gms | German Medical Science

GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Zur Messung der Internalisierung von Kooperationsskripts im medizinischen Kontext – Ergebnisse einer Pilotstudie

Artikel Zusammenarbeit im Team

  • corresponding author Jan Kiesewetter - Klinikum der Universität München, Institut für Didaktik und Ausbildungsforschung in der Medizin, München, Deutschland; Ludwig-Maximilians-Universität München, Munich Center of the Learning Science (MCLS), München, Deutschland
  • author Martin Gluza - Klinikum der Universität München, Institut für Didaktik und Ausbildungsforschung in der Medizin, München, Deutschland
  • author Matthias Holzer - Klinikum der Universität München, Institut für Didaktik und Ausbildungsforschung in der Medizin, München, Deutschland
  • author Barbara Saravo - Klinikum der Universität München, Institut für Didaktik und Ausbildungsforschung in der Medizin, München, Deutschland
  • author Laura Hammitzsch - Ludwig-Maximilians-Universität München, Munich Center of the Learning Science (MCLS), München, Deutschland
  • author Martin R. Fischer - Klinikum der Universität München, Institut für Didaktik und Ausbildungsforschung in der Medizin, München, Deutschland

GMS Z Med Ausbild 2015;32(3):Doc32

doi: 10.3205/zma000974, urn:nbn:de:0183-zma0009745

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2015-32/zma000974.shtml

Eingereicht: 23. Juni 2014
Überarbeitet: 2. Juni 2015
Angenommen: 2. Juni 2015
Veröffentlicht: 17. August 2015
Veröffentlicht mit Erratum: 10. November 2016

© 2015 Kiesewetter et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Hintergrund: Kooperation als eine Schlüsselqualifikation in der medizinischen Ausbildung und im medizinischen Alltag kann einen entscheidenden Beitrag zur Verbesserung der Patientensicherheit leisten. Unter internationalen Kooperationsskripts wird Wissen verstanden, welches zugleich in organisierter und adaptiver Form vorliegt. Sie können situationsspezifisch im Berufsalltag abgerufen und eingesetzt werden. Die vorliegende Studie untersucht die Internalisierung von Kooperationsskripts in der Medizin. Internalisierung wird als schnelle Abrufbarkeit von Skriptinformationen verstanden.

Ziel: Das Ziel der Untersuchung war die Erfassung von Informationen, die Bestandteil von Kooperationsskripts sind, sowie die Entwicklung einer Methode zur Messung des Internalisierungsgrades von Kooperationsskripts in der Medizin.

Methode: Für den kontrastiven Vergleich der internationalen Kooperationsskripts wurden insgesamt 20 Kooperationsnovizen (Studierende im Praktischen Jahr (PJ)) und 20 Kooperationsexperten (Fachärzte der Inneren Medizin oder Anästhesiologie) in die Studie einbezogen. Den Probanden wurden jeweils für fünf Sekunden acht kooperationstypische Situationen in Form eines Fotos oder eines Videos präsentiert. Anschließend wurde zu jeder Situation gefragt, was auf dem Bild zu sehen war. Aus den Antworten wurde die Anzahl von Informationen, die zu einem Kooperationsskript (Skriptinformationen) gehören, nach einem etablierten, theoriebasierten Kodierschema erfasst sowie die Zeit, die ein Proband zum Antworten benötigte, gemessen. Als Maß für den Internalisierungsgrad wurden die Skriptinformationen pro Zeiteinheit berechnet.

Ergebnisse: Verglichen mit Kooperationsnovizen nannten Kooperationsexperten signifikant mehr Skriptinformationen. Kooperationsexperten zeigten zudem einen signifikant höheren Internalisierungsgrad.

Schlussfolgerung: Die gewonnenen Erkenntnisse belegen, dass das entwickelte Messinstrument zwischen Novizen und Experten im Bereich Kooperation diskriminieren kann. Es kann somit eingesetzt werden, um Maßnahmen zur fachspezifischen Vermittlung von Kooperation in der medizinischen Lehre zu untersuchen und zu bewerten.

Schlüsselwörter: Kooperation, Teamarbeit, Skripts, Kooperationsskripts, Internalisierung


Hintergrund

Die Fähigkeit zur Kooperation in den Gesundheitsberufen ist von der Weltgesundheitsorganisation als eine der anzustrebenden Kernkompetenzen für die Gesundheitsversorgung des 21. Jahrhunderts identifiziert worden [1]. Mit Kooperation ist hierbei der Prozess gemeint, welcher funktionierende Teamarbeit ermöglicht [2] (siehe Abbildung 1 [Abb. 1]). Im Falle gut funktionierender klinischer Teamarbeit im Krankenhaus treten nachweislich weniger Behandlungsfehler auf [3], [4] und es ist daneben auch eine höhere Arbeitszufriedenheit zu verzeichnen [5]. Auch im Zuge der Entwicklung der Nationalen Kompetenzbasierten Lernzielkataloge Medizin (NKLM) und Zahnmedizin (NKLZ) wurden Überlegungen angestellt, Kompetenzen der Teamarbeit durch die Arztrolle als Mitglied eines Teams deutschlandweit in medizinische Curricula zu integrieren [http://www.mft-online.de/files/2012_omft_hickel_fischer.pdf, zitiert am 01.10.2012]. Eine Verbesserung der Zusammenarbeit durch die Berücksichtigung der Kooperation im Rahmen von Trainings ist demnach sehr erstrebenswert, wenn auch nicht leicht zu realisieren [6].

Aus Domänen außerhalb der Medizin ist bekannt, dass Wissen über kooperative Praktiken mit der Performanz bzw. dem Lernen in kooperativen Situationen zusammenhängt [7]. Die interne Repräsentation von Handlungsabläufen wird als internales Kooperationsskript [8] konzipiert, welches Wissen beinhaltet, das in organisierter und flexibler Form vorhanden ist und Sequenzen von Ereignissen in einem bestimmten Kontext, in diesem Fall des medizinischen Teams, beschreibt [9]. Demgegenüber stehen externale Kooperationsskripts, welche von außen herangetragene Informationen beinhalten, um kooperative Prozesse zu strukturieren. Die Skripttheorie besagt, dass diese von außen herangetragenen Prozesse im Laufe der Zeit internalisiert werden und das internale Kooperationsskript für diese Situation bilden. Nach dieser Internalisierung werden keine externalen Kooperationsskripts mehr benötigt.

Anhand eines Beispiels in der Medizin soll der Aufbau von Kooperationsskripts verdeutlicht werden: Rotationen durch verschiedene Fachgebiete der Medizin sind ein elementarer Teil des Medizinstudiums. Studierende im Praktischen Jahr beispielsweise absolvieren das Tertial der Inneren Medizin auf bis zu vier Stationen mit unterschiedlichen inhaltlichen Schwerpunkten. Für einen Studierenden sind zu Beginn seiner Arbeit auf einer Station die typischen Abläufe und Herangehensweisen noch nicht bekannt. So fällt es häufig schwer, der Tagesroutine zu folgen und ein Teil des klinischen Teams zu werden. Durch die sukzessive Entwicklung von passenden Kooperationsskripts zunächst über Beobachtung, anschließend über kontinuierliche Übung des Studierenden wird es jedoch allmählich ermöglicht, die Abläufe auf Station zu unterstützen. Der Studierende lernt den Stationsalltag und typische Situationen auf dieser Station kennen und kann sich entsprechend integrieren.

Bei einem Wechsel der Station ändern sich neben dem Personal oft auch das Krankheitsspektrum der Patienten, die damit verbundenen diagnostischen Vorgehensweisen und Therapieverfahren und somit auch viele Teile des Tagesablaufs. Demnach können sich zwei internistische Stationen mit unterschiedlichen Schwerpunkten (z.B. Kardiologie und Nephrologie) deutlich in den genannten Eigenschaften unterscheiden. Folglich ist das auf der vorherigen Station aufgebaute Skript nur noch eingeschränkt gültig und muss dem neuen Kontext angepasst bzw. um neue Aspekte ergänzt werden.

Das Kooperationsskript wird also um die Komponenten für die neue Station erweitert. In unserem Beispiel hat der Medizinstudierende bereits für zwei verschiedene Situationstypen existierende Erwartungen, Vorstellungen und ein Repertoire an möglichen Handlungsweisen, aus denen er in bestimmten Situationen die jeweils Angemessenste auswählen kann [10].

Bei weiteren Stationswechseln fällt dem Studierenden durch das stetige Aufbauen neuer Kooperationsskripts dann das angemessene Handeln in wechselnden Situationen immer leichter, da ihm die Situationen bekannt sind und er nun eine deutlich gesteigerte Anzahl ihm zur Verfügung stehender möglicher Handlungsweisen im Vergleich zum Beginn der Ausbildung hat.

Dieses Beispiel verdeutlicht die theoretische Fundierung von Kooperationsskripts. Jedoch ist über die Erfassung und Entwicklung von internationalen Kooperationsskripts im Kontext der Medizin wenig bekannt. Um zielgerichtet Trainingsmaßnahmen im Medizinstudium durchzuführen, ist die reliable Erfassung vorhandener Kooperationsskripts bei den Teilnehmern von großer Bedeutung. Dies stellt sich jedoch als Herausforderung dar, weil zusätzlich zur Kooperation eine weitere, inhaltliche Domäne benötigt wird, in welcher die Experten kooperieren [11], die sogenannte Inhaltsdomäne. Messunterschiede könnten dann nicht mehr allein auf Unterschiede in den internationalen Kooperationsskripts, sondern auch auf Unterschiede in Bezug auf das Fachwissen in der Inhaltsdomäne zurückgehen. Einen Ansatz, in dem das Fachwissen nicht mit in die Messung internaler Kooperationsskripts einbezogen wurde, haben Kiesewetter, Fischer und Fischer [12] vorgestellt. Unter Kontrolle der kooperativen Situation stellte Kooperationsexpertise sich in diesem Versuch eher als domänenspezifische Fähigkeit dar. Dies bedeutet, dass sich Kooperationsfähigkeit auf eine Inhaltsdomäne bezieht und nicht ohne Weiteres übertragen werden kann. Ausgehend von dieser Untersuchung stellt sich zunächst die Frage, wie Kooperationsskripts von Experten und Novizen in einer neuen Inhaltsdomäne abgerufen werden können. Es konnte in anderen Domänen nachgewiesen werden, dass sich Kooperationsskripts durch wiederholte Erfahrung entwickeln und schrittweise internalisiert werden [13], [14]. Das Prinzip der Internalisierung beschreibt, dass die für den Abruf bereits verinnerlichter Komponenten des Skripts benötigte Zeit damit zusammenhängt, wie gut einzelne Komponenten miteinander verbunden sind: Je öfter Teilkomponenten des Skripts beispielsweise gemeinsam genutzt werden, desto schneller sollten sie abrufbar sein [14]. Die gemessene Zeit für den Abruf aller zu einer Situation gehörenden Kooperationsskriptinformationen dient in der vorliegenden Studie entsprechend als Surrogatparameter für Internalisierung.

Ein einfaches Beispiel zur Illustration ist die Verbindung der Begriffe „Schilddrüsenüberfunktion“ und „Herzrhythmusstörungen“. In einer Aufgabe, in der ein Satz auf seine Richtigkeit hin überprüft werden sollte, wird der Satz „Schilddrüsenüberfunktion führt zu TSH-Erniedrigung“ schneller überprüft und verifiziert als der Satz „Schilddrüsenüberfunktion führt zu Herzrhythmusstörungen“ und dieser wiederum schneller als der Satz „Schilddrüsenüberfunktion hat Einfluss auf die Stoffwechselaktivität“. Da die Begriffe „Schilddrüsenüberfunktion“ und „TSH-Erniedrigung“ häufiger unmittelbar miteinander verknüpft vorkommen, kann die Richtigkeit des Satzes schneller bestätigt werden.

Gerade in der Medizin ist die schnelle Verfügbarkeit von kooperativen Handlungen von besonderer Relevanz. Um die Verfügbarkeit von Skriptinformationen messen zu können, werden valide Messinstrumente benötigt. Das Ziel der im Folgenden beschriebenen Untersuchung war daher die Erfassung von Informationen, die Bestandteil von Kooperationsskripts sind. Zudem wurde eine Methode zur Messung des Internalisierungsgrades von Kooperationsskripts in der Medizin entwickelt.

Es wird angenommen, dass Experten aufgrund einer besseren Organisation und Vernetzung ihrer internationalen Kooperationsskripts über reichhaltigere Skriptinformationen verfügen und diese zudem schneller abrufen können als Novizen. Diese Annahme wurde genutzt, um eine Studie zu konzipieren, in der je eine Gruppe von Experten und Novizen mit kooperativen Situationen konfrontiert wurden und um zu untersuchen, inwiefern diese Gruppen sich bezüglich der abgerufenen Skriptinformationen und ihrer Abrufzeiten unterscheiden.


Methode

Teilnehmer

Novizen (N=20, davon 13 weiblich, im Durchschnitt 25,8 Jahre, SD=4,7) und Kooperationsexperten (N=20, davon acht weiblich, im Durchschnitt 41,6 Jahre, SD=7,9) erklärten sich bereit, an der Studie teilzunehmen. Die Probandenzahl wurde a priori anhand von G*Power (http://www.gpower.hhu.de/) berechnet und ist ausreichend groß, um mittelgroße Unterschiede aufzudecken. Alle Novizen waren Medizinstudierende (vorwiegend im 10. Fachsemester, im Durchschnitt 9,8 Fachsemester, SD=0,8) der Ludwig-Maximilians-Universität München. Als Kooperationsexperten wurden Fachärzte (im Durchschnitt 15,2 Jahre Berufserfahrung, SD=7,7) aus den kooperationsintensiven Bereichen Innere Medizin und Anästhesiologie ausgewählt, da hier bedingt durch die Facharztausbildung von einer ausreichenden Anzahl an kooperativen Situationen ausgegangen werden kann und die Experten in ihren kooperativen Fähigkeiten den Novizen deutlich überlegen sein sollten. Weiterhin wurden anhand eines Fragebogens neben demographischen Daten auch die Anzahl der kooperativ gearbeiteten Stunden pro Arbeitstag abgefragt. Nur wenn diese mehr als vier Stunden pro Arbeitstag umfassten, wurden die Fachärzte als Experten in die Studie eingeschlossen. Die Einschränkung der Fachdisziplinen auf zwei Bereiche und die Kontrolle der Anzahl an kooperativ gearbeiteten Stunden wurde gewählt, um Konfundierungseffekten der Inhalts- und der Kooperationsdomäne entgegen zu wirken.

Versuchsablauf

Um die Anwendung von internationalen Kooperationsskripts zu ermöglichen, wurden allen Teilnehmern hintereinander acht Stimuli in Form von vier 5-sekündigen Videos und vier Fotos, jeweils fünf Sekunden lang präsentiert. Die Stimuli zeigten kooperative Situationen im medizinischen Kontext (beispielsweise eine nachgestellte Visitensituation). Abbildung 2 [Abb. 2] illustriert ein Beispiel für einen Stimulus einer Kooperationssituation. Zu jeweils vier der Stimuli wurden Erinnerungsfragen gestellt, zu den anderen vier Skriptfragen. Die Skriptfragen dienten dazu, den Novizen den Abruf der Kooperationsskripts zu erleichtern, da diese direkter nach Handlungsabläufen fragten. Die Erinnerungsfrage lautete: „Benennen Sie bitte, woran Sie sich aus dem gerade Gesehenen erinnern können“. Die Skriptfragen lauteten

1.
„Was machen die Personen auf dem Bild?“
2.
„Wie könnte es typischerweise zu dieser Situation gekommen sein?“ und
3.
„Was ist das Wahrscheinlichste, wie diese Situation typischerweise weitergehen könnte?“.

Es wurde sichergestellt, dass der Stimulustyp (Video/Foto) und die Fragenart (Erinnerungs-/Skript-Frage) balanciert waren, so dass für jeden Teilnehmer mindestens zweimal die Kombination Video-Skriptfrage, und zweimal die Kombination Foto-Skriptfrage realisiert wurde. Die Präsentation der Stimuli und die Beantwortung der Fragen erfolgten an einem Computer, was die Erfassung der Bearbeitungszeit pro Stimulus für jeden Teilnehmer anhand von Logfiles ermöglichte. Mit Hilfe dieser Logfiles konnte genau nachvollzogen werden, wann die Versuchsperson ihre Antwort abgeschickt hatte. Den Teilnehmern stand beliebig viel Zeit zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.

Kodierschema

Zur Auswertung wurde ein bereits bewährtes Kodierschema eingesetzt [12], welches sich ausschließlich auf Kooperationsskripts, nicht jedoch auf inhaltliches Wissen bezieht. Das Kodierschema beinhaltete zwei Hauptkategorien: Oberflächen- und Skriptinformation. Oberflächeninformationen beinhalteten zum Beispiel Informationen über die Farbe der Kleidung, die Haarfarbe etc., die keinen Aufschluss über die Rolle der jeweiligen Person in der Situation geben. Skriptinformationen waren solche, die Aktivitäten, Sequenzen und Rollen der in der Szene sichtbaren Personen spezifizieren. Das Kodiersystem zu Skriptinformationen geht auf die theoriebasierten Komponenten von Kooperationsskripts von Kollar, Fischer & Hesse [8] zurück, wobei die Informationen nach Schlüsselwörtern kodiert wurden. Wenn ein vorher definiertes Schlüsselwort in der Antwort eines Probanden vorkam, wurde es jeweils als eine Oberflächen- oder Skriptinformation gewertet. Skriptinformationen wurden des Weiteren in Ziele (Benutzung von Worten wie „Visite“), Teilaktivitäten (Benennung spezifischer Tätigkeiten wie „Laborwerte abrufen“), Reihenfolgen (korrektes Darstellen zeitlich versetzter Abfolgen), Rollenzuweisungen (Benennung von Personen als „Krankenschwester“ oder „Arzt“), Eigenschaften (Benutzung von Adjektiven von Personen der Zusammenarbeit wie „dominant“) und typische Objekte (Benennung krankenhaustypischer Objekte wie „Krankenakte“) unterteilt. Die Antworten der Teilnehmer wurden zunächst durchgängig von einem Erstkodierer mit Hilfe von Microsoft Excel 2010 kodiert und ausgezählt. Anschließend wurden 10% der Antworten von einer zweiten Person unabhängig kodiert. Die Interrater-Reliabilität zwischen beiden Kodierungen betrug Cohens k=.84.

Datenanalyse

Als Maß für den Internalisierungsgrad des Kooperationsskripts wurde ein Quotient aus der Bearbeitungszeit in Sekunden und der Anzahl genannter Skriptinformation gebildet. Der Unterschied im Internalisierungsgrad von Experten und Novizen wurde anhand eines t-Tests überprüft. Das Alphafehlerniveau wurde auf 0,05 festgelegt. Wenn Daten mehrfach in eine Berechnung eingingen, wurde das Alphafehlerniveau Bonferroni-korrigiert. Des Weiteren wurde mittels ANOVA ein deskriptiver Gruppenvergleich zwischen Experten und Novizen bezüglich der insgesamt genannten Skriptinformationen durchgeführt. Die Datenanalyse erfolgte mittels SPSS 20.0 (IBM Inc.). Angaben der Effektstärke beziehen sich auf Cohens d [15].


Ergebnisse

Die durchgeführten statistischen Analysen ergaben, dass die Kooperationsexperten signifikant mehr Skriptinformationen benennen konnten (MExperten=71,65, SD=33,23) als die Novizen (MNovizen=54,25, SD=15,01, F(1;38)=4,55; p<0,05; d=0,69). Die Effektstärke des Unterschieds kann als mittelgroß bezeichnet werden [16]. Die Ergebnisse der Skriptinformationen sind in Tabelle 1 [Tab. 1] illustriert.

Wie vermutet, besaßen die Experten zudem einen tieferen Grad an Internalisierung gemessen an der Bearbeitungszeit (Sekunden) pro Skriptinformation (MExperten=9,73, SD=7,39) als Novizen (MNovizen=14,15, SD=3,84). Aus dem niedrigeren Mittelwert der Experten kann geschlossen werden, dass diese eine kürzere Zeitdauer zur Verarbeitung der gleichen Menge an Skriptinformationen benötigten als die Novizen oder dass mehr Informationen in der gleichen Zeit verarbeitet wurden, was beides einen höheren Internalisierungsgrad des Kooperationsskripts bei den Experten nahelegt. Der t-Test zur Überprüfung des Unterschieds im Internalisierungsgrad von Experten und Novizen ist mit mittlerer bis großer Effektstärke signifikant (t(38)=2,38; d=0,75). Der Vergleich ist in Abbildung 3 [Abb. 3] dargestellt.


Diskussion

In dieser Studie wurde erstmals der Versuch unternommen, den Grad der Internalisierung von Skripts quantitativ zu erfassen, indem die Skriptinformation pro Bearbeitungszeit als Surrogatmaß der Internalisierung herangezogen wurde. Es konnte gezeigt werden, dass Kooperationsexperten (Ärzte aus der Inneren Medizin und Anästhesiologie) sich in Bezug auf ihr Wissen über kooperative Situationen signifikant von Kooperationsnovizen (Medizin-Studierende) unterscheiden. Als methodisches Vorgehen diente die Konfrontation mit unterschiedlichen Stimuli zur Simulation von standardisierten kooperativen Situationen. Experten konnten dabei mehr internalisierte Skriptinformationen abrufen als Novizen. Auch der in der Studie definierte Internalisierungsgrad des Kooperationsskripts unterschied sich signifikant von dem der Novizen. So konnten Experten nicht nur insgesamt mehr Skriptinformationen benennen, sondern diese auch schneller abrufen. Dies bekräftigt die Vorstellung, dass die Teilkomponenten eines Kooperationsskripts umso schneller abgerufen werden können, je öfter sie gemeinsam genutzt werden (vgl. [14]). Darüber hinaus gibt die gewählte Vorgehensweise Hinweise darauf, dass im Laufe der Expertiseentwicklung internale Kooperationsskripts im menschlichen Gedächtnis unterschiedlich ausgeprägt und verankert sind.

Kooperation als Basisqualifikation findet deutschland- und weltweit immer mehr Einzug in medizinische Curricula [17]. Um curriculare Implementierungen messen zu können und den Prozess der Entwicklung kooperativer Fähigkeiten zu unterstützen, sollten internale Kooperationsskripts und deren Internalisierungsgrad valide erfasst werden. Hierzu existieren erste vielversprechende Ansätze aus dem Bereich des computerunterstützten-kooperativen Lernens [18]. Vor diesem Hintergrund könnte die vorliegende Untersuchung um eine Intervention erweitert und das hier eingesetzte Messverfahren in einer kontrollierten randomisierten Untersuchung validiert werden. Ein nächster Schritt könnte sein, die konkrete Anwendung von kooperativen Verhaltensweisen in bekannten und neuen kooperativen Situationen zu untersuchen. Diese Operationalisierung von internationalen Kooperationsskripts in einem breiteren Anwendungskontext würde ebenfalls zur Steigerung der Validität beitragen.

Das vorliegende Messinstrument ermöglicht die Untersuchung von Maßnahmen zur Vermittlung von Kooperationsexpertise, da es zeigt, dass Kooperationsexperten über ein wesentlich effizienteres Verständnis von kooperativen Situationen verfügen und schneller mehrere Handlungsmöglichkeiten abrufen können. Wenn Novizen von einem wiederholten Training von (authentischen) Kooperationssituationen in ihrer Ausbildung deutlich profitieren, sollte das Instrument zeigen, dass sie auch das erlernte Wissen über Kooperation tiefer internalisieren und schneller abrufen können.

Über die hier untersuchte Erfassbarkeit internaler Kooperationsskripts hinaus stellt sich die Frage, wie Lernprozesse gezielt durch externale Kooperationsskripts gefördert werden können. Vereinzelt finden sich hierzu in der Literatur bereits bestimmte Ansätze, in denen beispielsweise Feedbackprozesse durch externale Skripts unterstützt werden [19].

Durch solche gezielten Unterstützungsmaßnahmen könnten Teammitglieder geteilte Wissensstrukturen entwickeln (d.h. gemeinsame Kooperationsskripts und transaktive Gedächtnissysteme [18]), was sich zudem positiv auf die Zusammenarbeit im Alltag auswirken könnte. Der vorliegende Beitrag liefert einen methodischen Vorschlag, wie ein solcher Lernprozess quantitativ begleitet und erfasst werden könnte. Weitere Forschung dazu könnte einen Beitrag zur Ausbildung der von der WHO geforderten „Collaborative practice–ready health workforce“ [1] liefern.

Limitationen

Die Verallgemeinerbarkeit der Aussagen ist durch das nicht-interventionelle Studiendesign eingeschränkt. Im Rahmen eines experimentellen Vorgehens sollten daher die ermittelten Effekte überprüft werden, um eine Generalisierbarkeit der Ergebnisse zu erzielen.

Als weitere Limitation der Studie ist die relativ große Varianz in der Gruppe der Experten in Bezug auf die Menge der Skriptinformation und die Bearbeitungszeit zu nennen. Möglicherweise finden in der Bearbeitungszeit weitere kognitive Prozesse statt, die hier nicht erfasst wurden wie zum Beispiel Unterschiede in der Aufmerksamkeitsfokussierung oder der Motivation. Auch angesichts der Kontrolle der Kooperationszeiten im Fragebogen und der sorgfältigen Auswahl der Stichprobe könnte diese Varianz damit erklärt werden, dass die Kooperationsexpertise in den Fachgebieten der Inneren Medizin und der Anästhesiologie unterschiedlich ausgeprägt und multifaktoriell ist. Es bedarf weiterer Studien, um dieser Annahme nachzugehen. Dass sich trotz der hohen Varianz innerhalb der Expertengruppe signifikante Unterschiede zur Gruppe der Novizen mit einer mittelgroßen Effektstärke fanden, spricht dennoch für das gewählte Vorgehen.

Eine mögliche Konfundierung der Inhalts- und Kooperationsdomäne kann nicht mit letzter Sicherheit ausgeschlossen werden. Jedoch wurden zwei Maßnahmen ergriffen, um diesem möglichen Einfluss entgegen zu wirken. Erstens wurde der Vergleich auf die beiden Fachdisziplinen Anästhesiologie und Innere Medizin beschränkt, um die Heterogenität der Inhaltsdomänen einzugrenzen. Zweitens bezog sich das Kodierschema ausschließlich auf Kooperationsskripts und nicht auf inhaltliches Wissen.


Ausblick

In dieser Pilotstudie wurde erstmals eine Methode zur Messung der Menge von Informationen, die Bestandteil von Kooperationsskripts sind, und des Internalisierungsgrades von Kooperationsskripts in der Medizin erprobt.

Ärztliche Kooperationsexperten aus der Inneren Medizin und Anästhesiologie nannten im Vergleich zu studentischen Kooperationsnovizen signifikant mehr kooperationsbezogene Skriptinformationen pro Zeiteinheit. Die Kooperationsexperten zeigten zudem einen signifikant höheren Internalisierungsgrad als die Kooperationsnovizen. Das im Rahmen dieser Studie entwickelte Messinstrument hat Potential zur Beurteilung von Methoden zur fachspezifischen Vermittlung von Kooperationskompetenz in der medizinischen Lehre. Weitere Studien zur Validierung der Messmethode sind erforderlich.


Danksagung

Der Erstautor ist dankbar für die Unterstützung durch ein DAAD Stipendium während dieser Arbeit.


Interessenkonflikt

Die Autoren erklären, dass sie keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


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Erratum

Abbildung 3 wurde ersetzt. Die Zahlen in der Abbildungslegende waren miteinander vertauscht worden.