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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Universitäre Lehre in der Medizinischen Psychologie: Belastung oder Gewinn?

Artikel Lehrende in der Medizin

  • corresponding author Friederike Kendel - Charité – Universitätsmedizin Berlin, CC1 für Human- und Gesundheitswissenschaften, Institut für Medizinische Psychologie, Berlin, Deutschland
  • author Katrin Rockenbauch - Universitätsklinikum Leipzig, Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie, Leipzig, Deutschland
  • author Rolf Deubner - Justus-Liebig-Universität Gießen, Institut für Medizinische Psychologie, Gießen, Deutschland
  • author Swetlana Philipp - Friedrich-Schiller-Universität Jena, Institut für Psychosoziale Medizin und Psychotherapie, Jena, Deutschland
  • author Götz Fabry - Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Medizinische Psychologie & Soziologie, Freiburg, Deutschland

GMS J Med Educ 2016;33(5):Doc76

doi: 10.3205/zma001075, urn:nbn:de:0183-zma0010751

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2016-33/zma001075.shtml

Eingereicht: 12. Januar 2016
Überarbeitet: 21. März 2016
Angenommen: 3. Juni 2016
Veröffentlicht: 15. November 2016

© 2016 Kendel et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Zielsetzung: Mit dem zunehmenden Stellenwert der universitären Lehre wachsen auch die Anforderungen an die Lehrenden. Vor diesem Hintergrund wird in dieser Studie untersucht, wie Lehrende im Fach Medizinische Psychologie ihre Tätigkeit erleben und bewerten und in welchem Verhältnis bei ihnen Anstrengungen auf der einen und Gratifikationen auf der anderen Seite stehen (im Sinne der Effort-Reward-Imbalance, ERI).

Methodik: Im Jahr 2012 wurde eine querschnittliche Online-Befragung mit Mitarbeitern der medizinpsychologischen Institute in Deutschland durchgeführt. Der Fragebogen wurde von 188 Teilnehmern (62% Frauen) beantwortet (Rücklaufquote 39.2%) und enthielt neben Fragen zur Lehrsituation den ERI-Fragebogen ERI-Q und Items zur Sinnhaftigkeit und Aufteilung der Arbeitsbereiche.

Ergebnisse: Von den Befragten waren 67.3% mit dem Anteil der Lehre an ihren Arbeitsaufgaben zufrieden. Für den Forschungsbereich wünschten sich jedoch 63% der Befragten mehr Zeit. Der ERI-Koeffizient lag bei durchschnittlich M=.76 (SD=.45) und damit in einem Bereich, der eine Verschiebung zugunsten der Belohnung anzeigt. Es ergaben sich keine Assoziationen zwischen Geschlecht, Alter oder einer Befristung des Arbeitsverhältnisses mit der ERI. Die ERI korrelierte negativ mit dem Erleben von Sinnhaftigkeit in der Lehre (r=-.21, p=.012) und positiv mit Verausgabungsbereitschaft (r=.52, p<.001) und dem Wunsch nach weniger administrativen Aufgaben (r=.24, p=.017).

Schlussfolgerung: Die Lehrtätigkeit in der Medizinischen Psychologie wird von der überwiegenden Mehrheit der Befragten als positiv und sinnhaft beurteilt. Trotz einzelner Belastungsfaktoren scheinen insgesamt die belohnenden Aspekte zu überwiegen. Die Lehrtätigkeit könnte somit ein protektiver Faktor im Hinblick auf den Umgang mit berufsbedingten Belastungen sein.

Schlüsselwörter: Medizinische Psychologie, Lehre, Effort-Reward-Imbalance, ERI, Stress


Einleitung

Die akademische Tätigkeit verspricht ein hohes Maß an Selbstbestimmung, Kontrolle, Prestige und damit auch Arbeitszufriedenheit. Gleichzeitig haben sich in den vergangenen Jahren die Diskussionen um die Arbeitsbedingungen an Hochschulen und Universitäten intensiviert: Dabei geht es zum einen um die (begrenzten) Karriereperspektiven des wissenschaftlichen Nachwuchses, zum anderen um die zunehmenden Anforderungen in Forschung und Lehre [1]. In der Forschung steigt der Druck durch eine immer stärkere Orientierung an Drittmitteln und Impactpunkten [2]. In der Lehre haben im Zusammenhang mit dem Bologna-Prozess bzw. mit der Diskussion um eine stärkere Kompetenzorientierung Reformen eingesetzt, die die Curricula auf breiter Basis verändern [3]. Diese Reformen stellen hohe Anforderungen an die Lehrenden, von denen einerseits stärker als bisher erwartet wird, sich mit didaktischen Aspekten der Hochschullehre intensiver auseinanderzusetzen [4]. Andererseits steigt durch die Einführung neuer Lehr- und Lernformen, die häufig mit kleineren Gruppengrößen einhergehen und betreuungsintensiver sind, auch deren zeitliche Beanspruchung [5].

Viele wissenschaftliche Mitarbeiter übernehmen umfangreiche Aufgaben in der Lehre, bei denen es sich im Gegensatz zur Forschungstätigkeit häufig nicht oder nicht mehr um zeitlich befristete Projekte handelt. Dennoch waren einer Umfrage aus dem Jahr 2010 zufolge nur 54% der an Universitäten beschäftigten Nachwuchskräfte in Vollzeit angestellt, 42% verfügten über Teilzeitverträge [6]. Die durchschnittliche Vertragslaufzeit betrug laut dieser Umfrage 27 Monate. Im internationalen Vergleich gibt es in Deutschland weniger unbefristete Stellen unterhalb einer Professur [6]. National wie auch international nimmt die Finanzierung von Wissenschaftlern über projektbezogene und damit befristete Drittmittel zu, während Lehre zunehmend auch über Honorarkräfte, die stundenweise bezahlt werden, abgedeckt wird. Die mit solchen Arbeitsverhältnissen verbundene Unsicherheit und schlechte Planbarkeit der eigenen Laufbahn können die Zufriedenheit mit der Arbeit beeinträchtigen [7]. Außerdem gibt es Hinweise darauf, dass bei Hochschulangestellten die Arbeit häufiger mit gesundheitlichen Beschwerden, insbesondere mit stressbezogenen Problemen einhergeht als in anderen Berufsgruppen [8].

Effort-Reward-Imbalance

Mit unterschiedlichen Modellen wird die Komplexität der arbeitsbezogenen Gesundheit auf relevante Komponenten reduziert [9]. Das Modell der „Effort-Reward-Imbalance“ (ERI) [10] basiert auf der Annahme, dass die berufliche Zufriedenheit und deren Auswirkungen auf die Gesundheit vom Verhältnis von Anstrengung (Effort) zu Anerkennung (Reward) abhängt. Effort bezieht sich auf die Arbeitsanforderungen und Verpflichtungen, mit denen die Betroffenen konfrontiert sind. Reward wiederum repräsentiert extrinsische Einflussfaktoren, die vor allem vom Arbeitgeber abhängen, wie Bezahlung, Wertschätzung und Anstellungsverhältnis. Das ERI-Modell postuliert ein Ungleichgewicht („Imbalance“), wenn die Arbeit von hohen Anforderungen und Anstrengung einerseits, jedoch wenig Anerkennung andererseits gekennzeichnet ist. Eine weitere Komponente, die dieses Ungleichgewicht intensiviert, ist eine übermäßige Verausgabungsneigung (Overcommitment). Personen mit einer Neigung zur Verausgabung reagieren stärker auf ein bestehendes Ungleichgewicht zwischen Effort und Reward (siehe Abbildung 1 [Abb. 1]).

Eine Bestätigung dieser Zusammenhänge zeigte sich in einer englischen Studie mit Hochschuldozenten [8]. Overcommitment zeichnete sich dabei als stärkster Prädiktor für Angst und Depression ab, während Reward mit einer höheren Arbeitszufriedenheit assoziiert war. Diese Befunde stimmen mit den Ergebnissen einer früheren Studie von Kinman et al. [11] überein. Kinman et al. zeigten darüber hinaus, dass ein Ungleichgewicht zwischen Anstrengung und Anerkennung zu einer schlechteren Work-Life-Balance führte, und zwar besonders bei den Angestellten, die eine stärkere Verausgabung bei ihrer Arbeit berichteten.

Die Medizinische Psychologie in der Humanmedizin

Auch in der Humanmedizin hat in den letzten 20 Jahren ein intensiver Reformprozess eingesetzt. Davon sind Grundlagenfächer wie die Medizinische Psychologie in besonderer Weise betroffen. Gefordert werden eine stärkere Praxisorientierung und eine intensivere Vernetzung von Grundlagenwissen und klinischem Handlungswissen. Das Fach Medizinische Psychologie vermittelt als Pflichtfach psychologische Grundlagen zur Arzt-Patient-Kommunikation und sozialwissenschaftliche Methoden, aber z.B. auch zu Entwicklung, Persönlichkeit, Emotion und Motivation mit jeweils unterschiedlichen klinischen Bezügen. In der Forschung haben die medizinpsychologischen Institute je unterschiedliche Schwerpunkte. Zusätzlich zu den Aufgaben in Lehre und Forschung sind Medizinpsychologen an vielen Universitätsklinika auch in der Patientenversorgung tätig. Die Struktur und Größe der medizinpsychologischen Institute und Abteilungen ist sehr unterschiedlich, viele Institute haben jedoch eine relativ geringe Personalkapazität bei gleichzeitig umfangreichen Aufgaben in der Lehre. Obwohl die Approbationsordnung Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie als ein gemeinsames Fach aufführt, sind die institutionelle Verankerung der beiden Disziplinen, die inhaltliche Ausgestaltung der Lehre und die Tätigkeitsschwerpunkte der Lehrenden sehr unterschiedlich. Deshalb fokussiert die hier vorliegende Studie auf den Bereich der Medizinischen Psychologie.

Vor dem Hintergrund der wachsenden Anforderungen an Lehre und Forschung einerseits und den vielfach unsicheren Karriereperspektiven andererseits wird untersucht, wie Lehrende im Fach Medizinische Psychologie ihre Tätigkeit wahrnehmen, und ob bei Ihnen ein Ungleichgewicht zwischen Anstrengung und Belohnung im Sinne der ERI besteht.


Methoden

Die Studie wurde initiiert von der Lehrkommission der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Psychologie (DGMP). Im Juli 2012 wurden N=480 wissenschaftliche Mitarbeiter und Professoren aller medizinpsychologischen Institute an deutschen Universitäten per E-Mail angeschrieben und um ihre Teilnahme an einer querschnittlichen Online-Befragung gebeten.

Messinstrumente

Der Online-Fragebogen umfasste soziodemographische Variablen, Fragen zur beruflichen Qualifikation, zur Lehrerfahrung, zu den aktuellen Lehrverpflichtungen und zu den langfristigen beruflichen Zielen. Außerdem wurden fünf Fragen zur Sinnhaftigkeit der Lehre gestellt (z.B. „Meine Lehrtätigkeit bringt mich persönlich weiter“ oder „Ich erlebe mein Fach als sinnvoll“), die mittels einer visuellen Analogskala (1-100) abgefragt wurden. Aus diesen Items wurde die Summenskala „Sinnhaftigkeit der Lehre“ gebildet (Cronbach’s α=.71).

Um die Verteilung der eigenen Arbeitszeit auf die Bereiche Lehre, Forschung, Patientenversorgung und Verwaltung zu erfassen, wurden die Teilnehmer gebeten, die prozentuale Aufteilung der einzelnen Bereiche anzugeben. Hier wurde zum einen nach dem „Ist-Stand“ gefragt, zum anderen nach der Idealvorstellung einer zeitlichen Aufteilung, dem „Soll-Stand“. Bei einem Differenzwert von 0 sowie einer Abweichung bis zu 10% in beide Richtungen (positiv und negativ) wurde eine Passung von „Ist“ und „Soll“ und somit eine Zufriedenheit mit der Aufteilung der Bereiche angenommen. Eine Abweichung von mehr als 10% wurde als Unzufriedenheit mit der Aufteilung gewertet.

Effort-Reward-Imbalance

Für die Erfassung des Gleichgewichts bzw. Ungleichgewichts zwischen beruflicher Anstrengung (Effort) und Belohnung (Reward) wurde der Effort-Reward-Imbalance Fragebogen (ERI-Q) von Siegrist eingesetzt [12]. Der ERI-Q ist ein standardisiertes Messinstrument und umfasst drei Komponenten: Anstrengung (Effort) wird mit fünf Items erfragt (ein sechstes Item zur körperlichen Anstrengung, welches in der Originalfassung enthalten ist, wird bei akademischen Berufen nicht verwendet), Belohnung (Reward) wird mit elf Items erfasst. Davon beziehen sich zwei Items auf Wertschätzung, vier auf Förderung und finanzielle Aspekte und zwei Items auf die Arbeitsplatzsicherheit. Die Antworten werden für jede Skala aufsummiert und das Verhältnis zwischen Effort und Reward (ERI-Ratio) berechnet. Um beide Komponenten gleich zu gewichten, wird ein Korrekturfaktor in die Gleichung eingesetzt (hier: Effort/Reward x 0.454545). Höhere Werte auf der ERI-Skala stehen für ein Ungleichgewicht zwischen Effort und Reward in Richtung einer größeren Anstrengung. Die dritte Komponente in Siegrists Modell bezieht sich auf die Verausgabungsneigung (Overcommitment), welche mit sechs Items erfasst wird.

Statistische Analyse

Die statistische Auswertung der Daten erfolgte mit SPSS 20.0. Um den ERI-Koeffizienten an eine Normalverteilung anzunähern, wurde eine Quadratwurzeltransformation durchgeführt. Zur Ermittlung von Geschlechterunterschieden wurde der t-Test für unabhängige Stichproben eingesetzt. Um Zusammenhänge zwischen einzelnen Variablen und der Imbalance zwischen Effort und Reward festzustellen, wurde der Korrelationskoeffizient r nach Pearson berechnet. Das Signifikanzniveau wurde auf α<.05 festgelegt.


Ergebnisse

Insgesamt 188 Teilnehmer (62% Frauen) beantworteten den Online-Fragebogen. Der Rücklauf lag somit bei 39.2%. Die Teilnehmer waren im Mittel 39.39 Jahre alt (SD=10.48), die Männer waren durchschnittlich 6 Jahre älter als die Frauen (siehe Tabelle 1 [Tab. 1]). Die überwiegende Mehrheit der Befragten (66.5%) hatte ein Psychologie-Studium, 18.6% ein Soziologie-Studium und 4.3% ein Studium der Humanmedizin absolviert. Während es bei der Fachrichtung keine Geschlechterunterschiede gab, unterschieden sich Männer und Frauen hinsichtlich ihres akademischen Grads: Mehr Frauen (54.3%) als Männer (37.5%) gaben als akademischen Grad Bachelor oder Diplom/Master an, während 15% der Männer vs. 7,8% der Frauen habilitiert waren (p = .003). Im Mittel waren die Befragten 7 Jahre in der Medizinischen Psychologie tätig, 75% der Befragten in einer befristeten Position (Männer 62.5%, Frauen 82.8%, p=.003). Sowohl der Geschlechterunterschied in Bezug auf den akademischen Grad als auch der höhere Anteil von Männern bei entfristeten Stellen entsprachen einem höheren Anteil von Männern in einer leitenden Position (30% vs. 9.2% Frauen, p<001).

Hinsichtlich der persönlichen, langfristig angestrebten Ziele arbeiteten 59.1% der Befragten auf eine inneruniversitäre Karriere hin. Die restlichen 40% der Befragten strebten eine Tätigkeit in außeruniversitären wissenschaftlichen Einrichtungen (9.7%), im außeruniversitären klinischen Bereich (18.8%) an oder verfolgten sonstige Ziele (12.4%). Der Umfang der Lehrtätigkeit lag im Durchschnitt bei fünf Semesterwochenstunden (SWS) (SD=4.02), Männer unterrichteten im Mittel 1.5 SWS mehr (p<.001) als die Frauen. Insgesamt unterrichteten 38% der Lehrenden mehr als 4 SWS; 28.5% der Befragten unterrichteten mehr, als in ihrem Stellendeputat vorgesehen war. Hier gab es keine Geschlechterunterschiede. Auf der Summenskala „Sinnhaftigkeit der Lehre“ gaben die Teilnehmer im Mittel einen Wert von 73.2 (SD=17.54) an. Nur 10% der Befragten gaben Werte <50 an.

Von den 188 Teilnehmern gaben 164 (87.2%) an, zu unterrichten. 157 Teilnehmer (83.5%) waren in der Forschung tätig, 97 (51.6%) übernahmen Verwaltungsaufgaben und 52 (27.7%) waren zusätzlich in der Patientenversorgung tätig.

Die Teilnehmer wurden um eine Einschätzung gebeten, wieviel Zeit die aufgeführten Arbeitsbereiche beanspruchten („Ist-Stand“, siehe Tabelle 2 [Tab. 2]). Etwa ein Drittel der Arbeitszeit bei Männern (27%) und bei Frauen (32%) entfiel auf die Lehre, 46% bzw. 42% auf die Forschung und 20% der Tätigkeit bei beiden Geschlechtern auf Verwaltungsaufgaben. Falls die Tätigkeit die Versorgung von Patienten mit einschloss, entfielen auf diesen Bereich bei Männern 11% und bei Frauen 19% ihrer Arbeitszeit. Zusätzlich zu einer Einschätzung des „Ist-Stands“ wurden die Teilnehmer nach einer idealen Aufgabenverteilung gefragt („Soll-Stand“, siehe Abbildung 2 [Abb. 2]). Für den Bereich Lehre gaben 67.3% der Befragten eine ausgewogene Aufteilung an. Lediglich 13.7% der Teilnehmer äußerten den Wunsch, weniger Lehre machen zu wollen. Allerdings wünschten 63% der Befragten mehr Zeit für Forschung, und nur 2% der Teilnehmer mehr Zeit für Verwaltungsaufgaben. Von den im Bereich „Patientenversorgung“ Tätigen meinte lediglich etwas mehr als ein Drittel, dass ein größerer Anteil ihrer Arbeitszeit auf diesen Bereich entfallen solle.

Effort-Reward-Imbalance und Overcommitment

Tabelle 3 [Tab. 3] führt die Werte für die Anstrengung (Effort), Belohnung (Reward) und Verausgabungsneigung (Overcommitment) auf. Auf keiner dieser Skalen fanden sich Geschlechterunterschiede. Die Werte auf der Reward-Skala (nach Adjustierung für die unterschiedliche Anzahl von Items dieser Skala) waren durchschnittlich höher als die Werte auf der Effort-Skala. Der ERI-Koeffizient betrug im Mittel M=.76 (SD=.45, min=.20, max=2.64). Mit einem Wert deutlich <1 lagen die Teilnehmer der Befragung in einem Bereich, der eine Verschiebung des Gleichgewichts zugunsten der Belohnung indiziert.

Tabelle 4 [Tab. 4] zeigt, dass soziodemographische Variablen wie Geschlecht, Alter oder Partnerstatus nicht mit der ERI assoziiert waren. Dagegen waren eine als weniger sinnhaft empfundene Lehrtätigkeit, eine höhere Verausgabungsneigung, eine Befristung und der Wunsch nach weniger administrativen Aufgaben signifikant mit einer stärkeren ERI assoziiert, also einer stärkeren Verschiebung in Richtung Anstrengung.


Diskussion

Die Ergebnisse der Befragung legen nahe, dass die Lehrenden an den medizinpsychologischen Instituten in Deutschland bei ihrer Arbeit offensichtlich ein günstiges Verhältnis von Anstrengung und Belohnung wahrnehmen. Die wahrgenommene Anerkennung überwiegt die berichtete Anstrengung. Bei der Interpretation dieser Ergebnisse muss berücksichtigt werden, dass die Medizinische Psychologie in der Humanmedizin ein theoretisches Grundlagenfach ist. Lehre und Forschung, und nicht die Patientenversorgung gehören zu den vorrangigen Aufgaben. Die Lehre in der Medizinischen Psychologie fordert eine Auseinandersetzung mit sehr unterschiedlichen Themenfeldern der Psychologie, außerdem müssen vielfältige klinische Bezüge hergestellt werden. Insofern ist es plausibel, dass die Frage nach der Sinnhaftigkeit der Lehre, die auch den Aspekt der persönlichen Weiterentwicklung mit einschloss, von der überwiegenden Mehrheit der Teilnehmer positiv beantwortet wurde. Die Sinnhaftigkeit der Lehre hing außerdem mit günstigeren Werten auf der ERI-Skala, also mit einem Überwiegen der Belohnung zusammen. Für die Lehrtätigkeit in der Medizinischen Psychologie mag somit gelten, dass auch unter den gegenwärtigen universitären Rahmenbedingungen ein großes Maß an Freiheit, Selbstständigkeit und Gestaltungsmöglichkeiten bestehen bleibt. Für diese Sichtweise spricht auch die Zufriedenheit mit der Aufteilung der einzelnen Arbeitsbereiche: Hier fällt auf, dass im Bereich Lehre der Wunsch nach einer Reduktion am geringsten ist, obwohl die Befragten vergleichsweise viele Lehraufgaben übernehmen. Lediglich 14% der Befragten äußerten, dass sie weniger lehren wollten. Demgegenüber sind die Unterschiede zwischen „Ist“ und „Soll“ in anderen Bereichen wesentlich ausgeprägter: z.B. wünschten über die Hälfte der Befragten mehr Zeit für Forschung.

Während etwa 80% der Befragten ihre Tätigkeit eher belohnend als anstrengend empfinden, zeigten die Werte der ERI bei 20% der Befragten in eine gegenläufige Richtung; bei ihnen ist die berichtete Anstrengung größer als die wahrgenommene Belohnung oder Gratifikation, ein Wert, der auch bei einer Studie mit 949 deutschen Lehrern gefunden wurde [13]. Dass diese Personen auch eine geringere Sinnhaftigkeit ihrer Lehrtätigkeit empfinden, unterstützt die Bedeutung dieses Parameters für die Zufriedenheit in dem von uns untersuchten Arbeitsumfeld. Die höhere Verausgabungsneigung in dieser Gruppe dagegen kann im Sinne des im ERI-Modell postulierten Zusammenhangs von Anstrengung und Belohnung so verstanden werden, dass die belohnenden Aspekte der Tätigkeit die investierte Anstrengung offensichtlich nicht aufwiegen können. Weder für die wahrgenommene Sinnhaftigkeit noch für die Verausgabungsneigung kann auf Grundlage unserer Daten entschieden werden, ob das Ungleichgewicht in dieser Gruppe eher auf individuelle Dispositionen zurückzuführen ist, ob also die Lehrtätigkeit von diesen Personen grundsätzlich als wenig sinnhaft empfunden wird bzw. ob sie a priori eine besonders starke Verausgabungsneigung haben. Denkbar wäre auch, dass extrinsische Faktoren eine entscheidende Rolle spielen, wenn es etwa curricular bedingt nur wenig direkte Erfolgserlebnisse bei der Lehrtätigkeit gibt. Deutlicher auf Umgebungsfaktoren weist dagegen der Befund hin, dass ein individuell als zu groß empfundener Anteil an Organisationsaufgaben ebenfalls die ERI ungünstig beeinflusst.

Überraschend war, dass sich keine höheren ERI-Werte bei Mitarbeitern mit befristeten Arbeitsverhältnissen und weniger Lehrerfahrung fanden. Insofern wird die Annahme, dass Arbeitsverhältnisse, die durch eine unsichere Zukunftsperspektive gekennzeichnet sind, grundsätzlich mit einem höheren Risiko für Burnout einhergehen (z.B. [14]), durch unsere Ergebnisse nicht gestützt. Möglicherweise überwiegt hier der Aspekt der persönlichen Weiterentwicklung und nicht die Belastung, die mit einem unsicheren Arbeitsverhältnis verbunden sein kann. Variablen, die sich in anderen Studien im medizinischen Kontext als relevant herausgestellt haben, z.B. „ungünstige organisatorische Arbeitsbedingungen im Krankenhaus“ oder „Überlastung durch Schlafmangel“ [15] sind bei unserer Zielgruppe sicherlich weniger ausgeprägt. Obwohl etwa ein Drittel der medizinpsychologischen Mitarbeiter zusätzlich in der Patientenversorgung tätig ist, bildet diese Tätigkeit in der Regel nicht den Schwerpunkt. Die Medizinische Psychologie dürfte eher geistes- oder naturwissenschaftlichen Fächern gleichen, in denen trotz weit verbreiteter Klagen über Stress und eine hohe Arbeitsbelastung in Forschung und Lehre offenbar viele Akademiker eine hohe intrinsische Motivation zeigen und sich stark mit ihrer Tätigkeit identifizieren [16], [17]. Inwieweit die Einführung von modularisierten Studiengängen den Gestaltungsspielraum und damit die Arbeitszufriedenheit verringert, muss an dieser Stelle offen bleiben. Hier fehlen bislang vergleichende Studien zu unterschiedlichen universitären Fachbereichen [18].

Obwohl unter den Befragten wesentlich mehr Männer als Frauen in einer leitenden Position waren, fanden sich keine Geschlechterunterschiede hinsichtlich der Balance von Anerkennung und Verausgabung. Aster-Schenck und Kollegen zeigten, dass bereits Medizinstudenten nach wie vor größere Karriereambitionen haben [19], während Medizinstudentinnen den beruflichen Erfolg häufiger in einer gelungenen Vereinbarkeit von Beruf und Familie sehen. Dies wird auch von Hohner et al. [20] bestätigt, die Interviews mit Ärzten und Ärztinnen durchführten und schlussfolgern, dass „[…] gerade auch für Frauen – eine andere subjektive Konzeption von Berufserfolg als die sehr enge handlungsleitend wird. Als erfolgreich gilt oft derjenige Berufsverlauf, der […] sich optimal mit dem privaten Lebensstrang integrieren lässt.“ Dies könnte bedeuten, dass die einzelnen Komponenten des Modells beruflicher Gratifikationskrisen von Männern und Frauen unterschiedlich bewertet werden. Wenn Vergütung und Status weniger wichtig sind und positive Lehrerfahrungen stärker ins Gewicht fallen, könnten Frauen trotz einer vergleichsweise geringeren Vergütung und eines geringeren Status ihre Tätigkeit als belohnend wahrnehmen. Eine weitere Erklärung könnte die Besonderheit der sozialen Netzwerke bieten, indem Frauen in einem weiblich dominierten Umfeld wie der Medizinischen Psychologie eine höhere soziale Unterstützung als in anderen Arbeitsbereichen der Universitätsmedizin bekommen. In einer Studie mit akademischem Personal profitierten insbesondere die Frauen hinsichtlich ihrer emotionalen Erschöpfung von einem unterstützenden Abteilungsklima [21] und allgemein ist eine stärkere soziale Unterstützung mit einer geringeren beruflichen Belastung und weniger Burnout assoziiert [22].


Limitationen

Unsere Studie unterliegt mehreren Einschränkungen.

1.
Der Rücklauf betrug nur ca. 40%. Dies ist jedoch eine Quote, die anderen Online-Befragungen entspricht. Für eine weitgehende Repräsentativität sprechen das Geschlechterverhältnis dieser Studie (62% Frauen), die Verteilung von befristet und unbefristet Beschäftigten sowie der Anteil von Teilnehmern in leitenden Positionen. Dennoch kann eine Stichprobenverzerrung nicht ausgeschlossen werden, da besonders belastete Teilnehmer häufiger die Fragebögen nicht ausfüllen [23];
2.
Eine weitere Einschränkung betrifft das Design einer Querschnittsstudie. Kausale Interpretationen oder Aussagen über Verläufe sind damit nicht möglich. Wünschenswert wäre ein Design mit Messwiederholungen, welches neben Veränderungen über die Zeit den Einfluss von Gratifikationskrisen auf die psychische und physische Gesundheit messen könnte [15]. Eine Erfassung zusätzlicher Variablen wie Depressivität oder auch wahrgenommener sozialer Unterstützung am Arbeitsplatz wäre in zukünftigen Untersuchungen wünschenswert.

Schlussfolgerung

Die Arbeit im Bereich der Medizinischen Psychologie wird von der überwiegenden Mehrheit der Befragten als positiv und sinnhaft beurteilt. Längsschnittliche Untersuchungen sollten herangezogen werden, um zu zeigen, inwiefern diese Einschätzung auch bei befristeten Arbeitsverhältnissen über die Zeit stabil ist und wie sich ein ungünstiges Verhältnis von Verausgabung und Belohnung auf die psychische und physische Belastung auswirkt.


Danksagung

Die Autoren danken dem Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Psychologie für die Unterstützung bei der Planung und Durchführung der Befragung.

Wir widmen diesen Artikel dem Andenken an unseren viel zu früh verstorbenen lieben Kollegen Wolfgang Hannöver. Wir vermissen ihn sehr.


Interessenkonflikt

Die Autoren erklären, dass sie keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


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