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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Lehre aktiv in der Impf- und Reisemedizin – Ein neues praxisnahes Format zur Förderung der Beratungskompetenz von Studierenden

Kurzbeitrag Impf- und Reisemedizin

  • corresponding author Esther Beltermann - Klinikum der Universität München, Institut für Didaktik und Ausbildungsforschung in der Medizin, München, Deutschland; Klinikum der Universität München, Lehr- und Simulationsklinik, Zentrum für Unterricht und Studium, München, Deutschland
  • author Sibylla Krane - Klinikum der Universität München, Institut für Allgemeinmedizin, München, Deutschland
  • author Jan Kiesewetter - Klinikum der Universität München, Institut für Didaktik und Ausbildungsforschung in der Medizin, München, Deutschland
  • author Martin R. Fischer - Klinikum der Universität München, Institut für Didaktik und Ausbildungsforschung in der Medizin, München, Deutschland
  • author Jörg Schelling - Klinikum der Universität München, Institut für Allgemeinmedizin, München, Deutschland

GMS Z Med Ausbild 2015;32(3):Doc28

doi: 10.3205/zma000970, urn:nbn:de:0183-zma0009702

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2015-32/zma000970.shtml

Eingereicht: 16. Oktober 2014
Überarbeitet: 18. Mai 2015
Angenommen: 1. April 2015
Veröffentlicht: 17. August 2015

© 2015 Beltermann et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Ziel: Impf- und Reiseberatungen sind eine wichtige Aufgabe in der allgemeinmedizinischen Praxis. Bisher wurden Medizinstudierende darauf nur wenig und uneinheitlich vorbereitet. Während bestehende Formate meist theoretische Grundlagen verfolgen, fokussiert dieses Wahlpflichtseminar die Förderung der praktischen Durchführung von impf- und reisemedizinischen Beratungsgesprächen.

Projektbeschreibung: Im Sommersemester 2011 wurde dieses neuartige Wahlpflichtseminar in der Lehr- und Simulationsklinik der Universität München eingeführt. Die Seminareinheiten werden fachübergreifend und simulationsbasiert durchgeführt. Die Aktivierung der Studierenden und Förderung des Lernerfolgs wurde durch ihre eigenverantwortliche Planung und Durchführung von Beratungsgesprächen mittels Rollengesprächen erreicht.

Diskussion und Schlussfolgerung: Das Seminar wurde erfolgreich eingeführt und die Evaluationsergebnisse sprechen für eine langfristige Implementation dieses praktischen Kurses. Allerdings sollte ein strukturiertes Grundlagenwissen zur Impf- und Reisemedizin bereits systematisch im medizinischen Curriculum gelehrt werden. Die Erkenntnisse fließen in ein neu entwickeltes longitudinales Curriculum „Impfmedizin“ ein.

Schlüsselwörter: Beratung, Impf- und Reisemedizin, Kommunikation, Simulation


1. Einleitung

Impfungen sind eine wichtige und wirksame präventive Maßnahme [1]. Durch eine Umsetzung hoher Impfquoten ist es möglich, neben dem Individualschutz einen „Herdenschutz“ für immungeschwächte Patienten zu erzeugen und Krankheitserreger zu eliminieren [2]. Ein wichtiger Teil der Präventionsarbeit ist es, für einen ausreichenden Impfschutz von Patienten zu sorgen, was neben der Grundimmunisierung und der Erhaltung des notwendigen Impfschutzes durch Auffrischimpfungen, Indikations- und Reiseimpfungen umfasst [1]. Dies erfordert vom Arzt Wissen zum Nutzen und typischen Risiken und Komplikationen sowie zu relevanten Informationsquellen für eine differenzierte Beratung. Auch sollen Ärzte über kommunikative Kompetenzen verfügen, um die Beratungsgespräche durchzuführen [2]. In Zeiten zunehmender Impfmüdigkeit und Impfgegnerschaft sind die Auseinandersetzung mit dem Faktenwissen und die Vorbereitung auf schwierige Beratungssituationen zunehmend wichtig. Dem gegenüber steht ein Mangel in der Vorbereitung der Studierenden auf diese Aufgabe; Medizinstudierende der Universität München absolvieren während ihres klinischen Studiums nur wenige, uneinheitliche theoretische Unterrichtseinheiten zu Impfungen und Reiseberatungen. Die praktische Erprobung wird bisher vernachlässigt und ein einheitliches Curriculum mit klar definierten Lernzielen fehlt. Aus diesem Grund wurde ein praktisch orientiertes Seminar implementiert, das einen Pilotversuch für praktisches Lernen im Bereich der Impf- und Reiseberatung darstellt und nachhaltiges Lernen durch die gezielte Aktivierung der Studierenden fördert [3]. Dieser Artikel gibt einen Überblick über die Entwicklung und Umsetzung dieses Kursformats.


2. Projektbeschreibung

2.1. Ziel und didaktisches Konzept

Im Sommersemester 2011 wurde für Medizinstudierende des dritten bis sechsten klinischen Semesters ein Pflichtwahlseminar mit Fokus auf der strukturierten Vorbereitung auf den impf- und reisemedizinischen Berufsalltag in der hausärztlichen Praxis eingeführt. Das übergeordnete Ziel ist, dass die Studierenden in der Lage sind, Impf- und Reiseberatungen durchzuführen. Dies umfasst, dass Studierende

1.
theoretisches Wissen zu Standard- und Indikationsimpfungen und einen Überblick über das Gebiet der Reise- und Tropenmedizin erlangen,
2.
relevante Informationsquellen der Impf- und Reisemedizin kennen,
3.
die Struktur eines Beratungsgesprächs kennen und umsetzen.

Zur Realisierung der Ziele wurde ein Seminar konzipiert, das theoretische Grundlagen mit der praktischen Anwendung verknüpft. Impulsvorträge, ein Kursskript und Fachbücher dienen der Vermittlung theoretischen Wissens. Das erworbene Wissen wird direkt in einem praxisrelevanten sozialen Kontext angewendet [4], [5], [6]. Gemäß des situierten Lernens [6] wird der Kurs in einer authentischen Lernumgebung in einem Behandlungszimmer in der Lehr- und Simulationsklinik unter Verwendung von Impfpässen, Informationsbroschüren und einem Impfarm (Modell P55, 3B Scientific) durchgeführt [5].

Der Lernkontext entspricht dem zukünftigen Arbeitsplatz und dessen Anforderungen in seiner Komplexität. Die praktische Durchführung einer intramuskulären Injektion an einem Impfarm wird zunächst vom Dozenten vorgeführt und anschließend von den Studierenden zunehmend selbstständig durchgeführt [7].

In Rollenspielen wird ein Beratungsgespräch zwischen Arzt und Patient simuliert. Je ein Studierender übernimmt die Rolle des Arztes bzw. des Patienten. Hierfür werden Fallvignetten verwendet, die realen Impf- und Reiseberatungssituationen aus der allgemeinmedizinischen Praxis nachempfunden sind. Ein strukturierter Feedbackprozess ermöglicht einen realistischen Eindruck eigener Kompetenzen und die Integration gemachter Erfahrung in das eigene Handlungsrepertoire [6], [8].

2.2. Umsetzung

Der Kurs wird im Rahmen des Pflichtwahlcurriculums angeboten und umfasst acht Kurseinheiten à 120 Minuten (siehe Abbildung 1 [Abb. 1]). Die Teilnehmerzahl ist auf zehn Personen begrenzt.

Die erste Kurseinheit dient der Einführung und gibt einen Überblick über die Lernziele, den Kursablauf und -organisation sowie theoretische Grundlagen. Weiterhin wird der Ablauf eines Impf- und Reiseberatungsgesprächs bestehend aus Begrüßung, Impfanamnese und Dokumentation des Impfstatus, Identifikation des Prophylaxebedarfs und Information über Impfungen, Prophylaxeplan und Dokumentation, und Verabschiedung [9] vorgestellt.

Die folgenden sechs Einheiten sind Simulationsseminare und thematisch untergliedert in die Schwerpunkte „Impfen“ und „Reisen“. Die Themeneinheiten zum Impfen adressieren Standard- und Indikationsimpfungen, während die Einheiten zum Reisen allgemeine und spezifische Beratungssituationen fokussieren. Die Kurseinheiten folgen einem einheitlichen Ablauf (siehe Abbildung 2 [Abb. 2]).

Die Kursdurchführung obliegt einem Dozententeam aus sechs Personen mit mehrjähriger Arbeits- und Lehrerfahrung in den Bereichen der Impf- und Reisemedizin (z.B. Allgemeinmedizin, Infektiologie, Tropenmedizin). Die verschiedenen Seminartermine werden von je einem Dozenten mit Expertise in dem jeweiligen Thema geleitet, sodass der individuelle Aufwand bei 120 Minuten pro Semester liegt. Ein Treffen aller Dozenten zu Semesterbeginn und -ende dient organisatorischen Absprachen.


3. Evaluation des Kursangebots

Seit dem Sommersemester 2011 nahmen 31 Studierende (NSS11=4; NWS11=8, NSS12=10, NSS13=9) an diesem Kurskonzept teil.

Die Evaluation des Kurses erfolgte bei jedem Kurstermin mit einer Rücklaufquote von durchschnittlich 80 Prozent. Die Evaluationsbögen basieren auf einer angepassten Version des SFDP26-German [10] und umfassen drei Blöcke:

1.
wahrgenommener Lernerfolg,
2.
Durchführung der Simulation und
3.
Bewertung des Kurses.

Ein Textfeld bietet die Möglichkeit für Kommentare. Es zeigt sich, dass die Zufriedenheit der Studierenden mit dem Kurs sehr hoch ist und sie einen Zuwachs theoretischen Wissens und praktischer Fertigkeiten berichten. Die Freitextkommentare bestätigten das Kurskonzept sowie die Auswahl der Lehrenden („Super Dozenten!“, „Super Veranstaltung über Impf- und Reisemedizin.“), weisen aber auch auf den Bedarf theoretischen Grundlagenwissens hin, das bisher im Studium vernachlässigt wurde (siehe Tabelle 1 [Tab. 1]).


4. Diskussion

Die Erfahrungen nach vier Semestern der Durchführung dieses Kurses sind positiv. Die Weiterentwicklung des inhaltlichen Konzepts seit erstmaliger Umsetzung im Sommersemester 2011 und die Erweiterung des Dozententeams erwiesen sich als gewinnbringend. Die fachübergreifende Durchführung trägt der Vielfalt dieses Themenfelds Rechnung und ermöglicht den Studierenden, von der umfangreichen Erfahrung der Lehrenden in den Teilbereichen der Impf- und Reisemedizin zu profitieren. Die Erweiterung des Dozententeams machte jedoch auch eine klarere Strukturierung der Lerninhalte sowie Verzahnung der Inhalte notwendig.

Die Evaluationsergebnisse bestärken uns in der Beibehaltung dieses Kurses. Sie weisen sowohl auf den Lernerfolg, als auch das hohe Interesse der Studierenden an der Impf- und Reisemedizin hin. Allerdings zeigt der Wunsch der Studierenden nach einem höheren Umfang an Grundlagenwissen, dass es in diesem Bereich einer systematischeren Grundausbildung bedarf, die unser Zusatzangebot allein nicht bieten kann. Basierend auf einer solchen inhaltlichen Grundlage bietet dieser Kurs jedoch eine ausgezeichnete Gelegenheit, theoretisches Wissen in einem praktischen, authentischen Kontext anzuwenden und die strukturierte Durchführung von Impf- und Reiseberatungsgesprächen zu lernen. Die Erfahrungen mit diesem Kurs werden für die im Sommer 2013 begonnene Implementierung eines fächerübergreifenden longitudinalen Curriculums „Impfmedizin“ am Klinikum der der Universität München genutzt.


Interessenkonflikt

Die Autoren erklären, dass sie keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


Literatur

1.
Ständige Impfkommission (STIKO). Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut/ Stand: Juli 2011. Epi Bull. 2011;30:275-295.
2.
Meyer C, Reiter S, Siedler A, Hellenbrand W, Rasch G. Über die Bedeutung von Schutzimpfungen. Epidemiologie, Durchimpfungsraten, Programme. Bundesgesundheitsbl Gesundheitsforsch Gesundheitsschutz. 2002;45:323-331. DOI: 10.1007/s00103-002-0398-z Externer Link
3.
Chi MT. Active-constructive-interactive: a conceptual framework for differentiating learning activities. Topic Cogn Sci. 2009;1:73-105. DOI: 10.1111/j.1756-8765.2008.01005.x Externer Link
4.
Russo SG, Nickel EA. Wie im wahren Leben: Simulation und Realitätsnähe. In: Pierre MS, Breuer G (Hrsg). Simulation in der Medizin. Heidelberg: Springer; 2013. S. 121-134. DOI: 10.1007/978-3-642-29436-5_12 Externer Link
5.
Lave J, Wenger E. Situated Learning: Legitimate peripheral participation. Cambridge, MA: Cambridge University Press; 1991. DOI: 10.1017/CBO9780511815355 Externer Link
6.
Kolb DA. Experimental Learning: Experience as the source of learning and development. Englewood Cliffs, NJ: Prentice-Hall; 1984.
7.
Collins A, Brown JS, Newman SE. Cognitive Apprenticeship: Teaching the crafts of reading, writing, and mathematics. In: Resnick LB (Hrsg). Knowing, learning and instruction. Hillsdale: Lawrence Erlbaum Associates; 1989. p. 453-494.
8.
Fukkink RG, Trienekens N, Kramer LJ. Video feedback in education and training: Putting learning in the picture. Educ Psychol Rev. 2011;23:45-63. DOI: 10.1007/s10648-010-9144-5 Externer Link
9.
Jelinek T. Kursbuch Reisemedizin. Beratung, Prophylaxe, Reisen mit Erkrankungen. Stuttgart: Thieme; 2012.
10.
Iblher P, Zupanic M, Härtel C, Heinze H, Schmucker P, Fischer M. Der Fragebogen "SFDP26-German": Ein verlässliches Instrument zur Evaluation des klinischen Unterrichts? GMS Z Med Ausbild. 2011;28(2):Doc30. DOI: 10.3205/zma000742 Externer Link