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Gute Ideen für die Lehre: Konzeption und Implementierung des Kommunikationsworkshops „Ich im Team“ für Studierende der Humanmedizin im 3. Studienjahr
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Autoren
Eingereicht: | 28. August 2023 |
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Überarbeitet: | 12. Januar 2024 |
Angenommen: | 28. März 2024 |
Veröffentlicht: | 17. Juni 2024 |
Gliederung
Zusammenfassung
Was ist der Kontext bzw. Hintergrund des Projekts? Eine effektive Kommunikation in Behandler-Teams ist von entscheidender Bedeutung, da sie nicht nur zu einer höheren Arbeitszufriedenheit der Teammitglieder und einer besseren gemeinsamen Entscheidungsfindung, sondern letztendlich zu einer qualitativ hochwertigen und patientenzentrierten Versorgung führt. Da der Übergang in den klinischen Studienabschnitt für viele Medizinstudierende eine Herausforderung darstellt, führte die Universität zu Lübeck im Wintersemester 2020/2021 einen Kommunikationsworkshop „Ich im Team“ für die Medizinstudierenden im 3. Studienjahr ein.
Warum wurde das Projekt begonnen? Der Workshop schafft durch die Auseinandersetzung mit der eigenen Rolle im Team eine Basis für die spätere Zusammenarbeit und soll zwischenmenschliche Kompetenzen wie Teamfähigkeit, Patientenkommunikation und Fehlermanagement stärken.
Wie wird das Projekt durchgeführt? Der Workshop mit Elementen des Improvisationstheaters und Coachings wurde 2020/21 erstmalig angeboten. Aufgrund der positiven Evaluationsergebnisse ist er seit dem Wintersemester 2021/2022 verpflichtender Bestandteil des Curriculums.
Wie wird das Projekt evaluiert? Die Studierenden haben den Workshop sehr gut angenommen, was sich in den exzellenten Evaluationsergebnissen widerspiegelt. Eine wissenschaftliche Begleitstudie während der ersten beiden Durchgänge zeigte zudem unmittelbare positive Effekte u.a. auf die interprofessionellen Teamfähigkeiten und den Umgang mit Fehlern.
Abschließende Gesamteinschätzung und Ausblick: Die Workshops bieten für die Studierenden einen guten Einstieg in die Klinik und eine Sensibilisierung für ihre eigene Rolle in Teams. Eine inhaltliche Vertiefung und die Möglichkeit weitere Studiengänge zu beteiligen, werden diskutiert.
1. Was ist der Kontext bzw. Hintergrund des Projekts?
Effektive Kommunikation im Behandler-Team ist entscheidend, um Behandlungsfehler zu vermeiden und die Patientensicherheit zu erhöhen [1]. Eine klare, respektvolle Kommunikation steigert zudem die Arbeitsplatzzufriedenheit im Gesundheitswesen. Studien zeigen, dass junge Ärzt*innen und Pflegende bereits in der stationären Versorgung von Burn-out-Symptomen betroffen sind. Eine gute interprofessionelle Zusammenarbeit wirkt jedoch als Schutzfaktor für Zufriedenheit und Gesundheit der Mitarbeiter*innen in Krankenhäusern [2], [3]. Die WHO setzt sich seit über 10 Jahren für die Integration interprofessioneller Themen in medizinische Curricula ein, um weltweit Gesundheitssysteme zu stärken [4]. Da interaktive Elemente in der didaktischen Gestaltung die Auseinandersetzung mit den Inhalten im Austausch mit dem Gegenüber im Vergleich zu passivem Frontalunterricht fördern [5], wurde das beschriebene Projekt für Medizinstudierende im 3. Studienjahr durchgeführt.
2. Warum wurde das Projekt begonnen?
Im Studiengang Humanmedizin an der Universität zu Lübeck sollen Studierende zu Ärzten ausgebildet werden, die nicht nur sehr gute Studienleistungen erbringen, sondern ebenso über herausragende soziale und kommunikative Fähigkeiten verfügen, um auch den wachsenden Anforderungen der vielfältigen inter- und intrapsychischen Aspekte ihres Berufs gerecht zu werden [6].
Durch den Übergang vom vorklinischen zum klinischen Studienabschnitt rücken diese zwischenmenschlichen und intrapsychischen Kompetenzen wie Teamfähigkeit, Patientenkommunikation, Fehlermanagement und Umgang mit Belastungen zunehmend in den Vordergrund. Dies stellt für viele Studierende der Humanmedizin eine große Herausforderung dar, da in den ersten vier Semestern des Medizinstudiums vor allem grundlegende naturwissenschaftliche und überwiegend theoretische Kenntnisse vermittelt werden.
Die Studiengangsleitung Humanmedizin führte zum Wintersemester 2020/21 „Ich im Team“, einen Kommunikationsworkshop mit Elementen des Improvisationstheaters und Coachings ein, der die Auseinandersetzung mit der eigenen Rolle in mono- und interprofessionellen Teams anregt. Der Workshop ist Teil der Bemühungen, die Ausbildung in kommunikativen Kompetenzen zu verbessern. In dem Workshop werden die Studierenden dazu ermutigt, ihre sozialen und kommunikativen Fähigkeiten in einem praxisorientierten Umfeld zu stärken. Indem sich die Teilnehmer*innen intensiv mit ihrer individuellen Rolle innerhalb eines Teams auseinandersetzen und ein erstes Verständnis für die Bedeutung interprofessioneller Teams entwickeln, soll der Workshop einen Grundstein für die zukünftige Kooperation in interprofessionellen Teams legen. Darüber hinaus soll das Einüben effektiver Kommunikation die Studierenden besser auf die Herausforderungen des klinischen Studienabschnitts vorbereiten. Die gewählten Methoden des Improvisationstheaters, entstanden aus der Theaterpädagogik [7], werden bereits vielfältig im (schulischen) pädagogischen Kontext angewendet [8] und können auch in der akademischen Ausbildung eingesetzt werden, um u.a. eine effektive Kommunikation zu fördern.
3. Wie wird das Projekt durchgeführt?
Der Workshop „Ich im Team“ wurde erstmals im Wintersemester 2020/2021 auf freiwilliger Basis für die Studierenden der Humanmedizin im 3. Studienjahr angeboten und wird jährlich von den gleichen zwei externen Schauspielerinnen und Kommunikationstrainerinnen geleitet, die aus Mitteln der Studiengangsleitung Medizin finanziert werden. Er findet an einem ganzen Tag (09:00 – 17:30 Uhr, inkl. Pausen) außerhalb der Räumlichkeiten der Universität zu Lübeck statt. Der Ablauf des Workshops, inklusive der Lernziele und Beschreibung der Methoden, ist Anhang 1 [Anh. 1] zu entnehmen.
Im Wintersemester 2020/2021 nahmen 56 Studierende jeweils einen Tag in Kleingruppen von 12 bis 16 Personen teil. Aufgrund der äußerst positiven Evaluationen und Ergebnisse aus der begleitenden Studie wurde „Ich im Team“ mit Start des Wintersemesters 2021/2022 fester Bestandteil des Curriculums und eine Pflichtveranstaltung für alle Medizinstudierenden im 3. Studienjahr. In den Wintersemestern 2021/2022 (mit 205 Teilnehmenden) und 2022/2023 (mit 210 Teilnehmenden) fand der Workshop in Kleingruppen mit einer Größe von 10 bis 12 Personen statt. An einem Tag werden zwei Kleingruppen gemeinsam betreut.
Der Workshop bietet eine Vielzahl an Inhalten, die in einer Kleingruppe nicht nur vermittelt, sondern auch insbesondere aktiv ausprobiert werden. Durch interaktive Elemente werden die Inhalte direkt erfahr- und erlebbar und die Teilnehmenden haben die Möglichkeit, relevante Fähigkeiten in einem geschützten Rahmen zu üben. Zu den Themen des Workshops gehören Teamfähigkeit, Kommunikation (mit Fokus auf den gezielten Einsatz von Kommunikationsstrategien), Rollenreflexion, der Umgang mit Belastungen und mit Fehlern. Der Workshop zielt auch darauf ab, das Selbstvertrauen der Teilnehmenden zu stärken.
Folgende Fragen werden im Workshop thematisiert:
- Wie werde ich mich in einem bestehenden Team zurechtfinden?
- Wie kann ich in meine neue Rolle hineinwachsen?
- Wie gehe ich mit stressigen Situationen um? Wie achte ich auf mich?
- Was ist, wenn ich einen Fehler mache?
- Wie kann ich selbstbewusster auftreten und wirkungsvoll kommunizieren?
Am Workshoptag werden Warm-up-Spiele und Übungen zum Kennenlernen eingesetzt, um eine offene und vertrauensvolle Gruppenatmosphäre zu schaffen. Durch spezielle Spiele wird der Umgang mit Fehlern thematisiert und geübt. Weitere Übungen konzentrieren sich auf Präsenz, Selbst- und Fremdwahrnehmung. Methoden des Improvisationstheaters und Coaching spielen eine zentrale Rolle, um Spontanität und das Aufeinander-Reagieren zu fördern. Zudem wird den Teilnehmenden vermittelt, wie sie konstruktives Feedback geben können. Im Sinne einer nachhaltigen Lernerfahrung erhalten die Teilnehmenden ein Give-Away-Sheet, der die Inhalte des Workshops zusammenfasst, sowie im Nachgang und zeitlichen Abstand von je acht Wochen drei schriftliche Impulse zu den behandelten Themen und Übungen, um das Gelernte weiterhin in ihren Alltag zu integrieren und zu vertiefen.
4. Wie wird das Projekt evaluiert?
Das Lehrprojekt wurde von 2020 bis 2022 in einer Studie wissenschaftlich begleitet. Seit dem Wintersemester 2022/2023 werden die studentischen Rückmeldungen zum Workshop „Ich im Team“ im Rahmen der zentralen Lehrevaluation erfasst.
In der begleitenden Studie wurden Teilnehmende in einem Prä-Post-Design zur Weiterentwicklung ihrer sozialen und persönlichen Kompetenzen im Bereich interprofessioneller Zusammenarbeit und dem Umgang mit Belastungen befragt. Die Studie fand 2020/21 zu drei Messzeitpunkten (vor dem Workshop, unmittelbar nach dem Workshop, 8 Monate nach dem Workshop) und 2021/22 zu zwei Messzeitpunkten (vor dem Workshop, unmittelbar nach dem Workshop) statt. Eingesetzte Selbstbeurteilungsfragebögen waren u.a. der „Interprofessional Socialization and Valuing Scale“ (ISVS) [9] und der „Error Orientation Questionnaire“ (EOQ) [10].
Sowohl im Durchgang 2020/2021 als auch im Durchgang 2021/2022 konnten unmittelbare positive Effekte des Workshops auf die Kompetenz im Umgang mit spontan auftretenden Fehlern, einer Subskala des EOQ, sowie der interprofessionellen Teamfähigkeit, abgebildet durch den ISVS, gezeigt werden. Für die dargestellten Ergebnisse gilt in beiden Durchgängen p<0,01. Diese Effekte konnten nach 8 Monaten jedoch nicht statistisch bestätigt werden. Möglicherweise bleibt der Transfer der erlernten Kompetenzen, in einem außeruniversitären Kontext, in den späteren klinischen Alltag weiterhin herausfordernd. Weiterhin schlussfolgern wir, dass eine stärkere, wiederkehrende Einbettung der Workshopinhalte auch im klinischen Lehralltag nötig ist, um die erlernten Kompetenzen nachhaltig beizubehalten.
Auch in den Wintersemestern 2021/2022 und 2022/2023 erfahren wir durch die zentrale Lehrevaluation (2021/22: Rücklauf 54%, Gesamtnote 2,1; 2022/2023. Rücklauf 77%, Gesamtnote 1,9) positive Rückmeldungen zum Workshop. Die quantitativen Ergebnisse vom Wintersemester 2022/2023 sind in Abbildung 1 [Abb. 1] dargestellt.
Seit dem ersten Durchgang gab und gibt es jährlich kleinere inhaltliche Anpassungen. Zu Beginn mussten einige Inhalte gekürzt werden (z. B. Status im Team nach Keith Johnstone). Diese werden seit dem Sommersemester 2022 in einem fakultativem Vertiefungsseminar „Ich bin Chef und wer bist du?“ angeboten, das sich an Studierende aller Studiengänge der Sektion Medizin (Humanmedizin, Pflege, Physiotherapie, Hebammenwissenschaft, Ergotherapie / Logopädie) und Studierende der Psychologie richtet.
Viele Teilnehmende von „Ich im Team“ haben in den Freitexten der Evaluation den Wunsch geäußert, dass weitere ähnliche Veranstaltungen häufiger und auch mit Studierenden der Gesundheitsfachberufe stattfinden. Daher werden Überlegungen angestellt, das Projekt auszuweiten und auch andere Studiengänge der Sektion Medizin einzubeziehen, wobei die unterschiedlichen zeitlichen und inhaltlichen Anforderungen der Studien- und Ausbildungsordnungen mitgedacht werden müssen.
Neben den schriftlichen Evaluationen erfolgt am Ende des Workshoptages stets eine ausführliche Feedbackrunde zwischen Dozentinnen und Studierenden, ob die geplanten Themen ausreichend besprochen und die Ziele für den Workshop erreicht wurden.
5. Abschließende Gesamteinschätzung und Ausblick
Die Einführung und Implementierung von "Ich im Team" war und ist ein erfolgreiches Projekt. Es bietet den Studierenden einen Mehrwert, da sie nicht nur fachlich dazulernen, sondern auch für das Arbeiten in Teams sensibilisiert werden, an Selbstvertrauen gewinnen und die Bedeutung der vielfältigen Rollen des Arztberufs kennenlernen. Nicht zuletzt haben wir aus der Evaluation erfahren, dass insbesondere die Atmosphäre fernab des Campus und Hörsaals die Besonderheit der Veranstaltung ausmacht und so das Potenzial hat, den Studierenden im Gedächtnis zu bleiben. Vor diesem Hintergrund sind die organisatorischen Bemühungen in der Kursplanung und die Aufwendung finanzieller und personeller Ressourcen zur Umsetzung des Projekts lohnenswert. Die positiven Erfahrungen und Evaluationsergebnisse aus dem Lehrprojekt legen nahe, dass ähnliche Angebote auch in und mit anderen Studiengängen von großem Nutzen sein könnten.
ORCIDs der Autor*innen
- Annemarie Minow: [0000-0002-7836-1127]
- Jürgen Westermann: [0000-0001-9054-8755]
Danksagung
Das Lehrprojekt wurde im Wintersemester 2020/2021 finanziell vom Ärzteverein zu Lübeck e.V. unterstützt.
Interessenkonflikt
Die Autor*innen erklären, dass sie keinen Interessenkonflikt im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.
Literatur
- 1.
- Donchin Y, Gopher D, Olin M, Badihi Y, Biesky M, Sprung CL, Pizov R, Cotev S. A look into the nature and causes of human errors in the intensive care unit. BMJ Qual Saf. 2003;12(2):143-148. DOI: 10.1136/qhc.12.2.143
- 2.
- Richter-Kuhlmann E. Arbeitsbedingungen im Krankenhaus: Burn-out schon beim Nachwuchs. Dtsch Ärztebl. 2019;116(48):A2222.
- 3.
- Raspe M, Koch P, Zilezinski M, Schulte K, Bitzinger D, Gasier U, Hammerschmidt A, Köhnlein R, Puppe J, Tress F, Uden T, Nienhaus A. Arbeitsbedingungen und Gesundheitszustand junger Ärzte und professionell Pflegender in deutschen Krankenhäusern [Working conditions and health status of young physicians and nurses in German hospitals]. Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz. 2020;63(1):113-121. DOI: 10.1007/s00103-019-03057-y
- 4.
- World Health Organization (WHO). Framework for Action on Interprofessional Education and Collaborative Practice. Geneva: WHO; 2010. Zugänglich unter/available from: https://apps.who.int/iris/bitstream/handle/10665/70185/WHO_HRH_HPN_10.3_eng.pdf
- 5.
- Robert-Bosch-Stiftung. Berufsübergreifend Denken – Interprofessionell Handeln. Stuttgart: Robert Bosch Stifung; 2019. Zugänglich unter/available from: https://www.impp.de/files/PDF/RBS_Berichte/Berufs%C3%BCbergreifend%20Denken%20Interprofessionell%20Handeln.pdf
- 6.
- Brüheim L, Sievers K, Westermann J. Nicht allein die Abiturnote: Ein Plädoyer für Auswahlgespräche im Medizin-Studium. Forsch Lehre. 2012;19(11):912-913.
- 7.
- Johnstone K, Schreyer P. Improvisation und Theater: die Kunst spontan und kreativ zu reagieren. Berlin: Alexander-Verlag; 1993.
- 8.
- Plath M. „Spielend“ unterrichten und Kommunikation gestalten. Mit schauspielerischen Mitteln für Unterricht begeistern. Weinheim/Basel: Beltz Verlag; 2015.
- 9.
- King G, Shaw L, Orchard C A, Miller S. The interprofessional socialization and valuing scale: a tool for evaluating the shift toward collaborative care approaches in health care settings. Work (Reading, Mass). 2010;35(1):77-85. DOI: 10.3233/WOR-2010-0959
- 10.
- Rybowiak V, Garst H, Frese M, Batinic B. Error Orientation Questionnaire (EOQ): reliability, validity, and different language equivalence. J Organ Behav. 1991;20(4):527-547. DOI: 10.1002/(SICI)1099-1379(199907)20:4<527::AID-JOB886>3.0.CO;2-G