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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Interprofessionelles Lernen an der Universitätsmedizin Greifswald – Didaktische Konzeption und praktische Etablierung eines notfallmedizinischen Teamtrainings von Medizinstudierenden und Auszubildenden der Gesundheits- und Krankenpflege

Artikel Interprofessionelle Ausbildung

  • author Maud Partecke - Universitätsmedizin Greifswald, Körperschaft des öffentlichen Rechts, Klinik für Anästhesiologie, Greifswald, Deutschland
  • author Claudius Balzer - Universitätsmedizin Greifswald, Körperschaft des öffentlichen Rechts, Klinik für Anästhesiologie, Greifswald, Deutschland
  • author Ingmar Finkenzeller - Universitätsmedizin Greifswald, Körperschaft des öffentlichen Rechts, Klinik für Anästhesiologie, Greifswald, Deutschland
  • author Christiane Reppenhagen - Berufliche Schule an der Universitätsmedizin Greifswald, Körperschaft des öffentlichen Rechts, Greifswald, Germany
  • author Ulrike Hess - Universitätsmedizin Greifswald, Körperschaft des öffentlichen Rechts, Geschäftsbereich Pflege, Praxisanleitung, Greifswald, Deutschland
  • author Klaus Hahnenkamp - Universitätsmedizin Greifswald, Körperschaft des öffentlichen Rechts, Klinik für Anästhesiologie, Greifswald, Deutschland
  • corresponding author Konrad Meissner - Universitätsmedizin Greifswald, Körperschaft des öffentlichen Rechts, Klinik für Anästhesiologie, Greifswald, Deutschland

GMS J Med Educ 2016;33(2):Doc32

doi: 10.3205/zma001031, urn:nbn:de:0183-zma0010315

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2016-33/zma001031.shtml

Eingereicht: 15. August 2015
Überarbeitet: 23. November 2015
Angenommen: 16. November 2015
Veröffentlicht: 29. April 2016

© 2016 Partecke et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Einleitung: Interprofessionelle Zusammenarbeit ist insbesondere im Bereich der klinischen Notfallmedizin von großer Bedeutung. Die an der Versorgung beteiligten Professionen müssen Hand und Hand zusammenarbeiten und Arbeitsabläufe gut koordiniert sein. Studierende der Humanmedizin und Auszubildende der Gesundheits- und Krankenpflege erhalten jedoch kaum Gelegenheit die interprofessionelle Zusammenarbeit in der Ausbildungsphase praktisch zu trainieren. Vor diesem Hintergrund haben die Klinik für Anästhesiologie und die Berufliche Schule an der Universitätsmedizin Greifswald ein Projekt zur „Erhöhung der Patientensicherheit durch die Integration von interprofessionellem Human-Factor-Training in die Ausbildung von Gesundheitsberufen“ initiiert. In dieser Darstellung soll der Frage nachgegangen werden, auf welche Weise ein interprofessionell ausgerichtetes Kursmodul der klinischen Notfallmedizin unter Maßgabe einer hohen Kompetenz- und Problemorientierung didaktisch gestaltet werden kann.

Projektbeschreibung: Ziel des im Zeitraum von Oktober 2013 bis September 2015 durchgeführten Projektes war die didaktische Entwicklung, praktische Etablierung und Evaluation eines simulationsbasierten und interprofessionell ausgerichteten Kursmoduls im Bereich der klinischen Notfallmedizin. Zielgruppe bildeten Studierende der Humanmedizin und Auszubildende der Gesundheits- und Krankenpflege. In der didaktischen Konzeption und Durchführung wurden moderne didaktische Modelle und Methoden genutzt. Das Projekt wurde in den Phasen der Definition, Planung, praktischen Etablierung, Evaluation und Dokumentation durchgeführt. Begleitet wurde der Projektprozess von einer systematischen Qualitätsentwicklung. In der Qualitätsentwicklung, -sicherung und Evaluation kam der Leitfaden zur Qualitätszentrierten Schulentwicklung zum Einsatz.

Ergebnisse: Im Zeitraum von zwei Jahren wurde ein simulationsbasiertes Kursmodul entwickelt, in den Sommersemestern 2014 und 2015 durchgeführt und evaluiert. 120 Studierende der Humanmedizin und 120 Auszubildende der Gesundheits- und Krankenpflege durchliefen das 16-stündige Lernangebot. 18 Lehrende aus Medizin und Pflege wurden zu Instruktoren/innen ausgebildet und in der Kursdurchführung von 12 studentischen Tutoren/innen unterstützt. Die zyklisch angelegten Evaluationen fokussierten auf unterschiedliche Aspekte der Projektdurchführung. Die sehr gute Benotung des Kursangebotes durch Studierende und Auszubildende weist auf eine hohe Zufriedenheit beider Berufsgruppen mit der didaktischen Gestaltung und der Qualität der Betreuung hin.

Diskussion: Der Ausschuss „Interprofessionelle Ausbildung in den Gesundheitsberufen“ der Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA) formuliert in einem Positionspapier Empfehlungen für die interprofessionelle Ausbildung. Die hier gegebenen Empfehlungen zur didaktischen Konzeption und Qualitätssicherung werden aufgegriffen und Entsprechungen mit dem konzipierten Kurskonzept aufgezeigt.

Schussfolgerung: Das entwickelte Kurskonzept entspricht im Wesentlichen den zur didaktischen Gestaltung und Qualitätsentwicklung gegebenen Empfehlungen des GMA Ausschusses „Interprofessionelle Ausbildung in den Gesundheitsberufen“. Auf dieser Grundlage und in Anbetracht der sehr guten Benotung rechtfertigt sich die Fortsetzung und Weiterentwicklung dieses interprofessionellen Lehrformates.

Schlüsselwörter: Medical Education, Emergency Medicine, Patient Simulation, Interprofessional Relations


1. Einleitung

Die Bewältigung klinischer Notfallsituationen erfordert neben einer hohen fachlichen Expertise insbesondere die Fähigkeit zu einer zielgerichteten Kommunikation und effektiven Zusammenarbeit im Team. Die an der Versorgung eines Notfallpatienten beteiligten Berufsgruppen sollen Hand in Hand zusammenarbeiten. Die Handlungsabläufe müssen gut koordiniert sein und die Kommunikation im Team eindeutig und effektiv verlaufen. Gute Zusammenarbeit passiert jedoch nicht zufällig, sondern bedarf einer intensiven Vorbereitung und Schulung [6]. Historisch gewachsene und monoprofessionell angelegte Qualifizierungswege bieten nach wie vor wenig Gelegenheit für angehende Ärzte/Ärztinnen und Gesundheits- und Krankenpfleger/innen, gemeinsam zu lernen und Erfahrungen in der Zusammenarbeit zu sammeln. Vor diesem Hintergrund haben die Klinik für Anästhesiologie und die Berufliche Schule der Universitätsmedizin Greifswald ein Projekt zur „Erhöhung der Patientensicherheit durch die Integration von interprofessionellem Human-Factor-Training in die Ausbildung von Gesundheitsberufen“ ins Leben gerufen. Ziel der Projektinitiative war die didaktische Entwicklung, praktische Etablierung und Evaluation eines interprofessionell ausgerichteten und simulationsbasierten Kursmoduls im Bereich der klinischen Notfallmedizin. Zielgruppe bildeten Auszubildende der Gesundheits- und Krankenpflege und Studierende der Humanmedizin an der Universitätsmedizin Greifswald. In dieser Darstellung soll insbesondere der Frage nachgegangen werden, auf welche Weise ein interprofessionell ausgerichtetes Kursmodul der klinischen Notfallmedizin unter Maßgabe einer hohen Kompetenz- und Problemorientierung didaktisch gestaltet werden kann. Darüber hinaus galt es, geeignete Instrumente zu identifizieren, die sich für eine systematische Qualitätsentwicklung und -sicherung des konzipierten Lehrformates eignen. Die nachfolgende Darstellung ist aus einer bildungswissenschaftlichen Perspektive insbesondere auf diese Aspekte der Projektdurchführung gerichtet.

Der Begriff der Kompetenz umfasst nach Weinert „die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können“ [17]. Kompetenzen werden in beruflichen und lebensweltlichen Kontexten erworben und lebensbegleitend weiter entwickelt. Die berufliche Handlungskompetenz als ein enger gefasster Begriff bezieht sich auf das konkrete Arbeitshandeln des Menschen. Die berufliche Handlungskompetenz ist als Einheit von Fach-, Sozial- und Selbstkompetenz zu verstehen. Die Methodenkompetenz, die kommunikative Kompetenz und die Lernkompetenz sind diesen Kompetenzbereichen immanent [13]. Die reflexive Handlungsfähigkeit bezeichnet das Vermögen, über die berufliche Handlungskompetenz hinaus, auch strukturelle Arbeits- und Lernbedingungen in den Blick zu nehmen und zu reflektieren. Aus einer vom konkreten Arbeitsgeschehen abgerückten Perspektive können vor dem Hintergrund umgebender Arbeits- und Sozialstrukturen auch Ablauforganisationen und Handlungsweisen hinterfragt und in Beziehung zu den eigenen Erfahrungen und Handlungen gesetzt werden [1]. Den nachfolgenden Ausführungen werden die beschriebenen Kompetenzbegriffe zugrunde gelegt.


2. Projektbeschreibung

2.1. Die Projektziele

Ziel der Projektinitiative war die didaktische Entwicklung, praktische Etablierung und Evaluation eines simulationsbasierten Kursmoduls der klinischen Notfallmedizin, das von Studierenden und Auszubildenden gemeinsam absolviert wird. Die Konzeption und Durchführung einer viertägigen qualifizierenden Schulung für Lehrende beider Professionen und studentische Tutoren/innen war immanenter Teil der Projektdurchführung, ist jedoch nicht Gegenstand dieser Darstellung. Die mit der Projektdurchführung betraute Projektgruppe bestand aus Anästhesisten/innen, Praxisanleiter/innen, Lehrenden der Beruflichen Schule und einer pädagogischen Fachkraft, die mit der Projektkoordination betraut war. Der Projektprozess verlief in den Phasen der Definition, Planung, praktischen Etablierung, Evaluation und Dokumentation. In Projekt-Teamsitzungen wurden zunächst Schnittstellen der curricularen Vorgaben und Teilnehmervoraussetzungen identifiziert. Auf dieser Grundlage erfolgte nach einem partizipatorischem Ansatz die Definition der Lerninhalte und -ziele, die Planung der didaktischen Entwicklung und der praktischen Etablierung, als auch die Bestimmung von Maßnahmen der Qualitätsentwicklung, -sicherung und Evaluation (siehe Abbildung 1 [Abb. 1]).

2.2. Die didaktische Gestaltung des Kursmoduls
2.2.1. Die Lernziele

Deklariertes Lernziel war, den Teilnehmer/innen beider Professionen eine ihren Lern- und Ausbildungsvoraussetzungen entsprechende berufliche Handlungskompetenz zu vermitteln, mit der sie in die Lage versetzt werden, einen Notfallpatienten strukturiert zu untersuchen, (lebens-)bedrohliche Erkrankungen zu erkennen und die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen. Dies umfasste auch „all diejenigen Aspekte, die einen Mitarbeiter befähigen, sein Wissen über das, was getan werden muss, unter den oft ungünstigen und unübersichtlichen Bedingungen eines medizinischen Notfalls in effektive Maßnahmen im Team umzusetzen“[7]. Der hier explizit angesprochene Aspekt interprofessioneller Zusammenarbeit erfordert insbesondere die Kompetenz zu einer anschlussfähigen Kommunikation und Kooperation im Team. Die deklarierten Lernziele wiesen damit eine fachliche und überfachliche Ebene auf. Die fachliche Ebene hatte die Aneignung von Schemata der Notfallmedizin zum Gegenstand, die überfachliche Ebene die Anwendung konkreter Techniken der Kommunikation und Teamarbeit. Während die fachliche Ebene den Erwerb einer berufsspezifischen Handlungskompetenz zum Ergebnis hatte, ist mit der überfachlichen Ebene eine interprofessionelle Dimension der beruflichen Handlungskompetenz angesprochen. Pädagogisch intendiert war darüber hinaus die kollaborative Konstruktion eines gemeinsamen mentalen Modells zur interprofessionellen Zusammenarbeit, die die Ausbildung der reflexiven Handlungsfähigkeit zum Ziel hatte.

2.2.2. Die Lerninhalte

Die Grundlage der fachlichen Gestaltung des Lernangebotes bildeten zwei etablierte Schemata, die notfallmedizinische Handlungsschritte beschreiben. Das ABCDE-Schema (A=Airway, B=Breathing, C=Circulation, D=Disability, E=Environment) stellt eine Merkhilfe dar, die die strukturierte Herangehensweise an medizinische Notfallsituationen erleichtert [13]. Ziel der Nutzung dieses Schemas ist es, die Diagnostik und die Therapie dahingehend zu priorisieren, dass lebensbedrohliche Symptome eines/einer (Notfall-)Patienten/in zuerst behandelt werden. Das SAMPLE-Schema (S=Symptome, A=Allergien, M=Medikamente, P=Persönliche Anamnese, L=letzte Mahlzeit, E=Environment/Events) wird überwiegend in der präklinischen Notfallversorgung eingesetzt. Es dient der strukturierten Anamneseerhebung und sichert die effektive Weitergabe von Informationen über den/die Patienten/in an die in den Behandlungsprozess involvierten Personen.

Den Bezugsrahmen der überfachlichen Gestaltung bildete der Crew Ressource Management-Ansatz (nachfolgend CRM genannt). CRM schärft das Bewusstsein, dass insbesondere die Art und Weise der Kommunikation und die Gestaltung der Beziehungen zwischen den Team-Mitgliedern entscheidend sind, um in kritischen Situationen rational und fokussiert zu agieren. Übergreifendes Ziel des CRM ist es, „sowohl die Rate an Komplikationen und Zwischenfällen zu reduzieren (präventiver Ansatz) als auch beim Management von Zwischenfällen (reaktiver Ansatz) effektiver und fehlerfreier handeln zu können“ [7]. In 15 Leitsätzen werden Verhaltensempfehlungen zu Aspekten der Aufmerksamkeitslenkung, dem Führungsverhalten, der Entscheidungsfindung und der Team-Koordination und -Kommunikation gegeben und den Teilnehmer/innen in Form konkreter Techniken vorgestellt [7].

2.2.3. Didaktische Modelle und Methoden

Zur didaktischen Entwicklung der Kursinhalte auf fachlicher und überfachlicher Ebene wurde das Vier-Komponenten-Instruktionsdesign-Modell (nachfolgend 4CID genannt) von Van Merriënboer herangezogen [14]. Das 4CID ist ein empirisch erforschtes Modell [10], das sich auf die theoretischen Annahmen des Instruktionsdesigns und des komplexen Lernens gründet und den Empfehlungen des situierten Lernens folgt [3]. Das Modell gibt Empfehlungen für den Entwurf von authentischen Aufgabenstellungen und den Lernprozess unterstützenden Lehr- und Lernmaterialien. Ausgangspunkt der Lehrplanentwicklung ist die Frage, was der Lernende/die Lernende in einem umfassenden und konkreten Sinne wissen und können muss, um eine komplexe kognitive Fähigkeit, in diesem Fall die Versorgung eines Notfallpatienten im Team, zu verrichten. In einem systematischen 10-schrittigen Entwicklungsprozess wurden acht notfallmedizinische Fallszenarien, drei Skill-Stationen (Cardiopulmonale Reanimation, Atemweg-Management, Intravenöser Zugang) und unterstützende Lehrmaterialien (Vorträge) und Lernmaterialien (z.B. Taschenkarten (siehe Abbildung 2 [Abb. 2])) entwickelt.

Wesentlicher Bestandteil der didaktischen Konzeption war die Nachbesprechung der Fallszenarien nach Methode des Debriefings [2]. Mit dem Einsatz dieser Methode wurde über die berufliche Handlungskompetenz hinaus insbesondere auf die intendierte Ausbildung der reflexiven Handlungsfähigkeit hingewirkt.

2.2.4. Die Gestaltung der Lernumgebung

Die nach 4CID entwickelten Fallszenerien wurden in eine simulierte Lernumgebung integriert und nach Maßgabe des „high fidelity“ Ansatzes gestaltet [9], [15]: hochtechnisierte Mannequins (lebensgroße Puppen) simulierten eine Vielzahl von Vitalparametern und reagierten auf Maßnahmen, wie beispielsweise die Verabreichung von Medikamenten. Medizinisches Equipment, Verbrauchsmaterial und, soweit möglich, Medikamente wurden im Original bereitgestellt. Die räumliche Umgebung war einem Patientenzimmer nachempfunden. Der auf diese Weise erzeugte hohe Grad der Nachbildung realer Gegebenheiten erhöht die Wahrscheinlichkeit des Wissenstransfers auf ähnliche situative Kontexte [9].

2.3. Die Qualitätssicherung

In der Qualitätsentwicklung der pädagogischen Maßnahme wurde das Verfahren der Qualitätszentrierten Schulentwicklung (QZS) genutzt [8]. In einem Leitfaden werden Arbeitsmaterialien bereitgestellt, mit denen Qualitätsbereiche, -leitsätze, -kriterien, -indikatoren und -standards entwickelt wurden. Die gesetzten Qualitätsstandards wurden durch zyklisch angelegte formative Evaluationen geprüft und das Lernangebot auf dieser Grundlage kontinuierlich weiter entwickelt.

2.4. Die praktische Etablierung

Jeweils sechs Studierende und sechs Auszubildende nahmen an dem zweitägigen Kursmodul teil. Betreut wurden sie von vier Instruktoren/innen in interprofessioneller Besetzung und zwei studentischen Tutoren/innen. Nach einer theoretischen Einführung zu den Schemata und Techniken und der Einübung von Teilfertigkeiten in den Skill-Stationen waren die Teilnehmer/innen angehalten, ihr Wissen in simulierten Fallszenerien in eine praktische Anwendung zu bringen. Es galt, eine/n simulierten Notfallpatienten/in im nachgestellten Patientenzimmer im interprofessionellen Team zu untersuchen, eine Arbeitsdiagnose zu stellen und die erforderlichen Maßnahmen im Team durchzuführen (siehe Abbildung 3 [Abb. 3]). Zur Unterstützung der Problemlösung konnte auf Lernmaterialien, z. B. Taschenkarten, zurückgegriffen werden. Von Beginn an galt es komplexe Notfallsituationen zu bewältigen. Das Anforderungsniveau stieg im Kursverlauf stetig an. In dynamischen und mitunter zeitkritischen Entscheidungssituationen der Versorgung des/der simulierten Notfallpatienten/in mussten sich die Team-Mitglieder immer wieder strukturieren, Handlungen und geplante Vorgehensweisen verbalisieren, Aufgaben delegieren und medizinische Maßnahmen priorisieren, um so in der Problemlösung voranzuschreiten. Daraus resultierende Fragen waren etwa:

  • Wer übernimmt die Rolle des Teamleaders?
  • Werden Anweisungen klar formuliert?
  • Auf welche Weise erfolgen Rückmeldungen?.

Im einem direkt an das jeweilige Fallszenario anschließende Debriefing wurden die Team-Mitglieder von den Instruktoren/innen aufgefordert, ihre persönlichen Eindrücke und Empfindungen zu schildern und den Szenarioverlauf gemeinsam zu rekonstruieren. Subjektiv erlebte Erfolge und Schwierigkeiten im Behandlungsprozess, in der Kommunikation und Teamarbeit wurden besprochen und analysiert. Durch offene Fragen der Instruktoren/innen wurden Reflexionen angeregt und alternative Handlungs- und Verhaltensoptionen gemeinsam diskutiert. Das Debriefing schloss mit einer „take home message“ ab, in der die Teilnehmer/innen bedeutsame Aspekte ihres Lernprozesses in verdichteten und in prägnanten Aussagen zusammenfassten.


3. Ergebnisse

3.1. Effekte der didaktischen Gestaltung

Im geschützten Raum einer simulierten Lernumgebung waren die Teilnehmer/innen gefordert, die vermittelten Techniken und Schemata in unterschiedlichen Kontexten situativ angepasst anzuwenden. Die Teilnehmer/innen elaborierten ihr Vorwissen und die vermittelten Schemata der Notfallmedizin und Techniken der Kommunikation und Teamarbeit über das konkrete Handeln nachhaltig. In der Zusammenarbeit identifizierten sie Schnittstellen ihrer Arbeitsbereiche, erkannten die Differenzen der Wissensformen und Verantwortlichkeiten und die Relevanz effektiver Kommunikation und Teamarbeit.

Nicht immer verlief die Zusammenarbeit erfolgreich. Wurden Arbeitsdiagnosen im Team nicht eindeutig kommuniziert, konnten medizinische Maßnahmen in der Folge nicht konsequent durchgeführt werden. Zuständigkeiten und Kompetenzen der am Behandlungsprozess beteiligten Team-Mitglieder waren mitunter nicht hinlänglich bekannt. In der Zusammenarbeit kam es zu Unstimmigkeiten, die eine effektive und zielführende Versorgung des simulierten Notfallpatienten behinderten.

An dieser Stelle kam die Bedeutung des Debriefings als essentieller Bestandteil der didaktischen Konzeption zum Tragen. In der Rekonstruktion des Szenarios wurden die Team-Mitglieder angeregt, retrospektiv subjektive Einschätzungen des Behandlungsprozess und der Zusammenarbeit zu artikulieren. In einer moderierenden Rolle verdeutlichten die Instruktoren/innen die mitunter verschiedenen berufsspezifischen Perspektiven auf einen Sachverhalt und unterstützten die Team-Mitglieder darin, Konflikte und Missverständnisse transparent zu machen. Die erlangten Erkenntnisse und Einsichten wurden in Form konkreter Verhaltensänderungen in den nachfolgenden Fallszenaren erprobt. Auf diese Weise eigneten sich die Teilnehmer Handlungskompetenzen auf fachlicher und überfachlicher Ebene an.

Darüber hinaus wurden über offene Nachfragen der Instruktoren/innen stereotype Rollenzuschreibungen, als häufige Ursache individueller kognitiver Konflikte [11], in eine Sichtbarkeit gehoben. Die so induzierte kritische Auseinandersetzung mit der eigenen und jeweils anderen beruflichen Identität im Kontext berufsspezifischer Handlungsfelder und Umgebungsfaktoren wirkte auf die intendierte Ausbildung einer reflexiven Handlungsfähigkeit hin.

3.2. Die Projektergebnisse

Im Zuge des Projektprozesses wurde ein simulationsbasiertes Kurskonzept nach Maßgabe moderner und theoretisch begründeter didaktischer Modelle und Methoden konzipiert. Nach Prozedere des 4CID wurden acht Fallszenarien, drei Skill-Stationen und den Lernprozess unterstützende Lehr- und Lernmaterialien entwickelt. In den Sommersemestern 2014 und 2015 wurden 20 Kursmodule angeboten und von 120 Studierenden und 120 Auszubildenden der Gesundheits- und Krankenpflege durchlaufen. Die Konzeption und Durchführung einer viertägigen Instruktoren-Schulung war immanenter Bestandteil der Projektdurchführung. 18 Ärzte/Ärztinnen, Praxisanleiter/innen, Gesundheits- und Krankenpfleger/innen und Lehrende der Beruflichen Schule wurden zu Instruktoren/innen und 12 Studierende zu Tutoren/innen ausgebildet. Seit dem Sommersemester 2014 ist das Kursmodul in das Curriculum des zweiten Ausbildungsjahres der Gesundheits- und Krankenpflege an der Beruflichen Schule fest integriert. Die Einbindung in das Curriculum der Humanmedizin ab dem Sommersemester 2016 ist derzeit in Planung. Mit der Darstellung des Projektes auf Tagungen und Workshops wurden die gesammelten Erfahrungen mit der Konzeption und Durchführung eines interprofessionellen Lernangebotes einer interessierten Öffentlichkeit weiter zugänglich gemacht. Im Nachgang der Projektdurchführung wurde eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe gebildet, die mit der Entwicklung eines institutsübergreifenden Gesamtkonzeptes zum interprofessionellen Lernen an der Universitätsmedizin Greifswald beauftragt ist.

3.3. Die Ergebnisse der Maßnahmen zur Qualitätssicherung

Das Verfahren QZS erwies sich als geeignetes und Instrument der Qualitätsentwicklung, -sicherung und Evaluation des Kursmoduls. In der Evaluation kamen Methoden der empirischen Sozial- und Bildungsforschung zum Einsatz, die auf unterschiedliche Aspekte der Projektdurchführung fokussieren.

Mit einem standardisierten Fragebogen wurde die Zufriedenheit der Teilnehmer/innen mit Aspekten der didaktischen Gestaltung und Betreuungsqualität des Kursmoduls erfasst. Erste Ergebnisse zeigen eine sehr gute Benotung. Auf der Skala 1 bis 5 (1: sehr gut, 5: mangelhaft) wird im Mittelwert von der Gruppe der Studierenden (n=96; SD=0,52) die Note 1,34 und von der Gruppe der Auszubildenden (n=102; SD=0,49) die Note 1,37 vergeben. Die sehr gute Bewertung weist auf eine hohe Zufriedenheit mit der didaktischen Gestaltung und Qualität der Betreuung hin.

Nach Methode der offenen nicht-teilnehmenden Beobachtung [4] wurden die Fallszenarien per Videoaufzeichnung dokumentiert. Mittels eines Analysetools können beobachtbare Ereignisse quantitativ erfasst und einer reproduzierbaren Analyse zugängig gemacht werden. Auf dieser Grundlage sollen Aussagen gemacht werden, ob und in welcher Ausprägung deklarierte Lernziele auf fachlicher und überfachlicher Ebene erreicht wurden. Die summativen Evaluationsergebnisse liegen zum Zeitpunkt dieser Veröffentlichung noch nicht vor.

Nach einem explorativen Ansatz wurden nach qualitativer Methode Interviews mit Studierenden und Auszubildenden geführt. In der Datenauswertung soll der Frage nachgegangen werden, inwieweit die Teilnehmer/innen ihre Rollen und Einstellungen reflektierten, und welche Erfahrungen oder strukturellen Elemente des Lernangebotes diese Reflexionen bewirkten. Die Ergebnisse der Datenbewertungen werden in Form von zwei Diplomarbeiten im Lehrgebiet der Psychologie an der Universität Greifswald wissenschaftlich ausgewertet.


4. Diskussion

In zwei Jahren wurde ein simulationsbasiertes Kursmodul zum interprofessionellen Lernen in der Klinischen Notfallmedizin entwickelt, praktisch etabliert und evaluiert. Es wurden geeignete Instrumente der Qualitätsentwicklung und –sicherung identifiziert und in eine Anwendung gebracht. Die durchgeführten Kurs-Evaluationen weisen darauf hin, dass das entwickelte Konzept für die interprofessionelle Ausbildung in den Gesundheitsberufen geeignet ist.

Den im Positionspapier des GMA-Ausschusses „Interprofessionelle Ausbildung in den Gesundheitsberufen“ unter Punkt zwei „Curriculumsentwicklung/didaktische Konzepte“ und Punkt fünf „Qualitätssicherung und Evaluation“ gegebenen Empfehlungen ist unserer Meinung nach in idealer Weise Form entsprochen worden [16].

Im Zuge der Projektdurchführung wurde ein theoretisch begründetes Kurskonzept entwickelt, dessen praktische Etablierung die Qualifizierung Lehrender zur Voraussetzung hatte. Die genutzten pädagogischen Ansätze wiesen einen hohen Grad an Kompetenz-, Problem-, Handlungs- und Situationsorientierung auf. Reflexionsphasen waren struktureller Bestandteil des praktischen, fallorientierten Lernens in einer gemeinsamen Lerneinheit. Nach partizipatorischen Ansatz wurden in einem interprofessionell zusammengesetzten Projektteam gemeinsame Ausbildungsinhalte identifiziert und in Zusammenarbeit der beteiligten Berufsgruppen ein Kurskonzept entwickelt. Berufsübergreifende Themen, wie die „Kommunikation“ und „Teamarbeit“ waren essentieller Bestandteil der didaktischen Konzeption.

Den Empfehlungen zur Qualitätssicherung und Evaluation wurde insofern entsprochen, als dass den formulierten Lernzielen die Definition eines bildungswissenschaftlich etablierten Kompetenzkonzeptes zugrunde liegt. Mittels eines systematischen Prozedere nach Leitfaden QZS wurden Lernziele definiert und einer Erfassung (Befragung, Beobachtung) und Bewertung zugänglich gemacht.

Die sehr gute Benotung spiegelt die hohe Zufriedenheit der Teilnehmer/innen mit der didaktischen Gestaltung und Qualität der Betreuung des Kursmoduls und weist auf eine gleichermaßen hohe Akzeptanz dieses Lehrformates bei beiden Teilnehmergruppen hin.

Die Ausrichtung des Lernkonzeptes an den Vorgaben des Nationalen Kompetenzbasierten Lernzielkataloges der Medizin [http://www.nklm.de] konnte noch nicht berücksichtigt werden, da dieser zum Zeitpunkt der Planung und Durchführung des Projektes noch nicht vorlag.


5. Schlussfolgerung

Es wurde erkannt, dass in den Gesundheitsberufen interprofessionelle Lehrkonzepte entwickelt werden müssen, um die medizinische Versorgung und Patientensicherheit, insbesondere im Bereich der Klinischen Notfallmedizin, weiter zu verbessern. Auf Grundlage der aufgezeigten Entsprechung mit den vom GMA Ausschuss „Interprofessionelle Ausbildung in den Gesundheitsberufen“ gegebenen Empfehlungen und der sehr guten Benotung des Kursmoduls durch die Teilnehmer/innen hat sich das entwickelte didaktische Kurskonzept als geeignet erwiesen und wird in diesem Sinne künftig fortgesetzt und weiterentwickelt.


Förderung

Das Projekt wird im Rahmen des Programms „Operation Team - Interprofessionelles Lernen in den Gesundheitsberufen“ von der Robert Bosch Stiftung und das Projekt interStudies (Förderkennzeichen 01PL12039) von der Universität Greifswald gefördert.


Danksagung

Wir danken der Sportstec Germany GmbH, Pöcking, für die Bereitstellung der Videoanalyse-Software, der MTO Psychologische Forschung und Beratung GmbH, Tübingen, für die Bereitstellung des Leitfadens zur Qualitätszentrierten Schulentwicklung, und der InPASS Institut für Patientensicherheit und Teamtraining GmbH, Reutlingen, für die Überlassung von Lernmaterialien. Des Weiteren danken wir Dr. Martin von der Heyden und Erik Eichhorn für die Vorbereitung und Ausrichtung der Instruktoren-Schulungen und allen an der Projektdurchführung beteiligten Instruktorinnen und Instruktoren, insbesondere Anja Tessler, Sandra Huber, Annika Nowack, Sandra Wodrig, Änne Otto, Carolina Hornke, Thomas Ratay, Kai Sommer, Eik Schäfer, Steffen Dickel und Patrick Adler.


Interessenkonflikt

Die Autoren erklären, dass sie keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


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