gms | German Medical Science

GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Untersuchung zum wissenschaftlichen Kompetenzerwerb im Medizinstudium und während der Promotion

Artikel Wissenschaftliche Kompetenzen

  • corresponding author Nurith Epstein - Klinikum der Universität München, LMU München, Institut für Didaktik und Ausbildungsforschung in der Medizin, München, Deutschland
  • author Johanna Huber - Klinikum der Universität München, LMU München, Institut für Didaktik und Ausbildungsforschung in der Medizin, München, Deutschland
  • author Martin Gartmeier - Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München, Lehrstuhl für Medizindidaktik, medizinische Lehrentwicklung und Bildungsforschung, TUM Medical Education Center, München, Deutschland
  • author Pascal O. Berberat - Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München, Lehrstuhl für Medizindidaktik, medizinische Lehrentwicklung und Bildungsforschung, TUM Medical Education Center, München, Deutschland
  • author Maike Reimer - Bayerisches Staatsinstitut für Hochschulforschung und Hochschulplanung (IHF), München, Deutschland
  • author Martin R. Fischer - Klinikum der Universität München, LMU München, Institut für Didaktik und Ausbildungsforschung in der Medizin, München, Deutschland

GMS J Med Educ 2018;35(2):Doc20

doi: 10.3205/zma001167, urn:nbn:de:0183-zma0011678

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2018-35/zma001167.shtml

Eingereicht: 16. August 2017
Überarbeitet: 12. Dezember 2017
Angenommen: 26. Januar 2018
Veröffentlicht: 15. Mai 2018

© 2018 Epstein et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Hintergrund: Das Medizinstudium in Deutschland steht in Bezug auf seine wissenschaftlichen Inhalte ebenso in der Kritik wie die medizinische Promotion. Welche wissenschaftlichen Kompetenzen Studierende der Medizin im Rahmen des Studiums und der Promotion tatsächlich erlernen ist jedoch eine empirisch offene Frage, der die folgende Arbeit nachgehen möchte.

Methoden: Zunächst wurden Daten des bayerischen Mediziner/innen-Absolventenpanels (MediBAP) herangezogen (N=455), in dem Befragte ihre Kompetenzen in Bezug auf übergreifende wissenschaftsbezogene Kompetenzen einschätzten. Zur Vertiefung der Daten wurden qualitative Interviews der E-Prom Studie mit promovierten und promovierenden Medizinerinnen und Medizinern ausgewertet (N=14).

Ergebnisse: Die quantitativen Auswertungen weisen auf eine geringe Bewertung wissenschaftlicher Studieninhalte sowie eine generell geringe wissenschaftliche Kompetenzeinschätzung hin. Promovierte schätzen ihre Kompetenzen in den Bereichen des eigenständigen Forschens signifikant besser ein. Im Einklang mit diesen Ergebnissen stehen die qualitativen Analysen, die auf die vorwiegende Kompetenzentwicklung in der Promotionsphase hindeuten. Trotz der deutlich positiven Entwicklung im Rahmen der Promotion traut sich der Großteil der Befragten am Ende der Promotionsphase keine selbständige Forschungstätigkeit zu.

Schlussfolgerung: Die Ergebnisse dieser Arbeit unterstreichen, dass eine systematischere und zielorientiertere Vermittlung und Überprüfung wissenschaftlicher Kompetenzen im Medizinstudium dringend notwendig sind.

Schlüsselwörter: wissenschaftliche Kompetenzen, medizinische Promotion, medizinisches Curriculum


1. Hintergrund

Eine unzureichende Vermittlung wissenschaftlicher Kompetenzen im Rahmen des Medizinstudiums wird in Fachkreisen immer wieder beklagt. So macht die Deutsche Forschungsgemeinschaft [1] darauf aufmerksam, dass „[w]enn ein universitäres Grundstudium zwar berufsqualifizierende Kenntnisse vermittelt, jedoch keine wissenschaftliche Grundausbildung leistet, …seine Organisation überdacht werden [muss]“ (vgl. ebd. S. 3). Auch der Wissenschaftsrat kritisierte erst kürzlich wieder einen Mangel an wissenschaftlichen Inhalten im Medizinstudium [2]. Diese Kritik bezog sich auf Modell-/Reformstudiengänge, bei denen nur vereinzelt positive Maßnahmen in diese Richtung festgestellt wurden. Zudem ist anzumerken, dass auch die Erwartungen der Studierenden im Bereich der Wissenschaftskompetenz gering sind: Nur ein Drittel erwartet vom Studium „dass es zur selbstständigen Anwendung von Forschungsmethoden befähigt“ ([3], S.138)

Angesichts dieser Problematik erscheint es zunächst paradox, dass ein Großteil der Medizinstudierenden dennoch promoviert – Zahlen zum Promotionsanteil schwanken zwischen 60 [4] und 80 Prozent [5], [6]. Die humanmedizinische Promotion wird allerdings meist studienbegleitend angefertigt [7] und oft unmittelbar nach dem Abschluss beendet. Kritiker werfen daher die Frage auf, ob es überhaupt möglich ist, während des Studiums eine Promotion anzufertigen, die an die qualitativen Standards verwandter naturwissenschaftlicher Fächer heranreicht [5]. Zudem sollte die wissenschaftliche Qualität einer Dissertation mit den erworbenen wissenschaftlichen Kompetenzen der Promovendin oder des Promovenden in Zusammenhang stehen.

Die bekannte methodische Vielfalt medizinischer Promotionen (z.B. experimentell, klinisch, statistisch, theoretisch) lässt keinen Schluss auf die Qualität oder das Anspruchsniveau einer Arbeit zu. Während einzelne Arbeiten mit fragwürdigem Inhalt und fragwürdiger Qualität in der Presse diskutiert werden (z.B. [8]), fehlt bislang eine systematische, empirische Bestandsaufnahme der Qualität medizinischer Promotionen. Zwar ist der Anteil publizierter medizinischer Dissertationen in Form von Journal-Artikeln in den letzten Jahren zumindest an Einzelfakultäten angestiegen [9], [10], [11], jedoch wurde die Veröffentlichung dieser auch unlängst und provokativ als „Kontamination der Forschungsliteratur“ bezeichnet [12].

Weiterhin gibt es wenige kleinere, standortspezifische Studien, in denen Absolventinnen und Absolventen der Medizin bezüglich der Sinnhaftigkeit ihrer Promotion befragt wurden [9], [10], [13]. Ein Großteil der Befragten gibt hier zwar an, die Promotion wäre sinnvoll gewesen, woraus sich jedoch nicht ableiten lässt, welche Kompetenzen dabei tatsächlich erworben wurden. Die Sinnhaftigkeit könnte sich ebenso auf wahrgenommene Karrieremöglichkeiten beziehen oder auf einen Erwerb nicht-wissenschaftlicher Kompetenzen. Im Rahmen einer weiteren Studie mit Medizinabsolventinnen und -absolventen an fünf Fakultäten in Baden-Württemberg, gab der Großteil der Befragten an promoviert zu haben, da dies in der Medizin üblich sei [14].

In diesem Zusammenhang sind auch die Ergebnisse einer Studie aussagekräftig, bei der Promovierte der Medizin und anderer Lebenswissenschaften vergleichend befragt wurden. Hier zeigten sich eine geringere Publikationsproduktivität promovierter Medizinerinnen und Mediziner, sowie eine signifikant geringere wissenschaftliche Selbstwirksamkeitserwartung im Vergleich zu Promovierten der Lebenswissenschaften kurz nach Abschluss der Promotion [15]. Sie trauen sich also in geringerem Maße zu, wissenschaftsbezogene Tätigkeiten – wie z.B. Publizieren oder Drittmittel einwerben – erfolgreich auszuführen. Aufgrund der zeitlichen Nähe zum Promotionsabschluss ist davon auszugehen, dass hier vor allem unterschiedliche Erfahrungen im Studium und in der Promotion zur niedrigeren Einschätzung in der Medizin geführt haben. Es ist jedoch möglich, dass sich berufliche Wege nach der Promotion ebenfalls in dem Antwortverhalten widerspiegeln.

Im Einklang mit der Kritik an der Wissenschaftlichkeit des Medizinstudiums und den Hinweisen auf ein geringer ausgeprägtes wissenschaftliches Interesse bei Medizinstudierenden [15], [16] wird weiterhin beklagt, dass zu wenige Ärztinnen und Ärzte in der Forschung aktiv sind und entsprechende Karrierewege einschlagen (vgl. zusammenfassend [13]). Der wissenschaftliche Kompetenzerwerb ist jedoch für alle Medizinstudierenden wichtig, nicht nur um einer forschenden Tätigkeit nachzugehen, sondern auch zur Ausübung evidenzbasierter Medizin, also der Integration von bestverfügbarer wissenschaftlicher Erkenntnis, klinischer Expertise und Patientenwerten und -wünschen [2] in die klinische Tätigkeit. Hierbei geht es nicht etwa darum, dass Ärztinnen und Ärzte zu „Hochleistungswissenschaftlern“ ausgebildet werden [17], sondern, neben anderen ärztlichen und sozialen Kompetenzen, über ein solides wissenschaftliches Fundament verfügen. Offen ist die Frage, inwieweit wissenschaftliche Kompetenzen im Studium und der Promotion in ausreichendem Maße vermittelt werden, sodass Absolventinnen und Absolventen einerseits fähig sind, ihre klinische Tätigkeit im Sinne evidenzbasierter Medizin auszuüben; andererseits, einer möglichen forschenden Tätigkeit nachzugehen bzw. eine Karriere in der Forschung erfolgreich zu bestreiten. Daher geht dieser Artikel der Frage nach, welche wissenschaftlichen Kompetenzen im Medizinstudium und der Promotion vermittelt bzw. erlernt werden. Da wissenschaftliche Kompetenzen für Medizinerinnen und Mediziner als sehr wichtig eingestuft werden, jedoch ein mangelndes Interesse an Wissenschaft beklagt wird, geht der Artikel der weiteren Frage nach, welche Faktoren den wissenschaftlichen Kompetenzerwerb beeinflussen.


2. Methode

Zur Beantwortung der Fragestellung werden zwei Studien berichtet, in denen Daten aus zwei Quellen herangezogen wurden: Grundlage der ersten Studie sind quantitative Daten aus dem bayerischen Absolventenpanel der Medizin (MediBAP). Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer bewerteten hier wissenschaftliche Inhalte des Studiums und ihre wissenschaftlichen Kompetenzen. Um mehr über den Kompetenzzuwachs im Rahmen der Promotion zu erfahren wurde im Rahmen der zweiten Studie auf eine weitere Datenquelle zurückgegriffen: In der E-Prom Studie [http://www.klinikum.uni-muenchen.de/E-Prom/de/index.html] wurden promovierte Medizinerinnen und Mediziner interviewt (vgl. [18]). Diese qualitativen Daten ergänzen das MediBAP bzgl. der Bewertung des wissenschaftlichen Kompetenzerwerbs im Studium. Da die Probandinnen und Probanden im Rahmen strukturierter Leidfadeninterviews nach Studium und Promotion getrennt befragt wurden, ist eine Differenzierung zwischen diesen beiden Phasen möglich. Durch die Möglichkeit frei zu antworten, erlauben die Daten eine feingliedrigere Ermittlung von erworbenen und nicht-erworbenen wissenschaftlichen Kompetenzen. Im Folgenden werden die Methoden und Ergebnisse beider Studien vorgestellt; daran schließt sich eine integrative Diskussion der Ergebnisse an.

2.1. Quantitative Studie (MediBAP)
2.1.1. Stichprobe

Das MediBAP wurde erstmalig im Winter 2015/16 durch das Bayerische Staatsinstitut für Hochschulforschung und Hochschulplanung (IHF) in Kooperation mit der Arbeitsgruppe Qualitätsmanagement und Absolventenbefragung (Q & A) des Kompetenznetzes Medizinlehre Bayern (KMB) durchgeführt [19]. Im Rahmen des MediBAP wurden Absolventinnen und Absolventen befragt, die zwischen dem 1. Oktober 2014 und dem 30. September 2015 ihr Studium in Human-, Zahn- oder Tiermedizin an einer der fünf bayerischen Medizinfakultäten (FAU Erlangen-Nürnberg, LMU München, TU München, Universität Regensburg oder JMU Würzburg) abgeschlossen hatten (vgl. ebd.: [1]). Die Befragung wurde im Wintersemester 2015/16 durchgeführt [19]. Zur Beantwortung der Fragestellung dieser Arbeit wurden die Daten der im Rahmen dieser Erhebung befragten Humanmedizinerinnen und -mediziner verwendet (N=479). Die Geschlechterverteilung (65 Prozent weiblich) innerhalb des Datensatzes stimmt gut mit der bundesweiten Geschlechterzusammensetzung im Fach Humanmedizin überein [20]. Die mittlere Studiendauer von 13,2 Fachsemestern ist in der Stichprobe etwas höher als in der Grundgesamtheit [11], [8], jedoch gibt es keine Unterschiede im Notendurchschnitt ([18], S.8). Der Anteil der Promovierenden liegt in der Stichprobe bei 69 Prozent, 21 Prozent haben bereits promoviert, 4 Prozent haben noch vor zu promovieren und 3 Prozent geben an, nicht promovieren zu wollen. Damit ist auch die Datenlage zur Promotionsintensität in dieser Stichprobe mit den Ergebnissen anderer Studien vergleichbar (vgl. Kapitel 1).

2.1.2. Operationalisierung und Auswertung

Das MediBAP beinhaltete zwei Frageblöcke in Bezug auf den wissenschaftlichen Kompetenzerwerb [21]. Zunächst sollten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zwei Aspekte der Vermittlung von Wissenschaftskompetenzen im Studium bewerten (Einübung in wissenschaftliche Arbeitsweisen und Anfertigen wissenschaftlicher Texte). Anschließend wurde mittels der Skala „Kompetenzen zum wissenschaftlichen Handeln“ des Freiburger Kompetenzfragebogens abgefragt, in welchem Ausmaß verschiedene wissenschaftliche Kompetenzen im Studium erworben wurden [22]. Die Einschätzung der Items erfolgte auf einer fünfstufigen Likert-Skala, wobei höhere Werte einer stärkeren Zustimmung entsprachen (5=in hohem Maße, 1=in geringem Maße). Ein weiteres Einzelitem im Fragebogen bezog sich darauf, inwieweit das Studium darauf vorbereitet, im derzeitigen Beruf wissenschaftlich zu handeln. Da die genannten Items unterschiedliche wissenschaftliche Kompetenzen und Beurteilungen des Studiums abfragten, wurden diese einzeln betrachtet und nicht als Skalen zusammengefasst.

Die Item-Ausprägungen wurden bei Betrachtung von wissenschaftlichen Inhalten im Studium für die Gesamtstichprobe, bei Beurteilung von erworbenen wissenschaftlichen Kompetenzen und wissenschaftlicher Handlungsfähigkeit im Beruf nach Promotionsstatus (Promovierte vs. Nicht-Promovierte) analysiert. Bei Auswertungen nach Promotionsstatus wurde die Gruppe der Promovierenden nicht betrachtet, da bei dieser große Heterogenität im Fortschritt der Promotion vermutet wurde. Unterschiede zwischen Promovierten und Nicht-Promovierten werden mit t-Tests auf Signifikanz geprüft.

Personen, die keine Angabe zum Status ihrer Promotion machten (N=24), wurden nicht in die Analysen einbezogen. In den Frageblöcken wurden die Fallzahlen konstant gehalten, sodass nur Personen betrachtet wurden, die keine fehlenden Werte in den Items eines Frageblocks aufwiesen.

2.2. Qualitative Studie (E-Prom)
2.2.1. Stichprobe

Im Rahmen der E-Prom Studie wurden zehn Promovierte und vier Promovierende der Medizin befragt (vgl. auch [13], [15]). Die Interviews wurden im Zeitraum zwischen Oktober 2014 und November 2015 durchgeführt. Einen Überblick über die Teilnehmerinnen und Teilnehmer gibt Tabelle 1 [Tab. 1].

2.2.2. Instrumente der Datenerhebung und Auswertung

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer wurden mittels eines strukturierten Leitfadens interviewt. Dieser gliederte sich nach der akademischen Laufbahn der Befragten, beginnend mit der Aufnahme des Studiums und abschließend mit dem Berufseinstieg und den beruflichen Zielen (vgl. [13], [15]). Die Interviews wurden wörtlich transkribiert. Zur Auswertung der Interviews wurde nach Mayring [23] primär deduktiv ein Kodierschema (vgl. [13], [15] und Anhang 1 [Anh. 1]) entwickelt, wobei die Subkategorien induktiv während des Kodierens gebildet wurden. Die Kodierung erfolgte satzweise. Im Weiteren wurden die gesamten Interviews in Bezug auf alle Kategorien kodiert, da die Interviewten nicht nur innerhalb der jeweils spezifischen Frage relevante Aussagen machten. Basierend auf diesen im Rahmen der E-Prom Studie durchgeführten Kodierungen wurden in dieser Arbeit nur die kodierten Textstellen ausgewertet und analysiert, die für die Frage nach dem wissenschaftlichen Kompetenzerwerb in Studium und Promotion relevant waren. Die relevanten Hauptkategorien waren „Wissenschaftlicher Kompetenzerwerb im Studium“, „Fehlende Kompetenzen nach und während der Promotion“, „Gründe für fehlende Kompetenzen“, „Neue Kompetenzen nach der Promotion“ und „Relevanz erlernter Kompetenzen für die Karriere“. Die Interrater-Reliabilität zweier unabhängiger Rater wurde mittels Cohens Kappa [23] berechnet (vgl. [13], [15]) und lag für die im Anhang beschriebenen Kategorien bei einem guten Wert von 0,86 [24], [25]. Bei der Berechnung von Cohens Kappa wurde das Vorhandensein des Codes als Maß der Übereinstimmung zugrunde gelegt, da der genaue Ort der Kodierung im Interview keine Rolle spielte. Die Kategorien mit zugehörigen Subkategorien werden im Anhang 1 [Anh. 1] dargestellt.


3. Ergebnisse

3.1. Quantitative Ergebnisse
Bewertung wissenschaftlicher Inhalte im Studium

Die Ergebnisse der Bewertung wissenschaftlicher Studieninhalte werden in Tabelle 2 [Tab. 2] dargestellt. Die Beurteilung der Einübung wissenschaftlicher Arbeitsweisen im Studium liegt in der Gesamtstichprobe leicht unter dem Skalenmittelpunkt von 3. Das Erlernen des Anfertigens wissenschaftlicher Texte wird noch niedriger bewertet. Diese Bewertungen liegen ebenfalls deutlich unter den Werten zur Vermittlung klinischer Kompetenzen im Medizinstudium [20]. So liegt beispielsweise der Mittelwert für die Vermittlung „Allgemeine Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten bzgl. differentialdiagnostischer Überlegungen“ bei 3,5.

In Tabelle 3 [Tab. 3] wird die Bewertung des Studiums als Vorbereitung auf die wissenschaftliche Handlungsfähigkeit im Beruf dargestellt. Der Wert dieses Items liegt in der Gesamtstichprobe und in den betrachteten Teilgruppen leicht unter dem Skalenmittelpunkt. Ebenso wie andere wissenschaftliche Aspekte wird also auch die Vorbereitung des Studiums auf die wissenschaftliche Handlungsfähigkeit geringer eingeschätzt als nicht wissenschaftliche, klinische Kompetenzen.

Bewertung der eigenen wissenschaftlichen Kompetenzen

In Tabelle 4 [Tab. 4] sind die wissenschaftsbezogenen Items des Freiburger Kompetenzfragebogens abgebildet. Die Fähigkeiten, eigene Ideen und Ideen anderer in Frage zu stellen, sowie die Fähigkeit, medizinische Informationen aus der Laienpresse einzuordnen, werden – im Vergleich zu den anderen Items der Skala – deutlich höher eingeschätzt. Dies könnte daran liegen, dass diese Items weniger stark die Kernkompetenzen wissenschaftlicher Tätigkeit, wie z. B. das Konzipieren von Studien- und Auswertungsdesigns und das Generieren wissenschaftlicher Hypothesen, adressieren als die beiden letzten Items der Skala. So zeigt sich, dass die Bewertung methodischer und ethischer Aspekte einer Studie, im Hinblick auf die Entscheidung sich daran zu beteiligen, als auch die Fähigkeit zum eigenständigen Forschen deutlich niedriger ausfallen. Signifikante Unterschiede zwischen Nicht-Promovierten und Promovierten gibt es lediglich in der Einschätzung der Fähigkeit, eigenständig zu forschen (t(129)=3.74; p=0.000), hier schätzen sich Promovierte besser ein.

3.2. Qualitative Ergebnisse
Wissenschaftlicher Kompetenzerwerb im Studium

Auch wenn Teilnehmerinnen und Teilnehmer berichteten, dass einzelne wissenschaftliche Kompetenzen im Studium vermittelt wurden, z.B. im Rahmen von Statistikveranstaltungen oder Laborpraktika, wurde der Kompetenzzuwachs überwiegend als gering eingestuft. Wissenschaftliche Kompetenzen werden von den Befragten mit eigenständigem Denken und Arbeiten in Verbindung gebracht. Auch dieser Aspekt wird eher gering eingeschätzt, vor allem aufgrund der „Verschultheit“ des Medizinstudiums:

So … wissenschaftliches Arbeiten haben wir in dem Studium eigentlich nicht so sehr gelernt muss man sagen. Es war doch eher sehr verschult, man hat da ein Buch und den Stoff und dann wird‘s gelernt und dann wird‘s wieder abgefragt. (Interview 1415, Abschnitte 32-34).

Bei der Frage nach dem wissenschaftlichen Kompetenzerwerb im Studium wird bereits deutlich, dass dieser zum größten Teil der Promotionsphase zuzuschreiben ist:

Also eigentlich bei mir jetzt, genau, man kriegt so ein bisschen mit, ok es gibt hier ne Studie, oder es gibt hier solche Ergebnisse, aber tatsächlich die wissenschaftliche Arbeit oder so, das ist eigentlich nur in der Promotion dann gewesen, ja. (Interview 8, Abschnitt 37).
Wissenschaftlicher Kompetenzerwerb im Rahmen der Promotion

Im Weiteren wurden die Befragten zu ihrem wissenschaftlichen Kompetenzerwerb im Rahmen der Promotion interviewt; hier ging es sowohl um den Erwerb neuer Kompetenzen, als auch den Aspekt fehlender Kompetenzen. Diesbezüglich wurden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer gefragt, welche Kompetenzen ihnen während sowie nach der Promotion gefehlt haben. Der erste Aspekt lässt wieder Rückschlüsse auf das medizinische Regelcurriculum zu. Der zweite Aspekt ist bezüglich der Vorbereitung auf eine klinische, evidenzbasierte Tätigkeit bzw. einer fortgeführten Forschungstätigkeit/Forschungskarriere relevant. Hier soll zunächst auf den Aspekt der fehlenden Kompetenzen im Rahmen der Promotion eingegangen werden; danach werden durch die Promotion erworbene Kompetenzen und zuletzt fehlende Kompetenzen nach der Promotion dargestellt.

Fehlende Kompetenzen während der Promotion

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer berichteten insbesondere über Probleme mit dem wissenschaftlichen Schreiben. Diese waren häufig unmittelbar mit einem mangelnden Forschungsüberblick in dem in der Dissertation bearbeiteten Forschungsfeld verbunden. So wurden mehrfach Probleme mit dem Verfassen des Diskussionsteils berichtet, für den ein Forschungsüberblick, das Bewerten von Forschungsergebnissen und das Einordnen der eigenen Ergebnisse, zentral sind.

Ich fand Einleitung und Material und Methoden sehr einfach und ich fand die Auswertung und die Diskussion sehr schwierig zu schreiben, also inhaltlich gesehen. (Interview 22, Abschnitt 155).
[…] Aber z.B. die Diskussion, die denk ich, das ist einfach ein Teil, den kann man als Medizin-Doktorand am Anfang noch nicht so schreiben, dass der jetzt anderen Wissenschaftlern genügen würde. (Interview 21, Abschnitt 178-180).

Weitere Probleme bezogen sich auf das wissenschaftliche Schreiben an sich, d.h. sich wissenschaftlich auszudrücken, eventuell auch noch in englischer Sprache. Die Schwierigkeiten, Forschungsergebnisse zu Papier zu bringen, wurden auch mit dem Medizinstudium in Verbindung gebracht, in dem es in der Regel außerhalb der Dissertation kaum nötig ist (wissenschaftliche) Texte zu verfassen.

Und zum anderen, wie man auch Sachen korrekt formuliert, das war auch etwas - man muss das Ganze auf Englisch schreiben. […] dass man aber das Ganze auch wissenschaftlich formuliert und halt nicht auf Kindergartenniveau irgendwelche Halbwahrheiten verzapft. Interview 21, Abschnitte 187 und 190).
Neue Kompetenzen nach der Promotion

Insgesamt ist festzustellen, dass die erworbenen Kompetenzen im Rahmen der Promotion stark von der persönlichen Motivation und dem wissenschaftlichen Interesse des Einzelnen abhängen. Die Motivation und das Interesse stehen dann wiederum auch mit der Wahl des Promotionsprojekts in Verbindung, so dass bei hoher Lernmotivation auch ein anspruchsvolleres Projekt gewählt wird, bzw. dieses auch mit einem höheren Anspruch bearbeitet wird. So wird von einer von Beginn an gering wissenschaftlich interessierten Teilnehmerin eingeräumt, dass die wissenschaftlichen Kompetenzen sich eher auf geringem Niveau weiterentwickelt hätten und dass einiges davon bereits wieder vergessen wurde:

Als spezifische neu erworbene Kompetenzen werden insbesondere Methodologie (Aufbau von Studien, z.B. Experimenten) und Methoden (z.B. statistische Auswertung, Labormethoden) genannt.

Auch die methodologischen Aspekte, insbesondere der Aufbau von Versuchen, sind nicht nur wichtig für das eigene Forschen, sondern auch für das Verstehen und Einordnen anderer Forschungsliteratur und der eigenen Ergebnisse im Kontext derselben.

Im Weiteren werden auch Kompetenzen im Zusammenhang mit dem wissenschaftlichen Publizieren genannt. Dazu gehört das wissenschaftliche Schreiben inklusive formaler Aspekte (Formatierung, richtiges Zitieren), aber auch das Umgehen mit Reviewer-Kommentaren.

Trotz des Kompetenzzuwachses in diesem Bereich wird aber auch deutlich, dass sich die Befragten nach der Promotion noch nicht zum vollständig eigenständigen Forschen bzw. Publizieren in der Lage fühlen.

Ich sag mal, kompetent, also man hat fast immer noch, also ok, es ist noch sehr viel Platz nach oben. Ich fühl mich kompetent genug, meiner Chefin ein ordentliches, ordentliches Manuskript abzuliefern. Was aber diskutiert werden muss. (Interview 8, Abschnitte 145-147).

Die Befragten beschreiben zudem, Kompetenzen erworben zu haben, die nicht alleine für die wissenschaftliche Arbeit wichtig sind. Hier handelt es sich um „die wissenschaftliche Denkweise“ bzw. eine systematische Arbeitsweise/Herangehensweise an Probleme, aber auch eine höhere Frustrationstoleranz, eine selbstständige Arbeitsweise und Verantwortungsbewusstsein.

Wie bereits angedeutet, wird von den Interviewten auch die eigene Motivation als ein wichtiger Grund für den Kompetenzzuwachs genannt. Eine weitere Rolle spielt insbesondere aber auch die Förderung durch die Doktormutter bzw. den Doktorvater oder andere unterstützende Personen.

Ich würde sagen, schon irgendwie mein persönliches Interesse und mein Ehrgeiz, das auch zu machen. Gerade wenn ich mir meine Kommilitonen angucke, die jetzt ewig nicht fertig werden, würd ich sagen, Wissenschaft, oder das Erlernen von wissenschaftlichen Methoden, hat auch sehr viel mit eigenem Interesse und dem Willen zu tun, das, das können zu, das zu können quasi. Und dann natürlich auch mein Doktorvater, der mich ganz gut angeleitet hat, und auch meine Eltern, die mir bei der Erstellung der Arbeit sehr viele Tipps gegeben haben. (Interview 1, Abschnitt 110).

Im Kontext der eigenen Motivation wird auch deutlich, wie wichtig das selbstständige Arbeiten ist, welches wiederum ein gewisses Maß an Selbstwirksamkeitserwartung voraussetzt, d.h. das Vertrauen in die eigene Fähigkeit, sich Dinge zu erarbeiten und umzusetzen.

Das war halt wirklich, dass man selber etwas macht. Dass man sich selber hinsetzt mit den Daten und mit dem Statistikprogramm arbeitet und schaut was rauskommt und lernt halt auch die Ergebnisse einzuschätzen. […] Also ich denke das ist halt wirklich, dass man selber was dabei gemacht hat. (Interview 11, Abschnitt 118).
Fehlende Kompetenzen nach der Promotion

Hier wird am häufigsten die methodische Kompetenz genannt, das eigenständige wissenschaftliche Schreiben bzw. Verfassen von wissenschaftlichen Zeitschriftenartikeln – auch auf Englisch – Präsentieren von wissenschaftlichen Ergebnissen, beispielweise auf Konferenzen, die Kommunikation mit anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, aber auch die Betreuung von Doktorandinnen und Doktoranden.

Eine Erklärung für fehlende methodische Kompetenzen ist zumeist das Forschungsprojekt der Doktorarbeit, in dem eine recht enge Forschungsfrage bearbeitet wird. So ist beispielsweise eine Promovendin oder ein Promovend, die bzw. der eine klinische Fragebogenstudie durchführt, nicht im Bereich tierexperimenteller Forschung ausgebildet. Aber auch im Bereich der angewandten Methoden der eigenen Doktorarbeit werden noch Defizite ausgemacht. So beschreiben Befragte, dass sie zwar z.B. im Bereich Statistik etwas dazugelernt haben, aber dem Expertenstatus durchaus noch fern sind. Dies hat wiederum auch mit der engen Forschungsfrage der Promotion zu tun:

Also ich glaube, was vielleicht schon so eine Sache ist, was die statistische Auswertung betrifft, habe ich mir wirklich eigentlich nur Basiskenntnisse angeeignet, die ich halt für meine Arbeit gebraucht habe. Es ist jetzt aber nicht so, dass ich da ein umfassendes Wissen hätte. Wenn man wirklich eine wissenschaftliche Karriere machen wollen würde, finde ich, müsste man sich viel mehr mit Statistik befassen. (Interview 22, Abschnitte 144-146).

Die fehlenden Kompetenzen werden also zum Großteil auf den eng abgesteckten thematischen Bereich der Promotion zurückgeführt, aber auch auf die relativ kurze Zeit, die sich die Befragten im „wissenschaftlichen Milieu“ aufhalten. Dies trifft auch auf weitere Kompetenzen zu, wie dem Einwerben von Drittmitteln, das Arbeiten mit Kooperationspartnern oder dem Betreuen von Abschlussarbeiten. Das Fehlen dieser Kompetenzen wird vor allem dadurch erklärt, dass diese im Regelfall nicht im Rahmen einer medizinischen Promotion erworben werden können. Zudem ist anzumerken, dass diese Bereiche besonders nach der Promotion wichtig sind, aber während der Promotion meistens noch nicht gebraucht werden. So werden diese vor allem von Befragten als fehlend empfunden, die auch nach der Promotion weiterhin forschend tätig sind.

Insgesamt wird, wie erwartet, deutlich, dass die wahrgenommenen fehlenden Kompetenzen ebenso wie die erworbenen Kompetenzen von dem persönlichen Engagement und dem Anspruch der eigenen Doktorarbeit abhängen, sodass wissenschaftlich Interessierte häufiger auf Bereiche eingehen, die schon mit einer wissenschaftlichen Karriere zu tun haben, oder auf Kompetenzen bzw. zukünftigen Herausforderungen auf höherem Niveau eingehen:

Einschätzung der Relevanz wissenschaftlicher Kompetenzen

Der Großteil der Befragten schätzt die gesammelten Erfahrungen und den Kompetenzerwerb in der Promotionsphase als wichtig und relevant für den weiteren beruflichen Weg ein. Dies ist, wie zu erwarten, insbesondere bei Medizinerinnen und Medizinern der Fall, die weiterhin forschend tätig sind, da hier das erworbene Wissen für die Tätigkeit Voraussetzung ist. Andere Befragte, die nicht mehr forschend tätig sind, sehen die Relevanz der im Zuge der Promotion angeeigneten Kompetenzen mehr im Bereich allgemeiner Kompetenzen, wie selbstständigem Arbeiten, analytischem Denken, Verantwortungsbewusstsein, Menschenkenntnis usw.

Ja, ja, auf jeden Fall. Das selbstständige Arbeiten muss man ja auch in der Klinik haben. Und auch diese analytische Denk- und Handlungsweise, das ist ja auch wichtig, sag ich mal. Und, ja, Verantwortungsbewusstsein auch. (Interview 18, Abschnitt 167).

Die Bedeutung der erlernten wissenschaftlichen Kompetenzen für die evidenzbasierte Medizin wird von den Studienteilnehmerinnen und -teilnehmern seltener angesprochen.

[…]Und wenn man halt am Geschehen mitwirken will, dann muss man sich halt mit dem aktuellsten Stand konfrontieren und der steht halt noch nicht im Lehrbuch. […] Und ich glaube, das ist schon was, was mir halt viel gebracht hat. (Interview 2, Abschnitt 79).

4. Diskussion

Die Analysen der Daten des MediBAP und insbesondere der qualitativen Interviewdaten mit Promovierten der Medizin weisen darauf hin, dass der wissenschaftliche Kompetenzerwerb im Medizinstudium nur gering verankert ist und überwiegend in der Promotionsphase stattfindet. Da diese, anders als in anderen Fächern, die erste wissenschaftliche Arbeit darstellt, muss das korrekte wissenschaftliche Arbeiten erst noch erlernt werden. Dazu gehören Formalia wie das Formatieren und richtige Zitieren, aber auch der Aufbau einer wissenschaftlichen Arbeit und eine wissenschaftliche Ausdrucksweise. Insbesondere das wissenschaftliche Schreiben, als essentielle wissenschaftliche Fertigkeit, fällt medizinischen Doktorandinnen und Doktoranden schwer. Dies zeigt sich deutlich in den quantitativen Daten: Hier werden das „Erlernen des Anfertigens wissenschaftlicher Texte“ im Studium, sowie auch das „Einüben wissenschaftlicher Arbeitsweisen“, als niedrig eingestuft. So verwundern diese Probleme in der Promotionsphase nicht.

Vielfach werden Probleme beim Verfassen von Textteilen berichtet, bei denen eine Einordnung in die Forschungsliteratur notwendig ist (Interpretation und Diskussion von Ergebnissen). Dies weist darauf hin, dass es den Doktorandinnen und Doktoranden schwerfällt, sich im Rahmen der Promotion einen umfassenden Forschungsüberblick zu ihrem Thema zu verschaffen. Dieses Ergebnis ist ein weiterer Hinweis auf die unzureichende Vermittlung von Basiskenntnissen des wissenschaftlichen Arbeitens im Medizinstudium, die ebenfalls von den Befragten berichtet wird. Um dieses Ergebnis besser einordnen zu können, wäre ein Vergleich mit anderen naturwissenschaftlichen Fächern sinnvoll. Da in diesen aber vor der Promotion bereits andere wissenschaftliche Arbeiten erfolgreich verfasst werden müssen (neben Abschlussarbeiten auch Seminararbeiten etc.), dürfte hier die Einschätzung dieser Kompetenzen höher ausfallen.

Die Analyse der qualitativen Daten zeigt, dass Medizinerinnen und Mediziner dann im Rahmen der Promotion doch vielfältige wissenschaftliche Kompetenzen erwerben. Hier betonen Promovierte insbesondere methodische Fertigkeiten aber auch Methodologie, die es ihnen dann erlauben, Studien zu bewerten. Die Beurteilung von Studien ist ein zentraler Aspekt der evidenzbasierten klinischen Medizin. Diese Kompetenz wird sehr klar der Promotionsphase zugeschrieben. Sie sollte jedoch ebenso bei nicht promovierten Ärztinnen und Ärzten vorhanden sein. Die wissenschaftliche Handlungskompetenz im Beruf wird in den Daten des MediBAP mit Werten durchschnittlich etwas unter dem Skalenmittelpunkt bewertet. Dies ist – auch im Vergleich zur Einschätzung von anderen, medizinischen Fachkompetenzen (vgl. [16]) – als niedrig zu beurteilen. In den qualitativen Interviews schätzen Befragte mit geringerem Forschungsinteresse die Promotion auch für eine klinische Tätigkeit als wertvoll ein, da u.a. eigenständiges Arbeiten und soziale und kommunikative „Soft-Skills“, wie der Umgang mit Patientinnen und Patienten, gelernt wurden. Seltener wird die Relevanz der Beurteilung neuer Studienergebnisse für die klinische Tätigkeit genannt. Weitere Studien sollten hier untersuchen, inwiefern das Konzept der evidenzbasierten Medizin bei Studierenden und praktizierenden Ärztinnen und Ärzten bekannt ist.

Während die Promovierten einen Kompetenzzuwachs in weiteren Bereichen berichten, wie dem eigenständigen Arbeiten, dem Wissen über den Aufbau einer wissenschaftlichen Arbeit, dem richtigen Zitieren, etc., werden aber auch Defizite deutlich. So nennen die Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer insbesondere Schwierigkeiten beim selbstständigen Einordnen/Bewerten ihrer Forschungsergebnisse und, damit verbunden, Schwierigkeiten beim Verfassen bestimmter Teilaspekte ihrer Dissertation. Zudem ist die wissenschaftliche Kompetenzentwicklung auf die spezifische Forschungsfrage der Promotion fokussiert. Eine breit angelegte wissenschaftliche Basis-Ausbildung kann die medizinische Promotion also in ihrer Natur nach gar nicht leisten.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, dass der Kompetenzzuwachs stark mit der Motivation und dem Forschungsinteresse der Promovierenden zusammenhängt und demnach stark zwischen den Befragten variiert. So befähigt die Promotion nicht alle Promovierenden zum selbstständigen wissenschaftlichen Arbeiten und kann ihre Funktion nicht in allen Fällen erfüllen. In diesem Zusammenhang wird auch deutlich wie wichtig es ist die „Bemühungen vieler Medizinischer Fakultäten zur Hebung der Qualität medizinischer Promotionen“ zu intensivieren [7]. Der Deutsche Hochschulverband schlägt hier beispielsweise vor „medizinische Dissertationen nur für solche Themen zu vergeben, die einen substantiellen Beitrag zum wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt leisten“ (vgl. ebd.). Solch eine Maßnahme würde die Möglichkeit einer „Schmalspurpromotion“ zumindest verringern.

Im Einklang mit den qualitativen Ergebnissen fällt in den Daten des MediBAP die Bewertung der Kompetenz zum eigenständigen Forschen im Vergleich zu allgemeiner formulierten Kompetenzen, wie z.B. dem Einordnen von medizinischen Informationen aus der Laienpresse, auch für Promovierte eher niedrig aus – auch wenn diese sich, wie zu erwarten, signifikant besser als Nicht-Promovierte einschätzen.

Eine Einschränkung der Aussagekraft der quantitativen Daten ergibt sich durch die Item-Formulierungen. Zukünftige Befragungen, in denen wissenschaftliche Kompetenzen von Medizinerinnen und Medizinern erfasst werden, sollten auf eine konkretere Benennung wissenschaftlicher Kompetenzen achten. So ist der Umgang mit medizinischen Informationen aus der Laienpresse ein wichtiger Indikator evidenzbasierter Praxis, bezogen auf die Wissenschaftskompetenz wäre aber insbesondere die Einordnung von Studienergebnissen im wissenschaftlichen Kontext bedeutsam. Aber auch andere Items, die spezifische, wissenschaftliche Kompetenzen adressieren, können konkretisiert und präzisiert werden. So ist die Einübung wissenschaftlicher Arbeitsweisen sehr ungenau formuliert, da das wissenschaftliche Arbeiten aus vielen Teilaspekten bzw. Teilarbeitsschritten besteht. Es wäre wünschenswert, solche Aspekte in Zukunft differenzierter zu erfassen und zwischen dem wissenschaftlichen Kompetenzerwerb im Rahmen des Studiums und der Promotion zu unterscheiden. Aufgrund der Vielfalt wissenschaftlicher Kompetenzen wäre es hilfreich ein gemeinsames Grundverständnis zu haben, welche wissenschaftlichen Kompetenzen im Rahmen verschiedener Studienphasen in der Medizin erlernt werden sollen. Der Nationale Kompetenzbasierte Lernzielkatalog Medizin (NKLM) umfasst bereits eine detaillierte Auflistung „medizinisch-wissenschaftlicher Fertigkeiten“, die als Basis für zukünftige Erhebungen dienen können [http://www.nklm.de].

Um die Promotionsqualität in der Medizin flächendeckend und differenziert zu erfassen, wäre eine direkte inhaltlich-methodische Analyse medizinischer Dissertationen erforderlich. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass der vielfach diskutierte Mangel an Wissenschaftskompetenz unter angehenden Ärztinnen und Ärzten auch durch die vorliegende Studie bestätigt wird. Diese unterstreicht die Notwendigkeit, Wissenschaftskompetenz im Medizinstudium systematisch und zielorientiert zu lehren und zu prüfen. Zudem stellt sich die Frage, wie medizinische Promotionen zukünftig an den einschlägigen Fakultäten strukturiert werden sollen. Dies umfasst die Auswahl der Bewerberinnen und Bewerber sowie „transparente Verfahren der Qualitätssicherung“ [7].


Anmerkung

Das Bayerische Absolventenpanel Medizin (MediBAP) wurde im Rahmen des Kompetenznetzes Medizinlehre Bayern, gefördert durch das Bayerische Staatsministerium für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst, der Arbeitsgruppe Qualitätsmanagement und Absolventenbefragungen in Kooperation mit dem Bayerischen Staatsinstitut für Hochschulforschung und Hochschulplanung durchgeführt.

Die E-Prom Studie wurde durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert.


Danksagung

Wir danken allen Verantwortlichen und Partnern der Studien E-Prom und MediBAP für die freundliche Kooperation und Überlassung der Daten. In diesem Zusammenhang möchten wir auch den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der beiden Studien herzlich danken.


Interessenkonflikt

Die Autoren erklären, dass sie keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


Literatur

1.
Deutsche Forschungsgemeinschaft. Empfehlungen der Senatskommission für Klinische Forschung – Strukturierung der wissenschaftlichen Ausbildung für Medizinerinnen und Mediziner. Bonn: Deutsche Forschungsgemeinschaft; 2010.
2.
Wissenschaftsrat. Empfehlungen zur Weiterentwicklung des Medizinstudiums in Deutschland auf Grundlage einer Bestandsaufnahme der humanmedizinischen Modellstudiengänge. Köln: Wissenschaftsrat; 2014. Zugänglich unter/available from: http://www.wissenschaftsrat.de/index.php?id=1233&L= Externer Link
3.
Loos S, Sander M, Albrecht M. Systematische Situationsanalyse zum wissenschaftlichen Nachwuchs in der klinischen Forschung. Berlin: IGES; 2014.
4.
Putz RM. Medizinstudium, Promotion, Habilitation in Deutschland. Wissenschaftl Medizinerausbild. 2011;51-56.
5.
Wissenschaftsrat. Empfehlungen zu forschungs- und lehrförderlichen Strukturen in der Universitätsmedizin. Drs. 5913/04. Berlin: Wissenschaftsrat; 2004.
6.
Beisiegel U. Motivation des Nachwuchses für die medizinische Forschung. Bundesgesundheitsbl Gesundheitsforsch Gesundheitsschutz. 2009;52(8):850-855. DOI: 10.1007/s00103-009-0904-7 Externer Link
7.
Deutscher Hochschulverband. Zukunft der medizinischen Promotion. Bonn: Deutscher Hocschulverband; 2016. Zugänglich unter/available from: https://www.hochschulverband.de/969.html#_ Externer Link
8.
Horstkotte H. Wie gut sind Mediziner-Promotionen? Zeit. 2011. Zugänglich unter/available from: http://www.zeit.de/studium/hochschule/2013-10/doktorarbeiten-promotionen-wissenschaft-mediziner Externer Link
9.
Pabst R, Strate J, Rothkoetter HJ. Die medizinische Dissertation. Sinnvolle Ergänzung - oder Ablenkung vom Studium? Dtsch Ärztebl. 1997;A 97(37):2314-2317.
10.
Pabst R, Park DH, Paulmann V. Die Promotion in der Medizin ist besser als ihr Ruf: Ergebnisse einer Befragung von Doktoranden. Dtsch Med Wochenschr. 2012;137(45):2311-2315. DOI: 10.1055/s-0032-1327241 Externer Link
11.
Ziemann E, Oestmann JW. Publikationen von Doktoranden 1998-2008 das Beispiel Charité. Dtsch Arztebl Int. 2012;109(18):333-337.
12.
O.V. Ills of the system. Reform is long overdue for Germany's archaic medical-education system, which puts undue pressure on students and contaminates the scientific literature. Nature. 2015;527:7. DOI: 10.1038/527007a Externer Link
13.
Weihrauch M, Weber A, Weltle D, Pabst R, Lehnert G. Der Weg zum Dr. med. wie beurteilen Doktoranden Ihre Dissertation? Dtsch Med Wochenschr. 1998;123(13):375-380. DOI: 10.1055/s-2007-1023974 Externer Link
14.
Giesler M, Boeker M, Fabry G, Biller S. Importance and benefits of the doctoral thesis for medical graduates. GMS J Med Educ. 2016;33(1):Doc8. DOI: 10.3205/zma001007 Externer Link
15.
Epstein N, Pfeiffer M, Eberle J, Von Kotzebue L, Martius T, Lachmann D, Mozhova A, Bauer J, Berberat PO, Landmann M, Herzig S, Neuhaus BJ, Offe K, Penzel M, Fischer MR. Nachwuchsmangel in der medizinischen Forschung. Wie kann der ärztliche Forschernachwuchs besser gefördert werden? Beitr Hochschulforsch. 2016;38(1-2):162-189.
16.
Briedis K, Jaksztat S, Preßler N, Schürmann R, Schwarzer A. Berufswunsch Wissenschaft. Vol. 8, Laufbahnentscheidungen für oder gegen eine wissenschaftliche Karriere. Forum Hochschule. 2014:1-77.
17.
Quadbeck E. Interview mit Frank Ulrich Montgomery - Wir brauchen eine Untergrenze für Ärzte. Düsseldorf: RP Online; 2017. Zugänglich unter/available from: http://www.rp-online.de/panorama/deutschland/frank-ulrich-montgomery-fordert-eine-untergrenze-fuer-aerzte-aid-1.6749885 Externer Link
18.
Fischer MR, Epstein N, Pfeiffer M. Einfluss der Promotionsphase auf die Karriere von Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftlern in den Lebenswissenschaften, Studie 2 (E-Prom, Studie 2), Verbundprojekt des Klinikums der Universität München, der Ludwig-Maximilians-Universität München, der Technischen Universität München und der Universität zu Köln, Qualiservice. München: LMU München; 2016.
19.
Falk S, Reimer M, Wieschke J, Heidrich S, Bogner M. Bayerische Mediziner Jahrgang 2015: Rückblick aufs Studium, Weiterbildung und Berufsübergang. München: Bayerisches Staatsministerium für Hochschulforschung und Hochschulplanung; 2015.
20.
Statistisches Bundesamt. Prüfungen an Hochschulen. Destatis. 2015;49:1-452.
21.
Reimer M, Wieschke J, Müller C. Feldbericht der 1. Medibap-Befragung. München: Bayerisches Staatsministerium für Hochschulforschung und Hochschulplanung; 2017.
22.
Giesler M, Forster J, Biller S, Fabry G. Entwicklung eines Fragebogens zur Erfassung von Kompetenzen in der Medizin: Ergebnisse zur Reliabilität und Validität. GMS Z Med Ausbild. 2011;28(2):Doc31. DOI: 10.3205/zma000743 Externer Link
23.
Cohen J. Weighted kappa: Nominal scale agreement provision for scaled disagreement or partial credit. Psychol Bull. 1968;70(4):213-220. DOI: 10.1037/h0026256 Externer Link
24.
Mayring P. Qualitative Inhaltsanalyse. In: Mey G, Mruck K (Hrsg). Handbuch Qualitative Forschung in der Psychologie. Heidelberg: VS Verlag für Sozialwissenschaften; 2010. S.601-613. DOI: 10.1007/978-3-531-92052-8_42 Externer Link
25.
Lombard M, Snyder-Duch J, Bracken C. Content Analysis in Mass Communication: Assessment and reporting of intercoder reliability. Hum Commun Res. 2002;28(4):587-604. DOI: 10.1111/j.1468-2958.2002.tb00826.x Externer Link