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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Eine studentische Wiki-Bibliothek für unterrichtsbegleitende Materialien: Konzeption, Implementierung und Evaluation für das Medizinische Curriculum München (MeCuM)

A student-driven wiki-library for educational materials: Concept, implementation, and evaluation for the Medical Curriculum Munich (MeCuM))

Projekt/project report Humanmedizin

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  • corresponding author Michael Berger - Ludwig-Maximilians-Universität München, Klinikum der Universität, Medizinische Klinik - Innenstadt, Schwerpunkt Medizindidaktik, München, Deutschland
  • author Sylvère Störmann - Ludwig-Maximilians-Universität München, Klinikum der Universität, Medizinische Klinik - Innenstadt, Schwerpunkt Medizindidaktik, München, Deutschland
  • author Martin R. Fischer - Ludwig-Maximilians-Universität München, Klinikum der Universität, Medizinische Klinik - Innenstadt, Schwerpunkt Medizindidaktik, München, Deutschland

GMS Z Med Ausbild 2007;24(4):Doc185

Die elektronische Version dieses Artikels ist vollständig und ist verfügbar unter: http://www.egms.de/de/journals/zma/2007-24/zma000479.shtml

Eingereicht: 20. Juni 2007
Überarbeitet: 11. September 2007
Angenommen: 24. September 2007
Veröffentlicht: 14. November 2007

© 2007 Berger et al.
Dieser Artikel ist ein Open Access-Artikel und steht unter den Creative Commons Lizenzbedingungen (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.de). Er darf vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden, vorausgesetzt dass Autor und Quelle genannt werden.


Zusammenfassung

Problemstellung: Mit Einführung der neuen ärztlichen Approbationsordnung ist eine umfassende Reform der medizinischen Curricula in Deutschland verbunden. An der Universität München (LMU) wurde das Medizinische Curriculum München (MeCuM) 2004 schrittweise eingeführt. Es fordert von den Studierenden verstärkte Eigenverantwortung beim Lernen und einen problemorientierten Denkansatz. Durch unser Projekt wird den Studierenden eine offene webbasierte Plattform als Wiki zur Gestaltung der Curriculums-spezifischen Lern- und Lehrinhalte bereitgestellt.

Methoden: Wir konzipierten die Online-Bibliothek in Anlehnung an die curriculare Struktur des MeCuM nach fachbezogenen Themen. Die technische Implementierung erfolgte mit der MediaWiki-Open-Source Software. Inhalte können von allen Studierenden des MeCuM sowohl anonym als auch personalisiert editiert werden. Zur Evaluation wurde ein Online-Fragebogen mit sechs Fragen und ein Freitext-Kommentarfeld eingesetzt.

Ergebnisse: Eine Online-Bibliothek als Wiki ist die erste Lösung dieser Art an einer medizinischen Fakultät in Deutschland. Das Konzept konnte ohne wesentliche technische Probleme von studentischer Seite implementiert werden und ist an die offiziellen Internetseiten der Medizinischen Fakultät der Universität München angebunden. Im Zeitraum von Dezember 2005 bis Juni 2007 wurden die Inhalte des MeCuM-Wikis insgesamt 417.808 Mal aufgerufen. Eine Online-Evaluation zeigte, dass das Projekt positiv von den Studierenden aufgenommen wird und dass die Studierenden zur aktiven Teilnahme motiviert sind.

Ausblick: Das Projekt weist einen hohen Bezug zu den Lehrveranstaltungen im MeCuM auf und bietet Raum für eine neuartige Interaktion zwischen Lehrenden und Lernenden. Das Design als Open-Source Projekt erlaubt einfache Handhabung und eine häufige Kontrolle der Inhalte. Die Vollständigkeit und die qualitative Verbesserung der verfügbaren Inhalte erfordern weitere Anstrengungen. Zusätzliche Evaluationen sind für die weitere Gestaltung des Projekts unerlässlich. Es ist geplant, die Dozenten in das Projekt als Reviewer und Inhaltspaten einzubinden. Der Transfer des Konzeptes an eine weitere Fakultät ist bereits erfolgt.

Schlüsselwörter: Lehre, medizinische Ausbildung, online, peer-education, MediaWiki

Abstract

Problem: The new study regulation for medical licensing in Germany has caused significant reform of the medical curricula. At Munich University (LMU), the Medical Curriculum Munich (MeCuM) was introduced in 2004. More individual responsibility of the students regarding their academic goals as well as a problem-oriented thought process are essential features of the new curriculum. Through our project, an open web based platform for the design of curriculum-specific teaching and study material has become accessible to students and faculty of the MeCuM.

Methods: Students created an online library in harmony with the curricular structure of the MeCuM. The technical implementation was carried out with the MediaWiki-Open-Source software. Contents can be edited from all students or faculty of the MeCuM in an anonymous or personalized manner. An online questionnaire was carried out to evaluate the project.

Results: Our online library as a wiki is the first solution of this kind in medical education in Germany. The concept was implemented without technical difficulties and is linked to the official websites of LMU Munich. The website’s contents were visited 417,808 times from December 2005 through June 2007. Online-based evaluation showed that the project is positively recognized, and students are motivated to contribute actively.

Discussion: The project closely reflects the academic curriculum of the MeCuM and creates additional opportunities for interaction between students and teachers. The design as an open source project allows easy handling as well as frequent control and ability to update the contents, but integrity and accuracy of the data content require further effort. Additional evaluation will be essential for improvements. The integration of faculty as reviewers and tutors is planned. Sustainability of the project is dependent upon continued student leadership. The concept of the project has been transferred to another medical school.

Keywords: Teaching, medical education, online, peer-education, MediaWiki


Einleitung

Medizinisches Fachwissen und dessen Lehrformat unterliegt einem ständigen Wandel. Die 9. Novelle der Approbationsordnung für Ärzte (ÄAppO) von 2002 führt in der medizinischen Ausbildung in Deutschland zu weit reichenden Veränderungen [1]. An der Medizinischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München wird die neue Approbationsordnung in Form des Medizinischen Curriculums München (MeCuM) umgesetzt (http://www.mecum-online.de). Seit 2004 wurde das neue Curriculum schrittweise für insgesamt 3600 Studierende eingeführt. Der theorielastige Frontalunterricht wurde weitgehend durch einen dynamischen, problemorientierten und praxisnahen Unterricht ersetzt.

Ein wichtiger Bestandteil des medizinischen Curriculums in München ist es, dass deklaratives Wissen nicht mehr vorrangig durch Vorträge von Dozenten vermittelt wird. Vielmehr werden problemorientierte Denkansätze der Studierenden verstärkt und anhand geeigneter Leitstrukturen, Symptomkomplexen und Fallbeispielen erlernt. Dies erfordert mehr Eigeninitiative der Studierenden. Eine sinnvolle Gestaltung von verbindlich auf die Strukturen und Inhalte dieses Unterrichtes zugeschnittenen Lern- und Lehrmaterialien trägt erheblich zum erfolgreichen Selbststudium sowie der gezielten Vor- und Nachbereitung der Lehrveranstaltungen bei [2].

Der hier vorliegende Text beschreibt eine multimediale Wiki-Bibliothek. Diese dient den Studierenden und Dozenten der Medizinischen Fakultät der LMU München zur Aufbereitung von medizinischem Fachwissen. Fachliche Inhalte zu den Kursveranstaltungen können in Form von Tabellen, Abbildungen, Diskussionsverläufen und Texten online und in Echtzeit in der Wiki-Bibliothek abgelegt werden. Das Prinzip der Gestaltung als Wiki führt zur ständigen Kontrolle und Weiterentwicklung der Inhalte und wurde für andere Datenbanken beschrieben [3], [4], [5], [6], [7].


Methoden

Software

Für die Implementierung des Wiki-Projekts an der Medizinische Fakultät der LMU München wird die Software MediaWiki in der Version 1.5.2 eingesetzt (http://www.mediawiki.org). Sie läuft auf dem Server der Fachschaft mit PHP 4.3.10-16 unter Verwendung einer mySQL-Datenbank (v4.0.24) auf einem Linux-System (Debian v3.1). Fünf Studierende besitzen Administratorenrechte.

Für das Projekt wurden folgende Modifikationen an der Original-Software vorgenommen:

1.
Die Programmierung der Erweiterung "Leitfaden", die es ermöglicht, lange Seiten in einzelne Kapitel zu unterteilen (zum Beispiel Histologie).
2.
Die Umprogrammierung der Standard-Software zur Darstellung individualisierter Druckversionen (einstellbare Seitenränder, Schriftgröße, Schriftart und Zeilenabstände).

Die Software erlaubt eine einfache Bearbeitung der Internet-Seiten der Wiki-Bibliothek gemäß einer vereinfachten Schreib-Syntax. Das Prinzip ist bereits vielen Benutzern durch die stark frequentierte Online-Enzyklopädie Wikipedia bekannt [8].

Nutzung

Die Plattform dient der Vor- und Nachbereitung der Unterrichtsveranstaltungen genauso wie dem selbstständigen Eigenstudium. Die Inhalte der Lernplattform und deren Struktur sind spezifisch den Lehrinhalten des Münchner Curriculums zugeschnitten. Von der Konzeptualisierung bis hin zur inhaltlichen Gestaltung handelt es sich um ein studentisches Projekt, welches in der Umsetzung von den Dozenten unserer Fakultät weitergeführt wird. Diese aktive Kooperation zwischen den Studierenden und Dozenten ist ein essentieller Bestandteil des Projekts. Die Internetseiten der Plattform sind über einen direkten Link der offiziellen Internetseite des Studiendekanats sowie der Fachschaft zu erreichen (http://www.mecum-online.de und http://www.fachschaft-medizin.de).

Das Projekt wurde den Studierenden durch kurze, online-basierte Präsentationen vor Unterrichtsveranstaltungen vorgestellt. An drei verschiedenen Zeitpunkten wurde eine schriftliche Darstellung des Projekts über den E-Mail-Verteiler der Fachschaft versandt.

Die Inhalte der Wiki-Bibliothek können von allen Studierenden des MeCuM und den Mitgliedern der Medizinischen Fakultät sowohl anonym als auch personalisiert erstellt und abgeändert werden. Der Zugriff auf die Wiki-Bibliothek erfolgt per Internet. Daher ist zu diesem Zeitpunkt das Projekt allgemein zugänglich.

Evaluation

1000 immatrikulierte Studierende aus allen Semestern der LMU wurden anhand des E-Mail Registers der Fachschaft der Medizinischen Fakultät zufällig ausgewählt und per E-Mail zur Teilnahme an der Evaluation aufgefordert. Das E-Mail Register der Fachschaft wird eng betreut und gilt allgemein als vollständig. Das Register beinhaltet 3786 Adressen, wovon etwa 3100 bis 3300 als die von aktuell Studierenden gelten können. Die Umfrage fand 13 Monate nach Einführung des Münchner Wikis statt. Der Evaluations-Fragebogen konnte über einen Link in der E-Mail erreicht werden und war damit online, jedoch unabhängig vom Besuch der Wiki-Projekt-Webseite. Der Fragebogen enthielt sechs Fragen sowohl zum Bekanntheitsgrad als auch zum Nutzungsverhalten des Projekts. Ein Kommentarfeld stand ebenfalls zur Verfügung. Der von den Autoren entwickelte Fragebogen ist in Abbildung 1 [Abb. 1] dargestellt. Die Evaluationen von 166 Studierenden waren gültig und wurden ausgewertet.


Ergebnisse

Inhalte

Insgesamt sind für die Wiki-Bibliothek 52 Themenbereiche vorgesehen (siehe Tabelle 1 [Tab. 1]). Die Themenbereiche sind entsprechend des medizinischen Curriculums in Vorklinik sowie in die klinischen Module I bis V unterteilt. Zum Zeitpunkt der Erstellung dieser Publikation sind 39 Themenbereiche mit Inhalten hinterlegt. Die Gesamtzahl der Seiten, die den Nutzern letztlich zur Verfügung stehen, beläuft sich auf 153. Ein Themenbereich entspricht einer Seite. Die Differenz von 114 Seiten (153 Gesamtseitenzahl des Wikis und 39 Themenbereiche) sind Inhaltsverzeichnisse, Informationen und Neuigkeiten über das Projekt, das Impressum sowie einige weitere, meist zur Administration benötigte Seiten.

Nutzung

Seit Beginn des Projekts wurden die 153 Seiten des Wikis 417.808 Mal aufgerufen (Stand 17.6.2007). Die Zugriffszahlen der fünfzehn meist besuchten Themenbereiche sind in der Tabelle 2 [Tab. 2] aufgeführt und beziehen sich auf den Zeitraum vom 07.12.2005 bis 17.6.2007. Während des genannten Zeitraumes wurden die Seiten des Wikis 2.286 Mal bearbeitet, dies ergibt durchschnittlich 44 Bearbeitungen pro Themenbereich. Jedoch variieren je nach Vollständigkeit der Inhalte die Zugriffe und Änderungen der Themenbereiche. Themenbereiche, die in ihrer Qualität und Vollständigkeit weit fortgeschritten sind, werden häufig besucht und erweitert bzw. verändert (zum Beispiel Neurologie und Neurochirurgie, Dermatologie und Augenheilkunde). Gegensätzliches ist für kurze oder neue Artikel mit wenig oder keinem fachlichen Inhalt der Fall (zum Beispiel Psychosomatik und Psychotherapie).

Die Zahl der Bearbeitungen pro Tag unterscheidet sich stark von den Prüfungsterminen im Curriculum. Um eine Klausur-Lernphase am Ende eines Semesters herum werden hunderte Bearbeitungen pro Tag beobachtet. Auf der anderen Seite erfolgen während eines Monats der Semesterferien insgesamt weniger als 100 Bearbeitungen. Die aktive Teilnahme am Wiki ist demnach heterogen und folgt dem Lernrhythmus der Studenten über das Semester.

Evaluation

Von den 1000 Studierenden, welche zur Evaluation aufgefordert wurden, waren die Antworten von 166 Studierenden gültig und wurden ausgewertet. Das entspricht einer Resonanz von 16.6% und ist vergleichbar der Resonanz anderer Evaluationsumfragen (zum Beispiel Kursevaluationen) an der Medizinischen Fakultät der LMU München (eigene Beobachtungen von M. R. F., Evaluationsbeauftragter des MeCuM). Weitere Details finden sich in Abbildung 2 [Abb. 2].

Die Auswertung der Online-Evaluation (siehe Abbildung 3 [Abb. 3]) ergab, dass 68,7% der Evaluierenden (114 Studierende) das Projekt bekannt war. 52 Studierende (31,3%) kannten das Projekt nicht.

Innerhalb der Gruppe der Studierenden, welche den Münchner Wiki bereits zum Zeitpunkt der Umfrage kannten (114 Studierende), nutzten 86 Studierende (75,4%) den Wiki häufig (7%) oder gelegentlich (68,4%) zum Lernen. Nur 28 Studierende (24,6%) nutzen den Wiki gar nicht zum Lernen. 84,9% der Nutzer empfanden die Inhalte beim Lernen als nützlich (69,8%) oder als große Hilfe (15,1%). Weitere 15,1% der Studierenden nutzen den Wiki, empfanden die Inhalte jedoch als keine große Hilfe.

Die überwiegende Mehrheit der Studierenden nutzte den Wiki ausschließlich als passive Leser (62 Studierende, 72,1%). 18,6% (16 Studierende) betrachten sich als passive Leser, korrigieren aber Fehler und Ungenauigkeiten der Texte und Abbildungen. 5,8% (5 Studierende) der Nutzer haben schon ganze Abschnitte zu den Inhalten hinzugefügt, betrachten sich jedoch eher als Leser. 3,5% (3 Studierende) der Nutzer betrachten sich selbst als aktive Autoren.

Die Bereitschaft zur Unterstützung des Projekts war laut Umfrage groß. Unterstützung bedeutete in diesem Zusammenhang anderen den Wiki zu empfehlen, Beiträge hinzuzufügen, Korrekturen vorzunehmen, oder Dozenten davon zu erzählen. 58,3% der Nutzer unterstützen aktiv das Projekt, 2,4% davon sehr oft, 23,8% gerne, und 32,1% hin und wieder. 38,1% sahen ihre Unterstützung als passiver Leser.

Das Kommentarfeld wurde von 36 Studierenden genutzt. Die Auswertung der Anregungen ergab im Wesentlichen ein einheitliches Bild und bezog sich auf vier wichtige Punkte:

1.
Das Projekt sowie dessen Potenzial und Nutzen für die Lehre wird durchweg positiv von den Studierenden eingeschätzt.
2.
Es besteht eine Hemmschwelle unter den Studierenden, selbst aktiv am Wiki zu gestalten und Beiträge zu leisten. Dies wird durch die Unsicherheit über die Korrektheit des eigenen Wissens begründet.
3.
Es besteht der Wunsch nach Vollständigkeit.
4.
Es besteht der Wunsch, dass die Inhalte des Wikis einer gewissen Korrektur unterzogen werden.

Diskussion und Ausblick

Unserem besten Wissen nach beschreiben wir hier erstmals eine interaktive Online-Plattform im MediaWiki-Format zur Akquise von verbindlichen Lern- und Lehrmaterialien des Curriculums an einer Medizinischen Fakultät im deutschsprachigen Raum.

Mit der neuen Approbationsordnung für Ärzte in Deutschland haben sich die Anforderungen an die Studierenden gewandelt. Frontalunterricht mit der starren Vermittlung von deklarativem Wissen und Fakten weicht einer dynamischen, individuell gestaltbaren Anleitung zum problemorientierten Denken. Eigeninitiative und eigenverantwortliches Lernen bedingen zu erheblichen Teilen das Gelingen des Unterrichts und des Lernerfolges des einzelnen Studierenden [9]. Zudem ist der Studierende frühzeitig im Studium dazu aufgefordert, sein Wissen aktiv zu reproduzieren. Die Interaktion zwischen den Studierenden untereinander sowie zwischen Studierenden und Dozenten tritt vermehrt in den Vordergrund.

Wir betrachten unser Projekt daher als eine geeignete Hilfestellung, den Anforderungen des medizinischen Curriculums in München gerecht zu werden. Die Implementierung der interaktiven, online basierten Wiki-Bibliothek erlaubt einen hohen Bezug zu den Lehrveranstaltungen und soll etablierte Lehrbücher ergänzen. Zusätzlich steht den Studierenden und Dozenten mit dem Wiki ein Werkzeug zur Verfügung, mit dem in Kleingruppenprojekten (Tutorials, Seminare) eine effektive Dokumentation und Kommunikation erzielt werden kann. Die aktive Teilnahme als Autor am Wiki fördert das Lernen [10].

Die Evaluation des Projekts zeigt, dass der Wiki von den Studierenden überaus positiv aufgenommen wird und die Bereitschaft zur aktiven Teilnahme gegeben ist. Die Vervollständigung und Aufbereitung der verfügbaren Inhalte erfordern weitere Anstrengungen. Paradoxerweise besteht gleichzeitig unter Studierenden eine Hemmschwelle, aktiv eigene Beiträge in den Wiki einzubringen. Die Erfahrung und die Verfolgung des Projekts über die vergangenen Monate haben unverwechselbar deutlich gezeigt, dass die angesprochene Hemmschwelle stark mit bereits vorhandenen Inhalten in einem Themenbereich korreliert. Je mehr Inhalte in einem Themenbereich bereits vorhanden sind, desto stärker werden diese verbessert und ergänzt. Die Evaluation der Freitext-Kommentare ergab darüber hinaus, dass Unsicherheit über das eigene Wissen eine Hemmschwelle zur aktiven Teilnahme der Studierenden darstellt. Wir beobachten, dass die angesprochene Hemmschwelle von den Studierenden dadurch überwunden wird, dass sie zunächst anonym kleine Veränderungen vornehmen. Dies betrifft Orthographie und Syntax. Von Grund auf neue Artikel werden nur von einzelnen Nutzern erstellt. Die genannten Phänomene sind bekannt und wurden besonders in der Startphase von Wikis beobachtet [11], [12]. Es ist zu erwarten, dass sich die Zahl der aktiven Teilnehmer sowie der Umfang pro Bearbeitung vergrößern werden. Auch werden Ergänzungen vermehrt personalisiert erstellt werden. Dass ein Inhalt ohne gleichzeitige Kompensation aus der Wiki-Bibliothek entfernt wurde, ist bisher nicht vorgekommen.

Unsere Beobachtungen zeigen ebenfalls, dass sich in der Wiki-Bibliothek Quantität und Qualität der einzelnen Themenbereiche stark unterscheiden. Das Vorhandensein von verbindlichen Leitlinien und Inhaltsverzeichnissen zu einzelnen Themenbereichen senkte die Hemmschwelle der Studierenden, von Grund auf neue Inhalte in den Wiki einzubringen. Weitere Anstrengungen müssen unternommen werden, um die Vollständigkeit der Wiki-Bibliothek zu gewährleisten. Ein zentraler Punkt wird es dabei sein, durch sinnvolle Bewerbung des Projekts die Studierenden darauf hinzuweisen, dass Veränderungen der Inhalte des Wikis immer positiv sind. Zum einen wird jede Veränderung im Text gespeichert und ist damit zu jedem Zeitpunkt rückgängig zu machen. Zum anderen erhöht jeder zusätzliche Beitrag die Wahrscheinlichkeit, gelesen und, soweit notwendig, korrigiert und erweitert zu werden.

Eine dynamische Weiterentwicklung des Projekts über die Studiendauer der Projektinitiatoren hinaus muss sichergestellt werden. Vereinzelt wurden bereits Themenabschnitte oder ganze Module einzelnen Studierenden zugeteilt. Das Ziel ist es, schlussendlich für jeden der 52 Themenbereiche einen studentischen Betreuer oder Ansprechpartner zu haben, der sich aus Interesse heraus einem Themenbereich besonders verbunden fühlt. Die Identifizierung mit dem Wiki als Ganzes sowie mit einzelnen Inhalten des Wikis sind von zentraler Bedeutung für die andauernde Motivation der Teilnehmer [12]. Erweiterungen und Veränderungen werden von den Ansprechpartnern der verschiedenen Themenbereiche verfolgt und betreut. Ergänzend sollten Dozenten, idealerweise in Absprache mit den Betreuern einzelner Abschnitte, in das Projekt als Reviewer und Inhaltspaten eingebunden werden. Dieses entspräche dem Wunsch der Studierenden nach stärkerer Kontrolle der fachlichen Inhalte.

Die Kontrolle der fachlichen Inhalte durch Experten wird von dem Autorenteam dieses Projekts als essentiell angesehen, steht aber in krassem Gegensatz zu anderen Open-Source Enzyklopädien, zum Beispiel Wikipedia [13]. Zwar messen unabhängige Untersuchungen von Mitarbeitern der Fachzeitschrift Nature den fachlichen Inhalten von Wikipedia annähernd ähnlich gute Qualität wie denen der etablierten Encyclopaedia Britannica bei [5], [14]. Jedoch muss sich Wikipedia wiederholt der öffentlichen Kritik ausgesetzt sehen, aufgrund des schnellen Wachstums der Inhalte und der hohen Zahl an Nutzer die Korrektheit der Artikel unter den gegebenen Umständen nicht weiter gewährleisten zu können [15], [16]. Konkurrenz-Projekte von Wikipedia, allen voran Citizendium (http://www.citizendium.org), fördern unter Einbeziehung von Experten als Reviewer die Richtigkeit und Aktualität ihrer Artikel [17], [18].

In diesem Zusammenhang wurden die Dozenten-Vertreter (Modulsprecher) aller fünf Module des MeCuM von den Projektinitiatoren konkret angesprochen (M. R. F. ist Dozenten-Vertreter des Moduls „Konservative Medizin“). Alle Dozenten-Vertreter befürworten das Projekt und empfinden die Überprüfung der von den Studierenden erstellten Artikel durch die Dozenten als fördernd. Als Reviewer können prinzipiell alle Dozenten auftreten, idealerweise korrigiert ein Dozent solche Artikel, die seinem Fachgebiet entsprechen. Als wesentlich empfinden es die auf einen möglichen Review eines Themenbereiches angesprochenen Dozenten, dass ein Themenbereich vollständig und ein Ansprechpartner identifizierbar ist. Gespräche über einen Review finden zurzeit für die Themenbereiche Neurologie und Neurochirurgie, Dermatologie sowie Augenheilkunde statt. Geprüfte Inhalte können dann als solche markiert und in einer zusätzlichen, unveränderbaren Version zur Verfügung gestellt werden. Unserer Auffassung nach bietet das Projekt daher Raum für eine neuartige Interaktion zwischen Lehrenden und Lernenden, die über den Wiki gemeinsam an den Inhalten der Bibliothek arbeiten und dabei gegenseitig voneinander lernen können.

Ein wichtiger Diskussionspunkt sind in dem angesprochenen Kontext die Zugriffsrechte auf die Wiki-Bibliothek. Zu diesem Zeitpunkt sind die aktive sowie die passive Teilnahme am Projekt offen über das Internet möglich. Mittelfristig ist von den Administratoren der Wiki-Bibliothek eine Nutzungslimitierung geplant. Verschiedene Möglichkeiten kommen dabei in Betracht. Zum einen könnte die aktive Teilnahme durch Erstellung und Bearbeitung der Artikel in der Wiki-Bibliothek lediglich Fakultätsangehörigen (Studierende und Dozenten des MeCuM) erlaubt sein, während die Inhalte über das Internet frei zugänglich wären und von jedermann gelesen werden könnten. Restriktivere Überlegungen sehen auch den passiven Lesezugriff nur für Fakultätsangehörige des MeCuM vor. Beide Lösungen trügen zu einer gesteigerten Kontrolle der fachlichen Inhalte und einem Schutz vor Missbrauch bei, da alle Änderungen verbindlich von Münchner Medizinstudenten bzw. Fakultätsangehörigen durchgeführt würden. Letztere Lösung hat zusätzlich den Vorteil, dass die Nutzung der fachlichen Inhalte auf die überschaubare Zahl der Studierenden begrenzt ist und eventuellen urheberrechtlichen Konflikten vorbeugt.

Der Transfer des Konzeptes einer Wiki-Bibliothek zur Gestaltung unterrichtsbegleitender Materialien an andere Fakultäten erscheint erstrebenswert. Die Fachschaft Medizin der Universität Leipzig hat das Konzept dieses Projekts inzwischen für ihre Fakultät übernommen. Die enge Kooperation sowie der Gedankenaustausch mit anderen Fakultäten tragen in hohem Maße zum Erfolg bei und sind unbedingt erwünscht. Weitere Evaluationen zum Nutzungsverhalten des Projekts und zur Motivation der aktiven Teilnehmer sind ebenfalls essentieller Bestandteil des Projekts. In diesem Zusammenhang wird von Bryant et al. ein freies Interview vorgeschlagen [12].


Fazit

Die Gestaltung der unterrichtsbegleitenden Materialien in Form einer Wiki-Bibliothek ist ein geeignetes Instrument, um verbindliche, kursorientierte Unterrichtsmaterialien zur Vor- und Nachbereitung des medizinischen Curriculums zu akquirieren. Das Wiki-Projekt fördert zusätzlich die Interaktion zwischen Studierenden und Dozenten und wird den Anforderungen des Medizinstudiums nach neuer Approbationsordnung gerecht, in welcher eigenverantwortliches Lernen und Eigeninitiative einen hohen Stellenwert einnehmen.


Danksagung

Unser Dank gilt allen Studierenden, die in 2.286 Bearbeitungen dieses Projekt entstehen ließen. Prof. Christian Lackner und Jürgen Primbs vom Institut für Notfallmedizin München danken wir für technische Unterstützung und die Möglichkeit, unseren Wiki von der offiziellen Internetseite der Fakultät zu erreichen. Den Mitarbeitern der Gruppe Medizindidaktik, insbesondere Inga Hegel, danken wir für die Überarbeitung der Paperfassung.


Literatur

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