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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Anvertraubare professionelle Tätigkeiten in der Weiterbildung in ambulanter allgemeiner Pädiatrie – Bedarf, Entwicklung und Umsetzung eines kompetenzbasierten Weiterbildungscurriculums

Artikel Kompetenzen

  • corresponding author Folkert Fehr - Gemeinschaftspraxis für Kinder- und Jugendmedizin, Sinsheim an der Elsenz, Deutschland
  • author Christoph Weiß-Becker - Gemeinschaftspraxis für Kinder- und Jugendmedizin, Husum, Deutschland
  • author Hera Becker - Universitätsklinikum Heidelberg, Klinik Kinderheilkunde I, Heidelberg, Deutscland
  • author Thomas Opladen - Universitätsklinikum Heidelberg, Klinik Kinderheilkunde I, Heidelberg, Deutscland

GMS J Med Educ 2017;34(5):Doc67

doi: 10.3205/zma001144, urn:nbn:de:0183-zma0011443

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2017-34/zma001144.shtml

Eingereicht: 23. Oktober 2016
Überarbeitet: 17. April 2017
Angenommen: 7. August 2017
Veröffentlicht: 15. November 2017

© 2017 Fehr et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Für eine strukturierte kompetenzbasierte Weiterbildung fehlt eine flächendeckende, verbindliche curriculare Vorgabe und damit die Grundlage der Vergleichbarkeit der Kompetenzen von Ärztinnen in Weiterbildung (ÄiW). Die Arbeitsgruppe Weiterbildung der Deutschen Gesellschaft für Ambulante Allgemeine Pädiatrie (DGAAP) hat deshalb nach dem Konzept der Entrustable Professional Activities reale anvertraubare professionelle Tätigkeiten (APT) der Grundversorgung identifiziert, Anzahl und Umfang entschieden, Titel und Inhalte definiert, Kompetenzdomänen ausgewählt, erforderliches Wissen und notwendige Fähigkeiten spezifiziert und Prüfungsmethoden beschrieben. Diese Handreichung steht für pädiatrische Weiterbilder unter dem Namen PaedCompenda elektronisch zur Verfügung und wird in Anwendung und Wirksamkeit vom GMA-Ausschuss Weiterbildung begleitet. Die Praxis der Weiterbildung in der Pädiatrie sollte APTs berücksichtigen. Dazu ist die Einbindung ambulanter Abschnitte in der Facharztweiterbildung wünschenswert. Die primärversorgende Pädiatrie muss dazu ihre Lernorte zu vorbereiteten Lernumgebungen für Ärztinnen in Weiterbildung und ihre Praxisinhaber zu Lehrern weiterentwickeln.

Schlüsselwörter: Ambulante Weiterbildung, Grundversorgung, Verbundweiterbildung, Ambulante allgemeine Pädiatrie, Praxis


Einleitung

Bedarf und Probleme

Die aktuelle Weiterbildung in Deutschland wird von der (Muster-)Weiterbildungsordnung der Bundesärztekammer reguliert und unterscheidet sich deutlich in verschiedenen medizinischen Fachdisziplinen und Weiterbildungsorten der gleichen Disziplin. In der Pädiatrie sind bis zu 24 Monate in der Praxis anzurechnen. Aber es befinden sich die meisten Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung (ÄiW) im Krankenhaus, während Fachärzte für Kinder- und Jugendmedizin zur Hälfte in der ambulanten Grundversorgung arbeiten.

Die meisten Kinder werden in Deutschland in den Praxen der grundversorgenden Kinder- und Jugendärzte gesehen. Die Vorstellungsanlässe in den primärversorgenden Praxen haben sich entscheidend verändert. 25% ihrer Arbeitszeit verbringen Pädiater heute mit der Versorgung der so genannten neuen Morbiditäten, weitere 30% mit Früherkennungsuntersuchungen und Schutzimpfungen. Die ÄiW halten sich größtenteils im Krankenhaus auf. Das Spektrum der Kinder- und Jugendkliniken hat sich verändert von der allgemeinen Pädiatrie hin zur Neu- und Frühgeborenen-Medizin und der hochspezialisierten Versorgung seltener Erkrankungen. Frisch niedergelassene Kolleginnen und Kollegen geben in einer Befragung an, sich für wichtige Vorstellungsanlässe nicht ausreichend weitergebildet zu fühlen [1].

Die gesundheitliche Versorgung von Kindern, Jugendlichen und Heranwachsenden ist in Deutschland komplex organisiert. Die Sozialgesetzbücher V, VII, VIII, IX, XI und XII haben für die Versorgung von Kindern Relevanz [2].

Die Planungen der medizinischen Versorgung im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung unterliegen unterschiedlichen Steuerungen. Im ambulanten Bereich werden die Niederlassungsmöglichkeiten für die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte über die Bedarfsplanung reguliert. Die bundesweit geltende Bedarfsplanungs-Richtlinie plant Kinder- und Jugendärzte als allgemeine Fachärzte nach Kreisregionen auf der Basis von 1990. Seitdem haben sich die Morbiditäten und damit der Bedarf der Kinder, Jugendlichen und Heranwachsenden erheblich verändert. Dies führt zu paradoxen Aussagen. Einerseits berechnet das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland für 2015, dass bundesweit 590 Pädiater oberhalb der Sperrgrenze eines Versorgungsgrades von 140% arbeiten. Andererseits häufen sich Beschwerden von Kindern, Jugendlichen und Heranwachsenden, dass der Versorgungsgrad nachlässt. Wie können Kinder, Jugendliche und ihre Familien heute und morgen sehr gut versorgt und begleitet werden?

Schwierigkeiten
  • Eltern haben selbst in Großstädten wie Stuttgart Probleme, einen grundversorgenden Pädiater für die U3 zu finden. Praxen im ländlichen Raum finden keine Nachfolgerinnen.
  • Junge Praxisinhaber fühlen sich für die Grundversorgung schlecht vorbereitet. Die Deutsche Gesellschaft für Allgemeine Ambulante Pädiatrie (DGAAP) hat in eigenen Untersuchungen 2013 an 196 Kinder- und Jugendärztinnen und -ärzten erhoben, dass sich 44% der jungen Kollegen nicht fit für Früherkennungsuntersuchungen fühlen. 50% fühlen sich unfit für Schulprobleme, über 66% für die Langzeitbetreuung von chronisch kranken Kindern.
  • Krankenhaus und Praxis driften immer weiter auseinander. Kostendruck und vermeintliche Überversorgung mit pädiatrischen Krankenhausbetten führen zu fortlaufender Höherspezialisierung.
  • Wenn die Pädiatrie nicht gemeinsame Interessen betont, wird sie im Konzert der Fachgesellschaften nicht gehört
Möglichkeiten

Inhalte der Weiterbildung können dort besonders gut erlernt werden, wo die dafür erforderlichen Tätigkeiten häufig, routiniert und in sehr guter Qualität ausgeführt werden. Die DGAAP hat deshalb mit der Unterstützung des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte Deutschlands Forschungsprojekte angeregt, durchgeführt und ein Weiterbildungsprogramm entwickelt, dass diesen veränderten Erfordernissen Rechnung trägt.

Literaturrecherche und eigene Forschungen haben ergeben, dass das Konzept der anvertraubaren professionellen Tätigkeiten des niederländischen Bildungswissenschaftlers Olle ten Cate mit konsentierten Kerninhalten der Pädiatrie ein zukunftsweisendes Modell ergeben kann.

Konsequenzen für die Weiterbildung in der Pädiatrie

Weiterbildung in der Praxis könnte ein integraler Bestandteil zukünftiger Verbundweiterbildungen sein. Das Vertrauen von ÄiW und Weiterbildern in die eigene Kompetenz und die partnerschaftliche Zusammenarbeit würde gestärkt. Kliniken könnten davon profitieren, dass die ÄiW häufige Vorstellungsanlässe in der allgemeinen ambulanten Pädiatrie routiniert bearbeiten können. Wie werden ÄiW, Weiterbilder, Kinder und ihre Familien und die Gesellschaft auf die Einführung der kompetenzbasierten Weiterbildung in der grundversorgenden Praxis reagieren und was wird sie bewirken?

Das Konzept der APTs : Die Anvertraubaren Professionellen Tätigkeiten

Anvertraubare professionelle Tätigkeiten (APTs) sind ein Brückenschlag von Lerninhalten zu Ergebnissen fachlicher Arbeit, hier der sehr guten Versorgung und Begleitung von Kindern, Jugendlichen und Heranwachsenden und ihrer Familien. APTs sind Deskriptoren von Tätigkeiten, nicht von Kompetenzen [3]. Sie sind oft interprofessionell angelegt, da an den meisten Tätigkeiten mehrere Gesundheitsberufe und andere Berufsgruppen beteiligt sind, beispielsweise medizinische fachangestellte und Ärztinnen.

Die Anzuvertrauende Professionelle Tätigkeit nach ten Cate

1.
ist ein Teil entscheidender professioneller Arbeit in einem gegebenen Kontext
2.
erfordert angemessenes Wissen, Fähigkeiten und Haltungen
3.
führt zu einem anerkannten Ergebnis professioneller Arbeit
4.
ist beschränkt auf qualifiziertes Personal
5.
ist weitgehend unabhängig von anderen Tätigkeiten ausführbar
6.
ist ausführbar in einem gegebenen Zeitrahmen
7.
ist in Prozess und Ergebnis beobachtbar und messbar (gut gemacht bzw. nicht gut gemacht)
8.
reflektiert eine oder mehrere generelle ärztliche Kompetenzen

Methodik

Auswahl von APTs

Basierend auf den Vorarbeiten von ten Cate, Jones und Berberat et al. hat die DGAAP begonnen, das APT-Konzept systematisch für die Pädiatrie zu explorieren. Dabei zeigte sich, dass die kompetenzbasierte Weiterbildung ausgezeichnet zu den Bedürfnissen der Kinder, Familien und ihrer Pädiater passt.

Wie kann die „pragmatische Wende“ [4] vollzogen werden? Die DGAAP ist seit 2013 dem Positionspapier des Ausschusses „Weiterbildung“ der Gesellschaft für Medizinische Ausbildung gefolgt und hat eine Sektion Weiterbildung eingerichtet, die wie folgt vorgegangen ist:

1.
Auswahl von APTs für das Curriculum der allgemeinen ambulanten Pädiatrie
    • Identifizierung realer APTs
    • Entscheidung über Anzahl und Umfang der APTs
2.
Beschreibung der APTs
    • Titeldefinition und Inhaltsdarstellung der APTs
    • Auswahl der Kompetenzdomänen
    • Spezifizierung Wissen und Fähigkeiten, die dafür nötig sind
    • Beschreibung der Prüfungsmethoden
3.
Lern- und Prüfungsplan für die APTs
    • Festlegung der APTs und Leistungsniveaustufen über den Verlauf der Weiterbildung
    • Feinabstimmung der Planung
Beschreibung der APTs

Kompetenzdomänen sind gewissermaßen die Sprache der APTs. Je nach Definition werden inhaltliche Schwerpunkte gesetzt und Beziehungen zu didaktischen Rahmenwerken hergestellt. Die vorliegende Arbeit stützt sich auf das in Europa verbreitete CanMEDS Rahmenwerk, das Kompetenzdomänen als sechs Nebenrollen mit Schnittmengen und eine zentralen Hauptrolle ausweist. Die Rollen „Kommunikator“, „Teammitglied“, „Manager“, „Gesundheitsanwalt“, „Gelehrter“ und „Professionelles Vorbild“ treffen wie die Fruchtblätter einer Lotosblume mittig zusammen und bilden die Rolle „Medizinischer Experte“.

Zur Spezifizierung des erforderlichen Wissens und der notwendigen Fähigkeiten hat die DGAAP ein mehrstufiges Delphi-Verfahren angeregt. Hierbei wurden Kinder- und Jugendärzte in und nach abgeschlossener Weiterbildung gebeten, sich mittels eines Online-Survey zu ca. 600 Items aus der beta Version des Logbuches des DAKJ und dem Swiss Catalogue for learning Objectives zu Themen der Weiterbildung zu äußern. Für die Gewichtung wird eine vierstufige Likert-Skala verwendet, wobei der Wert „1“ dem Merkmal „unwichtig“ und „4“ „sehr wichtig“ entspricht). Dabei werden die Teilnehmer aufgrund der unterschiedlichen Arbeitsschwerpunkte in fünf Gruppen unterteilt und mit je eigenen Kollektoren zur Teilnahme eingeladen: Hochschullehrer, Chefärzte nicht-universitärer Kinderkliniken, Fachärzte Kinderheilkunde in der stationären bzw. ambulanten Versorgung und Ärztinnen in Weiterbildung. Nicht abschließend gewichtete Items werden extrahiert und erneut zur Abstimmung versendet. Die erfragten Kompetenzen gelten als Kerninhalte, wenn sie einen Mittelwert von 3,6 bis 4,0 erreichen. In der Zeit vom 30.9.13 bis zum 5.8.16 sind 889 Antworten eingegangen. Da es bisher keine etablierte Methode oder Vorschrift gibt, um einen Konsens unter Experten statistisch zu beweisen, wurden vielmehr über das Festlegen von möglichst strengen Grenzwerten Items mit höchster Zustimmung als Kerninhalte definiert. Alle Gruppen wurden gleich gewichtet, indem der einfache Mittelwert der jeweiligen Gruppe in den Gesamtmittelwert für das jeweilige Item einfloss. Als konsentiert gilt ein Item, wenn es einen Mittelwert in der Gesamtbewertung von 3,6 bis 4,0 erreicht. Die detaillierten Ergebnisse werden in einer eigenen Publikation veröffentlicht. Allgemein hat überrascht, dass die DGAAP-Übersetzung von CanMEDS ins Deutsche bereits im ersten Durchgang als konsensfähig qualifiziert wurde. Da sich auch der Nationale Kompetenzbasierte Lernzielkatalog Medizin dieses Konzeptes bedient, ist die Verbindungstelle von Aus- und Weiterbildung gut gängig. APTs werden durch diese Domänen charakterisiert, die mit konkreten Lernziele aus der Delphi-Studie hinterlegt werden.

Eine weitere wichtige Quelle für die pädiatrischen APTs ist die DAKJ-Studie [5], die Aufschluss über die Frequenz und den Zeitbedarf von Vorstellungsanlässen in der pädiatrischen Grundversorgung gibt. Auf dieser Basis wurden Entscheidungen zur Granularität der APTs getroffen. Was besonders häufig vorgestellt wird, soll auch besonders routiniert versorgt werden.

Qualitätssicherung

Wichtige Weiterbildungsinhalte müssen von Weiterbildungsverantwortlichen regelmäßig angesehen werden. Individuelle und wertschätzende Rückmeldung über beobachtete Tätigkeiten sind der stärkste bekannte Motor für professionelle Entwicklung. Deshalb ist die arbeitsbegleitende Beobachtungsprüfung ein zentrales Element kompetenzbasierter Weiterbildung. Ärztinnen in Weiterbildung versorgen echte Kinder und ihre Familien anlässlich echter Vorstellungen. Es wird nicht aus dem Ergebnis einer multiple choice Prüfung darauf extrapoliert, was für eine Art Ärztin jemand ist, geschweige dann, wie sie Patienten versorgt. Das Ergebnis guter Weiterbildung ist meisterliche Patientenversorgung. Also muss auch vom Ergebnis her geschaut werden. Dieses Schauen muss auf eine unbedingt wertschätzende Art und Weise geschehen, da die Beobachtungsprüfung Modellcharakter für Arzt-Patient-Beziehungen hat. Ohne spezifisches Wissen und Fertigkeiten wird die Patientenversorgung nicht gelingen. Aber bei der Beobachtungsprüfung geht es um mehr, um Gedanken und Einstellungen, Gefühle und emotionale Impulse zu Tage zu fördern, damit sich Ärztinnen in Weiterbildung in größtmöglichem Vertrauen in ihre Fähigkeiten, deren Grenzen und geeignete Hilfen entwickeln. Dazu werden die Subkompetenzen im Vordergrund auf einer visuellen Analogskala erfasst und im Rückmeldegespräch mit der ÄiW reflektiert. Die Anvertrauensentscheidung auf einer spezifischen Leistungsniveaustufe ist dabei immer eine Gestalt, die nur unvollständig aus der Summe der Beobachtungen getroffen werden kann. Deswegen wird es auf absehbare Zeit nötig sein, dass Beobachter und Beobachtete miteinander darüber sprechen, gemeinsam entscheiden und Erfahrungen mit anderen austauschen, um sie zu kalibrieren. Deshalb hat der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte Deutschlands seine Landesverbände aufgerufen, Verantwortliche für die Weiterbildung in der Grundversorgung zu benennen. Diese Verantwortlichen halten regelmäßig Werkstätten ab, um anhand von Videoaufzeichnungen der APTs und der Rückmeldegespräche diese Anvertrauensentscheidungen zunehmend sicherer treffen zu können und andere dabei zu begleiten.


Ergebnisse

Um diese Entwicklung zu fördern, legt die DGAAP das kompetenzbasierte Praxiscurriculum, die „Kernkompetenzen“ vor. Neben der Behandlung abwendbar schlimmer Verläufe stehen Prävention und longitudinale Versorgung chronisch kranker Kinder im Mittelpunkt des APT-Curriculums der DGAAP.

Basierend auf den Vorarbeiten wurden 12 anvertraubare professionelle Tätigkeiten identifiziert, mit Lernzielen hinterlegt und Prüfungsformate dazu erarbeitet. Den Grundsätzen der kompetenzbasierten Bildung entsprechend verschiebt sich der Fokus von norm- zu standardbasierter Bildung und die fixe Zeit zu flexiblen Perioden bis zur Prüfung. Nicht, wer 60 Monate an einer Weiterbildungsinstitution verbracht hat, sondern wer die wesentlichen Tätigkeiten des Fachgebiets meisterlich beherrscht, ist ein Pädiater (siehe Tabelle 1 [Tab. 1]).

Jede APT beginnt mit einer Beschreibung (siehe Abbildung 1 [Abb. 1]), in der auch die katalogisierten Subkompetenzen im Vordergrund aufgeführt werden. Eine Matrix stellt sicher, dass alle Subkompenzen im Curriculum berücksichtigt worden sind und zeigt die Häufigkeiten der einzelnen Subkompetenzen auf.

Zu jeder APT existiert ein Lernzielkatalog auf der Basis des Delphi-Verfahrens zur Findung von Kerninhalten der Weiterbildung zum Facharzt für Pädiatrie (Dissertation Becker, H; in Veröffentlichung). Dieser Katalog dient ÄiW und Weiterbildern vornehmlich zur Vorbereitung der Beobachtungsprüfung. Perspektivisch sollen die Kataloge in elektronischer Form mit den Logbüchern der (Muster-)Weiterbildungsordnung verbunden werden, um Fortschritte in Echtzeit zu dokumentieren (siehe Abbildung 2 [Abb. 2]).

Umsetzung des Weiterbildungsprogramms in die Praxis

Ärzte müssen sich weiterbilden, um ärztliche Tätigkeiten meisterlich ausführen zu können. Konsentierte Kerninhalte sind unerlässlich, um reale pädiatrische Tätigkeiten zu identifizieren und Art und Umfang festzulegen. Spezifische Leistungsniveaustufen ermöglichen es, Reifegrade zu definieren, z.B. den Facharztstandard.

Wichtige Gesichtspunkte praktischer Umsetzung kompetenzbasierter Weiterbildung lauten:

  • Kompetenzbasierte Weiterbildung wird kriterienbezogen evaluiert. Dies geschieht täglich bei der Arbeit in der Praxis, beschrieben als APT. Auf der Grundlage der hinterlegten Lernzielkataloge sollen die jeweiligen Lernziele bearbeitet und erreicht und Beobachtungsprüfungen vorbereitet werden.
  • Wichtig ist die wertschätzende, zu persönlichem Wachstum anregende Rückmeldung, die das dominierende Instrument kompetenzbasierter Weiterbildung darstellt. Der Beobachtende – in der Regel der zur Weiterbildung befugte Pädiater – ist dabei mehr Partner als Vorgesetzter, die Beziehung ist non-hierarchisch, Lernende und Lehrende tragen gemeinsam die Verantwortung für die Weiterbildung. Gemeinsam werden Lernbegegnungen bewertet.
Wie kann das im Betrieb einer normalen Kinder- und Jugendarztpraxis umgesetzt werden?

Verschiedene Formen der Lernbegegnung werden über die Zeit der Weiterbildung je nach Kenntnissen und Fortgang des Weiterbildungsstandes unterschiedlich häufig eingesetzt. In den verschiedenen Phasen, die je nach Vorerfahrungen der Ärztin in Weiterbildung (ÄiW) zu unterschiedlichen Zeitpunkten durchlaufen werden, können Tätigkeiten beobachtet werden. In allen Abschnitten geht es um eine gemeinsame Ein-schätzung von weiterbildungsbefugtem Pädiater und ÄiW: Welche Tätigkeitsfelder können von der ÄiW dem Pädiater vorgestellt und demonstriert, welche Tätigkeiten werden von der ÄiW zunächst unter Super-vision und im weiteren Verlauf selbstständig und mit der Möglichkeit der Rücksprache durchgeführt, wann wird eine Tätigkeit in eigener Verantwortung der ÄiW anvertraut.

1. Vorbereitungsphase

ÄiW und Pädiater lernen sich kennen. Die APTs werden besprochen, und die Lernzielkataloge von ÄiW und Pädiater genutzt, um sich über den Stand der Weiterbildung zu Beginn der Tätigkeit in der ambulanten Pädiatrie klar zu werden: Was wurde bereits selbstständig durchgeführt, was gesehen, gehört, gelernt, was sind unbekannte Tätigkeiten. Bei der Durchsicht der APTs und der Lernziele können sich ÄiW und Pädiater vor Beginn und zu Anfang der Tätigkeit in der Praxis einen Überblick verschaffen über bereits vorhandenen Kompetenzen und Erfahrungen aus der Sicht der ÄiW und über Inhalte der Weiterbildung in der allgemeinen ambulanten Pädiatrie. Gemeinsam kann der Verlauf der Weiterbildung geplant und strukturiert werden. In den Gesprächen im Vorfeld und während der Einarbeitungsphase bekommen ÄiW und Pädiater einen Eindruck voneinander. Schon jetzt zeigt sich, welche Tätigkeiten die ÄiW bereits zuvor selbstständig durchgeführt hat und sich eine eigenverantwortliche Tätigkeit zutraut und in welchen Bereichen eine umfassendere Anleitung erforderlich ist.

2. Eingangsphase

Diese Phase ist geprägt vom Übergang der Hospitation in die selbstständige Tätigkeit der ÄiW. Jetzt können einzelne anzuvertrauende professionelle Tätigkeiten von der ÄiW zunächst in Gegenwart des weiterbildenden Pädiaters, später selbstständig mit der Möglichkeit der Nachfrage und Mitbeurteilung durch den Weiterbilder durchgeführt werden. Die Lernzielkataloge dienen der Berücksichtigung wichtiger Aspekte einer umschriebenen Tätigkeit.

In den folgenden Tagen kann die ÄiW den Pädiater bei der Arbeit in der Praxis durch die selbständige Tätigkeit bei Kindern mit dem beschriebenen Vorstellungsanlass entlasten und gleichzeitig durch das Hinzuziehen des Pädiaters bei Unsicherheiten weitere Lernziele erarbeiten und vertieft. Durch regelmäßiges Erweitern der Tätigkeitsfelder wird die selbstständige Arbeit der ÄiW kontinuierlich umfangreicher. Die APT 1 – die Akutsprechstunde – bietet sich für diese Phase an. Zu Beginn bedeutet das für den Pädiater einen zeitlichen Aufwand, der aber schnell durch eine zeitliche Entlastung bei selbstständiger Arbeit der ÄiW bei der vom Arbeitsaufkommen in der Praxis umfangreichen Akutsprechstunde wieder ausgeglichen wird.

3. Konsolidierungsphase

Schrittweise können weitere Tätigkeitsfelder nach dem gleichen Prinzip in die Weiterbildung aufgenommen werden. Verschiedene Formen der Lernbegegnung werden dazu genutzt: Direkte Beobachtung durch Anwesenheit des weiterbildenden Pädiaters bei einem konkreten Vorstellungsanlass oder dessen Hinzuziehen bei speziellen Fragestellungen, bei schwierigen Situationen oder Unsicherheiten bei der Einschätzung während einer Vorstellung durch die ÄiW, kurze Gespräche zwischen zwei Patientenkontakten, Nachbesprechungen oder ausgesuchte Fallbesprechungen zu abgesprochenen Zeiten, Erörterung seltener Krankheitsbilder oder spezieller medizinischer Fragestellungen anhand von Fallvorstellung eigener Patienten. Die Beobachtung und Rückmeldung bestimmter Tätigkeiten kann durch den weiterbildenden Pädiater selbst durchgeführt oder an geschultes Personal der Praxis delegiert werden. Ein Gesamtbild des Weiterbildungsfortschritts wird durch die Vielzahl verschiedener Lernbegegnungen möglich. Ziel soll es in dieser Phase sein, Lernziele umfassend zu bearbeiten.

4. Phase des Anvertrauens

Sind die Lernziele einer APT erreicht und kann nach gemeinsamer Einschätzung eine Tätigkeit durch die ÄIW selbstständig durchgeführt werden, kann im Rahmen einer erfolgreichen Beobachtungsprüfung das Privileg unabhängiger Praxis erteilt werden. Der Schwerpunkt der Beobachtung liegt auf den in der Einführung zu jeder APT beschriebenen Kernkompetenzen. Dafür sollen 10 Minuten Beobachtungsdauer und eine entsprechende Zeit für Nachbesprechung und Rückmeldung eingeplant werden.

Sind Beobachtungsprüfungen für alle APTs erfolgreich absolviert, ist die Weiterbildung insofern abgeschlossen, als dass die ÄiW das Privileg unabhängiger Praxis erreicht, also die „Zulassung“ – im Sinne eines Führerscheins – für die selbstständige Tätigkeit in der ambulanten Pädiatrie erlangt hat.

Auch in Zukunft wird sie, wie der weiterbildende Pädiater auch, daran weiterarbeiten, diese Tätigkeiten zu vervollkommnen und meisterlich auszuführen.


Diskussion

Die Einführung der kompetenzbasierten Weiterbildung in der allgemeinen ambulanten Pädiatrie hat begeisterte und zurückhaltende Reaktionen ausgelöst. Befürworter sehen die Renaissance von Vertrauen im Netz von ÄiW, Weiterbildern, Kindern und Familien und der Gesellschaft. Kritiker sehen erhebliche Mehrarbeit, Bürokratie und Abwanderung begehrter ÄiW vom Krankenhaus in die Grundversorgung. Letztlich wird nur eine valuierende wissenschaftliche Begleitung zeigen können, wie PaedCompenda in der Praxis genutzt wird und was es bewirkt. Dazu ist es notwendig, daß medizindidaktische Expertise von Anfang an eingebunden wird. Dabei sollen einerseits Aneignung von und Eignerschaft am Instrument (hier: PaedCompenda) durch Beteiligung an der Instrumentenentwicklung, andererseits Förderung eines kollegialen Austauschs über die konkrete praktische Arbeit über Sichtbarmachen der Heterogenität der Arbeitsweisen gefördert werden. Vermieden werden sollte der Eindruck, daß die didaktischen Konzepte bereits fertig und einsatzbereit sind, quasi von der Ausbildung 1:1 in die Weiterbildung übertragen werden können. Denn was Pädiater als Fachärzte für Prävention und Fürsprecher für Kinder und ihre Familien besonders interessiert: Welchen Effekt wird die Änderung der Weiterbildungspraxis auf das Weiterbildungsergebnis, vulgo die Gesundheit der Kinder und Jugendlichen haben?


Interessenkonflikt

Die Autoren erklären, dass sie keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


Literatur

1.
Fehr F, Gempp W, Gitmans U, Jäger-Roman E. Fit für die Praxis? Kinder Jugendarzt. 2014;45(5):254-255. Zugänglich unter/available from: http://www.kinder-undjugendarzt.de/download/45.(63.)Jahrgang2014/kja05_2014.pdf Externer Link
2.
Van den Berg N, Beyer A, Stentzel U, Hoffmann W. Versorgungsepidemiologische Analyse der Kinder- und Jugendmedizin in Deutschland. Greifswald: Universitätsmedizin Greifswald, Institut für Community Medicine, Abteilung Versorgungsepidemiologie und Community Health; 2016.
3.
Berberat PO, Harendza S, Kadmon M. Entrustable Professional Activities – Visualization of Competencies in Postgraduate Training. Position Paper of the Committee on Postgraduate Medical Training of the German Society for Medical Education (GMA). GMS Z Med Ausbild. 2013;30(4):Doc47. DOI: 10.3205/zma000890 Externer Link
4.
Tranøy KE. Pragmatik der Forschung. In: Böhler D, Nordenstam T, Skirbekk G (Hrsg). Die pragmatische Wende. Sprachspielpragmatik oder Transzendentalpragmatik? Frankfurt am Main: Suhrkamp; 1986. S.36-54.
5.
Fegeler U, Jäger-Roman E, Martin R, Nentwich HJ. Ambulante allgemeinpädiatrische Grundversorgung. Versorgungsstudie der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendmedizin. Monatsschr Kinderheilkunde. 2014;162(12):1117-1130. DOI: 10.1007/s00112-014-3258-7 Externer Link