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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

10 Jahre Geschichte, Theorie und Ethik (GTE). Eine Umfrage zu Lehrinhalten, Methoden und strukturellen Voraussetzungen an 29 deutschen medizinischen Fakultäten

Artikel Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin

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  • corresponding author Jan Schildmann - Ruhr-Universität Bochum, Institut für Medizinische Ethik und Geschichte der Medizin, Bochum, Germany
  • author Florian Bruns - Charité - Universitätsmedizin Berlin, Institut für Geschichte der Medizin und Ethik in der Medizin, Berlin Germany
  • author Volker Hess - Charité - Universitätsmedizin Berlin, Institut für Geschichte der Medizin und Ethik in der Medizin, Berlin Germany
  • author Jochen Vollmann - Ruhr-Universität Bochum, Institut für Medizinische Ethik und Geschichte der Medizin, Bochum, Germany

GMS J Med Educ 2017;34(2):Doc23

doi: 10.3205/zma001100, urn:nbn:de:0183-zma0011002

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2017-34/zma001100.shtml

Eingereicht: 31. Mai 2016
Überarbeitet: 10. Januar 2017
Angenommen: 17. März 2017
Veröffentlicht: 15. Mai 2017

© 2017 Schildmann et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Zielsetzung: Der Querschnittsbereich „Geschichte, Theorie, Ethik der Medizin (GTE)“ gehört seit dem Wintersemester 2003/2004 zum Pflichtcurriculum für Medizinstudierende. In dieser Arbeit werden die Ergebnisse einer nationalen Umfrage zu Inhalten, Methoden und Rahmenbedingungen der GTE-Lehre vorgestellt.

Methodik: Semistrukturierter Fragebogen, der im Juli 2014 an 38 für die Lehre in GTE verantwortliche Institutionen versandt wurde. Deskriptive Analyse quantitativer Daten und Inhaltsanalyse der Freitextantworten.

Ergebnisse: Es konnten Daten von 29 für die GTE-Lehre verantwortlichen Institutionen erhoben werden (Rücklauf: 76%). An 19 Fakultäten ist mindestens eine Professorenstelle für ein Arbeitsgebiet des Querschnittsbereichs besetzt; zwei Lehrstühle bzw. Professuren sind zum Zeitpunkt der Befragung unbesetzt. Die Anzahl der unterrichteten Studierenden pro Studienjahr reicht von < 100 bis > 350. Die Lehre in GTE umfasst durchschnittlich 2,18 SWS (Min: 1, Max: 6). Die SWS verteilen sich anteilig im arithmetischen Mittel wie folgt: Geschichte: 35,4%, Theorie 14,7% und Ethik 49,9%. An 24 Fakultäten wurden schriftlich Lernziele für GTE formuliert. Die von den Befragten befürworteten Themen, die in den Arbeitsgebieten Geschichte, Theorie beziehungsweise Ethik gelehrt werden sollen, umfassen ein breites Spektrum und variieren. Der Lehre in Ethik (79 von max. zu vergebenden 81 Punkten) wird im Vergleich zur Geschichte (61/81) und der Theorie (53/81) die größte Bedeutung für die Ausbildung zum Arzt zugeordnet.

Schlussfolgerungen: Zehn Jahre nach Einführung von GTE in das Medizinstudium variieren die Anzahl der in der Pflichtlehre zu unterrichtenden Studierenden sowie die personelle Ausstattung der Institute erheblich. Die ermittelten Unterschiede bei den Lehrinhalten sollten mit Blick auf Vor- und Nachteile der Heterogenität im Querschnittsbereich diskutiert werden.

Schlüsselwörter: Geschichte, Theorie, Ethik der Medizin, Medizinstudium, curriculare Lehre, Umfrage


1. Einleitung und Fragestellung

Seit dem Inkrafttreten der reformierten ärztlichen Approbationsordnung (ÄAppO) im Wintersemester 2003/2004 gehört der Querschnittsbereich „Geschichte, Theorie, Ethik der Medizin (GTE)“ zum Pflichtcurriculum des Medizinstudiums. Die neugefasste ÄAppO zählt außerdem die Vermittlung der „geistigen, historischen und ethischen Grundlagen ärztlichen Verhaltens“ zu den wichtigen Zielen der ärztlichen Ausbildung [https://www.gesetze-im-internet.de/_appro_2002/BJNR240500002.html]. Um den inhaltlichen Rahmen dieses neu geschaffenen Querschnittsbereichs abzustecken und den Lehrverantwortlichen erste Orientierungspunkte zu bieten, erarbeiteten die Akademie für Ethik in der Medizin, der Fachverband Medizingeschichte sowie einzelne Institute Lehr- und Lernziele für den Unterricht in Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin [1], [2], [3]. Daneben wurde versucht, durch neue Lehrbücher für GTE die Studierenden mit dieser Fächertrias vertraut zu machen und die didaktische Integration von Geschichte, Theorie und Ethik zu fördern [4], [5], [6], [7], [8]. Ein im Jahr 2004 erschienenes Schwerpunktheft der „Zeitschrift für medizinische Ethik“ stellte die seinerzeit bestehende Struktur des medizinethischen Unterrichts an ausgewählten medizinischen Fakultäten vor. Die einzelnen Beiträge deuteten bereits an, was eine 2006 publizierte Umfrage zum Stand der Implementierung von GTE an deutschen Hochschulen belegen konnte – eine äußerst heterogene Lehrsituation. Die GTE-Lehrveranstaltungen unterschieden sich in Form, Inhalt und Methode erheblich voneinander [9].

Angesichts der drei inhaltlich wie methodisch unterschiedlichen Arbeitsgebiete Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin, die im Querschnittsbereich GTE zusammengefasst wurden, ist es nicht überraschend, dass die Breite des Themenspektrums die für die GTE-Lehre Verantwortlichen weiterhin vor Herausforderungen stellt [10], [11]. Dies gilt umso mehr, als dass die für die Lehre verantwortlichen Institute sehr unterschiedliche Schwerpunkte in Lehre und Forschung haben. Zehn Jahre nach der Einführung des Querschnittsbereichs lag es daher nahe, die Lehrsituation im Bereich GTE bundesweit zu untersuchen sowie Gemeinsamkeiten und Unterschiede hinsichtlich Inhalt und Methodik der Lehre in GTE zu identifizieren. Wir interessierten uns dabei insbesondere für folgende übergeordneten Fragestellungen: Welche inhaltlichen und methodischen Prioritäten werden angesichts des knappen curricularen Zeitbudgets zwischen Geschichte, Theorie und Ethik gesetzt? Welche strukturellen Rahmenbedingungen stehen an den Fakultäten zehn Jahre nach Implementierung von GTE für die Lehre zur Verfügung? Welche Probleme benennen die Lehrverantwortlichen in Bezug auf die Umsetzung der Lehre in GTE? In dieser Arbeit werden erstmals Ergebnisse der schriftlichen Umfrage zusammengefasst und mit Blick auf die weitere Entwicklung des Querschnittsbereichs in der Lehre diskutiert.


2. Methoden

Ausgehend von den inhaltlichen Interessen der Autorengruppe und einer selektiven Literaturrecherche in deutschsprachigen Fachzeitschriften zur Lehre in GTE sowie zur Medizindidaktik wurde ein semistrukturierter Fragebogen entwickelt. Ein Teil der Fragen wurde dabei in Anlehnung an eine 2006 von Möller et al. durchgeführte nationale Umfrage zum Thema entwickelt [9]. Nach Erstellung eines ersten Fragebogens erfolgte ein Pre-Test unter sechs Lehrenden aus dem Querschnittsgebiet GTE mit der Gelegenheit zur schriftlichen und mündlichen Rückmeldung zu Inhalt, Verständlichkeit und Form. Nach Überarbeitung und erneuter Prüfung innerhalb der Autorengruppe wurde die finale Fassung des Fragebogens erstellt. Die Fragen sind überwiegend geschlossen mit vorgegebenen Antwortmöglichkeiten. Ergänzend zu dieser Form der Fragestellung enthält der Fragebogen Aussagen zur Einschätzung, die mit Hilfe von Likert-Skalen (1=Absolute Ablehnung der Aussage; 5=Absolute Zustimmung zur Aussage) beantwortet werden konnten. Bei wenigen offenen Fragen bestand die Möglichkeit zur Antwort in Freitextfeldern. Der Fragebogen ist auf Anfrage bei den Verfassern erhältlich.

Über das Forschungsvorhaben wurde im Rahmen einer Konferenz der Direktoren der GTE-Institute im März 2014 informiert. Im Juli 2014 erfolgte die postalische Aussendung des Fragebogens an die Leiter der 38 mit der Lehre in GTE betrauten Institutionen beziehungsweise Arbeitsbereiche. Die Recherche der Ansprechpartner erfolgte auf der Grundlage der Internetpräsentation der medizinischen Fakultäten beziehungsweise Hochschulen in Deutschland sowie in einzelnen Fällen ergänzend via Email beziehungsweise telefonisch. Im September 2014 erfolgte ein elektronisches Erinnerungsschreiben mit dem Fragebogen als PDF-Dokument im Anhang. Die Plausibilität der Ergebnisse sowie mögliche Interpretationen der Daten wurde in Ergänzung zum Austausch innerhalb der Autorengruppe mit vier ausgewählten Leitern von GTE-Institutionen im Rahmen von 20-30 minütigen Interviews diskutiert. Auf eine Ergänzung der Information durch Angaben der websites der Institute wurde aufgrund der Unterschiede hinsichtlich Aktualität und Inhalte verzichtet.

Im Folgenden werden die Ergebnisse der schriftlichen Evaluation vorgestellt. Die Darstellung der Ergebnisse erfolgt in anonymisierter Form und deskriptiv; Mittelwerte werden als arithmetisches Mittel angegeben.


3. Ergebnisse

Es konnten Daten von 29 für die GTE-Lehre verantwortlichen Institutionen erhoben werden (Rücklauf 76%). An 19 Fakultäten wird GTE im Rahmen des Regelstudiengangs Medizin unterrichtet, an fünf Fakultäten im Rahmen eines Reform- bzw. Modellstudiengangs. An vier Fakultäten besteht neben einem Regel- auch ein paralleler Modellstudiengang, eine Fakultät ließ sich keiner dieser Kategorien zuordnen.

Organisatorische und strukturelle Rahmenbedingungen

An 19 Fakultäten ist zum Zeitpunkt der Befragung eine Professur oder ein Lehrstuhl für ein Arbeitsgebiet des Querschnittsbereichs GTE besetzt. Ein Institut wird kommissarisch geleitet, an einem weiteren ist der Lehrstuhl unbesetzt. An zwei Fakultäten bestehen Lehraufträge für GTE; an zwei weiteren Standorten sind die Lehrverantwortlichen bei der Ethikkommission bzw. direkt bei Dekanat (Stabstelle) angesiedelt. An drei Standorten werden Teile der GTE-Lehre durch Institute anderer medizinischer Fakultäten mitgetragen. In einem Fall wurden keine spezifischen Angaben zur Leitung gemacht. Für die Lehre in GTE stehen pro Institution durchschnittlich 2,8 Planstellen (Vollzeitäquivalente) zur Verfügung, wobei die personelle Ausstattung zwischen minimal 0 und maximal 9 Planstellen angegeben wird. Die Anzahl der unterrichteten Studierenden pro Studienjahr reicht von <100 bis >350.

Der Umfang für die Pflichtlehre im Querschnittsbereich wurde an vier Institutionen mit 1 SWS angegeben. An einer Institution wurden 6 SWS als maximaler Wert angegeben. Basierend auf den Angaben von 20 Institutionen konnte ein Mittelwert von 2,18 SWS (arithmetisches Mittel) ermittelt werden (siehe Abbildung 1 [Abb. 1]). An drei weiteren Fakultäten wurde der Lehrumfang nicht in SWS, sondern als Gesamtstundenanzahl mit einem Umfang zwischen 20 und 30 Unterrichtseinheiten angegeben. Die Angaben von sechs Fakultäten fehlten beziehungsweise konnten nicht ausgewertet werden.

In 17 Fragebögen wurden verwertbare Angaben zur quantitativen Gewichtung der einzelnen Arbeitsgebiete innerhalb der GTE-Lehre gemacht. Demnach verteilt sich die Lehre in GTE im arithmetischen Mittel wie folgt: Geschichte: 35,4%, Theorie 14,7% und Ethik 49,9%. Zwei Institute haben statt einer Aufschlüsselung ausdrücklich auf die integrierte Vermittlung verwiesen. Die Lehrveranstaltungen zur Pflichtlehre in GTE verteilen sich meist über mehrere Semester, wobei der Großteil des Unterrichts im 5. Fachsemester stattfindet (N=10). Als Forderungen in Bezug auf eine verbesserte der Lehre von GTE werden am häufigsten mehr Personal (N=10), mehr SWS (N=9) und eine stärkere Berücksichtigung von GTE bei der Planung des Curriculums (N=7) genannt.

Lehr- und Prüfungsmethoden

24 Institutionen haben schriftliche Lernziele für die Lehre in GTE formuliert. An 20 Fakultäten wird das gemeinsame Grundsatzpapier des Fachverbandes Medizingeschichte und der Akademie für Ethik in der Medizin [2] als Grundlage für die Lehre verwendet. Neben den mehrheitlich verwendeten Lehrmethoden Vorlesungen (N=26) und Fallanalysen (N=21) wurden an einzelnen Fakultäten auch Quellenanalysen (N=15) oder Gespräche mit Simulationspatienten (N=5) als Lehrmethoden in der Pflichtlehre eingesetzt. Bei den Prüfungsmethoden überwiegen generell Kombinationen aus zwei oder mehreren Prüfungsarten (N=16), wobei die jeweiligen Kombinationen sehr variieren. Die häufigsten Kombinationen (jeweils N=3) bestehen aus Multiple Choice (MC)-Klausur und Hausarbeit oder MC-Klausur, Hausarbeit, Referat und Fallanalyse. Die häufigste genannte alleinstehende Prüfungsmethode ist die MC-Klausur mit mindestens 50% geschlossenen Fragen (N=10). An einer Fakultät wird als Prüfung eine Klausur mit ausschließlich offenen Fragen verwendet, an einer anderen findet keine gesonderte Prüfung in GTE mehr statt; stattdessen enthalten die schriftlichen Modulabschlussprüfungen einige MC-Fragen zu GTE. Das OSCE-Format (Objective structured clinical examination) wird an keiner der an unserer Befragung teilnehmenden Fakultäten zur Prüfung der GTE-Pflichtlehre verwendet.

Lehrinhalte und Kooperation mit anderen Fächern

Eine „integrierte Vermittlung“ der Inhalte von Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin in der Lehre, wie es die Approbationsordnung mit dem Querschnittsbereich 2 „Geschichte, Theorie, Ethik in der Medizin“ vorsieht, wird mehrheitlich befürwortet (N=21). Zustimmung oder Ablehnung wurden anhand einer fünfstufigen Skala erfragt (siehe Tabelle 1 [Tab. 1]).

Bedeutung für Ausbildung

Ungeachtet der Tatsache, dass der im Querschnittsbereich GTE zu erbringende Leistungsnachweis nicht nach Fächern differenziert, interessierte uns, welche Bedeutung die Lehrverantwortlichen den drei Bereichen Geschichte (G), Theorie (T), Ethik (E) für die Ausbildung zur Ärztin/zum Arzt zumessen. Hierzu konnten für G, T und E jeweils Punkte vergeben werden: 3 Punkte – sehr wichtig, 2 Punkte – wichtig, 1 Punkt – weniger wichtig. Eine Punktzahl konnte auch mehrfach vergeben werden. In der Gesamtschau waren somit bei 27 auswertbaren Antworten für jeden Bereich maximal 81 Punkte erreichbar. Es zeigte sich, dass der Lehre im Bereich Ethik die größte Bedeutung für die ärztliche Ausbildung zugeordnet wird (79 von 81 Punkten), gefolgt von Geschichte (61/81) und Theorie (53/81).

In offenen Freitextantworten konnten die Lehrverantwortlichen konkret über die von ihnen präferierten Themenfelder in GTE Auskunft geben. Tabelle 2 [Tab. 2] fasst auf der Grundlage von Freitextantworten die Themenfelder in den Arbeitsgebieten Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin zusammen, die nach Einschätzung der Befragten gelehrt werden sollen.

19 von 29 der antwortenden Einrichtungen geben an, dass GTE-Pflichtveranstaltungen in Kooperation mit anderen Fächern durchgeführt werden. Als häufigste Kooperationspartner im Bereich GTE werden die klinischen Fächer Anästhesiologie, Intensivmedizin, Psychiatrie und Palliativmedizin genannt.

Rahmenbedingungen und Probleme der Lehre in GTE

Abschließend fragten wir nach den strukturellen Rahmenbedingungen für GTE an den Fakultäten sowie nach eventuellen Schwierigkeiten, die im Zusammenhang mit der GTE-Lehre auftreten. Hierbei waren Freitextfelder auszufüllen. Die Mehrzahl der Antworten thematisiert einen Mangel an Personalstellen (zehn Nennungen). Eine nicht ausreichende Zahl an Unterrichtsstunden zur Vermittlung der GTE-Inhalte (neun Nennungen) sowie eine zu geringe Wertschätzung von GTE durch Fakultät (sieben Nennungen) und Studierende (sechs Nennungen) werden als weitere Probleme benannt. In drei Fällen findet sich die Basisforderung, dass an der Fakultät zunächst einmal ein Institut gegründet werden müsste, um die GTE-Lehre abdecken zu können.


4. Diskussion

Zehn Jahre nach der Einführung des Querschnittsbereichs GTE in das Medizinstudium zeigen die von uns erhobenen Daten, dass die Inhalte und Lehrmethoden sowie die strukturellen Voraussetzungen für die Lehre in GTE interfakultär stark variieren. Verglichen mit der Situation im Jahr 2004 [9] besteht weiterhin ein heterogenes, ausdifferenziertes Lehrangebot. Diese Vielfalt scheint sich als Signum des Querschnittsbereichs 2 verfestigt zu haben. Nicht an allen Fakultäten existiert eine Professorenstelle für wenigstens eines der Arbeitsgebiete des Querschnittsbereichs „Geschichte, Theorie, Ethik der Medizin“. Die angegebene Zahl der für die Lehre zur Verfügung stehenden Planstellen unterscheidet sich zwischen den Standorten erheblich, wobei bei der Interpretation der Zahlen berücksichtigt werden muss, dass die Selbstauskunft durch Missverständnisse (z.B. in Bezug auf die in der Frage genannten Vollzeitäquivalente oder die Einbeziehung von Drittmittelstellen) verzerrt worden sein kann.

Im Mittel werden an den Fakultäten 2,18 Semesterwochenstunden GTE unterrichtet, wobei die Lehre zu medizinethischen Inhalten zeitlich den größten Umfang einnimmt. Im Vergleich zur früheren Schätzungen, die von etwa 40% ausgingen [12], ist der Anteil der Lehrinhalte zur Ethik gestiegen und beansprucht inzwischen die Hälfte des GTE-Stundenkontingents. Damit – in gewisser Weise korrespondierend – ordneten die von uns befragten Lehrverantwortlichen der Lehre zu medizinethischen Themen die größte Bedeutung für die Ausbildung zur Ärztin/zum Arzt zu. Hinweise, dass auch die Studierenden dem medizinethischen Unterricht eine höhere Bedeutung beimessen als etwa dem Unterricht in Medizingeschichte, liefert eine 2012 veröffentlichte Umfrage von Medizinstudierenden von zwei Fakultäten [13]. Gleichwohl sieht die geltende Approbationsordnung eine Vermittlung von Medizingeschichte, Medizintheorie und Medizinethik in einem Querschnittsbereich vor, ohne dabei eine Reihung oder Priorisierung der Teilfächer vorzunehmen. Der zu erbringende Leistungsnachweis bezieht sich – ebenfalls – auf den Querschnittsbereich GTE als Ganzes. Eine deutliche Mehrheit der von uns befragten Lehrenden befürwortet eine solche integrierte Vermittlung von historischen, theoretischen und ethischen Inhalten. Als Begründung für eine integrierte Vermittlung von historischen, theoretischen und ethischen Anteilen des Querschnittsbereichs GTE können neben inhaltlichen Bezügen bei einzelnen Themen auch die gemeinsame geisteswissenschaftliche Orientierung und kritische Reflexion auf die Medizin in einem ansonsten naturwissenschaftlich geprägten Medizinstudium angeführt werden [14].

Als wichtigste Lehrinhalte für die Geschichte wurden die Medizin im Nationalsozialismus (N=11), für die Theorie der Gesundheits- bzw. Krankheitsbegriff (N=9) und für die Ethik Dilemmata am Lebensende (N=17) genannt. Abgesehen davon, dass es sich hier bereits jeweils um komplexe und breite Themenfelder handelt, fällt insbesondere für die Medizinethik und Medizingeschichte eine breite Streuung der Themen auf. Für diese Unterschiede sind nach unserer Einschätzung zwei wesentliche Gründe zu diskutieren:

1.
die unterschiedlichen wissenschaftlichen Profile der für die Lehre verantwortlichen Einrichtungen und
2.
die unterschiedlichen curricularen Anforderungen innerhalb der jeweiligen Fakultät, die sich durch den zunehmenden Aufbau von sogenannten „Modell-“ oder „Reformstudiengängen“ immer weiter ausdifferenzieren.

Das Aufkommen der „Modellstudiengänge“ hat dazu geführt, dass GTE an manchen Fakultäten als definierter, mehr oder weniger klar umrissener Fächerquerschnitt nicht mehr vorhanden ist. Die entsprechenden Anteile finden sich, wenn überhaupt, verteilt auf einzelne Module wieder. In dieser Hinsicht ist kritisch zu reflektieren, ob bei einer Integration von GTE-Lehre in naturwissenschaftlich beziehungsweise klinisch geprägte Lehrveranstaltungen die geisteswissenschaftlichen Grundlagen der Arbeitsgebiete des Querschnittsbereichs noch angemessen vermittelt werden können. Gleichzeitig müssen sich die Lehrverantwortlichen des Querschnittsbereichs fragen, ob angesichts der wenigen zur Verfügung stehenden Zeit und der zahlreichen Möglichkeiten, die Themen jeweils aufzubereiten (z.B. Fokus auf theoretisch relevante Aspekte oder mit Fokus auf die im klinischen Alltag häufigen Fragestellungen), eine Vereinheitlichung im Sinne eines von allen Fakultäten vermittelten Minimalstandards sinnvoll ist. Der Vorteil eines solchen Standards wäre, dass an angehende Ärzte verbindliche Anforderungen, beispielsweise in Bezug auf historische oder ethische Kenntnisse, gestellt werden könnten. Auch die angesichts der anspruchsvollen Lehrziele nachvollziehbare Forderung nach einem höheren Stundenkontingent und einer verbesserten personellen Ausstattung der GTE-Einrichtungen könnte durch die Kommunikation von für alle Medizinstudierenden erforderlichen Kenntnissen oder Fertigkeiten an Schlagkraft gewinnen [15], [16]. Demgegenüber wird allerdings von einzelnen Autoren die Varianz in der Ausbildung in GTE als Stärke in einem ansonsten stark vereinheitlichtem und strukturiertem Ausbildungscurriculum gewertet [14]. Eine Antwort auf die vorstehenden Fragen ist nicht nur relevant für die etablierten GTE-Institutionen, sondern auch für die sich derzeit entwickelnden neuen Studiengänge für Humanmedizin, die zum Teil in Kooperation mit ausländischen Institutionen angeboten werden und die in Bezug auf die Vermittlung von GTE-Lehrinhalten andere Schwerpunkte (z.B. Kombination von Ethik und Medizinrecht) setzen.

Limitationen

Als Limitationen der Umfrage muss berücksichtigt werden, dass etwa ein Viertel der GTE Institutionen nicht an der Umfrage teilgenommen hat. Weiterhin ist bei einigen Institutionen, in denen die GTE-Lehre ganz oder teilweise von einer anderen Institution übernommen wurde, nicht aus den Fragebögen erkennbar, ob die Antworten vorab abgestimmt wurden oder ob es hier beispielsweise durch Doppelnennungen zu Verzerrungen kommt. Aufgrund der Erhebung von anonymisierten Daten ist eine Plausibilitätsprüfung durch Abgleich mit anderen Datenquellen (z.B. Internetpräsenz des Instituts, Studiendekanat) im Rahmen dieser Untersuchung nicht möglich. Weiterhin wäre nach Einschätzung der Autoren die Erhebung qualitativer Daten, beispielsweise im Rahmen von teilstrukturierten Forschungsinterviews eine methodisch und inhaltlich sinnvolle Ergänzung. In Abhängigkeit von den zur Verfügung stehenden Ressourcen ist für zukünftige vergleichbare Forschungsvorhaben zu prüfen, inwieweit eine Triangulation der Daten durch Verwendung unterschiedlicher Methoden der Datenerhebung zu einer Verbesserung der Qualität der Ergebnisse führt.

Insbesondere bei den Angaben zum Umfang der GTE-Semesterwochenstunden sowie der Vollzeitäquivalente war ein Teil der Antworten nicht plausibel, so dass ein Teil der Fragebögen diesbezüglich nicht ausgewertet werden konnte. Schließlich bestehen an vier Fakultäten verschiedene Studiengänge (z.B. Regel- und Reform-/Modellstudiengänge) (noch) parallel, so dass die Beantwortung eines Teils der Fragen, insbesondere zu Lehrinhalten, Methoden, und die entsprechende Auswertung nur in reduzierter Form erfolgen konnte.


5. Schlussfolgerungen

Die Inhalte und strukturellen Voraussetzungen der Lehre in GTE an den medizinischen Fakultäten in Deutschland unterscheiden sich erheblich. Einerseits lässt sich eine inhaltliche Vielfalt der Lehrangebote als Vorzug begreifen. Andererseits muss gefragt werden ob zumindest in Bezug auf bestimmte Themengebiete eine Vereinheitlichung der GTE-Lehre hergestellt werden sollte. Eine Definition grundlegender Inhalte der GTE-Lehre hätte den Vorteil, dass alle angehenden Ärzte in Deutschland vergleichbare grundlegende Kenntnisse hätten. Eine Verbindlichkeit grundlegender GTE-Ausbildungsinhalte für Ärzte könnte auch die Stellung des Querschnittsbereichs GTE stärken.


Autoren

Schildmann und Bruns sind gleichberechtigte Erstautoren.


Danksagung

Die Autoren bedanken sich bei den GTE-Lehrverantwortlichen, die bereit waren die erhobenen Daten im Anschluss an die Umfragen zu diskutieren, für Ihre Einschätzung und Interpretationen der Ergebnisse. Die Autoren bedanken sich bei den beiden Gutachter/innen für die konstruktiven und wichtigen Hinweise für die Überarbeitung.


Interessenkonflikt

Die Autoren erklären, dass sie keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


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