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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Praktische Prüfungen sind machbar

Practice-related examinations are feasible

Projekt Humanmedizin

  • corresponding author Markus Schrauth - Universitätsklinikum Tübingen, Med. Klinik, Abteilung Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Tübingen, Deutschland
  • author Reimer Riessen - Universitätsklinikum Tübingen, Med. Klinik, Abteilung Internistische Intensivmedizin, Tübingen, Deutschland
  • author Tobias Schmidt-Degenhard - Universität Tübingen, Mitglied der Studienkommission, Tübingen, Deutschland
  • author Hans-Peter Wirtz - Universität Tübingen, Lehrreferat der Medizinischen Fakultät, Tübingen, Deutschland
  • author Jana Jünger - Kompetenzzentrum für Prüfungen in der Medizin, Heidelberg, Deutschland
  • author Hans-Ulrich Häring - Universität Tübingen, Studiendekan der Medizinischen Fakultät, Tübingen, Deutschland
  • author Claus D. Claussen - Universität Tübingen, Dekan der Medizinischen Fakultät, Tübingen, Deutschland
  • author Stephan Zipfel - Universitätsklinikum Tübingen, Med. Klinik, Abteilung Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Tübingen, Deutschland

GMS Z Med Ausbild 2005;22(2):Doc20

Die elektronische Version dieses Artikels ist vollständig und ist verfügbar unter: http://www.egms.de/de/journals/zma/2005-22/zma000020.shtml

Eingereicht: 18. Februar 2005
Veröffentlicht: 20. April 2005

© 2005 Schrauth et al.
Dieser Artikel ist ein Open Access-Artikel und steht unter den Creative Commons Lizenzbedingungen (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.de). Er darf vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden, vorausgesetzt dass Autor und Quelle genannt werden.


Zusammenfassung

Die neue Approbationsordnung (ÄAppO) fordert, dass Medizinstudierende klinisch-praktisch geprüft werden. Probleme der Fakultäten hierbei sind mangelnde Erfahrung der Lehrverantwortlichen, Prüfer und Studierenden mit den nötigen Prüfungsformen sowie logistische und finanzielle Belastungen der Fakultäten. Wie die Einführung geeigneter Prüfungen kurzfristig gelingen kann und welche positiven Effekte erreicht werden können, zeigt das Beispiel der Medizinischen Fakultät Tübingen.

Schlüsselwörter: Approbationsordnung, Fakultätsentwicklung, Objective Structured Clinical Examination, Prüfungen, Standardisierte Patienten

Abstract

The 9th Revision of the German Federal Medical Training Regulations demands a practice-related assessment of medical students. On the way to these new regulations German faculties face as well problems related to a lack of experience of lecturers, tutors, examiners, and students with the required examination procedures as strains of a financial and logistic kind. How to succeed in introducing suitable examinations at short notice and which positive effects can be achieved is shown by the Faculty of Medicine of the university of Tübingen.

Keywords: federal medical training regulations, faculty development, examination, standardized patients, objektive structured clinical examination


Einleitung

Die Medizinischen Fakultäten der deutschen Hochschulen sind durch die Umsetzung der neuen Approbationsordnung für Ärzte [1] in vielfältiger Weise gefordert: Neben der Erarbeitung neuer Curricula und Studienordnungen sowie Umbau des klinischen Unterrichtes sind neue, praxisorientierte Formen der Leistungskontrolle einzuführen. Wo bisher meist Klausuren oder personell und zeitlich sehr aufwändige mündliche Prüfungen zur Überprüfung des Lernerfolges dienten, müssen von nun an neue, in Deutschland bisher wenig etablierte Verfahren wie z.B. das „Objective Structured Clinical Examination" (OSCE) eingesetzt werden. Besondere Probleme hierbei sind mangelnde Erfahrung der Lehrverantwortlichen, Prüfer und Studierenden mit den neuen Prüfungsformen sowie logistische und finanzielle Belastungen der Fakultäten.

In Tübingen ist nach Änderung der Studienordnung die praktische Überprüfung von Anamnese/Gesprächsführung und körperlicher Untersuchung nach Abschluss des zweiten klinischen Semesters vorgesehen; Fertigkeiten und Kenntnisse zu speziellerer Diagnostik und Therapie sollen nach dem fünften klinischen Semester geprüft werden [9]. Für beide Prüfungen entschied sich die Tübinger Fakultät für die mittlerweile gut evaluierte [4] aber aufwändige Prüfungsform des „Objektive Structured Clinical Examination" (OSCE).

Das erstmals 1979 von Harden und Gleeson [4] beschriebene „Objective Structured Clinical Examination" oder kurz „OSCE" besteht aus einer Reihe von Prüfungsstationen, die jeder Prüfling ähnlich einem Zirkeltraining nacheinander absolviert. An den einzelnen Stationen wird je eine klinisch-praktische Aufgabe mit Zeitvorgabe (meist 5 bis 6 Minuten) gestellt. Die Aufgabenstellungen reichen von strukturierter Anamneseerhebung (z.B. Leitsymptom Kopfschmerz) über Sequenzen der körperlichen Untersuchung (z.B. Untersuchung des oberen Sprunggelenkes) bis zur Röntgenbildbefundung. Auch PC-gestützte Stationen wie die Beurteilung eines eingespielten Herzgeräusches finden Verwendung. Gespräch und Untersuchung werden in einem OSCE wegen der raschen Frequenz und der Anzahl der nacheinander geprüften Studenten nicht an realen, sondern an Simulationspatienten (SP) geprüft [2]. An jeder Station befindet sich ein Prüfer, der die Prüfungsleistung jedes Prüflings in standardisierter Weise mittels einer Checkliste erfasst, in welcher die Beurteilungskriterien und der Erwartungshorizont festgelegt sind. Die Prüfungsmethodik des OSCE ist mittlerweile umfangreich evaluiert worden und in vielen, v.a. angloamerikanischen Ländern etabliert [5] .


Projektbeschreibung

Da praktische Prüfungen in Tübingen zuvor nicht durchgeführt wurden, waren zu Beginn des Implementierungsprozesses nur vereinzelte Dozenten (z.B. durch Schulungsangebote des Kompetenzzentrums für Hochschuldidaktik in der Medizin, Tübingen) mit der Prüfungsform OSCE vertraut und es bestanden keine diesbezüglichen Organisationsstrukturen. Zur Vorbereitung und Durchführung des ersten OSCE wurde deshalb eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die neben der Moderation des Implementierungsprozesses die Prüfungsplanung und -leitung übernahm. Für die zentrale Prüfungsorganisation wurde ein Assistenzarzt über einen Zeitraum von drei Monaten zu 50% freigestellt. Wichtige Teilschritte der Implementierung waren die Schulung der Lehrbeauftragten, die Entwicklung des Prüfungsformates, das Verfassen der Prüfungsstationen, die Rekrutierung und Ausbildung von Schauspieler-Patienten und schließlich die Durchführung des ersten OSCE. Die komplexe Organisationsstruktur der OSCE-Vorbereitung und Durchführung verdeutlicht (Abbildung 1 [Abb. 1]).

Schulung der Lehrverantwortlichen und Entwicklung des Prüfungsformates

Die Lehrbeauftragten der einzelnen Fächer arbeiteten sich in zwei fakultätsinternen Workshops mit fachlicher Begleitung durch das Kompetenzzentrum Prüfungen in der Medizin (KomPMed), Heidelberg, in die Methodik der OSCE-Prüfung ein.

Der erste Workshop diente besonders der Verdeutlichung der komplexen Arbeitsschritte auf dem Weg zu einem OSCE-Prüfungsparcours und organisatorischen Vereinbarungen, unter anderem über die Erstellung von fachbezogenen Lernzielkatalogen.

Ein entscheidender Schritt im Rahmen des zweiten Workshops war die Formulierung des sogenannten „Blueprints". Hierbei wurden in gemeinsamer Arbeit aller beteiligten Fächer die Prüfungsthemen so zusammengestellt, dass alle erforderlichen Prüfungsbereiche in der gewünschten Größenordnung vertreten waren.

Diese Zusammenarbeit ermöglichte einen intensiven Dialog zwischen den Fachvertretern über Synergismen, Überschneidungen und Schwerpunktsetzungen in den Lehrinhalten, die neben neuen Prüfungskombinationen [7] auch in den zu formulierenden Lernzielkatalogen ihren Niederschlag fanden.

Die Studierenden wurden im Rahmen einer Informationsveranstaltung mit dem Prüfungsprocedere vertraut gemacht und von den Lehrverantwortlichen der beteiligten Fächer noch einmal bezüglich des Prüfungsumfanges informiert. Zur strukturierten Prüfungsvorbereitung wurde den Studierenden weiterhin ein Referenz-Lehrbuch empfohlen.

Erstellung der Prüfungsstationen

Die daran anschließende Entwicklung der eigentlichen Prüfungsaufgaben lag in der Hand der Lehrbeauftragten der beteiligten Fächer, wurde jedoch durch fachinterne Diskussion und einen formalen, prüfungstechnischen und inhaltlichen Reviewprozess durch die zentrale Arbeitsgruppe begleitet. Unter Verwendung verbindlicher Formate wurde ein Pool an Prüfungsstationen konzipiert, in denen häufige und typische Krankheitsbilder bzw. Befunde der jeweiligen Fächer als Matrix für die Überprüfung der kommunikativen und ärztlich-praktischen Fähigkeiten der Studierenden dienen sollten.

Ausbildung von Schauspieler-Patienten

Mit den Rollenvorgaben dieser Prüfungsstationen im Hintergrund wurden im Rahmen eines von der Tübinger Medizinischen Fakultät geförderten Projektes 34 Laienschauspieler ausgewählt und zu Simulationspatienten ausgebildet. Dabei kamen nahezu geschlechtsparitätisch Frauen und Männer zwischen 19 und 76 Jahren unterschiedlicher Berufsgruppen zum Einsatz.

Durchführung des ersten OSCE

Nach dem Aufbau des Parcours und einer für alle Prüfer und Schauspieler verbindlichen Generalprobe wurde die eigentliche Prüfung an zwei aufeinanderfolgenden Tagen in vier Blöcken à zwei Durchläufen durchgeführt. In einer Gesamtprüfungszeit von etwa 10 Stunden wurden 144 Studierende größtenteils des sechsten Fachsemesters geprüft.


Ergebnisse

Die Studierenden erreichten durchschnittlich 19,2 von 25 möglichen Punkten je Station. Die Prüfungsergebnisse waren annähernd normalverteilt. Die vier Blöcke mit unterschiedlichen Prüfungsstationen unterschieden sich in der Durchschnittspunktzahl minimal (Range: 19,1-19,6), so dass von einem gleichbleibenden Schwierigkeitsgrad der vier Parcours ausgegangen werden kann.

Die direkt anschließende schriftliche Evaluation enthielt durchweg positive Kommentare zu Organisation und Ablauf des OSCE. Die einzelnen Prüfungsstationen wurden in ihrem formalen Aufbau mit der Durchschnittsnote 2,0 und in ihrem Inhalt mit der Note 2,1 bewertet. Die Schauspieler-Patienten bekamen die Durchschnittsnote 1,7. Kritisiert wurde von den Studierenden vor allem eine Diskrepanz zwischen den Lehr-/Lernzielkatalogen und dem real durchgeführten Unterricht einzelner Fächer; weiterhin wurde mehr Transparenz in der Bewertung der OSCE-Leistungen gewünscht.

Die Schauspieler-Patienten vergaben für das spezielle Training vor ihrer Tätigkeit die Schulnote 1,6 und für die Betreuung während der Einsätze die Note 1,5. Das Verhalten der Prüflinge erlebten die SP weitgehend als angemessen und rücksichtsvoll [8].

Neben Materialkosten und Schauspieler-Honoraren, die sich je Prüfling auf ca. 44 € belaufen, waren beachtliche Arbeitsleistungen für Organisation, Entwicklung der Stationen und das Prüfen an den Stationen vonnöten, die von (meist ärztlichen) Mitarbeitern im Rahmen ihrer Dienstaufgaben erbracht wurden (siehe Tabelle 1 [Tab. 1]).


Diskussion

Trotz des eng gesteckten Zeitplanes und des hohen Arbeitsaufwandes bei der Implementierung erzielte der erste Tübinger OSCE eine hohe Akzeptanz bei allen Beteiligten. Darüber hinaus deuten die Prüfungsergebnisse auf gleichbleibende Qualität der vier Prüfungsblöcke hin.

Besonders wichtig erscheint vor dem Hintergrund, dass deutsche Medizinstudierende ihre Ausbildung in ärztlich-praktischen Fertigkeiten, im Umgang mit Patienten und psychosozialer Kompetenz bisher als größtes Defizit im Medizinstudium erleben [6], die Beeinflussung des studentischen Lernverhaltens. Ein Kommentar: „Endlich machte es einmal Sinn, gemeinsam zu lernen und miteinander die Untersuchungstechniken zu üben!"

Die Kosten der OSCE-Implementierung sind beträchtlich, liegen jedoch im internationalen Vergleich eher im unteren Bereich [3] und können in Zukunft durch etablierte Strukturen gesenkt werden.


Schlussfolgerung

Das Beispiel der Medizinischen Fakultät Tübingen zeigt, dass die Implementierung einer klinisch-praktischen (OSCE-)Prüfung beträchtliche personelle und finanzielle Ressourcen erfordert, jedoch eine sehr gute Akzeptanz bei allen Beteiligten erreicht. Besonders wichtige „Nebenwirkungen" sind die Förderung des Dialoges über Fragen der medizinischen Ausbildung innerhalb der Fakultät und die Steigerung praxisbezogenen Lernverhaltens der Studierenden.


Literatur

1.
Approbationsordnung für Ärzte vom 27. Juni 2002. Bundesgesetzblatt. 2002;1(44).
2.
Barrows HS. An overview of the uses of standardized patients for teaching and evaluating clinical skills. Acad Med. 1993;68(6):443-51.
3.
Cusimano MD, Cohen R, Tucker W, Murnaghan J, Kodama R, Reznick R. A comparative analysis of the costs of administration of an OSCE (objective structured clinical examination). Acad Med. 1994;69(7):571-576
4.
Harden RM, Gleeson FA. Assessment of clinical competence using an objective structured clinical examination (OSCE). Med Educ. 1979;13(1):41-54.
5.
Hodges B. OSCE! Variations on a theme by Harden. Med Educ. 2003;37(12):1134-1140.
6.
Jungbauer J, Kamenik C, Alfermann D, Brahler E. Wie bewerten angehende Ärzte rückblickend ihr Medizinstudium? Ergebnisse einer Absolventenbefragung. Gesundheitswesen. 2004;66(1):51-56.
7.
Möhrle M, Jürgens S, Zipfel S, Schrauth M. Moderne Prüfung mit historischen Mitteln: Objective Structured Clinical Examination (OSCE) an Moulagen. Hautarzt. 2005;in press.
8.
Schrauth M, Schmulius N, Martens U, Riessen R, Zipfel S. Belastungen durch eine Tätigkeit als Simulationspatient (SP) in einer medizinischen Prüfung. DKPM Dresden. Psychother Psych Med. 2005;55(2):91-164.
9.
Studienordnung für den Studiengang Humanmedizin an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen. Amtl Bekanntm Univ Tübingen. 2003;29(20).