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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Positionspapier zur ärztlichen Weiterbildung anlässlich der Krankenhausreform – die Weiterbildung muss mitgedacht werden. Ein gemeinsames Positionspapier des Bündnis Junge Ärztinnen und Ärzte und der AG Junge Gastroenterologie der DGVS sowie der Young DGN

Kommentar Weiterbildung

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  • corresponding author Eckhart G. Hahn - Universitätsklinikum Erlangen, Medizinische Klinik 1, Erlangen, Deutschland

GMS J Med Educ 2024;41(2):Doc22

doi: 10.3205/zma001677, urn:nbn:de:0183-zma0016776

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2024-41/zma001677.shtml

Eingereicht: 6. Februar 2024
Überarbeitet: 6. März 2024
Angenommen: 12. Februar 2024
Veröffentlicht: 15. April 2024

© 2024 Hahn.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Das Bündnis Junger Ärztinnen und Ärzte (BJÄ) hat ein Positionspapier (PP) zur ärztlichen Weiterbildung (ÄWB) vor dem Hintergrund der sich entwickelnden Krankenhausreform vorgelegt, das bestehende Defizite der ÄWB in Deutschland beschreibt. Daraus werden Forderungen an Gesetzgeber, Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber sowie Ärztekammern abgeleitet, die eine umfassende Erneuerung der ÄWB bewirken würde. Gesundheitsreformen sind nur mit gut vorbereiteten und motivierten Fachärztinnen und Fachärzten zu bewältigen. Insofern betrachtet das BJÄ die Reformen im Krankenhaus- und Gesundheitswesen als eine Chance für eine längst überfällige Reform der ÄWB. Die Gesetzgebungskompetenz der Bundesländer für die ÄWB macht es erforderlich, die Heilberufe und Kammergesetze der Länder mit Hilfe der Gesundheitsministerkonferenz an die Forderungen des BJÄ anzupassen. Flankiert werden muss dies durch die Berücksichtigung der ÄWB in allen Gesetzen im Gesundheitswesen, ähnlich dem inzwischen global anerkannte Prinzip „Health in all Politics (HiAP)“.

Das BJÄ hat eine große Anstrengung unternommen, indem sie das PP erarbeitet haben. Die verantwortlichen Akteure im Gesundheitswesen wären gut beraten, das PP vor dem Hintergrund von schwindenden ärztlichen Personalressourcen und ernsthaften Qualitätsmängeln in der ÄWB ernst zu nehmen. Das BJÄ muss umfassend unterstützt werden. Die wissenschaftliche Begründung aller geforderten Maßnahmen, die Testung in der realen Umgebung von Krankenhäusern und der ambulanten Krankenversorgung, die wissenschaftliche Begleitung der Auswirkungen auf die Versorgung von Patienten und die angestrebte Transformation des Gesundheitswesens braucht kongeniale Partner. Am wirkungsvollsten könnte dies von einer wissenschaftlichen Gesellschaft für Ärztliche Weiterbildung geleistet werden, wie dies in vielen Ländern seit Jahrzehnten der Fall ist.

Schlüsselwörter: Positionspapier Ärztliche Weiterbildung, Bündnis Junge Ärztinnen und Ärzte, ärztliche Weiterbildung in Deutschland, Krankenhausreform in Deutschland, Krankenhaustransparenzgesetz in Deutschland, Deutsche Gesellschaft für Ärztliche Weiterbildung


Einleitung

Das Positionspapier (PP) des Bündnis Junge Ärztinnen und Ärzte (BJÄ) in Zusammenarbeit mit der AG Junge Gastroenterologie der DGVS sowie der Young DGN [1] ist ein Paukenschlag!

Die von den Gesetzen und Statuten der ärztlichen Weiterbildung in Deutschland direkt betroffenen Ärztinnen und Ärzte haben sich erstmals fachübergreifend zu ihrer Situation geäußert, umfassend den Hintergrund und die Problematik der ärztlichen Weiterbildung dargestellt, analysiert und Forderungen an Gesetzgebung, Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber sowie Ärztekammern formuliert. Im BJÄ [https://www.buendnisjungeaerzte.org] sind nach eigenen Angaben – Stand November 2023 – 35 medizinische Fachgesellschaften und Berufsverbände zusammengeschlossen; dadurch bekommt dieser Vorstoß eine besondere Wucht. Wie können die Forderungen des PP realisiert werden?


Die Krankenhausreform und die ÄWB in Deutschland

Aktueller Anlass für das PP ist die bevorstehende Krankenhausreform, wie sie im Eckpunktepapier vom 10.07.2023 vom Ministerium für Gesundheit der Bundesrepublik Deutschland und den Bundesländern vereinbart wurde [2]. Das Gesetzt zur Förderung der Qualität der stationären Versorgung durch Transparenz (Krankenhaustransparenzgesetz) [3] spielt bei der Umsetzung der Eckpunkte eine besondere Rolle. Das Gesetz wurde vom Bundesrat zunächst in den Vermittlungsausschuss überwiesen mit dem Ziel, es grundlegend überarbeiten zu lassen [4]. Der Vermittlungsausschuss hat sich mit dem Gesetz am 22.02.2024 befasst und es ohne Änderungen bestätigt. Es ist am 22.03.2024 vom Bundesrat genehmigt werden. Eine Vielzahl weiterer Gesetze ist auf den Weg gebracht oder geplant [https://www.bundesgesundheitsministerium.de/service/gesetze-und-verordnungen.html].

Bundesminister Lauterbach strebt nichts weniger an als eine Revolution für eine durchgreifende Verbesserung der Patientenversorgung. Aber: ohne eine Reform der ärztlichen Weiterbildung kann dies alles nicht gelingen! Die nachkommende Ärztegeneration wird solche drastischen Änderungen umsetzen müssen, und sie muss darauf vorbereitet werden! Angelegenheiten der ÄWB kommen aber in fast allen neuen Gesetzen der Krankenhausreform nicht vor, und es entsteht tatsächlich der Eindruck, dass viele Aspekte der Weiterbildung vergessen wurden.

Die Entwicklung der Weiterbildung zum Facharzt hat eine lange Vorgeschichte, die in dem sog. „Facharzturteil“ des Bundesverfassungsgerichts spannend beschrieben wird [5]. Damals wurde geurteilt, dass die Gesetzgebungskompetenz für die Facharztweiterbildung bei den Ländern liege, und nicht bei der Bundesregierung, und dass andererseits der Satzungskompetenz der Ärztekammern Grenzen gesetzt seien, weil der Gesetzgeber die statusbildenden Normen der Weiterbildung zum Facharzt nicht aus der Hand geben dürfe. Als eine der statusbildenden Normen wurde auch die allgemeine Stellung der Fachärzte innerhalb des gesamten Gesundheitswesens genannt!

Minister Lauterbach hat diese Problematik der Gesetzgebungskompetenz berücksichtigen müssen. Als die Länder viele seiner Vorschläge nicht akzeptieren wollten, hat er Qualitätsindikatoren entwickelt, für die der Bund nach Art. 72, Absatz 2 GG die Gesetzgebungskompetenz hat. So werden beispielsweise in dem Krankenhaustransparenzgesetz sowohl durch Artikel 1 (Änderung des 5. Buches Sozialgesetzbuch) als auch durch Artikel 2 (Änderung des Krankenhausentgeltgesetzes) in Zukunft die Zahl des ärztlichen Personals einschließlich der Facharztbezeichnung und die Zahl des ärztlichen Personals in Weiterbildung (ÄiW) unter Angabe des Weiterbildungsgebietes eingeführt. Bisher gibt es keine Meldepflicht für ÄiW in Deutschland. Trotz Urteilen zur Problematik der Anfängeroperation [6] war es nicht möglich, die Sicherstellung eines Facharztstandards bei Tätigkeiten von ÄiW für jede Klinik und bundesweit zu beurteilen. Durch die neue Transparenz werden Berechnungen der damit zusammenhängenden Gleichzeitigkeitsfaktoren möglich (der Gleichzeitigkeitsfaktor ist die Summe aus einer Weiterbildungsstelle und dem Anteil einer fachärztlichen Vollzeitstelle, der für Anfänger-Aktivitäten bei Prozeduren und anderen Tätigkeiten der Patientenversorgung zusätzlich verfügbar sein muss, um den Facharztstandard dabei sicher zu stellen). Das hat eine beträchtliche Auswirkung auf die Personalausstattung mit fachärztlichem Personal im Verhältnis zu ÄiW! Im neuen „Kalkulationstool“ der Bundesärztekammer für den Bedarf an Ärzten im Krankenhaus (Ärztliches Personalbemessungssystem der Bundesärztekammer, ÄPS-BÄK) [7] ist dies noch nicht konkret sichtbar. Es sei aber geplant, für jede Weiterbildungsstelle im 1. und 2. Jahr zusätzlich 0,2, für jede Weiterbildungsstelle im 3. und 4. Jahr 0,1 Vollzeitkraft mit Facharztstatus zu berechnen (Auskunft von Prof. Dr. Henrik Herrmann und Dr. Johannes Gehle, Vorsitzende der ständigen Konferenz „Ärztliche Weiterbildung“ der Bundesärztekammer und [7]). Die Praxis wird zeigen, ob diese Berechnung für jedes Fachgebiet bzw. jede Leistungsgruppe und für jede Versorgungsstufe (Krankenhaustyp) anwendbar ist, um die Sicherheit der Patienten nach dem in Referenz 6 zitierten Urteil zu gewährleisten.

Ein unüberwindliches Hindernis für eine strukturierte ärztlichen Weiterbildung in Deutschland ist die fehlende Finanzierung. Fast alle Forderungen im PP des BJÄ haben Kosten zur Folge, die derzeit aus den DRG-Erlösen genommen werden müssen. In den DRGs sind aber nur die ärztlichen Stellen, nicht aber eine strukturierte Weiterbildung abgebildet! Insofern bieten die Krankenhausreform und die Transformation des Gesundheitswesens Herausforderungen und Chancen für eine Finanzierung der Weiterbildung, die den Strukturen, Prozessen und Ergebnissen einer kompetenzbasierten Weiterbildung der Zukunft gerecht werden. Sie würden auch die Forderungen des PP des BJÄ ermöglichen. Hier wäre zu prüfen, ob der Bund Gesetzgebungskompetenz nach Artikel 74 Absatz 1 Nummer 12 GG und Artikel 72 Absatz 2 GG haben könnte. Kostenmodelle sind vorgeschlagen und getestet worden [8], [9], p. 156. Dies müsste auch bei den geplanten Vorhaltekosten eingeplant werden.


Ausblick

Ohne gesetzliche Grundlagen werden die Forderungen des BJÄ an Gesetzgeber, Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber und Landesärztekammern nicht durchzusetzen sein. Da die Gesetzgebungskompetenz den Ländern obliegt, sollten die HKaG bzw. HeilBerG als erstes für eine ÄWB der Zukunft in Angriff genommen werden. Zudem sollten alle Gesetze der Krankenhausreform die ärztliche Weiterbildung berücksichtigen und stärken: ÄWB in allen Gesundheitsgesetzen! Das BJÄ hat gezeigt, wie trotz einer fast übermenschlichen beruflichen Belastung gemeinschaftlich ein Ergebnis möglich ist. Gleichwohl hat es gute Gründe, warum in vielen Ländern wissenschaftliche Gesellschaften für ärztliche Weiterbildung aktiv sind. In Deutschland arbeitet der Ausschuss Weiterbildung der Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA, [https://gesellschaft-medizinische-ausbildung.org/ausschuesse/weiterbildung.html]) für das Ziel der Qualitätsverbesserung der ÄWB und hat kürzlich entsprechende Vorschläge veröffentlicht [10]. Die bilinguale (Deutsch und Englisch) Zeitschrift GMS Journal for Medical Education steht für Publikationen aller Art für die ÄWB zur Verfügung und hat einen Impakt-Faktor von 1,6. Die außergewöhnlich vielfältigen Herausforderungen einer Realisierung der Forderungen des BJÄ bedarf einer breiten wissenschaftlichen und organisatorischen Basis, die z. B. von einer Deutschen Gesellschaft für Ärztliche Weiterbildung (DGÄW) zur Verfügung gestellt werden könnte. Die Zielgruppen einer solchen Gesellschaft umfassen die Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung und alle weiteren Personen im Gesundheitswesen. Ihnen wird an einer für Bürger und Gesellschaft verantwortungsvollen Gesundheitsversorgung gelegen sein. Alle sollten die Forderungen im PP des BJÄ unterstützen!


Interessenkonflikt

Der Autor erklärt, dass er keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel hat.


Literatur

1.
See E, Herpertz G, Jarre A, Weber C. Positionspapier zur Ärztlichen Weiterbildung anlässlich der Krankenhausreform - Die Weiterbildung muss mitgedacht werden. Berlin: Forum junger Radiologie in der Deutschen Röntgengesellschaft e.V.; 2023. Zugänglich unter/available from: https://www.forum-junge-radiologie.de/de-DE/10705/bjae-positionspapier/ Externer Link
2.
Bundesministerium für Gesundheit. Eckpunktepapier - Krankenhausreform. Berlin: Bundesministerium für Gesundheit; 2023. Zugänglich unter/available from: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/K/Krankenhausreform/Eckpunktepapier_Krankenhausreform.pdf Externer Link
3.
Bundesministerium für Gesundheit. Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der Qualität der stationären Versorgung durch Transparenz (Krankenhaustransparenzgesetz). Berlin: Bundesministerium für Gesundheit; 2023. Zugänglich unter/available from: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/Gesetze_und_Verordnungen/GuV/K/Krankenhaustransparenzgesetz_Kabinett.pdf Externer Link
4.
Bundesrat der Bundesrepublik Deutschland. Gesetz zur Förderung der Qualität der stationären Versorgung durch Transparenz (Krankenhaustransparenzgesetz) - Anrufung des Vermittlungsausschusses. Drucksache 541/23. Berlin: Bundesrat; 2023. Zugänglich unter/available from: https://www.bundesrat.de/SharedDocs/drucksachen/2023/0501-0600/541-23(B).pdf Externer Link
5.
BVerfGE 33, 125 - Facharzt. Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. 1972. Zugänglich unter/available from: https://www.servat.unibe.ch/dfr/bv033125.html Externer Link
6.
Bundesgerichtshof. Rechtsproblematik der sogenannten Anfängeroperation. VI ZR 230/81. 1983. Zugänglich unter/available from: https://www.prinz.law/urteile/bgh/VI_ZR_230-81 Externer Link
7.
Bundesärztekammer. Personalvorgaben für Ärztinnen und Ärzte im Krankenhaus. Berlin: Bundesärztekammer; 2024. Zugänglich unter/available from: https://www.bundesaerztekammer.de/themen/aerzte/personalvorgaben-krankenhausaerzte Externer Link
8.
Heil A, Schwandt M, Schöffski O. Um einen Fachärztemangel zu vermeiden, muss sich die ärztliche Weiterbildung lohnen. Darstellung ärztlicher Weiterbildungskosten im Krankenhaus. Bay Ärztebl. 2009;64(6):251. Zugänglich unter/available from: https://www.bayerisches-aerzteblatt.de/fileadmin/aerzteblatt/ausgaben/2009/06/einzelpdf/BAB_0609_290_291.pdf Externer Link
9.
Heil A, Schwandt M, Schöffski O. Darstellung ärztlicher Weiterbildungskosten im Krankenhaus. Burgdorf: HERZ; 2009. (Schriften zur Gesundheitsökonomie; 16).
10.
Schwill S, Kadmon M, Hahn EG, Kunisch R, Berberat PO, Fehr F, Hennel E. The WFME global standards for quality improvement of postgraduate medical education: Which standards are also applicable in Germany? Recommendations for physicians with a license for postgraduate training and training agents. GMS J Med Educ. 2022;39(4):Doc42. DOI: 10.3205/zma001563 Externer Link