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GMS Hygiene and Infection Control

Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH)

ISSN 2196-5226

Die Bedeutung der infizierten Problemwunde für den Hygieniker und Mikrobiologen sowie ökonomische Aspekte der chronischen Wunde

The importance of infected problem wounds for the hygienist and microbiologist and economic aspects of chronic wounds

Übersichtsarbeit

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  • corresponding author Ojan Assadian - Allgemeines Krankenhaus der Stadt Wien - Universitätskliniken, Klinisches Institut für Hygiene und Medizinische Mikrobiologie, Medizinische Universität Wien, Wien, Österreich
  • author Georg Daeschlein - Institut für Hygiene und Umweltmedizin, Ernst-Moritz-Arndt-Universität, Greifswald, Deutschland
  • author Axel Kramer - Institut für Hygiene und Umweltmedizin, Ernst-Moritz-Arndt-Universität, Greifswald, Deutschland

GMS Krankenhaushyg Interdiszip 2006;1(1):Doc30

The electronic version of this article is the complete one and can be found online at: http://www.egms.de/en/journals/dgkh/2006-1/dgkh000030.shtml

Published: August 30, 2006

© 2006 Assadian et al.
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Zusammenfassung

Die Hauptaufgabe der Krankenhaushygiene besteht in der Bekämpfung von nosokomialen Infektionen. Die Hauptursachen für diese Infektionen liegen einerseits in der mehr oder weniger ausgeprägten Abwehrschwäche der Patienten, andererseits im Vorkommen von Infektionserregern im Krankenhaus und ihren Übertragungsmöglichkeiten. In Mitteleuropa beträgt die Inzidenz nosokomialer Infektionen rund 5%-10% aller Krankenhausaufenthalte. Die Folgen sind verlängerte Hospitalisierung, vermehrtes Leiden der Patienten, unbeherrschbare Infektionen sowie ein immenser Kostenaufwand für das Gesundheitssystem. Zusätzlich muss mit einer weiteren deutlichen Zunahme von Antibiotika-Resistenzen gerechnet werden, die vornehmlich in den entwickelten Ländern bereits zum Auftreten unterschiedlicher multiresistenter Krankheitserreger mit erheblichen infektionsepidemiologische Konsequenzen geführt haben.

Chronische Wunden sind ein ideales Reservoir für die Aufnahme und Weiterverbreitung von Problemerregern. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis chronische Wunden mit pathogenen Mikroorganismen besiedelt, dadurch in ihrem Heilungsprozess gestört und zugleich zur Quelle für die Übertragung auf andere Wunden werden. In diesem Sinne ist es ein wichtiges Anliegen der Hygiene, solche mikrobielle "Biotope" rechtzeitig zu erkennen, die Übertragung von Problemerregern zu verhindern und durch Ausheilung der Wunde die Quelle zu eliminieren. In diesem Beitrag sollen die wesentlichen Aspekte der Prävention, mikrobiologischen Diagnostik sowie der Therapie- und Prophylaxemöglichkeiten infizierter Problemwunden behandelt und die ökonomische Bedeutung chronischer Wunden für das Gesundheitssystem analysiert werden.

Schlüsselwörter: Diagnostik, Infektion/Kolonisation, Wundantiseptik, Kostenanalyse, Ulcus cruris, Ulcus decubitus

Abstract

The main task of hospital hygiene is to fight nosocomial infections. The chief causes for these infections are on the one hand the patients' weakened immune response, and on the other hand the occurrence of infectious agents in the hospital and their means of contagion. In central Europe, the incidence of nosocomial infections is ca. 5%-10% of all hospital stays. The consequences are extended hospitalization, increased suffering of the patient, uncontrollable infections, and an enormous financial burden for the healthcare system. In addition, another marked increase in resistance to antibiotics must be reckoned with, which in developed countries has already led to the appearance of multiresistant pathogens with considerable epidemiological consequences.

Chronic wounds are an ideal reservoir for the catchment and further spread of problem pathogens. It is only a matter of time before chronic wounds are colonized with pathogenic microorganisms, and are thus not only impaired in their healing process, but also act as a source of contagion for other wounds. In this sense, it is an important matter for hygiene to recognize such microbial "biotopes" early on, prevent the transmission of problem pathogens, and, by healing the wound, to eliminate the source. The purpose of this paper is to present essential aspects of prevention, microbiological diagnostics, and the treatment and prophylactic options for infected chronic wounds, and to analyze the economic impact of chronic wounds on the healthcare system.


Einleitung

Die infizierte Wunde ist eine komplexe Wunde. Das Management kann sich daher nicht nur auf infektiologische Aspekte wie mikrobiologische Diagnostik und antiinfektive Therapie beschränken, sondern muss eine Vielzahl weiterer Faktoren einbeziehen. Die wesentlichsten Faktoren, die zu unbefriedigenden Ergebnissen bei der Behandlung chronischer Wunden führen, haben weniger mit Hygiene und Mikrobiologie zu tun, sondern liegen vielmehr in mangelnder Anamnese und Ursachenforschung der Wundgenese [2]. Ohne Behebung oder Verbesserung von ursächlichen Faktoren einer Wundheilungsstörung ist keine suffiziente Wundheilung zu erwarten. Werden entgleiste Stoffwechselsituationen, Mangelernährung und vor allem bestehende arterielle oder venöse Probleme nicht erkannt und beseitigt, wird eine Wunde nicht heilen [24]. Dabei ist es dann unwesentlich, welches Antiinfektivum oder Verbandmaterial angewendet wird.

Aus mikrobiologischer Sicht besteht die primäre Funktion der gesunden intakten Haut darin, das darunter gelegene Gewebe vor Kolonisation und daraus u. U. resultierender Infektion durch Krankheitserreger zu schützen. Freilegung des subkutanen Gewebes durch Verlust der Hautintegrität in einer Wunde bietet Mikroorganismen eine feuchte, warme und nährstoffreiche Umgebung, die sie gut besiedeln können und in der sie sich rasch vermehren [20]. Dabei kann eine Wunde durch Mikroorganismen des Betroffenen selbst (endogen) oder von außerhalb (exogen) besiedelt werden. Endogene Erreger stammen zunächst von der die Wunde umgebenden Haut, aber unter Umständen auch von anderen mikrobiell besiedelten Biotopen wie Darm- oder Respirationstrakt. Exogene Erreger können von anderen Patienten oder der Umgebung stammen und sekundär ihren Weg in die Wunde gefunden haben.

Indirekt ist die nicht suffiziente Behandlung chronischer Wunden damit auch ein Problem des Hygienikers. Denn es ist nur eine Frage der Zeit, bis chronische Wunden mit Krankheitserregern besiedelt und dadurch zur Quelle für die Übertragung auf andere Wunden werden. Chronische Wunden sind damit ein ideales Reservoir für die Aufnahme und Verbreitung von Problemerregern [26]. In diesem Sinne ist es ein wichtiges Anliegen der Hygiene, solche mikrobielle "Biotope" rechtzeitig zu erkennen, eine von hier ausgehende Übertragung von Problemerregern zu verhindern und durch Ausheilung der Wunde die Quelle zu eliminieren. In diesem Beitrag sollen die wesentlichen Aspekte der Prävention, mikrobiologischen Diagnostik sowie der Therapie- und Prophylaxemöglichkeiten infizierter Problemwunden behandelt und die ökonomische Bedeutung chronischer Wunden für das Gesundheitssystem analysiert werden.


Prävention

Solange eine chronische Wunde besteht, ist neben korrekter Diagnostik und Therapie die Einhaltung und richtige Durchführung von Hygienemaßnahmen essentiell. Ein wesentlicher Faktor in diesem Zusammenhang ist die Asepsis, also die Vermeidung des Ein- oder Aufbringens von Mikroorganismen in oder aus einer Wunde. Die von vornherein höchstmögliche kontaminationsfreie Arbeitsweise ist die naheliegendste und wirkungsvollste Möglichkeit, Patienten vor möglichen Infektionen zu schützen. Die Asepsis ist allerdings nicht der einfachste Weg [10], denn sie erfordert einen gewissen Zeit- und Materialaufwand, Können und Selbstdisziplin.


Diagnostik und mikrobiologische Befundinterpretation

Der Auswirkung eines bestimmten Erregers auf den Wundheilungsverlauf und seine Rolle in der Entstehung einer Wundinfektion wurden zum Teil intensiv untersucht [3], [5], [9], [22] und - obwohl fast alle Wunden polymikrobiell kolonisiert bzw. infiziert sind - wurden am häufigsten Staphylococcus aureus, Pseudomonas aeruginosa, Escherichia coli und beta-hämolysierende Streptokokken als Ursache von Wundinfektionen angeführt [11]. Aufgrund seiner vielfältigen Virulenzfaktoren ist S. aureus der problematischste Erreger in akut traumatischen, chirurgischen, chronischen und Verbrennungswunden. Dennoch weiß man aus klinischer Beobachtung und Erfahrung, dass mit S. aureus besiedelte Wunden nicht in allen Fällen auch eine Infektion entwickeln. Eine strikte Korrelation zwischen diesem pathogenen Erreger und einer Wundinfektion fehlt [1].

Das Voranschreiten einer kolonisierten Wunde zu einer infizierten Wunde kann daher nicht allein durch die Präsenz eines bestimmten Erregers oder eines spezifischen patho-physiologischen Zustandes vorhergesagt werden, da eine Vielzahl an unterschiedlichen Faktoren gleichzeitig die Wundpathogenese beeinflusst. Mikrobiologische Faktoren wie die Erregerdichte [4], die Art und Virulenz der Erreger, die Interaktion zwischen Erreger und wirtsspezifischen Faktoren, die Effektivität der Immunantwort, aber auch die Kondition und der Zustand des Gewebes sind kritische Größen und müssen kollektiv als prädisponierende Faktoren einer Infektion bewertet werden.

Zu Recht bestehen kontroverse Meinungen zur Wertigkeit einer mikrobiologischen Diagnostik im Rahmen einer Wundinfektion und Routineuntersuchung bei blanden Wunden [7]. Die mikrobiologische Untersuchung einer Wunde erbringt lediglich dann interpretierbare Befunde, wenn eine klinische Infektion vorliegt oder, im Falle von Wunden ohne deutliche Zeichen einer Infektion, wenn eine Stagnation oder gar Verschlechterung des Zustands vorliegt. In solchen Fällen ist eine mikrobiologische Untersuchung sinnvoll und kann, korrekt durchgeführt, zu therapeutischen Konsequenzen führen.

Grundbedingung eines sinnvollen mikrobiologischen Befunds sind neben der gegebenen Indikation die kontaminationsfreie Abnahmetechnik, die Verwendung geeigneter Instrumente und Materialien, der richtige Zeitpunkt der Abnahme, der rasche Versand der Probe und die ausführliche Angabe des klinischen Zustands des Patienten sowie weitere diagnostisch relevante Informationen wie Abnahmestelle, klinischer Verdacht, relevante Grunderkrankungen, bisherige antibiotische Therapie sowie Art der Wunde. Nur so ist es dem befundenen Arzt möglich, einen qualitativ guten und problemgezielten Befund zu erstellen, der interpretierbar ist und unter Umständen für den Therapieerfolg mitbestimmend sein kann. Die Beurteilung der Relevanz eines nachgewiesenen Erregers auf oder in einer Wunde ist demnach nur in Zusammenschau sämtlicher Aspekte (genaue Anamnese, soziales Umfeld des Patienten, bisherige Therapie, Art und Methodik der Probenabnahme, Probenverarbeitung und Diagnostik) sinnvoll möglich.


Antiinfektive Prophylaxe und Therapie

Im Verlauf einer Wundbehandlung kann zu jedem Zeitpunkt eine Wundinfektion als ernste Komplikation auftreten, die den bisherigen Heilungsverlauf deutlich zurückwirft und unter Umständen zu lebensbedrohlichen Situationen führt.

Im Rahmen der Wundbehandlung kommen zum Teil sehr unterschiedliche antiinfektive Wirkstoffe bzw. Produkte zur Anwendung. Bedingt durch den Mangel an aussagekräftigen klinischen Studien besteht allerdings ein Defizit in der evidenz-basierten Empfehlung bezüglich Indikation und Art der einzusetzenden Substanzen. Dabei gilt zu berücksichtigen, dass es bei der Auswahl eines Antiinfektivums kein universell geeignetes Mittel gibt. Die Auswahl des Mittels muss in Abhängigkeit von der gestellten Indikation, dem erwarteten Erregerspektrum, der lokalen und gegebenenfalls auch systemischen Verträglichkeit, der realisierbaren Einwirkungszeit sowie der Galenik des zu verwendenden Präparats erfolgen.

Grundsätzlich kann zunächst zwischen einer antibiotischen und einer antiseptischen Anwendung unterschieden werden. Dabei ist die Abwägung zwischen beiden entscheidend. So bedarf beispielsweise eine lokale Wundinfektion mit systemischer Streuung einer systemischen antibiotischen Therapie ggf. in Kombination mit antiseptischer Behandlung. Eine lokale Wundinfektion ohne systemische Beteiligung erfordert in den meisten Fällen eine lokale antiseptische Therapie. Der Einsatz lokaler Antibiotika ist hierfür aus heutiger Sicht als obsolet anzusehen [16].

Der Begriff der Antiseptik muss jedoch weiter gefasst werden. Unter "Antiseptik" werden alle antimikrobiellen Maßnahmen am lebenden Gewebe verstanden, die aus prophylaktischer Indikation eine unerwünschte Kolonisation oder Infektion vorbeugen bzw. aus therapeutischer Sicht diese behandeln sollen. Durch die Antiseptik wird die Anzahl der Mikroorganismen durch Abtötung und/oder Inaktivierung vermindert bzw. deren Vermehrung möglichst lang anhaltend gehemmt. Innerhalb des Begriffes "Antiseptik" sind somit prinzipiell zwei unterschiedliche Indikationen zu differenzieren: die prophylaktische Antiseptik, die einmalig oder wiederholt erfolgen kann, und die therapeutische Antiseptik [17].

Wird die Wundantiseptik zur Prävention einer Infektion durchgeführt, muss stets beachtet werden, dass die Antiseptik allein kaum den gewünschten Erfolg der Infektionsprophylaxe bieten kann, wenn nicht gleichzeitig beispielsweise bei frischen Wunden eine Fremdkörperentfernung und eine Entfernung grober Schmutzpartikel aus der Wunde durchgeführt werden. Ebenso muss die Behandlung einer chronischen Wunde immer mit der Therapie der Grunderkrankung verbunden sein.

Während eine lokale Anwendung von zum systemischen Einsatz vorgesehener Antibiotika aufgrund einer begünstigenden Resistenzentwicklung und schwer zu kontrollierender Konzentrationsverhältnisse vor Ort vermieden werden soll, zeichnen sich lokale Antiseptika wirkstoff- und konzentrationsabhängig durch Abdeckung eines breiten Erregerspektrums aus, das mehr oder weniger ausgeprägt grampositive und gramnegative Bakterien, Pilze sowie zum Teil auch Viren und Protozoen umfasst. Bedingt durch ihren Wirkungsmechanismus bestehen in der Praxis keine relevanten Resistenzentwicklungen. Die Rolle von Viren in Wunden ist allerdings zum Teil noch unzureichend untersucht. Ferner besteht noch keine Einigkeit bei der Interpretation und Beurteilung der viruziden Wirkung von Antiseptika.

An zeitgemäße Wundantiseptika ist die Forderung der nachweisbaren Wirksamkeit sowie der lokalen und systemischen Unbedenklichkeit zu stellen. Für den Einsatz einer antiseptischen Therapie muss daher abgewogen werden, ob die lokale Anwendung effektiv und ohne Risiko von Nebenwirkungen ist. Eine zusätzliche Stimulierung des Heilungsverlaufs ist dabei zwar günstig, jedoch nicht Bedingung. In jedem Fall aber muss eine mögliche zytotoxische Wirkung auf das Wundgewebe bedacht werden [14]. Diese Anforderungen werden heute von zumindest drei Antiseptika erfüllt: Polihexanid, PVP-Iod und Octenidindihydrochlorid. Octenidin-dihydrochlorid, zumeist in Kombination mit Phenoxyethanol, kann als Mittel der Wahl bei der Therapie von akuten lokalen Wundinfektionen betrachtet werden. Für PVP-Iod trifft das auf Grund der mit der Iodresorption verbundenen systemischen Risiken nur bedingt zu. Zur Prophylaxe einer drohenden Wundinfektion bei Besiedelung mit pathogenen Mikroorganismen ist bei chronischen Wunden Polihexanid Mittel der Wahl [16]. In geeigneter Verdünnung kommt hierfür aber auch Octenidin-dihydrochlorid in Betracht [13].


Ökonomische Aspekte

Die Behandlung chronischer Wunden ist nicht nur eine medizinische Herausforderung, sondern wegen ihres Ressourcenverbrauchs einschließlich der erhöhten Liegedauer auch in den Brennpunkt der Diskussion um ihre gesundheitsökonomische Evaluation geraten. Bei durchschnittlich langen Heilungszeiten ist der notwendige Pflegeaufwand für die betroffenen Patienten enorm, und die Bezahlung für die erbrachte Pflegeleistung deckt fast nie die Kosten.

Vornehmlich in den angloamerikanischen Ländern wird die gesundheitsökonomische Evaluation von Behandlungsverfahren bereits seit Jahren betrieben, was auch für die Behandlung chronischer Wunden zutrifft, während im deutschsprachigen Raum zum Kostenvolumen der Behandlung chronischer Wunden nur Hochrechnungen vorliegen. Nach Schätzung der "Initiative chronische Wunden" (ICW) entfällt ein Anteil von etwa 5% der stationären Patienten in Krankenhäusern und Rehabilitationseinrichtungen auf chronische Wunden. Für venöse Erkrankungen wird, basierend auf Zahlen aus den Jahren 1980/81, ein Kostenumfang von 1,3 Mrd. € pro Jahr geschätzt [23]. Diesen Daten liegen allerdings lediglich Hochrechnungen von Pauschalentgelten ohne tatsächliche Kalkulation des Ressourcenverbrauchs zugrunde [8]. Beim Ulcus decubitus ist die geschätzte Prävalenz noch höher. In Österreich und Deutschland ist von einer Prävalenz von 10%-25% unter stationären Patienten auszugehen, in Rehabilitationseinrichtungen von 30% [19]. Basierend auf Erlösgrößen der Leistungserbringer, also z.B. Krankenversicherungen, wie Pflegesätze und Behandlungstage werden die Kosten für Decubituspatienten pro Jahr auf 1,1 bis 2 Mrd. € geschätzt, wobei für das Ulcus decubitus 3. oder 4. Grades im stationären Bereich durchschnittliche Zusatzkosten von 6.100 € pro Fall errechnet wurden [25].

Den dargestellten Kostenschätzungen liegt jedoch die Annahme zugrunde, dass durch eine chronische Wunde eine Verlängerung des stationären Krankenhausaufenthalts um durchschnittlich 2 Monate resultiert. Daraus wird eine jährliche Gesamtbelastung von über 2 Mrd. € abgeleitet, von der bei gezielter Prophylaxe etwa 50% bis 75% eingespart werden könnten [12], [25].

Ausgangspunkt einer rezenten, derzeit noch unveröffentlichten Arbeit war die für Österreich und Deutschland skizzierte unbefriedigende ökonomische Evaluation der Behandlungskosten für chronische Wunden [6]. Im Rahmen dieser prospektiven Multizenterstudie wurden die Behandlungskosten für Ulcus cruris (n=74) und Ulcus decubitus (n=35) über einen Zeitraum von 8 Monaten bei 67 Patienten mit einem Altersdurchschnitt von 75 Jahren ermittelt. Erfasst wurde in 3 Krankenhäusern der Regelversorgung mit jeweils ambulanter Mitversorgung. Als Voraussetzung zur Kostenermittlung wurde fortlaufend jeder Verbandwechsel mit allen Einzelleistungen mit Hilfe eines Verlaufsbogens dokumentiert, der den Patienten durch alle behandelnden Abteilungen begleitete. Für jeden Behandlungstag und jeden Verbandwechsel wurden die Einsatzzeit des Personals und alle verwendeten Materialen erfasst und zwischen ambulanter und stationärer Behandlung differenziert. Für die Materialkosten wurden die Einkaufspreise abzüglich gewährter Rabatte zugrunde gelegt. Pauschale Zuschläge für Vorhalteleistungen (z.B. Notfallbereitschaft), die Umlage von Gemeinkosten (z.B. Unterbringung, Verpflegung, Haustechnik, Management) und Kapitalkosten (z.B. Abschreibungen, kalkulatorische Zinsen) erfolgten nicht, da ausschließlich der mit der Behandlung chronischer Wunden einhergehende Aufwand ermittelt werden sollte.

Für 1.729 Behandlungstage wurden 4.198 Verbandwechsel dokumentiert. Für das Ulcus cruris entstanden je Patient durchschnittlich 1.342 € zusätzliche Behandlungskosten (= 48 €/d), davon für Personal 581 €, für Material 458 €, für Operationsleistungen 189 € und für diagnostische Leistungen 114 €. Jeder Verbandwechsel verursachte im Durchschnitt zusätzliche Kosten von 15,34 €. Für das Ulcus decubitus entstanden je Patient durchschnittlich 991 € zusätzliche Behandlungskosten (= 52 €/d), davon für Personal 309 €, für Material 596 € und für Operationsleistungen 86 €. Jeder Verbandwechsel verursachte im Durchschnitt zusätzliche Kosten von 20,10 €.

Die Ergebnisse der Kostenkalkulation dieser Studie sind überraschend, da sich die tatsächlichen durch die Behandlung chronischer Wunden verursachten Kosten niedriger darstellen, als sie laut deutschsprachiger Literatur prognostiziert ausfallen. Unter Berücksichtigung der in dieser Studie ermittelten Kosten, einer Fallzahlannahme von 1,5 Mill. für das Ulcus. cruris bzw. von 800.000 für das Ulcus decubitus und einer durchschnittlichen stationären Verweildauer von 18 bzw. 20 Tagen ergibt eine Hochrechnung der Behandlungskosten eine Summe von 750 Mill. € für das Ulcus cruris und von 1,2 Mrd. € für das Ulcus decubitus. Damit stellt sich die Frage, ob die in der deutschsprachigen Literatur aufgezeigten - zwar dennoch gewaltigen - Einsparpotentiale bei der Behandlung chronischer Wunden tatsächlich in der vermuteten Größenordnung vorhanden sind.

Für das Ulcus decubitus schätzte die ICW 1998 ein jährliches Einsparpotential von 50%-75% der derzeitigen Aufwendungen der Krankenversicherungen, die ca. 2 Mrd. € p. a. betragen. Das daraus abgeleitete Einsparpotential von 1 bis 1,5 Mrd. € sollte aufgrund des verwendeten Berechnungsverfahrens kritisch überprüft werden, da diese Werte auf tagesgleichen Pflegesätze basieren. Legt man die nach Daeschlein et al.[6] ermittelten Kosten für die Behandlung des Ulcus decubitus von ca. 1,2 Mrd. € p. a. zugrunde, erhält man unter Zugrundelegung eines Einsparpotentials von 50%-75% "nur" einen Betrag von 600 Mill. € bis maximal 900 Mill. € p.a.

Für eine gezielte Planung und Zuteilung von Gesundheitsressourcen ist die Einschätzung der tatsächlichen Behandlungskosten chronischer Wunden entscheidend. Wie fatal wäre es, auf Grund falscher Tatsachen am Ende ein Budgetloch von 400-600 Mill. € feststellen zu müssen?

Der von Daeschlein et al. [6] aufgezeigten patientenbezogenen, prospektiven Vorgehensweise zur Ermittlung von Kosten stehen Studien gegenüber, in denen Krankheitskosten durch Multiplikation von Pflegesätzen mit durchschnittlichen Verweildauern ermittelt wurden. Da Pflegesätze für Leistungserbringer immer Erlöscharakter haben und somit Maximierungsverhalten erwartet werden kann, werden mit der Verwendung von Entgeltgrößen keine Ressourcenverbräuche abgebildet. Zudem beinhalten diese stets Investitionsanteile, Gemeinkosten und Vorhaltungen sowie mögliche Anteile für Rücklagen und Gewinne. Ressourcenverbräuche für die Behandlung weiterer Erkrankungen werden hierbei im Gegensatz zur direkten Kostenermittlung nicht abgezogen, so dass stets mit höheren Kostenwerten zu rechnen ist. So wurden z.B. bei Neander [18] stationäre Aufenthalte, die aufgrund der Diagnosenverschlüsselung auf die Behandlung chronischer Wunden schließen lassen, mit einem tagesgleichen Pflegesatz von 245 €/d multipliziert und auf diese Weise die Kosten hochgerechnet. Eine Differenzierung von anderen Behandlungskosten, die nicht auf die chronischen Wunden zurückzuführen sind, erfolgte nicht. Im Ergebnis wurden für Decubitus-Patienten durchschnittliche Kosten von 14.480 € je Fall dargestellt. Dieser Wert ist zwar bei oft multimorbid Kranken letztlich nicht verwunderlich, beinhaltet jedoch mit Sicherheit nicht die ausschließlichen Behandlungskosten von chronischen Wunden allein. In einer Studie von Prehm et al. [21] wird aus dieser Rechnung ein Aufwand in deutschen Krankenhäusern von 2,1 Milliarden € pro Jahr abgeleitet. Dreessen und Schmitt [8] ermitteln zwar den täglichen stationären Zusatzaufwand für Dekubitalulcera mit einem Wert von 74 €. Sie legen aber die für Patienten mit Druckgeschwüren längere Verweildauern (durchschnittlich 13 d) zugrunde und bewerten die zusätzlichen Krankenhaustage vereinfachend mit dem tagesgleichen Pflegesatz, was zusammen mit dem ermittelten zusätzlichen Behandlungsaufwand zu einem Mehraufwand von 6.228 € je Behandlungsfall nur für den stationären Bereich führt. Ob dieser, hauptsächlich durch die verlängerte Krankenhausverweildauer bedingter Mehraufwand ausschließlich durch die Behandlung der chronischen Wunden verursacht wurde, ist dabei nicht zu erkennen.

Auch wenn offenbar das Netto-Einsparungspotential bei der Behandlung chronischer Wunden möglicherweise niedriger ist als vermutet, besteht dennoch durch modernes Wundmanagement ein erhebliches Einsparpotential im Gesundheitswesen.

Das sich immer rasanter entwickelnde Wissen, adäquate und effektive Möglichkeiten der Wundbehandlung und für die unterschiedlichen Wunden "maßgeschneiderte" neue Medizinprodukte bieten heute besonders bei den chronischen Wunden Vorteile. Durch klare therapeutische Strategien und moderne Wundverbände können Heilungszeiten erheblich verkürzt, eine verbesserte Lebensqualität für die Betroffenen geschaffen und Kostensenkungen erreicht werden [13]. Allerdings werden besonders die Kosten modernen Wundverbände immer wieder diskutiert, da die einzelnen Wundauflagen erheblich teurer sind als die traditionellen Wundverbände. Richtig eingesetzt sind diese höheren Anschaffungskosten jedoch wirtschaftlich klug investiert, da die Heilungszeit verkürzt, Behandlungsfrequenzen gesenkt und damit Kosten eingespart werden. Durch falschen Einsatz solcher Mittel werden allerdings nicht die gewünschten therapeutischen Ziele erreicht und im Gegenteil enorme Kosten generiert.

Eine der wesentlichsten Herausforderungen ist heute daher die Erweiterung und Vertiefung der Kenntnisse um die Mechanismen der Wundheilung, die Wirkungsweise moderner Wundauflagen und deren fachgerechte Anwendung. Diese Wissenserweiterung muss in allen Bereichen der Medizin und Pflege stattfinden, bei Ärzten, bei Pflegefachkräften und insbesondere bei mobilen Schwestern. Die Ausbildung von Ärzten muss sich an die neuen Entwicklungen und an neue Behandlungsmethoden anpassen. Im vergangenen, aber auch im neuen Medizin-Curriculum findet zwar die Vermittlung von Kenntnissen zur physiologischen Wundheilung statt. Die Komplexität bei der Versorgung schwierigen Wunden ist jedoch noch immer nicht praxisbezogener Inhalt der ärztlichen Ausbildung. Insbesondere Ärzte sollten aber über das entsprechende Wissen und Können verfügen. Im therapeutischen Team müssen sie eine Vorreiterrolle beim Umsetzen neuester wissenschaftlicher Erkenntnissen in der modernen Wundversorgung spielen. So werden langfristig Patienten noch besser versorgt und Kosten im Gesundheitssystem gesenkt.


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