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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Vom "vorklinischen Studienabschnitt" zu "Medizin I" : Umstellung auf die neue ÄAppO an der Medizinischen Fakultät der Universität Hamburg

The new pre-clinical curriculum "Medicine I" at Hamburg Medical School: Curricular changes according to the new educational law (ÄAppO)

Projekt Humanmedizin

  • corresponding author Olaf Kuhnigk - Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Modellstudiengang Medizin, Hamburg, Deutschland
  • author Katja Weidtmann - Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Prodekanat für Lehre, Hamburg, Deutschland
  • author Stefan Dietsche - Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Institut und Poliklinik für Medizinische Psychologie, Hamburg, Deutschland
  • author Andreas H. Guse - Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Institut für Biochemie und Molekularbiologie I: Zelluläre Signaltransduktion, Hamburg, Deutschland
  • author Ioan Mihalache - Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Mitglied der studentischen Fachschaft, Hamburg, Deutschland
  • author Jobst Hendrik Schultz - Medizinische Universitätsklinik Heidelberg, Abteilung Innere Medizin II, Heidelberg, Deutschland
  • author Ralf Middendorff - Justus-Liebig-Universität Giessen, Institut für Anatomie und Zellbiologie, Giessen, Deutschland
  • author Hans Kadula - Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Prodekanat für Lehre, Hamburg, Deutschland
  • author Sigrid Harendza - Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, III. Medizinische Klinik, Hamburg, Deutschland

GMS Z Med Ausbild 2006;23(2):Doc36

Die elektronische Version dieses Artikels ist vollständig und ist verfügbar unter: http://www.egms.de/de/journals/zma/2006-23/zma000255.shtml

Eingereicht: 13. März 2005
Veröffentlicht: 15. Mai 2006

© 2006 Kuhnigk et al.
Dieser Artikel ist ein Open Access-Artikel und steht unter den Creative Commons Lizenzbedingungen (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.de). Er darf vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden, vorausgesetzt dass Autor und Quelle genannt werden.


Zusammenfassung

Die neue Approbationsordnung für Ärzte (ÄAppO) stellt die Universitäten seit 2002 vor die Aufgabe einer weit reichenden Umstrukturierung des Medizinstudiums. An der Medizinischen Fakultät in Hamburg erfolgte die Einführung einer fächerübergreifenden Ausbildung, die an den medizinischen Grundlagenfächern orientiert fallbasiert und problemorientiert theoretisches Wissen mit praktischen Fertigkeiten für den vorklinischen Studienabschnitt verknüpft.

Zur Reform von Medizin I institutionalisierte der Fakultätsrat ein Curriculum-Komitee. Der Reformprozess wurde in enger Kooperation mit Vertretern der medizinischen und naturwissenschaftlichen Grundlagenfächer umgesetzt und wird von einer zentralen Evaluation durch das Prodekanat für Lehre begleitet.

Auf Grundlage einer fachübergreifenden Lernspirale mit horizontaler und vertikaler Vernetzung der naturwissenschaftlichen und medizinischen Inhalte wurden die Unterrichtseinheiten nach inhaltlichen und zeitlichen Aspekten neu eingeteilt. Eine strikte Beschränkung der naturwissenschaftlichen Fächer auf medizinisch relevante Inhalte wurde, wie von der ÄAppO vorgeschrieben, umgesetzt. Die vorklinischen Studieninhalte werden in einem horizontal und vertikal vernetzten Kontext, orientiert an den Bausteinen "Grundlagen", "Die Zelle", "Systeme/Organe", gelehrt. Auf der Basis des "Fallbasierten Lernens" bilden in den "Integrierten Seminaren" Kleingruppenarbeit, Selbststudium und Kurzreferate neben Impulsvorträgen eine Grundlage für moderne lerndidaktische Ausbildungskonzepte. Das Wahlfachangebot ist durch das Forschungsprofil der medizinischen Grundlagenfächer geprägt. Das Training basisärztlicher Fertigkeiten findet im Rahmen der "Einführung in die klinische Medizin" statt.

Studienverläufe werden durch regelmäßige studentische Feedbackveranstaltungen und ein Computerprogramm analysiert. Die Homepage für die Studierenden wurde zum besseren Informationsmanagement neu gestaltet. Die bislang positiven Evaluations- und Prüfungsergebnisse sprechen für einen erfolgreichen Strukturveränderungsprozess.

Schlüsselwörter: Ärztliche Ausbildung, vorklinischer Studienabschnitt, Curriculumreform, Fakultätsentwicklung, change management, fallbasiertes Lernen

Abstract

A revision of the educational law (ÄAppO) in Germany requires major reorganization of the curricula since 2002. Hamburg Medical Faculty introduced interdisciplinary education into the pre-clinical education integrating case-based and problem-based theoretical knowledge of medical preclinical subjects with practical skills.

For this curricular change an independent curriculum committee was established by the faculty board. Reformation was carried out in close cooperation of the departments of medical science and basic science and was accompanied by a central evaluation organized by the office of the vice-dean of education.

Curriculum contents were distributed on the basis of an interdisciplinary learning spiral with horizontal and vertical connections of basic and medical science subjects. Basic sciences are strictly focussed on medically relevant topics as required by the new ÄAppO. Case-based learning has become the major focus during "Integrated seminars" where small group discussions, self-studies, essays, and short reports form the basis for modern didactics. Electives are offered on the basis of the research profiles determined by the medical basic sciences. Training of basic medical skills is offered during the course "Introduction to clinical medicine". Students´ parcours through the curriculum are analysed by regular feedback meetings and followed by a computer programme. For better management of information the internet homepage of Hamburg medical faculty was reorganized. Positive results of evaluation and exams confirm a successful reform of the pre-clinical curriculum.

Keywords: Medical education, pre-clinical studies, curriculum reform, faculty development, change management, case-based learning


Einleitung

Die neue Approbationsordnung für Ärzte vom 27.06.2002 [5] stellte alle 34 in der medizinischen Ausbildung tätigen deutschen Fakultäten vor die Aufgabe der Umstrukturierung des "vorklinischen" (Medizin I) und "klinischen" (Medizin II) Studienabschnitts. Mit Studienbeginn soll fachübergreifendes Denken gefördert werden und, soweit zweckmäßig, problemorientiert am Lehrgegenstand ausgerichtet sein. Hierbei ist die Vermittlung naturwissenschaftlicher und theoretischer Grundlagen auf medizinisch relevante Inhalte zu reduzieren. Theoretisches und klinisches Wissen soll während der gesamten Ausbildung miteinander verknüpft werden [5]. Zentrale Veränderungen von der ÄAppO vom 28.10.1970 [4] zu der ÄAppO vom 27.06.2002 [5] sind in Tabelle 1 [Tab. 1] gegenübergestellt.

Die vorliegende Arbeit beschreibt, wie die Anforderungen der neuen ÄAppO an der Medizinischen Fakultät in Hamburg bis zum "Ersten Abschnitt der Ärztlichen Prüfung" umgesetzt wurden. Sie umfasst Ziele, Planung und Evaluation der Reform von Medizin I an der Universität Hamburg. Über den neuen Studienabschnitt Medizin II in Hamburg wurde bereits an anderer Stelle berichtet [7].


Methoden

Das "Curriculum-Komitee I" (CK-I)

An der medizinischen Fakultät der Universität Hamburg wurde zur Gestaltung des Ausbildungsabschnitts Medizin I vom Fakultätsrat ein Curriculum-Komitee (CK-I) institutionalisiert. Um eine möglichst von persönlichen, fachspezifischen oder hochschulpolitischen Interessen unabhängige Arbeit zu gewährleisten, bestand formal keine Weisungsbefugnis bestehender Ausschüsse und der Institutsdirektoren gegenüber den Mitgliedern des Komitees. Eine fächerübergreifende Kooperation mit Mitgliedern der Fakultät und maximale Transparenz der Komitee-Arbeit wurden vom Prodekan für Lehre von Beginn an ausdrücklich gewünscht und unterstützt.

Das CK-I trat mit der Vorgabe der Reform der ersten zwei Ausbildungsjahre gemäß neuer ÄAppO erstmals im April 2003 zusammen. Das Komitee wurde bei seiner Gründung mit jeweils einem Vertreter der vier medizinischen Grundlagenfächer, dem Fachbereichsplaner des Dekanats, der Sprecherin des Curriculum-Komitee II für den "klinischen" Studienabschnitt, einem studentischen Vertreter und dem Leiter des Modellstudiengangs Medizin der Universität Hamburg besetzt. Wöchentlich finden dreistündige Sitzungen des CK-I statt. Fünf weitere Stunden pro Woche stehen allen Mitgliedern für besondere Aufgaben (z. B. Stundenplanerstellung, Wahlfach, Orientierungseinheit) sowie der individuellen Vor- und Nachbereitung zur Verfügung. Das Dekanat stellt den beteiligten Instituten/Kliniken hierfür als finanziellen Ausgleich 20% einer Stelle nach dem Bundesangestelltentarif IIa (€17.400/Jahr) zur freien Verfügung.

Strukturelle und inhaltliche Aufgaben des CK-I

Aufgaben des Komitees bis zur Einführung der neuen ÄAppO zum Wintersemester 2003/04 waren die Erstellung des Studienplans, der Semesterpläne, der Stundenpläne des ersten bis vierten Fachsemesters und die Erarbeitung der Studien- und Prüfungsordnung sowohl entsprechend den Anforderungen der neuen ÄAppO als auch entsprechend den universitären Erwartungen an eine "vorklinische" Ausbildung auf der Grundlage moderner Lerndidaktik. Deshalb wurde der Einführung moderner lerntheoretischer Ansätze wie fallbasiertem Lernen, Kleingruppenunterricht, thematischer Vernetzung und "team teaching" ab Studienbeginn ein besonderer Stellenwert beigemessen. Zentrale Grundlagen waren dabei Erfahrungen aus dem Modellstudiengang Medizin der Universität Hamburg sowie vorausgegangene Reformen im Regelstudiengang Humanmedizin.

Die theoretische Grundlage des Curriculumreformprozesses in Hamburg basierte auf dem Konzept für die Entwicklung eines Curriculums von Kern et al. [17]. Dieser Prozess gliedert sich in sechs Schritte, die sich untereinander wechselseitig beeinflussen (1: Problemidentifikation und Bedarfeinschätzung, 2: Einschätzung der Bedarfe der Zielgruppe (Studierende), 3: Ausbildungs- und Lernziele, 4: Ausbildungsstrategien, 5: Implementierung, 6: Evaluation and Feedback). Einen zentralen Denkanstoß zur Überarbeitung des anzustrebenden Ausbildungsprofils für beide Abschnitte des Medizinstudiums in Hamburg bot zudem das SPICES-Modell nach Harden et al. [16] (Student-centered, Problem-based, Integrated, Community-based, Electives, Systematic).


Ergebnisse

Semesterstruktur von Medizin I - Verteilung der Fächer

Als Ziel der medizinischen Ausbildung an der Universität Hamburg wurde übergeordnet für beide Abschnitte der ärztlichen Ausbildung eine "Allgemeine Arztreife" definiert. Sie basiert auf der Ausbildungszieldefinition der ÄAppO, fasst diese jedoch schärfer im Sinne von wesentlichen medizinischen Kenntnissen und Fertigkeiten, die für jede Art von weiterer Qualifikation geeignet sind. Für den Abschnitt Medizin II wurde dieses Ausbildungsziel bereits an einem Hamburger Lernzielkatalog 2003 [15] operationalisiert, für den Abschnitt Medizin I muss ein entsprechender Katalog noch erstellt werden. Bisher werden die fachspezifischen Gegenstandskataloge des Instituts für Medizinische und Pharmazeutische Prüfungsfragen (IMPP, Mainz) verwendet.

Für den Studienabschnitt Medizin I wurde auf Grundlage inhaltlicher und struktureller Überlegungen eine fächerübergreifende Semesterstruktur entwickelt. Die Ausbildungsinhalte wurden bis zum "Ersten Abschnitt der Ärztlichen Prüfung" horizontal und vertikal miteinander verknüpft:

- Fachsemester 1: Naturwissenschaftliche und terminologische Grundlagen

- Fachsemester 2: Die Zelle

- Fachsemester 3: Komplexe Systeme 1

- Fachsemester 4: Komplexe Systeme 2.

Inhaltlich nahe stehende Fächer wie Chemie und Biochemie rückten auch strukturell und zeitlich näher zusammen. Die medizinischen Grundlagenfächer (Anatomie, Biochemie, Physiologie, Medizinische Psychologie und Soziologie) unterrichten ihren Stoff jetzt in Lerneinheiten, die sich auf drei oder vier Semester verteilen (siehe Abbildung 1 [Abb. 1]).

Diese Struktur ermöglicht engere inhaltliche Bezüge der Fächer untereinander. Die Abschaffung unbeabsichtigter Redundanzen und der didaktisch begründete Einsatz von Wiederholungen schaffen eine konsequente Lernspirale über die ersten vier Fachsemester. Die horizontale Verknüpfung der Fächer innerhalb eines Fachsemesters wird am Beispiel der Vernetzung der medizinischen und naturwissenschaftlichen Grundlagenfächer anhand der "Integrierten Seminare" erläutert (siehe: Die "Integrierten Seminare" und "Seminare mit klinischen Bezug").

Neben der Verschiebung von Fachanteilen naturwissenschaftlicher hin zu medizinischen Grundlagenfächern soll das neue Curriculum ausreichend Eigenstudienzeit gewährleisten. Nach Vorgabe der Mindeststundenzahl durch die ÄAppO von 784 Stunden plus Wahlfach bis zum Ersten Abschnitt der Ärztlichen Prüfung ergaben sich für Medizin I im Mittel über die ersten vier Semester pro Woche 14,5 Stunden für Pflichtlehrveranstaltungen (inkl. Wahlfach). Hinzu kommen fakultative Vorlesungen im Umfang von 634 Stunden. Insgesamt beträgt die mittlere wöchentliche Lehrstundenzahl 26 Stunden. Daraus resultiert ein prozentuales Verhältnis von Präsenz- zu Selbststudium, ausgehend von einer 40-Stunden-Woche, von ca. 36 zu 64 für die Pflichtlehrveranstaltungen und von ca. 65 zu 35 unter Einbeziehung aller angebotenen Lehrveranstaltungen. Auf Ebene der Prüfungen wurden Probeklausuren als didaktisches Steuerungsinstrument und Orientierungshilfe für die Studierenden eingeführt. Die Prüfungsphasen wurden durch die Beschränkung auf maximal eine Prüfung pro Woche entzerrt.

Anpassung der naturwissenschaftlichen Grundlagen an medizinisch relevante Ausbildungsinhalte

Die neue ÄAppO fordert die Konzentration naturwissenschaftlicher und theoretischer Grundlagen auf medizinisch relevante Ausbildungsinhalte. Das CK-I sichtete mit den entsprechenden Fachvertretern die bisherigen Ausbildungskataloge der naturwissenschaftlichen Grundlagenfächer. Die curricularen Anteile dieser Fächer wurden auf ca. ein Drittel der ursprünglichen Inhalte, v. a. durch Kürzung unterrichtsintensiver Praktika (vgl. Tabelle 2 [Tab. 2]), reduziert. Die enge inhaltliche Abstimmung aller Grundlagenfächer war die zentrale Voraussetzung für diese Reduktion. Zusätzlich wurden vor Beginn des ersten und zweiten Semesters fakultative einwöchige naturwissenschaftliche Vorbereitungskurse für die Fächer Chemie und Physik eingerichtet.

Die "Integrierten Seminare" und "Seminare mit klinischem Bezug"

Eine weitere Forderung der ÄAppO besteht in der Durchführung "Integrierter Seminare" (mindestens 98 Stunden). In Hamburg wurden zum Wintersemester 2003/04 "Integrierte Seminare" eingerichtet, die neben fachübergreifendem das fallbasierte Lernen einführten. Die Veranstaltung beginnt im ersten Fachsemester und durchzieht in vierzehntägigem Rhythmus den gesamten Abschnitt Medizin I. Die "Leitthemen" sind in Tabelle 3 [Tab. 3] chronologisch nach Semestern zusammengefasst.

Seminarablauf: Zuerst wurden von den Fachvertretern in Zusammenarbeit mit dem CK-I fächerübergreifende Lernziele aus den naturwissenschaftlichen und medizinischen Grundlagenfächern und den klinischen Fächern erarbeitet. Auf dieser Grundlage bearbeiten die Studierenden unter Anleitung der Lehrenden anhand von "Papier-Fällen" klinische Patientengeschichten. Methodisch entspricht dieser Zugang den Anforderungen in der alltäglichen Praxis, bei denen Ärzte symptomatologisch (fallbasiert) vorgehen. Lehr- und Lernformen der "Integrierten Seminare" sind u. a. spezielle Vorbereitungsaufgaben, Kurzreferate von Studierenden sowie Impulsvorträge der Dozierenden und Kleingruppenarbeit. Die "Integrierten Seminare" sind inhaltlich auf die übrigen Lehrveranstaltungen der beteiligten Fächer wie Vorlesungen oder Praktika abgestimmt, um die Studierenden bei der Bearbeitung der Fragestellungen zu unterstützen. Zum Teil werden im Rahmen von "team teaching" klinisch tätige Ärzte an der Veranstaltung beteiligt.

Das "fallbasierte Lernen" bildet eine zentrale Grundlage der Verknüpfung aller an Medizin I beteiligten Fächer. Dieser Ansatz verdeutlicht den Studierenden von Beginn an die Relevanz der naturwissenschaftlichen und medizinischen Grundlagenfächer für das Verständnis klinischer Fragestellungen.

In den Seminaren mit klinischem Bezug (nach neuer ÄAppO mindestens 56 Stunden) werden wichtige Themen der medizinischen Grundlagenfächer vertiefend bearbeitet. Hier wird den Fächern die Möglichkeit gegeben, fachspezifische Schwerpunkte, unabhängig von der Vernetzung der Fächer untereinander, unter besonderer Berücksichtigung der klinischen Relevanz zu setzen.

Osteopetrose und Hörsturz - zwei Beispiele für die "Integrierten Seminare"

Zur Veranschaulichung der Einbindung der Naturwissenschaften in die medizinischen Grundlagenfächer und der horizontalen und vertikalen Verknüpfung untereinander werden exemplarisch die Themen "Osteopetrose" (Marmorknochenkrankheit) und "Hörsturz" dargestellt.

Termin "Osteopetrose":

Dieses Thema verbindet anatomische Grundlagen wie den makroskopischen und mikroskopischen Knochenaufbau mit Lernzielen der Chemie (Zusammensetzung und Reaktion der anorganischen Knochenmatrix). Das Fach Biochemie steuert zentrale Themen wie das zentrale Dogma der Molekularbiologie (Informationsfluss von der DNA über die RNA zum Protein) und die biochemischen Grundlagen von Mutationen bei. Das Fach Biologie bringt die Analyse von Erbgängen ein. Von der Physiologie werden die Grundlagen der nervösen Reizleitung sowie der Blutbildung behandelt. Als klinisches Fach ist die Humangenetik mit eingebunden (siehe Abbildung 2 [Abb. 2]).

Termin "Hörsturz":

Dieses Thema verknüpft anatomische Grundlagen (Aufbaus des Ohres und entsprechender Teile des zentralen Nervensystems) mit Neuro- und Sinnesphysiologie (Somatosensorik), Biochemie (Botenstoffe im Gehirn) und mit der "Einführung in die Klinische Medizin" (HNO-Untersuchungstechniken) (siehe Abbildung 3 [Abb. 3]).

Evaluation

Für die "Integrierten Seminare" wurde ein spezielles Evaluationskonzept mit formativen und summativen Elementen entwickelt. Die zeitnahe Auswertung der Evaluationen und Rückmeldung an die Seminarleiter und an das CK-I ermöglicht eine kontinuierliche Anpassung der klinischen Fälle und des Seminarkonzepts.


Weitere zentrale Veränderungen

Wahlfach in Medizin I

Nach der neuen ÄAppO haben Medizinstudierende in beiden Studienabschnitten Pflichtwahlfächer zu absolvieren. Diese sollen den Studierenden ermöglichen, sich zusätzlich zum übrigen Curriculum mit bestimmten, von der Universität angebotenen Inhalten vertieft zu befassen. Hier herrscht ein weiter Angebotsspielraum, den die Standorte v. a. zur eigenen Schwerpunktbildung nutzen können [14]. In Hamburg wurde im Sinne einer interdisziplinären Fortbildung eine freie Auswahlmöglichkeit aus Fächern der medizinischen und anderer Fakultäten ermöglicht. Zur Qualitätssicherung wurden Anforderungen an das Wahlfach hinsichtlich Umfang, Art der Veranstaltungen und der Leistungskontrollen definiert. Zum Sommersemester 2004 wurden zehn Wahlfächer zugelassen (z. B. Biologie der Zelle aus medizinischer Sicht, Psychosoziale Aspekte der palliativen Versorgung, Sport- und Bewegungsmedizin). Die Möglichkeit, im Sinne einer universitären Profilbildung Ausbildungsschwerpunkte zu setzen, wurde insbesondere mit dem interdisziplinären Angebot "Zusatzqualifikation Molekulare Medizin" genutzt, das molekulare Aspekte der Fächer Biochemie, Anatomie und Physiologie umfasst.

Das Erlernen praktischer Fertigkeiten in Medizin I

Im dritten und vierten Fachsemester erlernen die Studierenden im Rahmen der "Einführung in die klinische Medizin" Untersuchungstechniken. Zentrale Lerninhalte der medizinischen Grundlagenfächer bilden dabei die Basis der praktischen Übungen. Die Übungen selbst werden durch Dozenten aus klinischen Fächern durchgeführt. Ein theoretisches Seminar zu den verschiedenen Basisuntersuchungstechniken wird jeweils gefolgt von einer entsprechenden praktischen Übung, wobei die Studierenden sich gegenseitig untersuchen oder im Skills-Lab unter Aufsicht und Korrektur der Dozenten an Modellen üben können.

Informationsmanagement und Evaluation

Zusätzlich zur Orientierungseinheit zu Studienbeginn wurden spezielle semesterbezogene Informationsveranstaltungen eingeführt, in denen den Studierenden u. a. die Struktur, Lehr- und Lernziele sowie die Leistungsnachweise für jedes Semester vorgestellt werden. In regelmäßigen Feedback-Veranstaltungen können die Studierenden dem CK-I ihre Erfahrungen des jeweiligen Semesters mitteilen. Zudem ermöglicht die Teilnahme von Vertretern des Komitees in den Fachräten und Lehrkommissionen der Grundlagenfächer die Besprechung fachspezifischer Lerninhalte und die Rückmeldung an beteiligte Dozenten. Dieses Feedback seitens der Studierenden und Dozierenden ermöglicht eine kontinuierliche inhaltliche und strukturelle Anpassung des Ausbildungskonzepts. Neben diesen regulären Erhebungen werden in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgruppe Lehrevaluation des Prodekanats für Lehre bei Bedarf zusätzliche Evaluationsprojekte entwickelt und durchgeführt.

Die Lehrevaluation wird an der Medizinischen Fakultät in Hamburg zentral durch das Prodekanat für Lehre durchgeführt. Zum einen werden alle Pflichtveranstaltungen eines Semesters durch die Studierenden anhand eines fachübergreifenden Fragebogens summativ evaluiert. Zum anderen wird Medizin I im Rahmen von regelmäßigen Abschnittsbefragungen der Studierenden am Ende des vierten Fachsemesters bewertet. Neben diesen regulären Erhebungen werden in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgruppe Lehrevaluation des Prodekanats für Lehre bei Bedarf zusätzliche Evaluationsprojekte entwickelt und durchgeführt.

Computer-gestützte Datenerhebung

Da die Qualität der Ausbildung vor allem in den Printmedien noch immer in erster Linie an den Prüfungsergebnissen des IMPP und an der Dropout-Quote gemessen wird, wurde in Hamburg in Zusammenarbeit mit dem Institut für Medizinische Psychologie ein Computerprogramm erarbeitet, mit dem der individuelle Studienverlauf einzelner Studierender und einer ganzen Semesterkohorte nachvollzogen werden kann. Auf Basis dieser Informationen lassen sich neben individuellen Schwierigkeiten der Studierenden auch strukturelle Probleme einzelner Fächer oder Semester des Studienabschnitts Medizin I zeitnah erkennen und verändern.


Diskussion

"Ein Curriculum-Ausschuss muss die Autorität für die Planung und Umsetzung eines umfassenden Curriculums erhalten, welches über Fächerinteressen hinausgeht" [22] [3]. Diese zentrale Forderung zur Curriculumentwicklung ist in vielen Fakultäten noch nicht umgesetzt. Gleichzeitig soll nach Dahmer [8] das primäre Anliegen der Studienplanung die von den Fächern gemeinsam angestrebte Lösung von Patientenproblemen sein. Beide Forderungen wurden in Hamburg im Jahr 2003 für Medizin I durch die Einrichtung des Curriculumkomitees CK-I umgesetzt. Tyler stellte bereits 1949 fest, dass die meisten medizinischen Curricula keine definierten Ausbildungsziele haben [23]. Die medizinische Fakultät Hamburg definierte als zentrales Ausbildungsziel die "Allgemeine Arztreife". Diese Entscheidung basiert auf der Erkenntnis, dass angesichts des ständig anwachsenden medizinischen Detailwissens das Ausbildungsziel eines inhaltlich lückenlos gebildeten Mediziners nicht mehr haltbar ist [6]. Dieses Ausbildungsziel unterstützt Forderungen an die medizinische Hochschulausbildung, den Entwicklungen in der Medizin und der Gesellschaft besser gerecht zu werden [21].

Zur Umsetzung der neuen ÄAppO sind nach Eitel [10] zwei gegensätzliche Handlungsalternativen denkbar: Die Fakultät nimmt nur marginal Veränderungen vor oder versucht, die neue Approbationsordnung aktiv mit Leben zu füllen. An der Universität Marburg wurden zur effizienten Umgestaltung der Lehrorganisation zehn Thesen formuliert, die eine globale medizinische Sicht in das Zentrum der Überlegungen stellen [2]. Trotzdem finden sich im "Ersten Abschnitt der ärztlichen Ausbildung" bisher bundesweit nur wenige grundlegende Reformansätze.

Das Lernen in der Erwachsenenbildung wird weitgehend selbst geregelt und entzieht sich äußeren Einflüssen [11]. Neben einer zum Teil fortbestehenden sekundär geförderten Lernmotivation (z. B. Mini-Testate in Seminaren) wurde im gesamten Konzept für Medizin I in Hamburg vom ersten Semester an ein Schwerpunkt auf selbstorganisiertes und -verantwortliches Lernen der Studierenden gelegt. Dafür wurde die Präsenzpflicht der Studierenden deutlich reduziert und mit den "Integrierten Seminaren" die eigenständige Bearbeitung medizinischer Fälle eingeführt. Diese Art des Lernens vermittelt den Studierenden Kompetenzerlebnisse, die eine zentrale Motivation zum vertieften Weiterlernen sind [11]. Dies wurde ebenfalls für das problemorientierte Lernen gezeigt [1] [19] [24], das dem fallbasierten Lernen konzeptionell sehr ähnlich ist. Die Positionierung naturwissenschaftlicher und medizinischer Grundlagenfächer in einem medizinischen Kontext, wie in Hamburg eingeführt, ermöglicht den Studierenden, die Bedeutung der medizinischen Grundlagen zu erkennen und beeinflusst ihr Lernen positiv [18].

Bei der Neugestaltung eines Curriculums ist letztlich auch zu berücksichtigen, dass nicht alle Fächer des Medizinstudiums bei den Studierenden den gleichen Stellenwert besitzen [22]. Das so genannte "hidden curriculum" wird durch unterschiedliche Faktoren beeinflusst, die bei der Curriculumplanung zu berücksichtigen sind. Bei diesem Prozess kommt u. a. der Entwicklung und Auswahl von Prüfungsformen und Inhalten eine zentrale Bedeutung zu, da alle Prüfungsformen eine das Studium steuernde Wirkung (Sekundärmotivation) haben [13]. Daher wurden in Hamburg Probeklausuren und formative Prüfungen eingeführt.


Zusammenfassung

Die Reform eines medizinischen Studienganges ist ein komplexer Prozess, bei dem zentrale Grundsätze des "change management" wie formale Unabhängigkeit der Komitees und maximale Transparenz und Kommunikation für alle Mitglieder der Fakultät eine wesentliche Rolle spielen [9] [12]. Gleichzeitig müssen die wichtigsten Repräsentanten der Reform, der Dekan und der Prodekan für Lehre, Schlüsselfiguren sein und den Prozess nach innen und außen vertreten [3] [20]. Unter diesen vergleichsweise guten Voraussetzungen wurde in Hamburg eine neue Ausbildungsstruktur geschaffen, mit der Ziele, Planungen, Umsetzung und Evaluation des Studienabschnitts Medizin I umfassend reformiert werden konnten.


Danksagung

Wir danken den ehemaligen Prodekanen für Lehre Prof. Dr. R. A. K. Stahl und Prof. Dr. H. van den Bussche für ihre uneingeschränkte Unterstützung der Reform des Studienabschnitts Medizin I.


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