knapp die Hälfte aller Teilnehmer ihre Facharztwahl getroffen. In Abbildung 1 [Abb. 1] ist zu erkennen, dass etwa ein Drittel der Studienanfänger mit einer klaren Vorstellung an die Universität kam und sich im Vergleich zum zweiten und dritten Studienjahr häufiger auf eine bestimmte Fachrichtung festlegten. Die Entscheidung für den späteren Facharzt nahm im Verlauf der klinischen Semester zu und im fünften Studienjahr waren zum ersten Mal mehr Studierende entschieden als noch nicht entschieden.

Gewünschte Fachrichtungen der Studierenden

Von den 188 entschiedenen Teilnehmern äußerten 183 ihre angestrebte Fachrichtung. Alle genannten Fächer sind in Abbildung 2 [Abb. 2] zusammengefasst. Die am häufigsten angegebenen Fächer waren Innere Medizin (15,3%), Allgemeinmedizin (14,2%), Pädiatrie (12,0%) und Chirurgie (11,5%). Allerdings gab es hier deutliche Geschlechterunterschiede. Während sich die Teilnehmerinnen vor allem für Fächer wie Pädiatrie, Allgemeinmedizin und Gynäkologie entschieden, nannten die männlichen Studierenden am häufigsten Innere Medizin, Orthopädie/Unfallchirurgie und Allgemeinmedizin als gewünschte Fachrichtung.

In Abbildung 3 [Abb. 3] ist die Entscheidung für ein Fach in Abhängigkeit vom jeweiligen Studienjahr am Beispiel von fünf Fachrichtungen dargestellt. In jedem der fünf Fächer sind deutliche Schwankungen im Laufe des Studiums erkennbar. Aber auch zwischen den einzelnen Fachrichtungen sind Unterschiede zu sehen. So ist zum Beispiel die Begeisterung für die Pädiatrie vor allem in den ersten drei Studienjahren sehr groß und nimmt anschließend ab, wohingegen sie im Fach Allgemeinmedizin ab dem dritten Studienjahr stetig zunimmt. Die Chirurgie erfährt die meiste Begeisterung im dritten und vierten Studienjahr, das Fach Innere Medizin ebenfalls im vierten Studienjahr, während das Interesse für die Radiologie erst gegen Ende des Studiums steigt.

Vergleiche zwischen bereits entschiedenen und noch nicht entschiedenen Studierenden

Um zu untersuchen, ob für bereits entschiedene und noch nicht entschiedene Studierende unterschiedliche Kriterien bei der Facharztwahl eine Rolle spielen, wurden X2-Tests für Fragen mit dichotomer Antwortoption und Mann-Whitney-U-Tests für Fragen mit skalierter Antwortoption durchgeführt. Die Ergebnisse dieser beiden Tests sind in Tabelle 2 [Tab. 2] und Tabelle 3 [Tab. 3] dargestellt und untersuchen dieselbe Fragestellung, nur dass aufgrund der verschiedenen Fragetypen unterschiedliche Tests angewendet werden mussten. Die beiden Tabellen stellen signifikante Unterschiede zwischen bereits entschiedenen und noch nicht entschiedenen Studierenden hinsichtlich der für sie wichtigen Kriterien für die Facharztwahl dar. Tabelle 2 [Tab. 2] zeigt, dass für entschiedene Studierende die Größe und Komplexität des Fachs für die Facharztwahl entscheidend war, wohingegen für die noch nicht Entschiedenen Aspekte wie Familienfreundlichkeit und Freizeit für ihre spätere Wahl im Vordergrund stehen. Tabelle 3 [Tab. 3] zeigt weiter, dass für noch nicht Entschiedene die Meinung anderer sowie Fernsehserien signifikant wichtigere Kriterien für ihre spätere Facharztwahl sind als für diejenigen, die sich bereits für ein bestimmtes Fach entschieden haben. Im Gegensatz dazu war für diejenigen, die sich bereits entschieden hatten, die Möglichkeit, eine Beziehung zum Patienten aufzubauen ein signifikant wichtigeres Entscheidungskriterium. Der Vollständigkeit halber sind in Tabelle 3 [Tab. 3] auch die Kriterien familiäre Einflüsse und positives Feedback mit aufgeführt, deren p-Wert jedoch eine untergeordnete Rolle andeutet. Es war außerdem zu erkennen, dass noch nicht entschiedene Studierende insgesamt mehr Kriterien als wichtig betrachteten als Entschiedene dies bei ihrer Facharztwahl taten.


Diskussion

Unsere Studie zeigt, dass für die Studierenden die eigene klinische Erfahrung eine wichtige Rolle für ihre zukünftige Facharztwahl spielte. Entscheidend waren Famulaturen, klinische Praktika und der Kontakt zu Ärzten. Entscheidungsweisend war außerdem, ob die jeweilige Fachrichtung den Aufbau einer Beziehung zum Patienten, direkten Patientenkontakt oder Gespräche mit Patienten erlaubt. Wichtig für die im Verlauf des Studiums getroffene Facharztwahl war ebenfalls die Work-Life-Balance. Darüber hinaus konnten wir geschlechtsspezifische Unterschiede aufzeigen und frühere Studien bestätigen, die die Innere Medizin, Allgemeinmedizin, Pädiatrie und Chirurgie als beliebteste Fachrichtungen herausstellten [8], [9]. Unerwartet war jedoch das Ergebnis, dass für diejenigen, die ihre Facharztwahl bereits getroffen hatten und für die noch nicht Entschiedenen gänzlich unterschiedliche Kriterien relevant waren. Während bei den Entschiedenen das jeweilige Fach in seiner Größe und Komplexität sowie der Beziehungsaufbau zum Patienten richtungsweisend waren und eine gewisse Begeisterung nachempfinden ließen, haderten die noch nicht Entschiedenen mit der Work-Life Balance und der Meinung von anderen. Fraglich ist, ob diese beiden Aspekte tatsächlich die wichtigsten Gründe für noch nicht entschiedene Studierende darstellen, sich nicht festlegen zu können oder ob sie einfach noch keine Gelegenheit hatten, sich für ein bestimmtes Fach begeistern zu lassen. Unsere Studierenden gaben zum Beispiel auch an, dass die persönliche klinische Erfahrung für ihre momentane Entscheidung für oder gegen eine bestimmte Fachrichtung wichtig war, wo strukturierte Entscheidungshilfen in Zukunft ansetzen könnten. Im Regelstudiengang wird klinische Erfahrung in selbstgewählten Famulaturen oder in den Blockpraktika gewonnen. Allerdings zeigen unsere Verläufe der Begeisterung für die verschiedenen Fächer (siehe Abbildung 3 [Abb. 3]), dass die Pflichtlehre sehr unterschiedliche Effekte haben kann. So ist die Begeisterung für die Chirurgie zum Zeitpunkt der Vorlesung (3. und 4. Studienjahr) deutlich höher als zum Zeitpunkt der Blockpraktika (5. Studienjahr) oder im praktischen Jahr. Ebenfalls nimmt die Begeisterung für die Pädiatrie mit dem Einsetzen der Vorlesung im 4. Studienjahr und den nachfolgenden Blockpraktika ab.

Aus den USA gibt es bereits Beispiele für Programme zur Karriereplanung, wie beispielsweise die „Selectives“ der Mayo Clinic. Ziel dieser ein-bis zweiwöchigen Blockveranstaltungen ist es, Medizinstudierenden durch Workshops, Podiumsdiskussionen und klinische Einblicke bei der Entscheidung für eine spätere Spezialisierung zu helfen [10], [11]. Vergleichbar ist auch das Angebot der Columbia University, die bereits ab dem ersten Semester informelle Gespräche, Hospitationen in verschiedenen Fachrichtungen, individuelle Karriereberatungsgespräche und Diskussionsrunden anbietet [12]. Auch die University of Michigan Medical School bietet Unterstützung im Bereich Karriereplanung an, bei der Selbsteinschätzungsübungen unter Anleitung von professionellen Beratern und Mentoring durch Studierende höherer Semester im Vordergrund stehen und bei den Studierenden zu einer signifikant höheren Zufriedenheit in allen Bereichen der Karriereplanung führt [13]. Es wäre durchaus denkbar, solche Programme auch an deutschen Universitäten zu etablieren.

Für Deutschland sind strukturierte Unterstützungshilfen bei der Karriereplanung bisher nur beispielhaft beschrieben [14]. So bietet die Medizinische Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) ein Mentorenprogramm an, das noch weiter ausgebaut und bundesweit getestet werden könnte [15]. Eine andere Möglichkeit, realistische Einblicke in die verschiedenen Fächer zu gewähren und auch mögliche Vorurteile zu beseitigen, bieten sogenannte „Facharztduelle“ [16]. Da noch nicht entschiedene Studierende unserer Studie mehr Kriterien bei ihrer Facharztwahl berücksichtigten als die bereits Entschiedenen, wären solche Informationsveranstaltungen vor allem für diese Studierenden hilfreich, um etwaige Vorurteile und Fehleinschätzungen zu beseitigen. Bei unseren Studienteilnehmern wurde die Facharztwahl vor allem im fünften und sechsten Studienjahr getroffen, wobei dieser relativ späte Zeitpunkt unserem regulären Curriculum geschuldet sein könnte. Interessant wäre in diesem Zusammenhang, ob in Modellstudiengängen mit frühem klinischen Bezug die Facharztwahl früher getroffen wird und ob ähnliche Kriterien eine Rolle spielen. Grundsätzlich erscheint es sinnvoll, die Studierenden frühzeitig zu beraten und ihnen praktische Erfahrung zukommen zu lassen [17]. Besonders Fächer, in denen ein Ärztemangel absehbar ist oder bereits vorherrscht, könnte man zu einem frühen Zeitpunkt im Studium praxisnah vermitteln und dadurch mehr Studierende für dieses Fach begeistern. So sieht der Masterplan 2020 vor, das Medizinstudium umzustrukturieren und praxisnäher zu gestalten. Dem Arzt-Patienten-Gespräch und der Arzt-Patienten-Beziehung soll insgesamt mehr Beachtung geschenkt und Fächer wie die Allgemeinmedizin gestärkt werden [18].

In den kommenden Jahren wird sich zeigen, ob hierdurch dem Ärztemangel entgegengewirkt werden kann, oder ob weitere Maßnahmen getroffen werden müssen.

Eine Limitation dieser Studie besteht darin, dass wir mit unseren Interviews und im Fragebogen zwar nach Kriterien für die Facharztwahl gefragt haben, wir aber nicht wissen, ob die mit der explorativen Faktorenanalyse ermittelten Kriterien lediglich Momentaufnahmen einer Stimmung im Studium darstellen. Wie stabil diese vermeintlich getroffenen Entscheidungen sind und inwieweit diese während des Studiums genannten Entscheidungskriterien tatsächlich die spätere Facharztwahl beeinflussen, soll in einer Langzeituntersuchung an einem an der Universitätsmedizin Rostock eingeschriebenem Jahrgang genauer untersucht werden. So könnte man beispielsweise auch in Erfahrung bringen, wie oft und warum sich Studierende während des Studiums um entscheiden. Da wir unsere Studie nur an einer Fakultät durchgeführt haben, können wir unsere Daten derzeit nicht verallgemeinern. Allerdings belegt eine Querschnittsstudie aller praktizierender Ärzte aus Finnland, dass die von unseren Studierenden genannten Entscheidungskriterien wie z.B. Erfahrungen während des Studiums, Größe und Komplexität des Fachs, Familienfreundlichkeit, Ansehen, sowie Bedarf und Jobsicherheit auch international relevant sind [19].

Eine Entscheidung, ob und welche Konsequenzen aus den erhobenen Daten an der Universitätsmedizin Rostock resultieren, ist noch nicht gefallen. Denkbar wäre es, vorhandene Programme wie das Treue-Stipendium in Mecklenburg-Vorpommern für angehende Allgemeinmediziner weiter auszubauen oder „Facharztduelle“ auszutragen, um Studierenden während des Studiums Entscheidungshilfen anzubieten.


Danksagung

Wir danken allen Studierenden der Universität Rostock, die an den Interviews und der Umfrage teilnahmen.


Interessenkonflikt

Die Autoren erklären, dass sie keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


Literatur

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