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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Kommunikative Positionierung der eigenen Profession in interprofessionellen Settings

Artikel Interprofessionelle Ausbildung

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  • corresponding author André Posenau - Hochschule für Gesundheit, Department für Angewandte Gesundheitswissenschaften, Bochum, Deutschland
  • author Tim Peters - Ruhr-Universität Bochum, Medizinische Fakultät, Zentrum für Medizinische Lehre, Deutschland

GMS J Med Educ 2016;33(2):Doc27

doi: 10.3205/zma001026, urn:nbn:de:0183-zma0010263

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2016-33/zma001026.shtml

Eingereicht: 14. August 2015
Überarbeitet: 15. Oktober 2015
Angenommen: 16. November 2015
Veröffentlicht: 29. April 2016

© 2016 Posenau et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Zielsetzung: Interprofessional Education (IPE) ist im sich ausdifferenzierenden Gesundheitssystem von wachsender Bedeutung und nimmt bei der Lehre in Gesundheitsberufen einen immer größeren Raum ein. Der Großteil der Konzepte und Verfahren in diesem Bereich basiert auf normativen Vorstellungen über interprofessionelle Kooperation und ist selten empirisch fundiert. Dieser Beitrag ist ein erster Versuch, die deduktive Herangehensweise mit einer induktiven Perspektive zu ergänzen, um didaktische Konzepte des IPE anschließend empirisch zu untermauern.

Methodik: Mithilfe des qualitativen Ansatzes der linguistischen Gesprächsanalyse werden explorativ anhand von im Unterricht aufgezeichneten Simulationen mit Studierenden der Pflege und Hebammenkunde sprachliche Professionsmarker herausgearbeitet, von denen ausgegangen wird, dass sie für relevante interprofessionelle Kommunikationsprozesse von Bedeutung sind und damit die konkrete Zusammenarbeit von Gesundheitsberufen beeinflussen. Diese werden kategorisiert, kommentiert und ihre Bedeutung für die Lehre und die praktische Umsetzung in interprofessionellen Interaktionen herausgestellt.

Ergebnisse: Die Studierenden nutzen verschiedene Professionsmarker regelmäßig in den Simulationen. Allerdings treten diese - außer bei der Abgrenzung zu Ärzten - nicht so häufig wie zunächst erwartet auf. Gleichzeitig sind alle Interaktionen von starker Imagearbeit zwischen den Studierenden geprägt, die einen großen Raum in den beobachteten Interaktionen einnimmt. Auch bei der Aufgabendelegation und -beanspruchung scheinen die professionsspezifischen Kommunikations- und Abgrenzungsverfahren sich erst langsam zu etablierenden. Zudem spielt die Studierendenrolle eine nicht zu unterschätzende Funktion in den Interaktionen.

Schlussfolgerung: Professionsmarkierungen sind ein wesentlicher Bestandteil interprofessionelle Kommunikation und basieren auf einer (hier nur ausschnitthaft präsentierten) Vielzahl beobachtbarer sprachlicher Phänomene. Dieser empirische Ansatz wurde in der Debatte um IPE bisher nicht aufgegriffen, ist jedoch nach Meinung der Autoren notwendig, um interprofessionelles Handeln mit der gelebten Realität abzugleichen, zu Operationalisieren und schließlich Kompetenzbereichen zuordnen zu können. Daher braucht es weitere empirische Beobachtungen und Analysen, um das teilweise unscharfe Profil interprofessioneller Kommunikation zu schärfen und empirisch fundierte, messbare Kriterien für Lehre und Prüfungen zu entwickeln.

Schlüsselwörter: interprofessional education, interprofessional practice, interprofessional collaboration, kommunikative Kompetenzen, grounded theory, Hebammenkunde, Pflege, conversation analysis


Autoren

Geteilte Erstautorenschaft


1. Zielsetzung

In der Diskussion zur Gestaltung interprofessioneller Interaktionszusammenhänge wird immer wieder die Kommunikation bezüglich der professionellen Rolle als Gesundheitsakteur als wichtige Kompetenz herausgestellt und auf deren Bedeutung für eine gelingende Zusammenarbeit im Gesundheitswesen verwiesen [1], [http://www.nklm.de zitiert am 04.08.2015]. Doch bislang fehlen diesbezüglich empirisch fundierte Studien zu kommunikativen Positionierungsverfahren in interprofessionellen Interaktionen. Häufig sind das didaktisch geforderte und schließlich gelehrte Rollenverständnis und eine darauf aufbauende interprofessionelle Kommunikation normativ geleitet und wurden in erfahrungsbasierten Konsensprozessen entwickelt [2]. Zudem stellt sich bei ansteigender Relevanz der Thematik im curricularen Kontext letztlich auch die Frage, wie die entsprechenden Kompetenzen angemessen geprüft werden können, da nach Ansicht der Autoren noch keine empirisch fundierten Bewertungsschemata entwickelt wurden. Analog zu praktischen Fertigkeiten können die Studierenden bei interprofessioneller Kommunikation in Lehre und Prüfung noch nicht mit vollausgebildeten Akteuren aus dem Gesundheitswesen verglichen werden. Daher müssen angepasste Ziele und Standards für die verschiedenen Stufen der Ausbildung generiert werden.

Um diese Problemstellung zu bearbeiten, sind zunächst konkrete empirische Daten aus entsprechenden Interaktionen nötig, um das Kommunizieren der eigenen Professionsrolle bei Studierenden zu kategorisieren, Kompetenzbereichen zuzuordnen und um dies schließlich in Zukunft evidenzbasiert lehren und prüfen zu können. Darauf aufbauend ist das Ziel dieses Beitrags die Diskussion um interprofessionelle Kommunikation in der Lehre mit empirischen Daten aus studentischer Kommunikation anzureichern. Mittelfristig soll ein Katalog von kategorisierten Positionierungsverfahren aus authentischem Datenmaterial erarbeitet werden, anhand dessen empirisch fundierte Impulse für Lehre und Prüfungen abgeleitet werden können.

Für diesen Beitrag gehen wir den Forschungsfragen nach, wie die eigene Rolle von Studierenden dargestellt und in Abgrenzung zu anderen Professionen markiert wird und welche Funktion bzw. welche kommunikativen Aufgaben diesen Verfahren in interprofessionellen Settings zukommt. Der Fokus liegt dabei konkret auf der Vorstellung und der Diskussion einiger Positionierungsmarker in interprofessionellen Settings bei Studierenden der Hebammenkunde und Pflege im 2. Semester.

Um die didaktischen und curricularen Konsequenzen nachvollziehen zu können, ist eine kurzer Abriss des IPE-Verständnisses und des Untersuchungsgegenstands unabdingbar, da diese theoretischen Implikaturen die Gestaltung der Lehreinheiten und besonders das untersuchte Kommunikationssetting maßgeblich beeinflusst hat. Grundsätzlich folgen die Autoren der Definition von CAIPE [3], dem Zentrum für Weiterentwicklung der interprofessionellen Ausbildung in England, bei der IPE als ein von-, mit und übereinander Lernen unterschiedlicher Professionen definiert wird, um sie auf eine kooperierende Zusammenarbeit im Gesundheitssystem nach ihrer Ausbildung vorzubereiten. Dabei sollen die Lehreinheiten Fähigkeiten für kooperatives Arbeiten, Teamwork, das Verständnis der interagierenden Rolle und die Einstellung gegenüber den anderen Professionen verbessern [4], was überwiegend durch Kommunikation realisiert werden kann bzw. muss.

Weiterhin ist zu bedenken, dass es sich bei der Aneignung kommunikativer Kompetenzen in diesem Fall um ein Um-Lernen und nicht um ein generelles Neulernen handelt [5], da die Studierenden die Steuerungs- und Darstellungsverfahren schon aus unterschiedlichen anderen kooperativen Settings (z. B. schulische Gruppenarbeiten, Referatsgruppen etc.) kennen, die sich von der kommunikativen Verfahrensweise her aus konversationsanalytischer Perspektive nicht von denen in interprofessionellen Interaktionen unterscheiden.


2. Methode

Untersucht wurden im Rahmen dieser Arbeit die Positionierungsverfahren in interprofessionellen Interaktionen zwischen Pflegekräften und Hebammen bei Studierenden des 2. Semesters an der hsg (Hochschule für Gesundheit) in Bochum. Um die Kooperationskompetenzen bei den Studierenden zu verbessern, durchlaufen die Studierenden im Rahmen ihres Studiums sechs Module zum interprofessionellen Handeln, wovon das IPE04-Modul (interprofessionelle Kommunikation) die pragmatische Kooperation zwischen den Professionen fördern soll. Thematisch wurden im ersten Teil in Form von Vorlesungen Kommunikationstheorien, Kommunikationstechniken, Gesprächsmerkmale und sozialpsychologische Grundlagen vermittelt. Anschließend wurden die zuvor theoretisch vermittelten Techniken in Form von zweitägigen Workshops eingeübt. Das Kernstück des Moduls bildet eine Simulation und die daran anschließende Auswertung der Performanz in Kleingruppen. Hierfür wurden die Studierenden in zwei Gruppen eingeteilt (Ergo- und Physiotherapeuten, Hebammen und Pflegende) und mit jeweils abgestimmten interprofessionellen Patientenfällen konfrontiert. Aufgrund des oben genannten Fokus (Pflege und Hebammen), beziehen sich die folgenden Ausführungen nur auf diese besagte Teilgruppe. Ergänzend ist noch anzumerken, dass alle Mitglieder der untersuchten Gruppen vor dem Studienbeginn ihr Abitur gemacht haben und somit eine ausschließlich schulische Sozialisation erfahren. Es gab keine Praktiker mit relevanten Vorerfahrungen.

Nachdem die Studierenden den Patientenfall ausgehändigt bekommen haben, wurden Sie bei der Gesprächsvorbereitung, dem Simulationspatientenkontakt und der Nachbesprechung (Therapie-/Betreuungsplanung) gefilmt und erhielten anschließend ein 2-stündiges Feedback in der Kleingruppe im Rahmen einer Videoanalyse, um sie für zuvor behandelte interaktionale Prozesse zu sensibilisieren. Das Konzept verbindet Aspekte des problem-based-learning [6], [7] mit dem Simulationspatienten- [8] bzw. dem Realpatientenkontakt und ähnlichen, bereits bewährten Trainings- und Feedbackkonzepten [9]. Diese Videos sind auch die Datengrundlage, auf der die später vorgestellten Ergebnisse basieren.

Die 8 hier untersuchten Gruppen bestanden aus 4-8 Studierenden der Pflege und der Hebammenkunde, die zufällig zusammengestellt wurden. Diese erhielten im Vorfeld die Fallunterlagen zur Vorbereitung; in diesem Fall den Mutterpass und die Krankenunterlagen einer real schwangeren Simulationspatientin im 6. Monat. Sie hatte sich im 3. Monat eine Leistenhernie zugezogen und litt unter Schwangerschaftsdiabetes und einem erhöhten Lipoproteinwert. Alle Aspekte waren durch ihre betreuende Ärztin diagnostiziert worden und in den Krankenunterlagen entsprechend vermerkt, deren Herausgabe sie ausdrücklich zugestimmt hatte. Die Studierenden sollten die Schauspielerin bei einer simulierten Aufnahme im Krankenhaus beraten und interprofessionell entsprechende Pflege- und Begleitkonzepte erarbeiten. Die Vorbesprechungen der Studierenden fanden an einem Termin, der Patientenkontakt und die Nachbesprechung an einem zweiten Termin statt. Während die Vor- und Nachbesprechung von allen Studierenden durchgeführt wurde, gingen nach interner Absprache nur jeweils 2-3 Studierende zur Simulationspatientin.

Das Vorgespräch, der Patientenkontakt sowie die Nachbesprechung aller Gruppen wurden mit Kameras aufgezeichnet und die entstandenen 07:33 Stunden Material anschließend mit dem Transkriptionsprogramm EXMARaLDA [10] in Partiturschreibweise transkribiert. Dabei wurde sich an den Konventionen des Basistranskripts des gesprächsanalystischen Transkriptionssystems 2 [11] orientiert, welches in der deutschsprachigen Linguistik derzeit als Standard bezeichnet werden kann. Dieses System erlaubt, die beobachtbare Kommunikation in verschiedenen Detailgraden abzubilden ohne auf zusammenfassende Codierungen zurückzugreifen. Wir entschieden uns für eine mittlere Transkriptionsauflösung der Daten, was bedeutet, dass neben dem inhaltlich Gesprochenen einige relevante (aber aus Gründen der Darstellbarkeit bewusst nicht alle) verbale und paraverbale Aspekte wie beispielsweise Pausen (dargestellt durch Längenangabe in Sekunden, z. B. „(1.5)“), Betonungen (durch durchgehende Großschreibung, z. B. „NEIN“) und paraverbale Aspekte (durch Erwähnung in spitzen Klammern, z. B. „<<lachend> ja >“) verschriftlicht wurden. Die vollständigen verwendeten Transkriptionskonventionen sind im Anhang beigefügt.

Anschließend wurde das Material von den Autoren getrennt gesichtet und mittels der linguistischen Gesprächsanalyse [12] einer ausführlichen Analyse unterzogen. Bei der Gesprächsanalyse werden zunächst rein oberflächlich beobachtbare sprachliche und grammatische Phänomene (wie z. B. Konjunktive, Imperative oder komplexe Fachwortkonstruktionen) identifiziert und die Ergebnisse anschließend geclustert. Auf dieser Basis werden Hypothesen explorativ aus den Transkripten heraus erarbeitet, um Regeln, Strukturen und Prozesse zu identifizieren, die in der beobachteten Kommunikationssituation aufgrund von Häufung, Umsetzung, Platzierung und Funktion eine Rolle spielen. Diese qualitative Methode beinhaltet Aspekte der grounded theory [13], der Diskursanalyse [14] sowie der ethnomethodologischen Konversationsanalyse [15], [16] und hat in der Auseinandersetzung mit der Kommunikation im Gesundheitswesen bereits eine über 40jährige Forschungstradition [17], [18]. Relevante Gütekriterien bei dieser Art der qualitativen Analyse sind die Qualität der Aufnahme- und Transkriptionsdaten, die Rolle und Berücksichtigung des Beobachterparadoxons, die theoretische Sättigung und insbesondere die Frage nach der Generalisierbarkeit [12], auf die im Verlauf der Diskussion noch näher eingegangen wird.

Eine Berücksichtigung der nonverbalen Aspekte war leider aufgrund der größeren Studierendengruppe, der dafür benötigten vielfachen Kameras und nicht zuletzt wegen der bisher fehlenden Instrumente für solch große Datenmengen [19] nicht möglich. Daher liegt der Fokus im vorliegenden Beitrag auf verbalen und paraverbalen Aspekten interprofessioneller Kommunikation.


3. Ergebnisse

Im Folgenden werden die wesentlichen Ergebnisse der Analyse anhand ihrer kommunikativen Funktion in fünf Kategorien dargestellt, die aufgrund der internen und externen kommunikativen Aufgaben, in diesem Fall Imagearbeit, Zielerreichung und Gesprächssteuerung, als relevant und didaktisch nutzbar erachtet werden. In den Transkripten steht „St“ mit anschließender Nummerierung jeweils für verschiedene Studierende, die angehängten Kürzel „P“ und „H“ bezeichnen dabei jeweils die fachliche Verortung in der „Pflege“ bzw. der „Hebammenkunde“.

3.1. Professionspositionierungen durch Nennung der Profession

Eine zentrale kommunikative Aufgabe, die in Interaktionen zu jedem Zeitpunkt vollzogen werden muss, ist die Gesprächsteuerung und die Adressierung der einzelnen Beiträge (siehe Abbildung 1 [Abb. 1]).

In den aufgezeichneten Gesprächen wird die Professionspositionierung, wie in diesem Beispiel ersichtlich, häufig mithilfe von Mehrfachadressierungen und durch die direkte Nennung der Profession umgesetzt. Die Pflegestudierende realisiert dies bei der Adressierung einer Frage durch die Nennung („also meine erste fra:ge (0.5) an die hebammen wäre,“) der kooperierenden Profession. Sie adressiert damit nur einen Teil der Gruppe und grenzt bei der Obligation auf die Frage die eigene (Pflege-)Profession aus. Diese Selektion ist eine kompetenzorientierte Selektion, durch die implizit unterstellt wird, dass bestimmte Aufgaben primär von einer Profession mit höherer Effizienz bearbeitet werden können. Sie ist jedoch eher ein gesprächsorganisatorischer Marker, anstatt ein primär identitätskonstituierender, wie im folgenden Beispiel, bei der Abgrenzung zu Ärzten (siehe Abbildung 2 [Abb. 2]).

Es ist häufig zu beobachten das, wenn eine kommunikative Positionierung gegenüber Ärzten konstituiert wird, diese ausschließlich mit der Selbstreduktion der eigenen Wirkungsbereiche und -möglichkeiten einhergeht, wie es St06-H in diesem Beispiel vollzieht. Die Positionierung hinsichtlich der so häufig diskutierten Grenzen der eigenen und anderer Professionen, wird in unserem Korpus nie als eine Ressource für das eigene Handeln genutzt, sondern ausschließlich als Kompetenzabgabe und damit einhergehende Verantwortungsübertragung.

In der dargestellten Situation wäre es auch möglich, unterschiedliche Optionen im Anschluss an einen künftigen ärztlichen Befund zu diskutieren, um beim anstehenden Patientenkontakt flexibler agieren zu können, was jedoch in keiner der Interaktionen realisiert wird, aber in Bezug auf eine holistische und effektive Patientenversorgung dringend zu implementieren wäre. Anstatt den Arzt als isoliertes, fremdes und eventuell übergeordnetes Element zu betrachten, würde die Integration der Ergebnisse der ärztlichen Tätigkeiten ein hohes Potenzial für die Zusammenarbeit ermöglichen.

3.2. Imagearbeit

Eine weitere wichtige und grundsätzlich permanent relevante Funktion ist die Imagearbeit in Interaktionen, also die Frage nach der Gestaltung der eigenen Identität und der damit einhergehenden Beziehung zum Anderen. Hier gibt es zwei grundsätzliche Orientierungen: eine defensive Orientierung, bei der das eigene Image geschützt, aufgebaut und als situativ kompetent konstituiert wird, und eine protektive Orientierung, bei der dies beim Gegenüber (in unserem Fall den anderen Studierenden) realisiert wird [20]. Besonders heikel wird die Imagearbeit in Konfliktsituation, wie im folgenden Beispiel, bei der eine Pflegestudierende einen Kaiserschnitt als Option einbringt, was die Hebammenstudentin aber ablehnt (siehe Abbildung 3 [Abb. 3]).

Zunächst zweifach eingeschränkt („wenn es jetzt keine notsituation ist vielleicht gar nicht die (2.0) erste wa:hl (0.5) aber es is (1.) vielleicht nen vorschlag den man ihr machen kann“) positioniert die Pflegestudierende St05-P den Kaiserschnitt als eine mögliche Handlungsempfehlung im Gespräch. Das Rederecht übernimmt anschließend die Hebammenstudierende durch die Nennung ihrer eigenen Profession („also ich als (0.5) also ich als hebamme (-)würd (--) ihr gar nicht den vorschlag machen eigentlich“), und leistet so durch das „Verstecken“ hinter der Benennung der funktionalen Position defensive Imagearbeit, da die Formulierung eines konträren persönlichen Standpunkts eine potenzielle Gesichtsbedrohung der Pflegestudierenden sein könnte. Diese Verfahrensweise wird jedoch selten realisiert; überwiegend wird dies über Vagheitsmarkierungen (z. B. durch Adverbien wie „irgendwie“ oder Konjunktivkonstruktionen) und über gemeinsames Lachen vollzogen. Dieses Verfahren bietet ein hohes Potenzial, um die Beziehung in konfliktträchtigen Situation gesichtsschonend zu gestalten. Hier zeigt sich zudem, dass mit intensiver Imagearbeit schon Kommunikationstechniken aus anderen Lebens- oder Arbeitssituationen bekannt und eingeübt sind und hier lediglich in einem neuen Umfeld realisiert werden müssen.

3.3. Professionsspezifische Aufgabenverteilung

Neben den eher gesprächsorganisatorischen und identitätskonstituierenden Verfahrensweisen wie in 3.1 und 3.2 wird die Nennung der Rolle in den Gesprächen auch als handlungskoordinierendes Mittel verwendet (siehe Abbildung 4 [Abb. 4]).

Die Hebammenstudierende St06-H thematisiert aufgrund des Krankheitsbilds das Thema Mobilisierung, was eher der Pflege als der Hebammenkunde zugerechnet wird. In Kombination mit Vagheitsmarkierungen (z. B. „ähm“ und „vielleicht“) wird die Konstitution der anderen Profession bei der Delegation der Aufgabe und Kompetenz in einer adjektivierten Form („das das pflegerisch vielleicht“) vollzogen. Konkrete nominale Nennungen (z. B. „das ist Aufgabe der Pflege/Hebammenkunde“) werden bei der Delegation nicht verwendet. Die adjektivistische Realisation scheint Vagheit und Vorsicht zu implizieren, da die Delegation von Aufgaben unter gleichrangigen Studierenden eine potenziale Gesichtsbedrohung durch die Einschränkung der freien Handlungswahl darstellt [20]. Ebenso verhält es sich bei der Beanspruchung von Kompetenzen und Aufgaben (siehe Abbildung 5 [Abb. 5]).

St05-P übernimmt in einer frühen Phase im Gespräch, in der es eigentlich noch um die Erläuterung offener Fragen zum Fall geht, die Initiative und beansprucht mithilfe des äquivalenten Verfahrens wie im Beispiel zuvor, nur mit der gegensätzlichen Orientierung auf der Handlungsebene, die Kompetenz bei der Behandlung des Leistenbruchs. Welche Interventionsmöglichkeiten der Studierende sieht oder gar eine Begründung für die Beanspruchung wird nicht geliefert. Auch hier wird unter Bezugnahme auf vermeintliche Kompetenzen ausschließlich die adjektivierte und damit vorsichtigere Form für die Vergabe konkreter Aufgaben verwendet.

3.4. Wissenstransfer

Ein wesentlicher Aspekt der interprofessionellen (als auch der studentischen) Kommunikation ist der Wissenstransfer und die Verwendung fachspezifischer Terminologie. Während dies im späteren Berufsalltag die Genauigkeit der Sprache fördern und zeitliche Ökonomie bei der Kommunikation gewährleisten soll [21], steht bei Studierenden das Erlernen eben dieser Aspekte im Fokus (siehe Abbildung 6[Abb. 6] ).

In diesem Beispiel wird der Begriff „vorderwandplazenta“ von der Hebammenstudentin St06-H benutzt, um die Situation der Schwangeren zu spezifizieren. Erst als nach einer Pause und einem Schmunzeln keine Reaktion zu erkennen ist und die Pflege mit einer Frage um Erläuterung bittet, führt sie diesen Begriff weiter aus. Hier im interprofessionellen Studierendensetting kann die präzisierende und zeitsparende Funktion des Fachworts nicht greifen, da den Pflegestudierenden der Begriff vermutlich nicht geläufig ist (siehe Abbildung 7 [Abb. 7]).

In diesem zweiten Beispiel verwendet die Hebammenstudierende St06-H einen Fachbegriff („muskelvenenpumpe“), der von der anderen Hebamme mit einer zustimmenden Hörrückmeldung („hm_hm“) bestätigt wird, nach einer anschließenden Pause allerdings von der Pflegestudierenden St03-P erfragt wird. Die längere Pause vor der Frage zeigt hier, wie im ersten Beispiel, die Erwartungshaltung der Pflegestudierenden für detailliertere Erläuterungen bzw. ist ein Anzeichen von Unsicherheit. In der Antwort bezieht sich die Hebammenstudierende mit dem betonten Personalpronomen „WIR“ darauf, dass dieser Begriff bei den Hebammen Verwendung findet. Über die Terminologie und die Erklärung findet eine klare Gruppenmarkierung (Hebammen vs. Nicht-Hebammen) statt. Ähnliche Sequenzen waren im untersuchten Korpus regelmäßig, aber nicht auffallend häufig zu beobachten. Fachterminologie wurde von beiden Professionen ungefähr gleich häufig verwendet, wobei die Fachwörter der Hebammen den Pflegestudierenden häufiger unbekannt waren und zu entsprechenden Klärungs- und Reparatursequenzen geführt haben als umgekehrt.

3.5. Studierendenspezifische Adressierungen

Ein Ergebnis, welches erst bei der Auseinandersetzung mit dem empirischen Material ersichtlich wurde, war die Wirkmächtigkeit der Studierendenrolle. Diese beeinflusst im wesentlichen Maße die interprofessionelle Kommunikation in der Gruppenarbeit (siehe Abbildung 8 [Abb. 8]).

Die Hebammenstudierende St01-H positioniert am Ende des Nachbereitungsgesprächs einen Vorschlag. Interessant ist hierbei die Einleitung, die zunächst als Frage beginnt („wollen wir …“), eine Relativierung verwendet („irgendwie“) und anschließend im Konjunktiv fortfährt („würden“). Auch das weitere Vorgehen ist von vielen Mikropausen und der Verwendung von inhaltlich zunächst nicht relevanten Adverbien „irgendwie“ und „dann“ gekennzeichnet, die typisch für einen hohen kognitiven Formulierungsaufwand sind und eine Abschwächung des Gesagten implizieren. Der Vorschlag hätte auch deutlich direkter als Frage oder sogar als Aufforderung formuliert werden können. Diese hier beobachtete hohe Vorsicht kann sowohl darin begründet sein, dass sie anschließend den Professionen „typische“ Aufgaben zuordnet (Hebammenstudierende klären den Einbezug einer Hebamme, Pflegestudierende sprechen mit den Ärzten) und es hier deutlich als Vorschlag markieren will, um möglichst geringe Gegenwehr zu provozieren, keine Hierarchie anzudeuten und eine Ablehnung frei von Imageschäden zu ermöglichen. Gleichzeitig kann dies aber auch als typisches Merkmal einer studentischen Gruppenarbeit identifiziert werden, in der Vorschläge über eine Aufgabenverteilung vermutlich ebenfalls vorsichtig und unter Vermeidung von Hierarchie formuliert werden. Entsprechende Gruppendynamiken sind in beiden Konstellationen denkbar und hier nicht klar zuzuordnen. Ähnliche Situationen waren sehr häufig im Material zu beobachten.


4. Diskussion

Im folgenden Beitrag wurde auf insgesamt 5 Verfahren fokussiert, die im Rahmen der interprofessionellen Kommunikation eine Rolle spielen. Es ist davon auszugehen, dass insgesamt noch weitere Verfahren (u. a. auch nonverbale) eine Rolle spielen. Eine umfassende Berücksichtigung aller wesentlichen Elemente interprofessioneller Kommunikation war aufgrund des Umfangs und der Datengrundlage nicht möglich. Mit diesem Beitrag soll ein erster explorativer Zugang zu empirisch beobachtbaren Phänomenen geschaffen werden.

Dabei fiel auf, dass die sprachlichen Professionsmarkierungen und die darauf aufbauenden Aufgabenverteilungen und Kompetenzzuschreibungen eine wesentlich geringere Rolle spielten als zunächst erwartet. Entsprechende Phänomene wurden zwar regelmäßig von den Studierenden verwendet, so dass durchaus von etablierten Verfahren ausgegangen werden kann, aber nicht in der erwarteten Häufigkeit. Sie waren sehr stark von defensiver und protektiver Imagearbeit begleitet bzw. überlagert, die gerade in kritischen Situationen wie der Aufgabenverteilung oder der ethischen Bewertung von Befunden (z. B. Kaiserschnittoption) einen Großteil der kommunikativen Handlungen rahmten. Nur in Abgrenzung zu Ärzten wurden Professionsmarkierungen und Aufgabendelegationen deutlich und ohne viel protektive Imagearbeit realisiert. Die Kompetenzen und möglichen Leistungen der Ärzte wurden dabei nicht produktiv ins Gespräch integriert oder in Planungskonzepte mit einbezogen, sondern unliebsame Aufgaben, Unsicherheiten oder Verantwortung wurden häufig „wegdelegiert“.

Zugleich war auffällig, inwieweit die Rolle eines oder einer Studierenden die interprofessionelle Kommunikation beeinflusste; die Studierenden kommunizierten eben auch als Gruppe von Studierenden, wie sie dies in anderen Gruppenarbeitssettings vermutlich auch tun würden. Es bestehen starke Wechselwirkungen zwischen den Bereichen studentischer und (inter-) professioneller Kommunikation, die eine eindeutige Zuordnung beobachteter Phänomene zum jetzigen Zeitpunkt erschweren. Gleichzeitig legt das Material aber auch nahe, dass die studentische Kommunikation, die mit hoher Wahrscheinlichkeit auf der früher erlernten schulischen Kommunikation basiert, als „sichere“ Basis dient, um sich der Kommunikation mit anderen Professionen zu nähern und hier sukzessiv ein neuer Kommunikationsstil eingeübt und etabliert wird.

Ein Grund für die beschriebenen Ergebnisse ist sicherlich auch der frühe Zeitpunkt der Aufzeichnung im 2. Semester des Studiums. Die Studierendenrolle scheint hier gerade ausgeprägt und wirkmächtig zu sein, während die Professionsrolle noch keine große Relevanz hat und noch internalisiert werden muss. Hier sind weitere Untersuchungen sowohl im weiteren Studienverlauf als auch bei erfahrenen Praktikern notwendig, um Unterschiede und Lernkurven herauszuarbeiten. Zudem sollten in diesem Rahmen die explorativen Ansätze mit quantitativen Verfahren fortgeführt werden, um die verschiedenen Entwicklungsstufen sowie die Umsetzung und Relevanz einzelner kommunikativer Handlungen auch in der verwendeten Häufigkeit besser nachvollziehen zu können.

Neben dem skizzierten empirischen Forschungsbedarf, der auch von anderer Seite gefordert wird [1], muss auf dieser Basis eine breite Diskussion stattfinden, was interprofessionelle Kommunikation fernab von etablierten Kommunikationsmodellen und ihren Techniken konkret bedeutet und wie sich dies künftig messen lassen soll. Erst auf Basis dieser bisher fehlenden Evidenzbasierung sollten normative Vorgaben formuliert werden, die schließlich in Lernzielkatalogen und Unterrichtskonzepten Berücksichtigung finden und damit den Rahmen für Lehre und Prüfung interprofessioneller Kommunikation setzen.


5. Anhang

Angabe der relevanten Transkriptkonventionen (siehe Anhang 1 [Anh. 1])


Interessenkonflikt

Die Autoren erklären, dass sie keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


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