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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Peter Voswinckel: 1937-2012. Die Geschichte der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie im Spiegel ihrer Ehrenmitglieder – "Verweigerte Ehre". Dokumentation zu Hans Hirschfeld

Buchbesprechung Humanmedizin

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  • corresponding author Andreas Winkelmann - Charité - Universitätsmedizin Berlin, Institut für Vegetative Anatomie, Berlin, Deutschland

GMS Z Med Ausbild 2013;30(3):Doc28

doi: 10.3205/zma000871, urn:nbn:de:0183-zma0008717

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2013-30/zma000871.shtml

Eingereicht: 11. April 2013
Überarbeitet: 11. April 2013
Angenommen: 11. April 2013
Veröffentlicht: 15. August 2013

© 2013 Winkelmann.
Dieser Artikel ist ein Open Access-Artikel und steht unter den Creative Commons Lizenzbedingungen (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.de). Er darf vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden, vorausgesetzt dass Autor und Quelle genannt werden.


Bibliographische Angaben

Peter Voswinckel

1937 - 2012. Die Geschichte der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie im Spiegel ihrer Ehrenmitglieder – „Verweigerte Ehre“. Dokumentation zu Hans Hirschfeld.

Erscheinungsjahr: 2012, 166 Seiten, € 16,00 (bestellbar über http://www.dgho.de)

ISBN 978-3-00-039487-4


Rezension

Was erwartet man von einem Werk mit dem Titel "Die Geschichte der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie im Spiegel ihrer Ehrenmitglieder" – noch dazu mit einem Einband, der an Pharma-Werbegaben der 80er Jahre erinnert? Der Rezensent hätte Lobgesänge auf alte oder verstorbene Männer erwartet, die über das Fachgebiet hinaus nur von begrenztem Interesse sind. Bei oberflächlichem Hineinblättern könnte sich diese Erwartung zunächst erfüllen: Zu jedem Ehrenmitglied findet sich eine Seite mit einem Schwarzweiß-Bild und einem Lebenslauf – und es sind tatsächlich nur Männer. Allerdings stolpert man bei diesem Blättern z. B. über den Tenor José Carreras (der nach überstandener eigener Erkrankung an ALL eine Leukämie-Stiftung gründete und daher 2006 Ehrenmitglied wurde), oder aber – welch ein Kontrast – über Ernst Robert Grawitz, in SS-Uniform abgebildet mit nebenstehenden kompletten Titeln ("SS-Obergruppenführer, Reichsarzt SS, Generalleutnant der Waffen-SS"), der seine 1939 verliehene Ehrenmitgliedschaft allein seiner politischen Bedeutung sowie seinem in der Hämatologie bekannten Vater verdankte. Spätestens bei der Feststellung, dass die Seiten der zweiten Buchhälfte auf dem Kopf stehen, beginnt aber auch der flüchtige Leser, das Lesen korrekt vorn im Buch zu beginnen:

Nach einem Grußwort des derzeitigen Vorstands der DGHO gibt der von ihm beauftragte Autor des Bandes, der Medizinhistoriker Peter Voswinckel, unter dem Titel "Historizität der Ehrenmitgliedschaft" eine Einführung (S. 5-9) und diskutiert in diesem Zusammenhang den Begriff der "Ehre". Er verweist auf die verweigerte Ehre und Ehrenmitgliedschaft, die einem führenden Hämatologen der 30er Jahre zugestanden hätte: Hans Hirschfeld, der wegen seiner jüdischen Herkunft nach Theresienstadt deportiert wurde und dort 1944 ums Leben kam. Es folgt ein Index der Ehrenmitglieder und eine Übersicht der verschiedenen Phasen der Gesellschaft, gegründet 1937 als Deutsche Hämatologische Gesellschaft, mit ihren Namenswechseln, Spaltung in Ost und West von 1961 bis 1990, und den Namen der jeweiligen Vorsitzenden. Auf den Seiten 12-61 werden auf je einer Seite, wie oben erwähnt, chronologisch alle Ehrenmitglieder in einheitlichem Format vorgestellt, jeweils mit Werk- und Literaturverweisen und kurzen Verweisen auf Ehefrau(en) und Kinder.

Für die Lektüre des zweiten Teils des Bandes (S. 68-166) muss das Buch gedreht und vom hinteren Buchdeckel aus gelesen werden. In dieser sinnfälligen Position befindet sich eine ausführliche "Dokumentation zu Hans Hirschfeld" unter dem Titel "Verweigerte Ehre". Ausdrücklich "fern von ausschweifenden moralischen Appellen" bildet der Autor hier mit nur kurzen erläuternden Legenden Dokumente aus Archiven und anderen Quellen ab, die Hirschfelds Schicksal und sein Nachwirken betreffen. Es handelt sich um eine erschütternde Dokumentation eines bürokratisch verwalteten Niedergangs. Während Hirschfeld vor 1933 ein international renommierter Forscher war, Mitherausgeber der Folia Haematologica, Abteilungsleiter und außerordentlicher Professor am Institut für Krebsforschung der Charité mit standesgemäßer 7-Zimmer-Wohnung und Praxis in Berlin, war er 1938 nur noch ein "Krankenbehandler", der ausschließlich jüdische Patienten behandeln durfte, Vermögen und Praxis verloren hatte, mit seiner Frau zur Untermiete wohnte und – zu spät – verzweifelte Bittbriefe an internationale Kollegen schrieb. Im Oktober 1942 wurde das Ehepaar mit dem "70. Alterstransport" nach Theresienstadt deportiert, wo Hirschfeld am 26.8.1944 umkam, während seine Frau das Lager überlebte. Voswinckel hört aber hier nicht auf, sondern dokumentiert auch den Verbleib der Hirschfeldschen Hinterlassenschaften (die Buchhandlung Rothacker interessiert sich für einen günstigen Ankauf der Privatbibliothek, ein Internist übernimmt große Teile der Praxisausstattung, die SS das Vermögen), er dokumentiert auch das "Vergessen" von Hirschfelds Vorarbeiten in den Nachkriegsfortsetzungen der von Hirschfeld herausgegebenen Zeitschriften und Handbücher sowie die Versuche der Witwe, Wiedergutmachung zu erlangen – das Ende des bürokratischen Tauziehens über den Wert verlorenen Besitzes erlebt sie nicht mehr.

Das hier präsentierte sehr reichhaltige Aktenmaterial, das (mit einigen kleinen Lücken) auch sehr gut belegt ist, verdanken wir, wie man nur zwischen den Zeilen erfährt, auch der Tatsache, dass sich der Autor offensichtlich schon seit über 25 Jahren mit Hirschfelds Schicksal auseinandersetzt. Es ist ihm sehr hoch anzurechnen, dass er nur am Rande erwähnt, dass die von ihm schon für das 50-jährige Jubiläum 1987 erstellte und bereits gedruckte Dokumentation vom damaligen Vorstand der Gesellschaft dann doch zurückgehalten wurde, weil man "unliebsame Diskussionen" (S. 159) fürchtete. Das vorangestellte Grußwort erweckt zwar den Eindruck, dass auch der heutige Vorstand sich in diesem Punkt 25 Jahre später immer noch nicht ganz sicher ist, aber immerhin hat er sich zu einer "ausdrücklichen Billigung" von Voswinckels Darstellung durchgerungen. Die DGHO ist dafür zu loben, dass damit ein ehrliches Dokument der Zeitgeschichte entstanden ist, dass auch für Nicht-Hämatologen interessant sein kann.


Interessenkonflikt

Der Autor erklärt, dass er keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel hat.