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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Quo vadis? – Medizinstudium 2020 zwischen Politik und Wissenschaft

Leitartikel Medizinische Ausbildung

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  • corresponding author Sigrid Harendza - Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, III. Medizinische Klinik, Hamburg, Deutschland
  • author Martin R. Fischer - Klinikum der Universität München, Institut für Didaktik und Ausbildungsforschung in der Medizin, München, Deutschland; GMS Journal for Medical Education, Schriftleiter, Erlangen, Deutschland
  • author Götz Fabry - Albert-Ludwig-Universität Freiburg, Abt. für Med. Psychologie, Freiburg/Brg, Deutschland; GMS Journal for Medical Education, stellv. Schriftleiter, Erlangen, Deutschland

GMS J Med Educ 2016;33(1):Doc12

doi: 10.3205/zma001011, urn:nbn:de:0183-zma0010116

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2016-33/zma001011.shtml

Eingereicht: 3. Februar 2016
Überarbeitet: 5. Februar 2016
Angenommen: 5. Februar 2016
Veröffentlicht: 15. Februar 2016

© 2016 Harendza et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Leitartikel

Mit dem „Masterplan Medizinstudium 2020“ beabsichtigt die Bundesregierung gemeinsam mit den Ländern Maßnahmen zu entwickeln, um eine zielgerichtetere Auswahl unter den Studienplatzbewerberinnen und -bewerbern zu treffen, die Praxisnähe im Studium zu fördern und die Allgemeinmedizin im Studium zu stärken [Deutschlands Zukunft gestalten, Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, abgerufen am 30.1.2016]. Im Internet finden sich hierzu bereits Stellungnahmen und Maßnahmenvorschläge des Medizinischen Fakultätentages (MFT), der Bundesvereinigung der Medizinstudierenden in Deutschland (bvmd), der Bundesärztekammer, des Marburger Bundes, des Hartmannbundes und einiger Fachgesellschaften der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF). Durch die unterschiedlichen Perspektiven ergibt sich ein buntes und zum Teil konträres Bild von Empfehlungen. Eines haben die meisten dieser Empfehlungen allerdings gemeinsam: sie sind nicht wissenschaftlich belegt.

Zielgerichtetere Studierendenauswahl

Dass es sich bei der Abiturnote und auch beim Test für Medizinische Studiengänge (TMS) um sehr rechtssichere und praktisch gut durchführbare Mittel der Studierendenauswahl handelt, wird kaum jemand bestreiten. Zudem wird auch kaum jemand ernsthaft behaupten, ein Auswahlverfahren zu kennen, mit dem sich seriös vorhersagen ließe, wer nach einem Zeitraum von sechs Jahren oder mehr ein „guter Arzt“ werden wird. Insofern kann die Validität der verschiedenen Auswahlverfahren ausschließlich mit Hilfe von Surrogat-Parametern bestimmt werden. Wissenschaftlich belegt ist etwa, dass sich mit dem TMS potenziell erfolgreiche von weniger erfolgreichen Studierenden aus verschiedenen Abiturnotenbereichen differenzieren lassen, wie in der vorliegenden Ausgabe zu lesen ist [1]. Die Abiturnote allein hingegen korreliert mit der Studienleistung und der Studienverzögerungsrate im vorklinischen Studienabschnitt, nicht jedoch mit dem Abschluss des Studiums in Regelstudienzeit [2]. Häufig wird eingewandt, dass Studienleistungen, zumal in Form von hauptsächlich kognitiven Anforderungen im Sinne von wissensbasierten Prüfungen, nur einen Teil der für den Arztberuf notwendigen Kompetenzen und Persönlichkeitseigenschaften abbilden. Daher verbreiten sich zunehmend auch Auswahlverfahren, wie z.B. das Multiple-Mini-Interview (MMI), in denen andere für die ärztliche Tätigkeit als wichtig erachtete psychosoziale und kommunikative Kompetenzen erfasst werden. Anhänger solcher Verfahren müssen sich allerdings kritisch damit auseinandersetzen, dass sich in insgesamt 66 publizierten Untersuchungen zu MMIs nur ein einziger Test gefunden hat, der das Studierverhalten und die Note im Abschlussexamen nennenswert vorhersagt und bei vielen anderen MMIs die Konstruktvalidität zu wünschen übrig lässt [3]. Außerdem sind MMIs sehr kosten- und zeitaufwändig.

Weitere Kriterien von deutschen Hochschulen bei der Auswahl sind gewichtete Einzelnoten des Abiturzeugnisses, fachspezifische Studierfähigkeitstests, Art einer Berufsausbildung oder -tätigkeit, Ortspräferenz oder Ergebnis eines Auswahlgespräches [Hochschulstart, abgerufen am 30.1.2016]. Andere Länder, wie beispielsweise die Niederlande, setzen auf eine Abiturnoten-basierte, gewichtete Lotterie, in der man auch mit weniger gutem Abitur eine Chance auf einen Medizinstudienplatz hat [Studium in den Niederlanden, abgerufen am 30.1.2016]. Um eine zielgerichtetere Auswahl unter den Studienplatzbewerberinnen und -bewerbern treffen zu können, wie es der „Masterplan Medizinstudium 2020“ vorsieht, müsste also zunächst definiert werden, welchem Zweck diese Auswahl dienen soll: Geht es darum, die Studierfähigkeit noch spezifischer zu erfassen, als das mit der Abiturnote möglich ist? Sollen Studierende ausgewählt werden, die bereits zu Beginn ihres Studiums über Eigenschaften verfügen, die man bei späteren Ärzten ebenfalls für wichtig hält? Oder geht es darum, Bewerber auszuwählen, die am besten zur auswählenden Hochschule passen, weil sich ihre studien- und berufsbezogenen Interessen mit dem Leitbild der Institution decken? Vielleicht ist ja sogar das in Deutschland seit vielen Jahren nicht mehr durchgeführte Losverfahren eines Teils der Studienplätze das beste, billigste und gerechteste Auswahlverfahren für motivierte Studienplatzbewerberinnen und -bewerber. Eine wissenschaftliche Analyse, was aus den damaligen Studierenden, die mit weniger guten Abiturnoten ihren Studienplatz über ein Los erhalten haben, „geworden“ ist, würde vermutlich die aufschlussreichsten Erkenntnisse in dieser Debatte liefern.

Förderung der Praxisnähe

Mit der Änderung der Ärztlichen Approbationsordnung im Jahr 2002 [Approbationsordnung für Ärzte (ÄAppO), abgerufen am 31.1.2016] haben inzwischen vermutlich alle Studienstandorte in Deutschland in ihren Curricula eine größere Praxisnähe erreicht. Unklar bleibt jedoch weiterhin, wie viel Praxisnähe im Studium benötigt wird, um den Arztberuf nach der Approbation kompetent ausführen zu können und welche praktischen und kommunikativen Fertigkeiten und Fähigkeiten hierfür gestärkt werden sollen. Um Maßnahmen für „mehr Praxisnähe“ zu definieren, sollte der Nationale Kompetenzbasierte Lernzielkatalog Medizin (NKLM) [NKLM, abgerufen am 31.1.16], der unter Beteiligung der oben genannten Gruppierungen und Vereine erstellt und im Jahr 2015 auf dem ordentlichen Medizinischen Fakultätentag in Kiel verabschiedet wurde, als Grundlage verwendet werden [4]. Nicht zuletzt wird es dabei vermutlich erforderlich sein, dass die Fächer in den einzelnen Fakultäten von ihren historisch gewachsenen Stundenkontingenten abrücken und sich alle gemeinsam in den Dienst der für den Arztberuf erforderlichen Inhalte stellen. Ein Beispiel für die interdisziplinäre Nutzung des NKLM zur Entwicklung eines longitudinalen Curriculums zur Impfkompetenz bietet der Artikel von Vogel et al. [5] in der vorliegendes Ausgabe. Ob die Umsetzung eines kompetenzbasierten Curriculums langfristig eine Änderung des Kapazitätsrechtes nach sich zieht, bleibt abzuwarten. Auf alle Fälle muss die Umsetzung von Maßnahmen wissenschaftlich begleitet werden, um zu überprüfen, ob mehr Praxisnähe im Studium auch zu kompetenterem ärztlichem Verhalten führt und wie „Praxisnähe“ überhaupt am besten definiert und realisiert werden kann. Erste erfolgreiche Validierungen neu etablierter Kompetenzprüfungen scheinen hierfür vielversprechend zu sein [6], [7].

Stärkung der Allgemeinmedizin

Dass zur adäquaten Versorgung der Bevölkerung auf dem Land mehr Allgemeinmedizinerinnen und -mediziner benötigt werden, die in ländlichen Gegenden arbeiten möchten, ist seit vielen Jahren bekannt und ein politisches Erfordernis. Ob ein Pflichtabschnitt Allgemeinmedizin im Praktischen Jahr, der ebenfalls seit mehreren Jahren in der Diskussion ist, zur Lösung dieses Problems beiträgt, darf bezweifelt werden. Denn Allgemeinmedizin ist bei den Medizinstudierenden bereits jetzt ein sehr beliebtes und attraktives Fach für die Facharztweiterbildung [8]. Dieselbe Studie zeigt allerdings auch, dass über die Hälfte der befragten Medizinstudierenden sich nicht vorstellen können, in Orten mit einer Einwohnerzahl unter 2000 tätig zu sein. Es lässt sich daher vermuten, dass für eine Stärkung der Allgemeinmedizin in der Versorgung andere Maßnahmen erforderlich sind als noch stärkere Studienverpflichtungen im Bereich dieses Faches. Im Gegenteil: Es könnte sogar sein, dass durch eine erzwungene „Überdosis“ Allgemeinmedizin im Studium weniger Absolventinnen und Absolventen des Medizinstudiums eine Weiterbildung in diesem Fach wählen. Neue Konzepte für die bessere Verteilung primärärztlicher Versorgungsangebote sind erforderlich und können vielleicht wirksamer dem Landarztmangel entgegenwirken. Auch zu diesen Fragen fehlt es an ausreichender Evidenz. Insgesamt scheint die stärkere Integration von ambulanter Medizin ins Studium wichtig, da viele der Absolventinnen und Absolventen später im ambulanten Bereich tätig sein werden. Ob also hauptsächlich die Allgemeinmedizin im Studium gestärkt werden sollte oder ob dies auch für andere primärversorgende Disziplinen wie die allgemeine Innere Medizin und die Pädiatrie und für ambulante Medizin in Spezialpraxen oder Hochschulambulanzen nicht ebenso erforderlich ist, gilt es mit geeigneten Ausbildungsforschungsprojekten zu untersuchen [9]. Die Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA) bietet für die kritische wissenschaftliche Begleitung und Diskussion der Maßnahmen zum Medizinstudium 2020 mit ihrem GMS Journal for Medical Education (JME) eine weithin sichtbare und gut etablierte Plattform [GMS Journal for Medical Education (JME), abgerufen am 31.1.2016].

GMS Journal for Medical Education (JME)

Das Open Access-Journal der GMA, ehemals „GMS Zeitschrift für Medizinische Ausbildung (ZMA)“, erscheint ab sofort unter dem neuen Namen „GMS Journal for Medical Education (JME)“. Die „Medizinische Ausbildung“ ist als Zeitschrift der GMA 1984 mit dem Untertitel „Forum zur Erforschung der ärztlichen Aus-, Weiter- und Fortbildung“ zum ersten Mal erschienen. Daraus wurde 2005 schließlich nach einigen Zwischenstationen ab dem 22. Jahrgang die Open-Access „GMS Zeitschrift für Medizinische Ausbildung (ZMA)“. Die GMS ZMA hat sich seitdem zur zentralen Fachzeitschrift der medizinischen Ausbildungsforschung im deutschsprachigen Raum entwickelt. Seit 2010 erscheinen die jährlichen vier Ausgaben im Volltext zweisprachig (deutsch/englisch) und seit 2011 ist die GMS Zeitschrift für Medizinische Ausbildung MEDLINE®/PubMed indexiert. Aufgrund des zunehmenden und regen internationalen Interesses hat sich die „GMS Zeitschrift für Medizinische Ausbildung“ als einer der relevanten Publikationsorte für neue Erkenntnisse und innovative Projekte aus der Ausbildungsforschung in den Gesundheitsberufen und der Medizin, Zahn- und Tiermedizin etabliert. Der interprofessionelle und internationale Charakter haben sich in erfreulicher Weise auch über den deutschsprachigen Raum hinaus ausgeweitet. Aufgrund dieser wachsenden Internationalisierung der Zeitschrift haben sich Schriftleitung, Herausgeber und Verlag entschlossen, diesem Umstand Rechnung zu tragen und durch die Namensänderung die Zeitschrift einem internationalen Leserpublikum noch besser zugänglich zu machen. Ab 2016 erscheint die Zeitschrift nun unter dem Namen „GMS Journal for Medical Education (JME)“.


Interessenkonflikt

Die Autoren erklären, dass sie keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


Literatur

1.
Kadmon G, Kadmon M. Academic performance of students with the highest and mediocre school-leaving grades: does the aptitude test for medical studies (TMS) balance their prognoses? GMS J Med Educ. 2016;33(1):Doc7. DOI: 10.3205/zma001006 Externer Link
2.
Kadmon G, Resch F, Duelli R, Kadmon M. Predictive value of the school-leaving grade and prognosis of different admission groups for academic performance and continuity in the medical course - a longitudinal study. GMS Z Med Ausbild. 2014;31(2):Doc21. DOI: 10.3205/zma000913 Externer Link
3.
Knorr M, Hissbach J. Multiple mini-interviews: same concept, different approaches. Med Educ. 2014;48:1157-1175. DOI: 10.1111/medu.12535 Externer Link
4.
Fischer MR, Bauer D, Mohn K; NKLM-Projektgruppe. Finally finished! National Competence Based Catalogues of Learning Objectives for Undergraduate Medical Education (NKLM) and Dental Education (NKLZ) ready for trial. GMS Z Med Ausbild. 2015;32(3):Doc35. DOI: 10.3205/zma000977 Externer Link
5.
Vogel B, Reuter S, Taverna M, Fischer MR, Schelling J. Vaccination: Developing and implementing a competency-based-curriculum at the Medical Faculty of LMU Munich. GMS J Med Educ. 2016;33(1):Doc5. DOI: 10.3205/zma001004 Externer Link
6.
Rotthoff T, Ostapczuk MS, Kröncke KD, Zimmerhofer A, Decking U, Schneider M, Ritz-Timme S. Criterion validity of a competency-based assessment center in medical education - a 4-year follow-up study. Med Educ Online. 2014;19:25254. DOI: 10.3402/meo.v19.25254 Externer Link
7.
Wijnen-Meijer M, Van der Schaaf M, Booij E, Harendza S, Boscardin C, Van Wijngaarden J, Ten Cate TJ. An argument-based approach to the validation of UHTRUST: can we measure how recent graduates can be trusted with unfamiliar tasks? Adv Health Sci Educ Theory Pract. 2013;18(5):1009-1027. DOI: 10.1007/s10459-013-9444-x Externer Link
8.
Heinz A, Jacob R. Medizinstudenten und ihre Berufsperspektiven. In welcher Facharztrichtung, wo und wie wollen sie arbeiten? Bundesgesundheitsbl Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz 2012;55(2):245-253. DOI: 10.1007/s001030111413z Externer Link
9.
Huenges B, Gulich M, Böhme K, Fehr F, Streitlein-Böhme I, Rüttermann V, Baum E, Niebling WB, Rusche H. Recommendations for undergraduate training in the primary care sector -- position paper of the GMA-Primary Care Committee. GMS Z Med Ausbild. 2014;31(3):Doc35. DOI: 10.3205/zma000927 Externer Link