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GMS Hygiene and Infection Control

Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH)

ISSN 2196-5226

Indikationen zur Wundantiseptik

Indications for wound antisepsis

Übersichtsarbeit

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  • corresponding author Nils-Olaf Hübner - Institut für Hygiene und Umweltmedizin der Ernst-Moritz-Arndt-Universität, Greifswald, Deutschland
  • Ojan Assadian - Klinisches Institut für Hygiene und Medizinische Mikrobiologie, Medizinische Universität, Wien, Österreich
  • author Axel Kramer - Institut für Hygiene und Umweltmedizin der Ernst-Moritz-Arndt-Universität, Greifswald, Deutschland

GMS Krankenhaushyg Interdiszip 2007;2(2):Doc60

Die elektronische Version dieses Artikels ist vollständig und ist verfügbar unter: http://www.egms.de/de/journals/dgkh/2007-2/dgkh000093.shtml

Veröffentlicht: 28. Dezember 2007

© 2007 Hübner et al.
Dieser Artikel ist ein Open Access-Artikel und steht unter den Creative Commons Lizenzbedingungen (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.de). Er darf vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden, vorausgesetzt dass Autor und Quelle genannt werden.


Zusammenfassung

Die richtige Entscheidung der Frage, ob, wann, wie und womit die Wunde antiseptisch behandelt wird, ist für den optimalen Behandlungserfolg entscheidend. Im Spannungsfeld zwischen Toxizität des Antiseptikums und Schädigung der Wunde durch die Infektion muss der Therapeut seine Entscheidung treffen. Der Artikel zeigt die dabei zu beachtenden Faktoren auf und gibt an praxisnahen Beispielen Empfehlungen für die Praxis.

Schlüsselwörter: Antiseptik, Indikationen, Wundbehandlung, Infektion

Abstract

Only an indicated and perfectly timed antiseptic treatment with the proper substance ensures optimum wound healing. Chosing the best treatment means to decide between the toxicity of the antiseptic and the damage done by the infection. The article shows the important factors for making the right decision and gives recommendation on indications and substances by examples with a practical orientation.

Keywords: antiseptic, indication, antiseptic substances, wound treatment, wound infection


Einleitung

Die richtige Entscheidung der Frage, ob, wann, wie und womit die Wunde antiseptisch behandelt wird, ist für den optimalen Behandlungserfolg entscheidend. Aus der klinischen Erfahrung und aus Studien an experimentell infizierten Wunden ist bekannt, dass Wundinfektionen behandelt werden müssen, da es sonst nicht zur Heilung kommt [1]. Auf der anderen Seite kann ein mikrobiozider Wirkstoff nicht ohne Wirkung auf sich regenerierendes Wundgewebe sein. Wirkstoffabhängig unterscheidet sich allerdings die therapeutische Breite abhängig vom Wirkungsmechanismus, der Penetration in die Wunde, der Eiweißbindung sowie gegebenenfalls der Sekundärwirkung auf Proliferationsprozesse deutlich. In diesem Spannungsfeld zwischen Toxizität des Antiseptikums und Schädigung der Wunde durch die Infektion muss der Therapeut seine Entscheidung treffen.

Bakterielle Endo- und Exotoxine stören schon in geringer Menge die Wundheilung. Als Virulenzfaktoren begünstigen sie die bakterielle Invasion, behindern die körpereigene Abwehr und Regeneration und führen zu lokaler Nekrose. Die Absorption von Endotoxinen oder ihre Bindung ist deshalb Adjuvanz jeder Antiseptik. Für Staphylococcus aureus als häufigstem Erreger von Wundinfektionen sind die wichtigsten Exotoxine und ihre Wirkung beispielhaft wiedergegeben (Tabelle 1 [Tab. 1]). Hinzu kommen bei der Bacteriolyse freigesetzte Endotoxine sowie Toxine aus nekrotischen humanen Zellen.

All diese Faktoren führen zu einer verminderten Abwehr, verstärkten Entzündungsreaktion und verzögerten Heilung. Aus mikrobiologischer Sicht muss allerdings darauf hingewiesen werden, dass nicht alle Staphylococcus aureus Stämme in gleicher Stärke oder überhaupt die genannten Exotoxine freisetzen [2]. Die Virulenz ist somit stammabhängig, was die klinische Beobachtung erklärt, dass gelegentlich mit S. aureus kolonisierte Wunden dennoch gute Heilungstendenzen zeigen. Die Bestimmung der Virulenzfaktoren ist in der Praxis jedoch schwieriger als die Durchführung einer – dann prophylaktischen – Wundantiseptik.


Indikationsstellung zur Antiseptik

Für die Indikation zur Antiseptik müssen Stadium, Schwere, Lokalisation und der Grad der Kontamination/Infektion der Wunde bewertet werden. Des Weiteren spielt die Frage nach den Folgen einer möglichen Infektion eine entscheidende Rolle. Umso verschmutzter, komplizierter und infektionsgefährdeter eine Wunde ist, umso größer ist die Rolle der Antiseptik. Während bei einer oberflächlichen, kontaminierten Wunde die Dekontamination und die Wundauflage im Vordergrund stehen und die Antiseptik gegebenenfalls nur präventiv durchgeführt wird, ist bei kritischer Kolonisation oder Infektion die Antiseptik ein entscheidender Teil der Therapie. Um diese Überlegungen auszuführen, sind Beispiele für Diagnosen/Situationen und die sich daraus ergebende notwendige Indikation zur Wundantiseptik in Tabelle 2 [Tab. 2] zusammengefasst.

In Tabelle 3 [Tab. 3] sind Indikationen zur Antiseptik zusammengefasst, die vor allem aus präventiven Überlegungen sinnvoll erscheinen, deren Evidenz aber nicht Indikationen in Tabelle 2 [Tab. 2] erreicht.

Keine Indikation besteht nach allgemeiner Auffassung bei sauber begrenzten Bagatellverletzungen oder heilenden Gelegenheitswunden, hier ist erforderlichenfalls eine Reinigung ausreichend. Ebenso ist die Indikation bei Kolonisation unkritischer Wunden ohne klinische Zeichen einer Infektion zurückhaltend zu stellen. Auch abgetrocknete Op-Wunden, einheilende Mesh-graft-Transplantate (außer bei Verbrennung) bzw. frische Hauttransplantate, der Entnahmebereich für das Mesh-graft sowie kurz dauernde Eingriffe mit geringem Kontaminationsrisiko und aseptischen Wundverhältnissen stellen keine Indikation zur Antiseptik dar, da die zu erwartende Störung der Heilung durch das Antiseptikum den fraglichen Nutzen nicht aufwiegt.

Chronische Wunden sind häufig Ausdruck einer oder mehrerer Grundkrankheiten, die die Abheilung verhindern. Eine erfolgreiche Therapie muss daher immer einen interdisziplinären Ansatz verfolgen, in der die lokale Therapie der Wunde und die Therapie der Grundkrankheit eng ineinander greifen. Am Beispiel des Ulcus cruris bedeutet das für die lokale Therapie vor allem die Durchbrechung des Circulus vitiosus aus Nekrose – Kolonisation – Infektion und Fehlperfusion. Hier stehen die chirurgische Entfernung der Nekrosen und die Bekämpfung der Kolonisation/Infektion durch eine stadiengerechte Antiseptik in Verbindungen mit geeigneten Wundauflagen im Mittelpunkt.

Aufgrund der nach wie vor fehlenden klinischen repräsentativen Studien zur Wundantiseptik, die den bekannten Anforderungen an eine Studie zur Schaffung eines hohen Evidenzgrades genügen, können endgültige Aussagen zur Indikation der Antiseptik und insbesondere zur Auswahl der verschiedenen Wirkstoffe nicht getroffen, sondern im wesentlichen nur aus in vitro- und tierexperimentellen Studien sowie Einzelfallberichten und klinischen Beobachtungen abgeleitet werden.

Leitsatz kann hierbei sein, nicht in die Wunde zu geben, was auch für das Auge unverträglich ist. So kann z. B. Polihexanid kurzfristig auf akuten Wunden und am intakten Auge in einer Konzentration von 0,02%-0,04% eingesetzt werden, bei längerfristigem Einsatz insbesondere bei chronischen Wunden und am geschädigten Auge sollte jedoch eine Konzentration von 0,01% gewählt werden.

Gegenwärtig stehen uns mit Polihexanid und Octenidin, und bedingt auch mit PVP-Iod, gut verträgliche und breit wirksame antiseptische Substanzen zur Verfügung (Tabelle 4 [Tab. 4]). Die im Vergleich dazu wesentlich schwächere antiseptische Wirkung, die allerdings auch bei Belastung mit Blut erhalten bleibt, und der verzögerte Wirkungseintritt von Taurolidin beschränken seinen Einsatz auf die Spülung von Körperhöhlen (z.B. Peritonealspülung) – hierfür ist es auf Grund der nicht relevanten Zytotoxizität als Mittel der Wahl einzustufen.

Auf Grund der Vorteile von Polihexanid und Octenidin haben die in Tabelle 5 [Tab. 5] zusammengefassten antiseptischen Wirkstoffe ihre Bedeutung zur Wundantiseptik verloren bzw. die Anwendung muss sogar als obsolet angesehen werden. Lediglich Silberverbindungen werden noch in Wundauflagen angewandt. Bei ihrer Auswahl sind Wundauflagen zu bevorzugen, die kein Silber in die Wundumgebung abgeben, um die Wundheilung nicht negativ zu beeinflussen. Allerdings hat auch hier Polihexanid als Wirkstoff Einzug gehalten, was mit dem entscheidenden Vorteil einer wundheilungsfördernden Wirkung bei gleichzeitiger antiseptischer Effektivität verbunden ist [3].

Zukünftig könnte Octenidin 0,01% eine schneller wirksame Alternative darstellen. Letztlich bleibt festzustellen, dass nicht das wirksamste Antiseptikum am geeignetsten ist, sondern das geeignetste Antiseptikum am wirksamsten.


Literatur

1.
Assadian O, Daeschlein G, Kramer A. Die Bedeutung der infizierten Problemwunde für den Hygieniker und Mikrobiologen sowie ökonomische Aspekte der chronischen Wunde. GMS Krankenhaushyg Interdiszip. 2006;1(1):Doc30. Online verfügbar unter: http://www.egms.de/en/journals/dgkh/2006-1/dgkh000030.shtml Externer Link
2.
Hahn H, Falke D, Kaufmann SHE, Ullmann U. Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie. 5. Aufl. Berlin: Springer; 2004.
3.
Mulder GD, Cavorsi JP, Lee DK. Feature: Polyhexamethylene Biguanide (PHMB): An addendum to current topical antimicrobials. Wounds. 2007;19(7):173-82.