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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Vorschläge für die Gestaltung interprofessioneller Lehrveranstaltungen aus Sicht Lernender – eine qualitative Studie

Artikel Interprofessionelles Lernen

  • corresponding author Veronika Schwarzbeck - Universitätsklinikum Heidelberg, Abteilung Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung, Heidelberg, Deutschland
  • author Jan Hundertmark - Universitätsklinikum Heidelberg, Klinik für Innere Medizin und Psychosomatik, Heidelberg, Deutschland
  • author Katja Wipfler - Universitätsklinikum Heidelberg, Klinik für Anästhesiologie, Heidelberg, Deutschland
  • author Cornelia Mahler - Eberhard-Karls Universität Tübingen, Abteilung Pflegewissenschaft, Tübingen, Deutschland
  • author Susanne Frankenhauser - BG Unfallklinik Ludwigshafen, Centrum für interdisziplinäre Rettungs- und Notfallmedizin, Ludwigshafen, Deutschland
  • author Jobst-Hendrik Schultz - Universitätsklinikum Heidelberg, Klinik für Innere Medizin und Psychosomatik, Heidelberg, Deutschland

GMS J Med Educ 2019;36(1):Doc4

doi: 10.3205/zma001212, urn:nbn:de:0183-zma0012129

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2019-36/zma001212.shtml

Eingereicht: 9. März 2018
Überarbeitet: 14. August 2018
Angenommen: 5. Dezember 2018
Veröffentlicht: 15. Februar 2019

© 2019 Schwarzbeck et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Zielsetzung: Die Bedeutsamkeit interprofessioneller Lehre (IPE) für die interprofessionelle Zusammenarbeit (IPC) und eine damit optimierte Patientenversorgung ist bekannt. Zur bedarfsgerechten Entwicklung von IPE wurden Fokusgruppen mit Lernenden durchgeführt, die deren Erfahrungen mit IPE und IPC eruieren, resultierende Bedarfe an IPE ermitteln und Möglichkeiten zur curricularen Umsetzung diskutieren, um den heutigen Anforderungen an die Gesundheitsversorgung langfristig begegnen zu können.

Methodik: Anhand halbstandardisierter Leitfragebögen wurden fünf interprofessionelle Fokusgruppen mit insgesamt 18 Auszubildenden verschiedener Gesundheitsberufe, sowie Studierenden der Humanmedizin und der Interprofessionellen Gesundheitsversorgung durchgeführt und inhaltsanalytisch ausgewertet.

Ergebnisse: Im Bereich der „curricularen Ansatzpunkte“ ergaben sich die Hauptkategorien „Inhalte“, „Setting“ und „Herausforderungen“. Vorgeschlagene „Inhalte“ von den Lernenden sind Veranstaltungen zu Grundlagenwissen, praktischen Skills, Kommunikation und interprofessioneller Zusammenarbeit. Das „Setting“ soll verschiedene Unterrichtsformen und didaktische Besonderheiten enthalten. Als „Herausforderungen“ wurden Fremdheit, Anforderungen an die Lehrenden, unterschiedliche Bedürfnisse, unterschiedliche Strukturen in den Curricula und unterschiedliches Vorwissen, sowie zeitliche Aspekte benannt.

Schlussfolgerung: Die Teilnehmer konnten auf Basis ihrer bisherigen Erfahrungen mit IPC/ IPE vielfältige Ideen zu weiteren interprofessionellen Lehrveranstaltungen entwickeln. Diese entstanden aus in anderen Kontexten gewonnenen Erfahrungen, welche die Lernenden auf mögliche Anwendungen in IPE und IPC übertrugen. Die Curriculumsentwicklung hinsichtlich IPE soll nun auf Basis der gewonnen Daten weiterentwickelt werden.

Schlüsselwörter: Ausbildung, interprofessionelle Relation, interdisziplinäre Kommunikation, Studenten, Gesundheitsberufe, Empfehlung


1. Einleitung

Interprofessionelle Lehre (IPE) findet statt, wenn „two or more professions learn about, from and with each other to enable effective collaboration and improve health outcomes“ (Übersetzung durch Autoren: “wenn zwei oder mehr Professionen übereinander, voneinander und miteinander lernen, um effektive Zusammenarbeit zu ermöglichen und die Gesundheitsversorgung zu verbessern”) ([16], S. 13). Die WHO rief schon 2010 zur Interprofessionellen Ausbildung auf, um die Interprofessionelle Zusammenarbeit (IPC) zu verbessern [16]. Hierdurch soll ein effektiverer Umgang mit aktuellen Herausforderungen des Gesundheitssystems, wie knappen Ressourcen in der Gesundheitsversorgung oder komplexeren Gesundheitsfragen, und bessere Ergebnisse in der Gesundheitsversorgung, wie höhere Patientensicherheit oder niedrigere Komplikationsraten, erzielt werden [16]. Die positiven Effekte von IPE sind belegt: Reeves et al. identifizierten in ihrem Review über die Wirksamkeit interprofessioneller Ausbildung eine bessere Teamfähigkeit, positivere Einstellungen und ein erhöhtes Wissen über die Zusammenarbeit [14]. In der Literatur werden nach der Teilnahme an IPE-Einheiten positive Veränderungen der Wahrnehmungen und Einstellungen betreffend IPE/ IPC berichtet [3], [15]; außerdem erkannten die Teilnehmer die Wichtigkeit interprofessioneller Teamarbeit [10]. Während Einstellungen Studierender in Bezug auf IPE bereits gut untersucht sind, ist gemäß den einschlägigen Datenbanken (PubMed, Cinahl) die Sichtweise Studierender hinsichtlich Bedarf und Vorschläge möglicher IPE Veranstaltungen kaum zu finden. Konietzko et al. berichten in einer deutschen Bedarfsanalyse Studierender, dass der Wunsch nach mehr IPE und einem interprofessionellen Lernzentrum besteht [9]. Im Rahmen der Entwicklung eines integrierten, interprofessionellen Lehrkonzepts machten Fitzsimmons et al. in den USA bereits positive Erfahrungen mit dem Einbezug Studierender aus verschiedenen Professionen: Die Teilnehmer äußerten den Wunsch nach authentischer Fallbearbeitung und Kleingruppenarbeit zu Verantwortlichkeiten und Rollen [2]. Schon im ursprünglich monoprofessionellen angelegten Kern-Zyklus der Curriculumsentwicklung wird die studentische Wahrnehmung als ein relevanter Aspekt der Bedarfsanalyse betrachtet [5]: Nach der Identifikation des Problems (Schritt eins) werden im zweiten Schritt („Needs Assessment“) sowohl die idealen, angestrebten als auch die gegenwärtigen Charakteristika der Zielgruppe und ihrer Lernumgebung identifiziert, um die von den Lernenden zu entwickelnden Kompetenzen sowie die dazu nötigen curricularen Gestaltungsschritte zu bestimmen. Der Einbezug der Sichtweise der Zielgruppe, etwa in Bezug auf ihren aktuellen Kenntnisstand, Einstellungen gegenüber dem aktuellen Curriculum, sowie Stärken und Schwächen, ist dazu unumgänglich.

1.1. Zielsetzung der Arbeit und Fragestellung

An der Medizinischen Fakultät der Universität Heidelberg finden seit 2012 interprofessionelle Kurse mit Studierenden der Humanmedizin und des Bachelorstudiengangs Interprofessionelle Gesundheitsversorgung (IPG) zu Kommunikationstraining, Fehlerkommunikation, Patientensicherheit, Tutorenschulung und Betriebswirtschaftslehre statt [1], [4], [7], [8]. Die Teilnahme ist für Studierende der Humanmedizin meist nur als Wahlfach möglich und nicht Pflichtteil des Curriculums. Langfristig soll jedoch allen Studierenden ein interprofessioneller Austausch ermöglicht werden und weitere interprofessionelle Lehrveranstaltungen implementiert werden. Wünsche und Bedürfnisse Lernender sind bei der Curriculumentwicklung ein relevanter Aspekt. In der Arbeit von Fitzsimmons et.al. wurden erste Wünsche von Studierenden erfasst, dennoch sind weitere konkrete Ideen der Lernenden selbst für IPE erstrebenswert [2]. Ziel dieser Arbeit ist die Erfassung der Sichtweise Studierender bezüglich IPE und deren Ideen für weitere interprofessionelle Lehrveranstaltungen, um zum Einen diese Forschungslücke zu schließen und in einem weiteren Schritt das interprofessionelle Lehrangebot an der Medizinischen Fakultät in Heidelberg auszubauen.


2. Methoden

Um Wünsche, Bedürfnisse und Herausforderungen aus Sicht Lernender zu erfassen, wurde ein qualitativer Ansatz mit interprofessionell zusammengesetzten Fokusgruppen (FG) gewählt. FG sind eine Form von Gruppeninterview, bei dem zu einem spezifischen Thema vorher festgelegte Fragen von den Teilnehmern diskutiert werden [6]. In Anlehnung an den Kern-Zyklus, bei dem im 2. Schritt zur Curriculumsentwicklung eine Bedarfsanalyse der Lernenden vorgesehen ist [5], wurde ein teilstandardisierter Leitfaden im interprofessionellen Team entwickelt. Unter Berücksichtigung der dort vorgeschlagenen Inhalte, wie curriculumsrelevanter Erfahrungen, Bedürfnisse hinsichtlich der Lehre, Erfahrungen von Lehrformaten etc. [5], wurde folgender Leitfaden entwickelt (siehe Tabelle 1 [Tab. 1]).

2.1. Studienteilnehmer und Datenerhebung

Als geeignete Teilnehmer (TN) für die FG wurden Schüler der Akademie für Gesundheitsberufe, Studierende der Interprofessionellen Gesundheitsversorgung B.Sc. (IPG) und Medizinstudierende, welche bereits an einer oder mehreren interprofessionellen Lehrveranstaltungen teilgenommen bzw. eine vorherige Ausbildung in einem Gesundheitsberuf absolviert haben, identifiziert. Dieses Einschlusskriterium der Medizinstudierenden sollte eine Vertrautheit mit der interprofessionellen Thematik durch Theorie oder Praxis sicherstellen. Teilnehmer wurden durch ein Informationsschreiben zur Studienteilnahme eingeladen. Die FG dauerten ca. 50-70 Minuten. Alle Beteiligten erhielten 15 Euro Entschädigung für ihren Zeitaufwand. In fünf interprofessionell zusammengesetzten Fokusgruppen à drei bis vier Teilnehmern wurden insgesamt neun Studierende der Humanmedizin, fünf Studierende der IPG, wovon sich zwei parallel in der Ausbildung befanden, und vier Auszubildenden der Akademie für Gesundheitsberufe (insgesamt 18 TN) befragt. Ziel war die Durchführung von min. 5 FG, um eine ausreichende inhaltliche Sättigung zu erzielen. Die Teilnehmer waren zwischen 19 und 56 Jahre alt (M=25,2 Jahre) und wiesen aktuelle bzw. bereits abgeschlossene Berufsausbildungen in den Bereichen Medizinisch-Technische Radiologie Assistenz (MTRA) (N=1), Medizinisch-Technische Laboratoriums Assistenz (MTLA) (N=1), Ergotherapie (N=1), Logopädie (N=1), Gesundheits- und Krankenpflege (N=7), Physiotherapie (N=2), Orthoptik (N=1) und Rettungsassistenz (N=1) auf. Die FG wurden von einem interprofessionellen Team aus der Abteilung für Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung, der Klinik für Anästhesiologie und der Klinik für Allgemeine Innere Medizin und Psychosomatik am Heidelberger Universitätsklinikum durchgeführt. Die video- und audioaufgezeichnete Durchführung erfolgte jeweils mit einem Interviewer (VS, JH) und einem Protokollanten.

2.2. Datenauswertung

Die FG wurden mithilfe der f4transkript Software wörtlich transkribiert. Die Videos dienten der Zuordnung der Personen bei der Transkription der FG. Die Datenauswertung erfolgte mithilfe der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring [11], die eine systematische Interpretation der Daten durch festgelegte Analyseregeln und -schritte erlaubt. Durch die systematische Reduktion des Textmaterials wurden induktiv Kategorien gebildet, welche eine abstrakte Verallgemeinerung bestimmter Inhalte darstellen [11]. Ausgewertet wurde unabhängig durch drei Mitarbeiter (VS, JH, KW), welche nach vorher festgelegten Abschnitten über die gefundenen Kodierungen und das Kategoriensystem – welches das Ergebnis der Analyse darstellt [11] – diskutierten, bis eine Übereinstimmung erzielt wurde. Vor Beginn der Datenerhebung wurde ein positiver Bewilligungsbescheid der Ethikkommission der Medizinischen Fakultät Heidelberg (S-380/2016) und die Zustimmung für eine Mitarbeiterbefragung vom Personalrat des Universitätsklinikums Heidelberg eingeholt.


3. Ergebnisse

In der qualitativen Inhaltsanalyse wurden insgesamt sechs Domänen identifiziert. Diese umfassen die „Definition von Interprofessionalität“, „Erfahrungen mit IPE“, „Erfahrungen mit IPC“, „IPC-unabhängige Erfahrungen“, „gewünschte Inhalte und Erfahrungen zu IPC“ und „ curriculare Ansatzpunkte“. Dieser Artikel fokussiert sich auf die „curricularen Ansatzpunkte“, also konkrete Ideen und Vorschläge Lernender für die Ausgestaltung von IPE. Hierzu konnten drei Hauptkategorien „Inhalte“, „Setting“ und „Herausforderungen“ mit insgesamt 12 zugehörigen Unterkategorien (siehe Tabelle 2 [Tab. 2]) herausgearbeitet werden.

3.1. Hauptkategorie: Inhalte

Diese Kategorie umfasst konkrete inhaltliche Vorschläge für künftige interprofessionelle Lehrveranstaltungen aus Sicht der Lernenden. In der Unterkategorie „Grundlagenwissen“ sind Aussagen über gemeinsame Inhalte von verschiedenen Professionen erfasst, die zukünftig in interprofessionellen Lehrveranstaltungen erlernt werden könnten.

„Das kommt auf den Inhalt glaube ich auch ein bisschen drauf an, also es gibt natürlich glaube ich, Themen die auch, im Vorlesungsstil vielleicht erstmal Sinn machen dass alle die gleiche Basis haben, aber dann später soll ja der Praxisalltag, im Vordergrund stehen.“ (FG3TN02)

In der Unterkategorie „praktische Skills“ beschreiben Lernende Fähigkeiten, die gemeinsam gelehrt werden können, wie das gemeinsame Bearbeiten einen Patientenfalls (im Folgenden sind die zu den Unterkategorien zugehörigen Subkategorien durch eine kursive Schrift erkennbar) oder Notfallübungen, durch welche eine gemeinsame Sprache als Basis entwickelt werden kann, die Kommunikation untereinander verbessert wird und verstanden wird, was für jede Berufsgruppe in einem solchen Fall wichtig ist.

„Genau, also wie, wie kann ich in einer Notfallsituation so kommunizieren dass mich der andere versteht und ich den anderen verstehe und ich weiß was er von mir erwartet...“ (FG3TN01).

Realistische/ Praktische Übungen, die auch in der praktischen Zusammenarbeit gemeinsam durchgeführt werden, wie zum Beispiel Schluck- und Trinktraining, Mobilisation, Lagerung, Bewegung oder Verbandwechsel, sollen gemeinsam unterrichtet werden.

„…diese praktischen Übungen ja eher so ein, für ein Feeling sind, wäre es sinnvoll die halt zusammen zu machen das nicht der Arzt jetzt, der Medizinstudent Arzt und Pflegekraft spielt…“ (FG3TN03).

Die Unterkategorie „Kommunikation“ zwischen den Professionen kann aus Sicht der Teilnehmer an klinischen Beispielen thematisiert werden, sowie Patienten- und Angehörigenkommunikationssituationen geübt werden.

„Dass gemeinsame Veranstaltungen zum Beispiel im Hinblick auf Kommunikation, Patientenkommunikation, Angehörigenkommunikation, angeboten werden könnten.“( FG1TN01)

Das Erlernen einer gemeinsamen Fachsprache kann dem gegenseitigen Verstehen zuträglich sein. Hinsichtlich des Patientenumgangs soll das Überbringen schlechter Nachrichten professionsübergreifend gelernt werden, sowie gemeinsame Aufklärungsgespräche und Gesprächsführungstechniken und die Reflektion der eigenen Gesprächsführung gelehrt werden. Anamneseübungen bieten ebenso eine Schnittstelle, interprofessionelles Üben und Schauspielpatienten sind denkbar. Bezüglich der Unterkategorie „Interprofessioneller Zusammenarbeit“ besteht bei den Teilnehmern der Wunsch nach Hospitationstagen, bei denen in die anderen Berufe ‚hinein geschnuppert‘ wird, um sich besser einfühlen zu können. Es geht um das Kennenlernen verschiedener Berufe, darum einen theoretischen Einblick in die anderen Fachbereiche zu bekommen und den Versuch Stereotypien abzubauen.

„ Ja hilfreich wäre natürlich erst mal überhaupt eine Erklärung: Jetzt zum Beispiel was macht ein Physiotherapeut oder Therapeutin oder was genau sind die Aufgabenbereiche in der Krankenpflege. Also dass man darüber überhaupt mal theoretisch was lernt.“( FG2TN01)

Schnittstellen sollen identifiziert werden, um die Zusammenarbeit zu optimieren, voneinander lernen zu können und eigene Kompetenzen besser einschätzen zu können.

3.2. Hauptkategorie: Setting

In der Hauptkategorie des Settings sind Aussagen zur formalen Gestaltung der Lehrveranstaltungen zusammengefasst, so ist für die Teilnehmer in der Unterkategorie „Unterrichtsformen“ verschiedenes denkbar, was sich im Rahmen der Unterrichtsgestaltung als Form für IPE eignet. Dies könnten einzelne Veranstaltungen sein, bei denen man sich intensiv Zeit nimmt, um miteinander ins Gespräch zu kommen, bspw. in Form eines Blockseminars, bis hin zu gemeinsamen Lehrveranstaltungen. Klassische Vorlesungen sind nicht hilfreich, da sie keinen Austausch fördern, wobei zu Beginn der Veranstaltungen ein einführender gemeinsamer Einstieg gewünscht ist, auch mit der Hoffnung eine gemeinsame Basis zu schaffen und anschließend in Kleingruppen zusammen zu kommen, um Hemmungen abzubauen.

„… es bringt mir ja nichts wenn ich sage: ok, ich mache ein Vorlesung, egal über was, was so ein bisschen in jedem Fach vertreten ist, mit verschiedenen Leuten, wenn mir das jemand frontal vorträgt und mir was über Interprofessionalität erzählt, ich meine dann bin ich ja deswegen nicht interprofessionell nur weil ich mir jetzt zwei Stunden Vortrag dazu angehört habe, sondern ich finde auch dann dass man eben, wie in diesem POL, dann muss man eben in Kleingruppen gehen“ (FG5TN04).

Anreize sollen für die TN geschaffen werden, Veranstaltungen sollen aber auf freiwilliger Basis stattfinden. Seltener ist das gegenseitige Besuchen in den Veranstaltungen gewünscht. Tutorien sind eine Möglichkeit einer interprofessionellen Lehrform, wobei Tutorenschulungen auf IPE ausgerichtet sein sollen und die Leitung durch Medizin-Studierende ambivalent gesehen wird, hinsichtlich der Sorge einer Hierarchieverfestigung und positiv hinsichtlich der Chance auf ein kollegiales Verhältnis. Im Bereich des E-Learnings ist es schwer vorstellbar von der Interprofessionalität zu profitieren und problematisch ist, dass nicht alle einen Zugang zu E-Learning haben. Es ist aber als Basis und Vorbereitung vorstellbar, bei der Theorie vermittelt wird, um den Wissensstand anzugleichen, und Lerngruppen oder Face-to Face Treffen organisiert werden können. Informelles Lernen soll gefördert werden um sich zwanglos austauschen zu können und einander kennen zu lernen. Schwierig dabei sind die räumliche Distanz und die unterschiedlichen Kurszeiten und generelle Hemmungen, aufeinander zuzugehen ohne dass ein formaler Rahmen da ist. In der Unterkategorie „Didaktische Besonderheiten“ wurde von den Teilnehmern der Rollenwechsel als wünschenswert für Veranstaltungen benannt.

„ Also das man mal weiß wie es sich anfühlt - in der anderen Position zu sein, auch mal vielleicht, also man kann das ja auch so machen dass man vorher, wie in so einem klassischen Rollenspiel halt durchliest was man machen muss, weil ist ja logisch dass man es in dem Fall nicht perfekt macht oder direkt weiß was man tun soll, aber das man einfach mal, einen andere Position, Perspektivwechsel hat“ (FG3TN01).

Zusätzlich sollen Fälle gemeinsam bearbeitet werden, um dadurch einen Einblick in die anderen Tätigkeitsbereiche zu bekommen.

3.3. Hauptkategorie: Herausforderungen

Die Hauptkategorie der „Herausforderungen“ umfasst alle Aussagen der Lernenden zu möglichen Schwierigkeiten in der Implementierung, Organisation und Durchführung von IPE. Herausforderungen bei der Umsetzung der Ideen für IPE sind unter anderem in der Unterkategorie „Fremdheit“ benannt worden. Zwischen den Studierenden der verschiedenen Fachrichtungen und den Auszubildenden der unterschiedlichen Gesundheitsberufe könnten Hemmungen, miteinander in Kontakt zu kommen, und die Neigung zu Gruppenbildungen mit bereits bekannten Teilnehmern, vorherrschen.

„das ist ja irgendwie auch klar wenn die Leute sich halt kennen, dass man dann eher mit den Leuten redet die man schon kennt.“ (FG4TN03)

Damit einhergehend werden in der Unterkategorie „unterschiedliche Ansprüche und Bedürfnisse“ von den Lernenden verschiedene Schwierigkeiten angeführt, die sich aus den Differenzen bezüglich des benötigten Wissenszuwachses ergeben.

„Und ich glaube auch sonst, also es müsste sich ja quasi mit dem Lehrplan überschneiden, und auch dann ist ja die Intensität und die Tiefe wie man das lernt vielleicht unterschiedlich“ (FG1TN02),

Weitere Herausforderungen stellen die Anforderungen an die „Lehrenden“, das in der Unterkategorie benannte „unterschiedliche Vorwissen“, die „unterschiedlichen Strukturen“ in den verschiedenen Curricula, sowie die „zeitlichen Aspekte“, in Bezug auf die Organisation von Lehreinheiten in den unterschiedlichen Curricula , dar.

„…das müsste man halt eben untereinander so koordinieren dass dann die Pflegeschule sagt hey da haben wir diese Veranstaltung und dann sagt irgendwie das Medizincurriculum hey dann könnten wir unsere Sachen dahin legen, das ist halt ein zeitlicher Aufwand das zu kommunizieren aber ich denke wenn das einmal, ordentlich implementiert ist und diese, diese ganzen Abläufe die sind ja gleich…und wenn das dann einmal ordentlich, organisiert ist dann ist es auch relativ einfach denke ich das dann von Jahr zu Jahr anzupassen.“(FG4TN01)

4. Diskussion

Die Ergebnisse zeigen eine große Bandbreite an Ideen und Vorschlägen Lernender für IPE, wobei sowohl geteiltes fachspezifisches Wissen benannt wurde als auch fächerübergreifende Inhalte, die für IPC wichtig sind. Die Studienteilnehmer wünschten sich mehr Gelegenheiten zum Kennenlernen der anderen Berufsgruppen und Tätigkeitsfelder sowie Veranstaltungen, bei denen eine gemeinsame Sprache etabliert werden kann. Bezüglich der Unterrichtsformen bevorzugen die Teilnehmer gemeinsame Lehrveranstaltungen, in denen Vorlesungen eine gemeinsame Grundlage ermöglichen können, die Arbeit in Kleingruppen aber das Kennenlernen Studierender verschiedener Professionen erleichtern soll, wodurch interprofessionelle Zusammenarbeit direkt erfahren und gelernt werden kann. Unterrichtsformen, in denen neue Perspektiven ein gegenseitiges Verständnis schaffen könnten, wie durch Rollenwechsel, sind gewünscht. Hier kann es zur Förderung des Verstehens des jeweils berufsspezifischen Hintergrundes und einem besseren Einfühlen kommen. Herausfordernd scheint neben der zeitlichen Verankerung interprofessioneller Lehreinheiten durch die Vielzahl der zu berücksichtigenden, verschiedenen Curricula auch unterschiedliches Vorwissen und die unterschiedlichen Bedürfnisse, sowie Ansprüche von den Lehrinhalten zu sein.

Es zeigt sich, dass die Lernenden auf Basis ihrer Erfahrungen vielfältige Ideen haben, was und wie gelehrt werden sollte, und gleichzeitig ein Gespür für mögliche Herausforderungen haben. Der Wunsch nach mehr IPE war vorhanden und unterstützt die Resultate von Konietzko et.al. [9]. Die Studierenden äußerten den Wunsch nach mehr interprofessionellen Lehrveranstaltungen mit Inhalten, die für die interprofessionelle Zusammenarbeit wichtig sind. Gunaldo et.al. [3] und Lumague et. al. [10] betonten ebenfalls schlussfolgernd die Relevanz der Inhalte von IPE Kursen für das Kennenlernen wichtiger IPC Aspekte [3] und die Entwicklung von Kompetenzen, welche für die interprofessionelle Zusammenarbeit hilfreich sind [10]. Diskutiert wurde die Frage, ob es um konkrete, berufsbezogene Inhalte oder um übergreifende Inhalte gehen sollte. Ähnlich wie bei Fitzsimmons et.al. zeigte sich der Wunsch Anreize für die Teilnahme an IPE zu schaffen und der Wunsch nach Kleingruppenarbeit, um die unterschiedlichen Berufe und Tätigkeitsfelder, Rollen und Verantwortlichkeiten kennen zu lernen [2]. E-Learning wurde von den Lernenden ambivalent gesehen; gerade den Nutzen des Alleine- Lernens vor dem eigenen Computer in Bezug auf die Förderung interprofessionellen Lernens hinterfragten sie kritisch. In den Ergebnissen des Scoping-Reviews von Reeves et.al. [13] wird eine ähnliche Tendenz zur Isolierung durch E-Learning und der damit verbundenen Problematik der beeinträchtigten Effektivität der Kurse beschrieben. Andererseits wurde in mehreren Studien berichtet, dass gerade durch die Vorteile des E-Learnings, wie dem einfachen Zugang und dem Überwinden geografischer Grenzen, interprofessionelle Zusammenarbeit gefördert wurde [13].

Viele der von den Studierenden antizipierten Herausforderungen in der Implementierung, bestätigen die Implementierungserfahrungen von Nock von 2016, der eine Zunahme der organisatorischen Herausforderungen in der zeitlichen Verankerung mit steigender Anzahl eingebundener Professionen beschreibt, sowie Herausforderungen in der Vorbereitung der Lehrkräfte und unterschiedlichen Lernkulturen [12]. Es scheint, dass die Lernenden auch ohne eigene Erfahrungen in der Implementierung solcher Lehrveranstaltungen bereits gut die herausfordernden Aspekte antizipieren können.

Insgesamt hatten die Lernenden vielfältige Ideen zu den Inhalten und dem Aufbau interprofessioneller Lehrveranstaltungen die sich jedoch vor allem an bereits gemachten Erfahrungen orientierten. Völlig neuartige Ideen wurden weniger benannt. Dies kann einerseits darauf verweisen, dass es mit den bereits erfahrenen Methoden genügend Anhaltspunkte für weitere Entwicklungen im Bereich IPE gibt, andererseits könnte das Interviewsetting oder der verwendete Leitfaden eine Generierung weitergehender Ideen nicht hinreichend gefördert haben.

Stärken der hiesigen Untersuchung sind das interprofessionelle Setting in den Fokusgruppen, aber auch im Forschungsteam, sowie der direkte und kreative Meinungsaustausch in den FG.

4.1. Limitationen

Eine Limitation ist, dass qualitative Forschung keine Verallgemeinerungen zum Ziel hat, sondern die Bandbreite an Meinungen erfassen will, um einen Themenüberblick zu erhalten. Für die mögliche Ausweitung des interprofessionellen Lehrangebots auf Basis der Fokusgruppen bedeutet dies, dass hier Ideen generiert werden konnten, welche nicht zwangsläufig den Wunsch einer breiten Masse darstellen. Eine Limitation stellt somit die subjektive Sichtweise als Herangehensweise dar, welche keine objektiven Kriterien zur Orientierung für die Gestaltung von IPE bietet. Zusätzlich unterliegen interprofessionell zusammengesetzte FG potenziell der sozialen Erwünschtheit und schaffen deshalb eher einen Konsens zwischen den Teilnehmern, als vorrangig die Diversität in den Meinungen zu erfassen. Darüber hinaus sind potentielle Vermischungen der Erfahrung mit interprofessionellen und monoprofessionellen Lehrveranstaltungen bei der Diskussion der Frage nach Erfahrungen mit IPE nicht auszuschließen.


5. Schlussfolgerung

Lernende können auf Basis vorangegangener Erfahrungen mit IPE/ IPC vielfältige Ideen zu weiteren interprofessionellen Lehrveranstaltungen entwickeln und stellen somit eine wichtige Informationsquelle dar. Durch interprofessionelle Fokusgruppen gewonnene Vorschläge zu Inhalten können vielseitig sein, unterschiedliche Ideen für ein Setting von IPE generieren sowie verschiedene Herausforderungen bezüglich der Implementierung antizipieren. Lernende zeigen sich sehr interessiert am weiteren Ausbau interprofessioneller Lehrveranstaltungen, erkennen die Wichtigkeit interprofessioneller Zusammenarbeit und nutzen FG um sich über verschiedene Ideen zu Möglichkeiten der Implementierung auszutauschen. Auf Basis der gewonnenen Daten soll nun die Curriculumsentwicklung in Bezug auf interprofessionelle Lehre weiterentwickelt werden. Weitere Untersuchungen zu konkreten Unterrichtsplanungen aus Sicht Lernender wären hilfreich, um einen tieferen Einblick in die Vorstellungen von IPE aus dieser Perspektive zu bekommen. Darüber hinaus könnten Experteninterviews eine weiterführende Untersuchung fördern und der sozialen Erwünschtheit weniger unterliegen als Fokusgruppen.


Ethik

Diese Studie wurde von der Ethikkommission der Medizinischen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg (Nr. S-380/2016) und dem Personalrat des Universitätsklinikums genehmigt.


Danksagung

Diese Arbeit wurde durch das Projekt Sonderlinie Medizin vom MWK unterstützt. Ein herzlicher Dank geht an Lydia Oeljeklaus für die Transkription der Fokusgruppen und an Johanna Hoffmann, die unterstützend bei der Datenerhebung tätig war, sowie an die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Fokusgruppen.


Interessenkonflikt

Die Autoren erklären, dass sie keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


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