gms | German Medical Science

GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Interessenkonflikte im Medizinstudium. Fehlende Regulierung und hoher Informationsbedarf bei Studierenden an den meisten deutschen Universitäten

Forschungsarbeit Humanmedizin

Suche in Medline nach

  • corresponding author Klaus Lieb - Universitätsmedizin Mainz, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Mainz, Deutschland
  • author Cora Koch - Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Münster, Deutschland

GMS Z Med Ausbild 2014;31(1):Doc10

doi: 10.3205/zma000902, urn:nbn:de:0183-zma0009021

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2014-31/zma000902.shtml

Eingereicht: 19. Juli 2013
Überarbeitet: 5. Dezember 2013
Angenommen: 14. Januar 2014
Veröffentlicht: 17. Februar 2014

© 2014 Lieb et al.
Dieser Artikel ist ein Open Access-Artikel und steht unter den Creative Commons Lizenzbedingungen (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.de). Er darf vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden, vorausgesetzt dass Autor und Quelle genannt werden.


Zusammenfassung

Zielsetzung: Studierende der Medizin stehen mit Vertretern pharmazeutischer Unternehmen (PU) schon während des Studiums in Kontakt. Ziel dieser Untersuchung war herauszufinden:

1.
Existieren an medizinischen Fakultäten Regelungen zum Umgang von Medizinstudierenden mit Vertretern von PU und werden entsprechende Lehrveranstaltungen angeboten und besucht? und
2.
Wie denken Medizinstudierende über die Rolle von PU in der medizinischen Lehre?

Methodik: Alle 36 deutschen Studiendekanate und 1.151 Medizinstudierende an acht deutschen Universitäten wurden um die Beantwortung eines Fragebogens mit 4 bzw. 7 Fragen zur oben genannten Thematik gebeten.

Ergebnisse: 30 (83,3%) Studiendekane bzw. 1.038 (90,3%) Medizinstudierende füllten den Fragebogen aus. Nach Angaben der Studiendekanate existieren an jeweils nur einer (3,3%) medizinischen Fakultät eine Richtlinie zum Thema Interessenkonflikte bzw. eine Richtlinie, die den Umgang zwischen Medizinstudierenden und der Industrie reguliert. 8 (26,7%) der Studiendekanate äußerten Interesse an der Erarbeitung einer Richtlinie oder Vorlesung zu diesem Thema. 149 (14,4%) der Studierenden hatten bereits an einer Veranstaltung teilgenommen, die Beziehungen zwischen PU und Medizinstudierenden thematisiert und 779 (77,8%) wünschten sich mehr Unterricht dazu. 701 (73,4%) lehnten eine Verbesserung der Lehre durch finanzielle Unterstützung durch PU ab, wohingegen 216 (21,9%) der Meinung waren, dass Studierende sich nicht mit Vertretern von PU treffen sollten.

Schlussfolgerungen: Im Gegensatz zu anderen Ländern wie den USA bestehen an deutschen medizinischen Fakultäten von wenigen Ausnahmen abgesehen keine Richtlinien zur Regelung des Umgangs von Medizinstudierenden mit pharmazeutischen Unternehmen. Da die Mehrheit der Studierenden sich mehr Informationen zu diesen Interaktionen wünscht, wäre die Etablierung entsprechender Vorlesungen bzw. Richtlinien sinnvoll.

Schlüsselwörter: Interessenkonflikt, pharmazeutische Industrie, Unabhängigkeit, Medizinstudium, Lehre


Einleitung

Internationale Studien haben gezeigt, dass bereits Medizinstudierende häufig in Kontakt mit Vertretern von pharmazeutischen Unternehmen (PU) stehen [1], [2], [3], [4], [5], [6], [7], [8], [9], [10], [11]. Für klinische Studierende zeigten sich Kontaktraten zwischen 74 und 100% [3], [4]. Auch unsere Befragung von deutschen Medizinstudierenden [12] zeigte hohe Kontaktraten und ähnlich vielfältige Kontakte wie sie sich schon in früheren Studien bei Ärzten gezeigt haben [13]: Sie erhielten u.a. Geschenke, nahmen an gesponserten Veranstaltungen teil oder erhielten gesponserte Mahlzeiten [1], [2].

Verschiedene Studien legen nahe, dass der Kontakt zwischen Ärzten und Vertretern von PU zu einem veränderten Verschreibungsverhalten führt, da erhöhte Kontakte mit Pharmavertretern mit höheren Verschreibungskosten und einer verminderten Verschreibungsqualität assoziiert sind [14]. Selbst kleine Geschenke können einen Effekt haben, der oft von den Empfängern selbst nicht wahrgenommen wird [15]. Auch bei Studierenden hat sich gezeigt, dass Werbegeschenke die Wahrnehmung von bestimmten Medikamenten beeinflussen können [6].

In den USA haben die meisten medizinischen Fakultäten Richtlinien zum Umgang mit Interessenkonflikten durch Kontakte mit PU aufgestellt, die auch die Kontakte zwischen Studierenden und den PU regulieren [16], [http://www.amsascorecard.org/, zitiert am 06.06.2013]. Allerdings sind sie unter Studierenden oft wenig bekannt [1], und eine kürzlich erschienene Studie zeigte, dass die Art bzw. Strenge der Richtlinie keine Auswirkungen auf die Interaktionen der Studierenden mit PU hatte [11]. Darüber hinaus fühlen sich die meisten Studierenden schlecht auf die Interaktionen mit Pharmavertretern vorbereitet [1].

Für Deutschland gibt es bisher keine Daten zu dieser Thematik. Ziel dieser Studie war es daher herauszufinden, ob medizinische Fakultäten in Deutschland Richtlinien zu Interessenkonflikten haben, ob sie Lehrveranstaltungen zum Thema anbieten und ob und wie diese Richtlinien und Lehrveranstaltungen von Studierenden wahrgenommen werden. Außerdem haben wir untersucht, wie Medizinstudierende die Rolle der Industrie in der Lehre wahrnehmen.


Methoden

Alle Studiendekanate der 36 deutschen medizinischen Fakultäten wurden am 29.11.2011 angeschrieben und um die Beantwortung eines Fragebogens gebeten. Da nicht alle Studiendekanate unmittelbar auf die Anfrage antworteten, mussten einige Studiendekanate wiederholt angeschrieben werden. Dies zog sich bis zum 22.03.2012 hin. Der Fragebogen enthielt 4 Fragen, von denen zwei nach der Existenz einer Richtlinie, die auf das Thema „Interessenkonflikte“ fokussiert bzw. nach der Existenz einer Richtlinie, die den Umgang zwischen Medizinstudierenden und der Industrie thematisiert und ggf. reguliert, fragten. Mit der 3. Frage wurden die Studiendekane gebeten, ggf. eine entsprechende Richtlinie zu beschreiben. Mit der 4. Frage wurden sie gefragt, ob sie grundsätzlich mit einer Befragung ihrer Medizinstudierenden zu Kontakten mit PU einverstanden sind. Dieses Einverständnis gaben 26 Studiendekanate. Aus diesen 26 Universitäten wurde eine geschichtete Stichprobe von acht Universitäten unter Berücksichtigung folgender Faktoren gezogen: Existenz einer Richtlinie zum Umgang mit Vertretern der PU, Art des Studiengangs (traditioneller oder Modellstudiengang) und geographische Lage in Ost- bzw. Westdeutschland. An diesen acht Universitäten wurden zwischen dem 10.5.2012 und dem 12.7.2012 1.151 Medizinstudierende des 5.-10. Fachsemesters mittels eines Fragebogens befragt. Alle 1.151 anwesenden Studierenden erhielten zu Beginn einer Vorlesung von C.K. einen Fragebogen mit 74 Fragen ausgehändigt, von denen 7 Fragen (Fragen 1-3, 44,45, 49 und 50) die Teilnahme an Lehrveranstaltungen zum Thema Interessenkonflikte und die Einstellungen der Medizinstudierenden zur Rolle der PU in der Lehre erfragten (die Antworten zu den restlichen Fragen wurden von Lieb und Koch in Referenz 12 publiziert). Den Fragebogen füllten die Studierenden unmittelbar aus und gaben ihn anonym ab.

Der Studierenden-Fragebogen bestand in einer deutschen Übersetzung des Fragebogens von Sierles et al. [1], der Studiendekanfragebogen übernahm Fragen des Fragebogens, den Sierles et al. 2009 publiziert haben [17]. Die Ergebnisse werden als Prozentangaben der Antworten auf die genannte Frage und in absoluten Zahlen dargestellt. Die deskriptive statistische Analyse erfolgte mit SPSS 20.0.


Ergebnisse

Stichproben

Von den angeschriebenen 36 Studiendekanaten füllten 30 (83,3%) den Fragebogen aus und schickten ihn bis spätestens 10.05.2012 zurück. Folgende Studiendekanate sandten keinen Fragebogen zurück: Berlin, Heidelberg, Kiel, Leipzig, Düsseldorf und Tübingen. Von den 1.151 befragten Medizinstudierenden gaben 90,3% (n=1.039) den Fragenbogen ausgefüllt und anonym ab (Aachen n=35, Dresden n=165, Freiburg n=305, Gießen n=119, Göttingen n=92, Jena n=167, Köln n=129, Münster n=139). Ein Fragebogen eines ausländischen Erasmus-Studenten wurde ausgeschlossen, so dass 1.038 Fragebögen ausgewertet wurden. Demographische Daten der Medizinstudierenden-Stichprobe können Lieb und Koch [12] entnommen werden.

Antworten der Studiendekanate zu Richtlinien und Vorlesungen

Nach Angaben der Studiendekanate existieren nur an jeweils einer (3,3%) medizinischen Fakultät eine Richtlinie zum Thema Interessenkonflikte bzw. eine Richtlinie, die den Umgang zwischen Medizinstudierenden und der Industrie reguliert. Das Studiendekanat der Universität Aachen äußerte, dass es Firmen nicht gestattet sei, im Universitätsklinikum Aachen Kontakt mit Medizinstudierenden aufzunehmen und dass Präsentationen nur in Absprache mit der Fachschaft und dem Dekanat abgehalten werden dürften. Das Studiendekanat der medizinischen Fakultät in Dresden gab an, dass es eine Richtlinie zu Interessenkonflikten gebe, machte aber keine weiteren Angaben.

6 Fakultäten äußerten Interesse an der Erarbeitung einer Richtlinie (siehe Abbildung 1 [Abb. 1]) und 5 (16,7%) planen aktuell eine solche. 6 medizinische Fakultäten gaben an, eine Vorlesung zum Thema Interessenkonflikte anzubieten. Dabei werden die Informationen im Rahmen folgender Vorlesungen vermittelt: Ethik (Bonn, Erlangen, Homburg), Pharmaökonomie (Gießen), Allgemeinmedizin (Göttingen), Pharmakologie (Frankfurt) und Kompetenzfeld klinische Studien (Köln). 5 (16,7%) der Studiendekanate äußerten Interesse an der Erarbeitung einer Vorlesung zu diesem Thema (siehe Abbildung 1 [Abb. 1]) und 2 (6,7%) Studiendekanate gaben an, dass aktuell eine Vorlesung geplant wird.

Teilnahme der Studierenden an Lehrveranstaltungen und Einstellungen zur Rolle der PU in der Lehre

149 (14,4%) der Studierenden hatten bereits an einer Veranstaltung teilgenommen, die das Thema Interessenkonflikte thematisiert. Tabelle 1 [Tab. 1] zeigt die Verteilung nach Universität und Fachsemester. 141 antworteten auf die Frage, ob die Veranstaltung freiwillig oder verpflichtend war: Bei 15 (10,6%) Studierenden war sie verpflichtend, bei 126 (89,4%) freiwillig. An den 3 Universitäten, die eine Vorlesung anboten und an denen Studierende befragt wurden, gaben von den Studierenden, die die entsprechenden Vorlesungen bereits besucht haben müssten, nur ein geringer Teil (20% für Universität 5, 30% für Universität 4, 15% für Universität 7) an, bereits eine Lehrveranstaltung zum Thema gehabt zu haben.

899 (87,8%) der Studierenden wussten nicht, ob es an ihrer Universität Richtlinien gibt, die den Umgang zwischen Medizinstudierenden und der Industrie regulieren (siehe Tabelle 2 [Tab. 2]). Von den 8 Universitäten, an denen die Studierendenbefragung durchgeführt wurde, hatten nur Aachen und Dresden die Existenz einer Richtlinie angegeben. Von den 34 in Aachen befragten Studierenden wussten 25 (73,5%) nichts von dieser Richtlinie, 4 (11,8%) wussten zwar von einer Richtlinie, wussten aber nicht was sie aussagt, je ein (2,9%) Studierender meinte, dass es keine Richtlinie gebe bzw. dass es eine Richtlinie gebe, die die Interaktionen nicht begrenzt, und drei (8,8%) machten die korrekte Angabe, nämlich dass eine Richtlinie existiert, die die Kontakte begrenzt. In Dresden wussten 135 (90,6%) nichts von dieser Richtlinie, 13 (8,7%) wussten zwar von einer Richtlinie, wussten aber nicht was sie aussagt und 1 (0,7%) Studierender meinte, es gebe keine Richtlinie, während keiner der 149 Studierenden aus Dresden, die diese Frage beantworteten, korrekt über die Existenz dieser Richtlinie informiert war.

Tabelle 3 [Tab. 3] stellt die Antworten der Medizinstudierenden zur Rolle der PU in der Lehre zusammen. 779 (77,8%) Studierende wünschten sich mehr Unterricht über Beziehungen zu PU. Passend dazu äußerten 978 (96,8%) der Studierenden, dass ihnen nicht gut beigebracht worden sei, mit Vertretern von PU umzugehen. 701 (73,4%) lehnten eine Verbesserung der Lehre durch finanzielle Unterstützung durch PU ab, wohingegen 216 (21,9%) der Meinung waren, dass Studierende sich nicht mit Vertretern von PU treffen sollten.


Diskussion

Unsere Erhebung zeigt, dass in Deutschland nur zwei Universitäten Richtlinien aufgestellt haben, die die Interaktionen zwischen Medizinstudierenden und PU regulieren. Dies steht in deutlichem Kontrast zu den USA, wo nach einer Erhebung der American Medical Students' Association (AMSA) inzwischen 144 von 158 medizinischen Fakultäten Richtlinien zum Umgang mit Interessenkonflikten haben, die auch die Interaktionen zwischen Studierenden und PU erwähnen [http://www.amsascorecard.org/, zitiert am 06.06.2013]. Ein entscheidender Motor für die Einführung solcher Richtlinien in den USA war sicherlich die 'Pharmfree Campaign' der AMSA, die jährlich die Richtlinien der amerikanischen Universitäten bewertet und außerdem den Schulen Unterstützung bei der Erstellung von Richtlinien anbietet [http://www.pharmfree.org, zitiert am 14.07.2013]. Eine ähnliche Initiative ist von der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland (bvmd e.V.) momentan in Planung.

Für uns überraschend war, dass das Interesse der Universitäten, entsprechende Richtlinien für Studierende und Lehrende zu erarbeiten, relativ gering war: Nur 6 von 30 Universitäten ohne Richtlinie gaben an, an einer Erarbeitung interessiert zu sein. Dies kann einerseits für ein mangelndes Problembewusstsein unter den Studiendekanen sprechen. So gab es bisher auch keine Daten darüber, wie Studierende in Deutschland mit PU interagieren. Erst die von uns durchgeführte Erhebung [12] zeigte eindeutig, dass Medizinstudenten auch in Deutschland in engem Kontakt mit PU stehen. Andererseits könnte dieses mangelnde Interesse der Studiendekane auch daran liegen, dass sie Richtlinien als wenig effektives Steuerungsinstrument ansehen. Tatsächlich zeigte eine kürzlich publizierte Studie aus den USA, dass Richtlinien nur wenig am Verhalten der Studierenden verändern [11]. Auf der anderen Seite kam eine andere Studie zum Schluss, dass die Offenlegung von Interessenkonflikten durch Dozenten die Einstellungen von Studierenden durchaus beeinflusst [18].

An den beiden Universitäten, die angaben, eine Richtlinie zu Interaktionen zwischen Studierenden und PU zu haben, konnten wir insgesamt ~185 Studierende über ihr Wissen über diese Richtlinien befragen. Dabei zeigte sich, dass die Richtlinien den wenigsten Studierenden bekannt sind: Insgesamt wussten nur 3 der Studierenden korrekt über die Richtlinien Bescheid. Dies verdeutlicht die Notwendigkeit, dass Universitäten die Richtlinien, die sie einführen, auch unter Studierenden bekannt machen müssen. Ohne Bekanntheit und Durchsetzung kann eine Richtlinie selbstverständlich auch nichts bewirken.

Bei der Befragung der Studierenden zur Rolle der PU in der Lehre war auffällig, dass einerseits etwa ¾ der Studierenden der Meinung waren, dass die Finanzierung der Lehre durch PU keine gute Methode sei, die Lehre zu verbessern, gleichzeitig aber ¾ der Studierenden der Meinung waren, dass Universitäten die Interaktionen von Pharmavertretern und Medizinstudierenden nicht verbieten sollten. Möglicherweise halten die Studierenden objektiv gesehen einen Einfluss von PU in der Lehre für problematisch, halten sich dagegen subjektiv für in der Lage, die Interaktionen mit den Pharmavertretern so steuern zu können, dass sie glauben nicht beeinflusst zu werden. Dies ist eine typische Konstellation des häufig beschriebenen 'blinden Flecks', d.h. die Nicht-Wahrnehmung der eigenen Beeinflussbarkeit, obwohl objektiv die Gefahr der Beeinflussung gesehen wird, und der sowohl bei Studierenden [1], [12] als auch bei Ärzten wiederholt gezeigt wurde [13], [19], [20]. Auf der anderen Seite kann dieser Kontrast auch schlicht so interpretiert werden, dass sich die Studierenden im Sinne eines abgestuften Grades an Beeinflussungsrisiko in der Mehrzahl Kontakte mit Vertretern pharmazeutischer Unternehmen wünschen, weil sie meinen, von diesen etwas lernen und die Kontakte steuern zu können, aber dagegen sind, dass die Lehre direkt durch sie finanziell unterstützt und damit möglicherweise direkt – und durch die Studierenden unbemerkt - beeinflusst wird. Passend zu dem Ergebnis, dass nur sechs der befragten Universitäten angegeben hatten, eine Veranstaltung zum Thema Interessenkonflikte anzubieten und nur etwa 14% der Studierenden bereits an einer Lehrveranstaltung teilgenommen hatten, fühlten sich fast alle Studierenden (96,8%) in dieser Hinsicht schlecht unterrichtet, und die meisten wünschten sich dementsprechend mehr Unterricht zu den Interaktionen zwischen Studierenden und PU. Unseres Erachtens sollte dieser Wunsch der Studierenden die medizinischen Fakultäten motivieren, entsprechende Vorlesungen oder andere Veranstaltungen anzubieten, so dass sie nicht erst durch externen Druck wie in den USA durch die AMSA aktiv werden. Solche Vorlesungen oder Seminare sollten verpflichtend sein, um alle Studierenden zu erreichen, da - wie unsere Ergebnisse zeigen - nur ein kleinerer Teil der Studierenden solche Veranstaltungen besucht, wenn sie nur freiwillig angeboten werden. Allerdings muss man bedenken, dass die Frage, was angemessene Lehrveranstaltungen sind und wie man deren Effektivität am besten messen soll, auch international noch kritisch diskutiert wird und es dazu keine einhellige Meinung gibt.

Wesentliche Limitationen unserer Befragung sind, dass wir von von 6 Studiendekanaten (wir haben von 31 eine Antwort erhalten, aber davon von einer keinen Fragebogen...) trotz mehrmaliger Aufforderung keine Antwort erhielten und somit kein Gesamtbild der Situation in Deutschland hergestellt werden kann. Darüber hinaus stellten wir keine separaten Nachforschungen (z.B. im Internet) an, um die Aussagen der Studiendekane zu überprüfen. Während man davon ausgehen muss, dass den Studiendekanen zumindest etwaige Richtlinien an ihrer Fakultät bekannt sein müssten, ist es wahrscheinlich, dass ihnen nicht alle Veranstaltungen zum Thema Interessenkonflikte bekannt sind, die an ihrer Universität angeboten werden. Wir wissen beispielsweise von der Berliner Charité (die leider nicht an der Befragung teilgenommen hat) vom Angebot eines Wahlpflichtfachs zum Marketing der Pharmaindustrie, das unter den Studierenden sehr gut angenommen wird [21], und an der Universitätsmedizin Mainz wird im Rahmen der Hauptvorlesung Psychiatrie und Psychotherapie eine Vorlesung zum Thema Interessenkonflikte angeboten, die dem Studiendekanat nicht bekannt war.


Schlussfolgerungen

Im Gegensatz zu anderen Ländern wie den USA bestehen an deutschen medizinischen Fakultäten von wenigen Ausnahmen abgesehen keine Richtlinien zur Regelung des Umgangs von Medizinstudierenden mit pharmazeutischen Unternehmen. Da die Mehrheit der Studierenden sich mehr Informationen zu diesen Interaktionen wünscht und bei Ärzten eine Veränderung des Verordnungsverhaltens durch Kontakte mit PU vielfach beschrieben ist, halten wir die Etablierung entsprechender Vorlesungen bzw. Richtlinien für sinnvoll. Diese sollten das Problembewusstsein im Umgang der Studierenden mit PU fördern und z.B. durch Seminarangebote mit Integration von Rollenspielen zum Umgang mit simulierten Vertretern pharmazeutischer Unternehmen auch Verhaltensänderungen induzieren. Solche Maßnahmen müssen in weiten Teilen noch entwickelt und implementiert sowie bzgl. ihrer Auswirkungen auf das spätere ärztliche Verhalten und medikamentöse Verordnungsverhalten sorgsam evaluiert werden.


Anmerkung

Diese Arbeit enthält wesentliche Teile der Dissertation von Cora Koch.


Danksagung

Wir danken Dr. R. Sierles für die Überlassung seiner beiden Fragebögen [1], [17] sowie den beteiligten Studiendekanaten und Studierenden für Ihre Unterstützung bzw. Mitwirkung.


Interessenkonflikt

Die Autoren erklären, dass sie keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


Literatur

1.
Sierles FS, Brodkey AC, Cleary LM, McCurdy FA, Mintz M, Frank J, Lynn DJ, Chao J, Morgenstern BZ, Shore W, Woodard JL. Medical students' exposure to and attitudes about drug company interactions: a national survey. JAMA. 2005;294(9):1034–1042. DOI: 10.1001/jama.294.9.1034 Externer Link
2.
Austad KE, Avorn J, Kesselheim AS. Medical Students' Exposure to and Attitudes about the Pharmaceutical Industry: A Systematic Review. PLoS Med. 2011;8:e1001037. DOI: 10.1371/journal.pmed.1001037 Externer Link
3.
Lea D, Spigset O, Slørdal L. Norwegian medical students' attitudes towards the pharmaceutical industry. Eur J Clin Pharmacol. 2010;66(7):727–733. DOI: 10.1007/s00228-010-0805-6 Externer Link
4.
Wilkes MS, Hoffman JR. An innovative approach to educating medical students about pharmaceutical promotion. Acad Med. 2001;76(12):1271–1277. DOI: 10.1097/00001888-200112000-00026 Externer Link
5.
Wofford JL, Ohl CA. Teaching appropriate interactions with pharmaceutical company representatives: The impact of an innovative workshop on student attitudes. BMC Med Educ. 2005;5:5. DOI: 10.1186/1472-6920-5-5 Externer Link
6.
Grande D, Frosch DL, Perkins AW, Kahn BE. Effect of exposure to small pharmaceutical promotional items on treatment preferences. Arch Intern Med. 2009;169(9):887. DOI: 10.1001/archinternmed.2009.64 Externer Link
7.
Hyman PL, Hochman ME, Shaw JG, Steinman MA. Attitudes of preclinical and clinical medical students toward interactions with the pharmaceutical industry. Acad Med. 2007;82(1):94–99. DOI: 10.1097/01.ACM.0000249907.88740.ef Externer Link
8.
Monaghan MS, Galt KA, Turner PD, Houghton BL, Rich EC, Markert RJ, Bergman-Evans B. Student understanding of the relationship between the health professions and the pharmaceutical industry. Teach Learn Med. 2003;15(1):14–20. DOI: 10.1207/S15328015TLM1501_04 Externer Link
9.
Sandberg WS, Carlos R, Sandberg EH, Roizen MF. The effect of educational gifts from pharmaceutical firms on medical students' recall of company names or products. Acad Med. 1997;72(10):916–918. DOI: 10.1097/00001888-199710000-00018 Externer Link
10.
Vuorenkoski L, Valta M, Helve O. Effect of legislative changes in drug promotion on medical students: questionnaire survey. Med Educ. 2008;42(12):1172–1177. DOI: 10.1111/j.1365-2923.2008.03169.x Externer Link
11.
Austad KE, Avorn J, Franklin JM, Kowal MK, Campbell EG, Kesselheim AS. Changing Interactions Between Physician Trainees and the Pharmaceutical Industry: A National Survey. J Gen Intern Med. 2013;28(8):1064–1071. DOI: 10.1007/s11606-013-2361-0 Externer Link
12.
Lieb K, Koch C. Einstellungen und Kontakte von Medizinstudierenden zur Pharmazeutischen Industrie: eine Befragung an 8 Universitätskliniken. Dtsch Arztebl Int. (im Druck)
13.
Lieb K, Brandtönies S. A survey of german physicians in private practice about contacts with pharmaceutical sales representatives. Dtsch Arztebl Int. 2010;107(22):392–398.
14.
Spurling GK, Mansfield PR, Montgomery BD, Lexchin J, Doust J, Othman N, Vitry AI. Information from pharmaceutical companies and the quality, quantity, and cost of physicians' prescribing: a systematic review. PLoS Med. 2010;7(10):e1000352.
15.
Katz D, Caplan AL, Merz JF. All gifts large and small: toward an understanding of the ethics of pharmaceutical industry gift-giving. Am J Bioeth. 2003;3(3):39–46. DOI: 10.1162/15265160360706552 Externer Link
16.
Chimonas S, Patterson L, Raveis VH, Rothman DJ. Managing conflicts of interest in clinical care: a national survey of policies at U.S. medical schools. Acad Med. 2011;86(3):293–299. DOI: 10.1097/ACM.0b013e3182087156 Externer Link
17.
Sierles F, Brodkey A, Cleary L, McCurdy FA, Mintz M, Frank J, Lynn DJ, Chao J, Morgenstern B, Shore W, Woodard J. Relationships between drug company representatives and medical students: medical school policies and attitudes of student affairs deans and third-year medical students. Acad Psychiatry. 2009;33(6):478–483. DOI: 10.1176/appi.ap.33.6.478 Externer Link
18.
Kim A, Mumm LA, Korenstein D. Routine conflict of interest disclosure by preclinical lecturers and medical students' attitudes toward the pharmaceutical and device industries. JAMA. 2012;308(21):2187–2189. DOI: 10.1001/jama.2012.25315 Externer Link
19.
Pronin E, Gilovich T, Ross L. Objectivity in the Eye of the Beholder: Divergent Perceptions of Bias in Self Versus Others. Psychol Rev. 2004;111(3):781–799. DOI: 10.1037/0033-295X.111.3.781 Externer Link
20.
Steinman MA, Shlipak MG, McPhee SJ. Of principles and pens: attitudes and practices of medicine housestaff toward pharmaceutical industry promotions. Am J Med. 2001;110(7):551–557. DOI: 10.1016/S0002-9343(01)00660-X Externer Link
21.
Erb S. Medizinstudium: Verdächtige Geschenke. Hamburg: Die Zeit; 2012. Zugänglich unter/available from: http://www.zeit.de/2012/13/C-Medizin Externer Link