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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Über die Anrechnung von Prüfungen auf das Lehrdeputat

Kommentar Prüfungen

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  • corresponding author Volkhard Fischer - Medizinische Hochschule Hannover, Studiendekanat Bereich Evaluation & Kapazität, Hannover, Deutschland

GMS J Med Educ 2024;41(1):Doc3

doi: 10.3205/zma001658, urn:nbn:de:0183-zma0016584

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2024-41/zma001658.shtml

Eingereicht: 3. August 2023
Überarbeitet: 5. November 2023
Angenommen: 15. November 2023
Veröffentlicht: 15. Februar 2024

© 2024 Fischer.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Neben Lehrveranstaltungen stellen Prüfungen die zentralen Bestimmungsgrößen zur Beschreibung eines Studiengangs unabhängig von seinen Inhalten dar. So hängt die Ausbildungsqualität einerseits von der Qualität der Lehrveranstaltungen und ihrer Verzahnung untereinander, andererseits aber auch von der Qualität der Prüfungen und der mit ihnen erfolgenden Leistungsrückmeldungen an die Studierenden ab.

Die Qualität der Lehrveranstaltungen soll durch deren Evaluation sichergestellt werden. Der ökonomische Aufwand für die Lehrveranstaltungen wird über das benötigte Lehrdeputat ermittelt. Lehrdeputate stammen aus einer Zeit als dozierendenzentriert akademische Lehre geplant wurde. Zentrale Kenngröße in den Studienordnungen waren die Semesterwochenstunden (bzw. Lehrveranstaltungsstunden). Aber auch in der aktuellen studierendenzentrierten Studiengangsplanung mit ECTS-Punkten pro Modul als Kenngröße, haben Lehrdeputate ihren Nutzen zur Bestimmung des für die Studiengangsdurchführung notwendigen Personalbedarfs nicht verloren.

An manchen Standorten gehen die Prüfungen auch mit in die Evaluation ein. Der mit Prüfungen verbundene ökonomische Aufwand wird de facto aber fast überall ignoriert. Für die Qualität von Prüfungen verheißt dies nichts Gutes. Würde man die Prüfungen in die Berechnung der Lehrdeputate und der Curricularnormwerte einbeziehen, wäre für die Verbesserung der studentischen Ausbildung schon viel gewonnen.

Welche Voraussetzungen beachtet werden müssen, um Prüfungen in die Erfassung der Lehrdeputate mit einzubeziehen, behandelt dieser Artikel.

Schlüsselwörter: Prüfungen, Lehrdeputat, Prüfungsparameter, Curricularnormwert


Einleitung

Prüfungen sind ein wichtiger Bestandteil eines Studiums und können lange juristische Streitigkeiten auslösen. Zwei Urteile des Bundesverwaltungsgerichts [1], [2] haben zu einer Präzisierung der einschlägigen Paragraphen in der Studien- und Prüfungsverordnung für Hebammen [https://www.gesetze-im-internet.de/hebstprv/BJNR003900020.html] geführt, obwohl sie sich auf andere Studiengänge bezogen. Gerade weil es in den Urteilen um Grundbedingungen für objektive Prüfungen geht, ist es überraschend, dass es solcher Nachbesserungen immer noch bedarf. An der Aufbereitung des Themas kann es nicht liegen. Es gibt

  • internationale Standards für Prüfungen [3], [4], [5], [6],
  • Empfehlungen für Praktiker [7], [8] und
  • Literatur zum Prüfungsrecht ([9] oder eine neuere Auflage, [10]).

Andererseits zählen Prüfungen im deutschen Hochschulalltag traditionell zur Vor- und Nachbereitung von Lehrveranstaltungen (LV). Und nur LV gehen in die Berechnung der Curricularnormwerte (CNW) ein und werden auf die individuellen Lehrdeputate (bzw. Lehrverpflichtungen) angerechnet. Wenn man sich dann vergegenwärtigt, dass sich ein Hochschulstudium aus (Präsenz- und/oder Online-)LV, verschiedenen Arten von Leistungsrückmeldungen, Eigenstudium und extracurricularen Aktivitäten zusammensetzt, ist klar, dass Leistungsrückmeldungen zusammen mit den LV zu von der Fakultät bzw. den Dozierenden zu erbringenden Leistungen gegenüber den Studierenden gehören.

In einigen Lehrverpflichtungsverordnungen (LVVO) der Bundesländer gibt es Formulierungen, die es Fakultäten ermöglichen könnten, Prüfungen als Untergruppe von Leistungsrückmeldungen die diesen gebührende Aufmerksamkeit zu schenken. Beispielhaft seien in Tabelle 1 [Tab. 1] die entsprechenden Textstellen aus vier LVVOs aufgeführt.

Im Folgenden soll erläutert werden, welche Voraussetzungen erfüllt sein sollten, damit eine Fakultät von diesen Regelungen Gebrauch machen kann. Hintergrund ist folgende Überlegung:

  • P1) Prüfungen sollten hinreichend bestimmt sein, damit der durch sie erfolgende Eingriff in die Rechte Studierender rechtskonform ist.
  • P2) Prüfungen gehören nicht zu den klassischen LV und werden in der Regel nicht auf das Lehrdeputat angerechnet, sondern zählen zur Vor- und Nachbereitung von LV.
  • P3) Lässt die LVVO die Anrechnung originär nicht vorgesehener LV zu, dann müssen diese analog zu klassischen LV berechenbar sein.
  • S) Um also Prüfungen auf das Lehrdeputat anrechnen zu können, muss man klären, welche Aspekte für die hinreichende Bestimmtheit einer Prüfung den Parametern für die Lehrdeputatsberechnung entsprechen und ob sie losgelöst von LV betrachtet werden können.

Für die Medizinische Hochschule Hannover hatte das Verwaltungsgericht Hannover in einem Beschluss zu einer digital durchgeführten Modulprüfung eine Reihe von Bedingungen formuliert, die Prüfungsordnungen erfüllen sollten [11]. Auch wenn die Rechtsprechung mit Prüfungen an elektronischen Eingabegeräten inzwischen vertrauter ist [10], stellen die damals aufgezeigten Punkte (siehe Tabelle 2 [Tab. 2]) nicht nur wichtige Pfeiler für die Rechtssicherheit von Prüfungen in Studiengängen dar, sondern auch für die Anrechenbarkeit von Prüfungen auf das Lehrdeputat. Ausgangspunkt der juristischen Überlegungen ist, dass durch die Prüfungen das Grundrecht auf Freiheit der Berufswahl nach Artikel 12 Absatz 1 GG eingeschränkt wird, weil ihr endgültiges Nichtbestehen eine spätere Berufsausübung dauerhaft verhindert. Aber auch im allgemeinen Fall einer Prüfung muss diese dem Wesentlichkeitsgrundsatz genügen und darf nur auf Grund eines Gesetzes oder eines durch ein Gesetz eingeräumten Spielraums im Rahmen einer Satzung dieses Grundrecht einschränken. Dafür sollten sich die Abläufe und Anforderungen am Grundsatz der Chancengleichheit orientieren und die gerichtliche Kontrolle des Bewertungsvorgangs weitestgehend sichergestellt werden. Dies passt sehr gut zu den internationalen Standards für objektive, valide und reliable Prüfungen [3], [4], [6].

In der ersten Spalte von Tabelle 2 [Tab. 2] sind die Parameter für die Berechnung des Curricularanteils (CAp) von klassischen LV aufgelistet. In der zweiten Spalte sind die Merkmale für eine hinreichende Bestimmtheit von Prüfungen ohne Anspruch auf Vollständigkeit aus den genannten Gerichtsurteilen zusammengestellt. Die in der dritten Spalte von Tabelle 2 [Tab. 2] aufgeführte Teilmenge dieser Aspekte sollte dagegen vollständig sein. Es sind die für die Anrechnung von Prüfungen auf das Lehrdeputat notwendigen Parameter, die eine Quantifizierung analog zu den klassischen LV ermöglichen.

Die in der zweiten Spalte von Tabelle 2 [Tab. 2] aufgeführten Aspekte betreffen alle die Objektivität von Prüfungen, womit schon deutlich wird, dass sie keineswegs hinreichend sind, um „gute“ Prüfungen sicher zu stellen. Aber es ist die Objektivität einer Prüfung, die (meist) Gegenstand ihrer juristischen Überprüfung ist. Scheinbare Ausnahmen wie das NC-Urteil des Bundesverfassungsgerichts [12] bestätigen dies. Denn damals ging es bei der Klärung der Verfassungsmäßigkeit des Antwort-Wahl-Verfahrens im Kern nicht um die Reliabilität von staatlichen Prüfungen mit Fragen im Mehrfach-Wahl-Format, sondern um deren Schwierigkeit über verschiedene Zyklen hinweg.

D.h. die juristisch geforderten Regelungen betreffen vor allem das Fundament, nicht die Wände oder das Dach des Prüfungsgebäudes eines Studiengangs und sollten selbstverständlich sein. Deshalb werden sie z.B. in den „Empfehlungen“ [8] natürlich auch angesprochen. Der Fokus der Empfehlungen richtete sich aber vor allem auf die Bedrohungen der Validität und der Reliabilität von Prüfungen, weil man meinte, dass es dort die meisten Schwachstellen gäbe. Insoweit stellen die in der zweiten Spalte von Tabelle 2 [Tab. 2] aufgeführten Merkmale nur eine Teilmenge der Kriterien für „gute“ bzw. rechtssichere Prüfungen dar. Aber sie machen die in Tabelle 1 [Tab. 1] enthaltene Forderung, nach einer Definition der weiteren für das Lehrdeputat zu berücksichtigen LV, umsetzbar.


Prüfungen

Die Medizinische Universität Wien unterscheidet in ihrer Prüfungsordnung in einer sehr hilfreichen Weise zwischen LV mit immanentem Prüfungscharakter, Lehrveranstaltungsprüfungen und Gesamtprüfungen [13]. Außerdem gibt es mit der Diplomarbeit noch eine Studienabschlussprüfung. Diese Unterscheidung verdeutlich die Bandbreite, die Prüfungen haben können und warum es nicht abwegig ist, über die getrennte Anrechnung zumindest bestimmter Prüfungsformen auf das Lehrdeputat nachzudenken. Die Reihenfolge der Erörterung richtet sich dabei nach der Schwere, der mit ihnen in der Regel verbundenen Konsequenzen [14].

Der Frage, ob eine Leistungsrückmeldung benotet oder unbenotet erfolgt, kommt dabei nur eine sekundäre Bedeutung zu. Relevant ist, ob die Leistungsrückmeldung Konsequenzen hat, also nur begrenzt wiederholt werden kann, wenn sie nicht bestanden wurde. Deshalb soll hier als erstes zwischen Leistungsrückmeldungen ohne Konsequenzen (Testate oder formative Prüfungen) und Leistungsrückmeldungen mit Konsequenzen (summative Prüfungen) unterscheiden werden. In diesem Sinne sind dann viele der in Studien- und Prüfungsordnungen als Studienleistung bezeichneten unbenoteten Leistungsrückmeldungen summative Prüfungen, weil ihr Nichtbestehen über Studienzeitverlängerungen oder die Exmatrikulation der Studierenden in die Freiheit der Berufswahl eingreift.

Studienabschlussarbeiten und Staatasexamina

Studienordnungen definieren die verschiedenen Arten von LV, die im Rahmen eines Studiums angeboten werden. Außerdem findet sich in ihnen mindestens ein Paragraph zu den Zulassungs- und Durchführungsbedingungen einer Studienabschlussarbeit. Bzgl. der Anrechnung der Studienabschlussarbeiten sind erst im Nachgang zu den Bologna-Reformen separate Paragraphen in die LVVOs aufgenommen worden (siehe Tabelle 3 [Tab. 3]), obwohl Studienabschlußarbeiten viel älter als die Bologna-Reform sind.

Damit ist für dieses traditionelle Prüfungsformat klar, dass es auf das Lehrdeputat angerechnet werden kann. Das Besondere dabei ist, dass bei Studienabschlussarbeiten die Anzahl der Betreuungsstunden, anders als beim klassischen Präsenzunterricht, nicht objektiv ermittelt, sondern nur indirekt aus der Workload der Studierenden abgeleitet wird.

Die Staatsexamina in Zahn- und Humanmedizin gehen aktuell nicht in die Berechnung der CNW für diese Studiengänge mit ein. Diesen Prüfungen ist nicht einmal in der zusammenfassenden Berechnung des jeweiligen CNW ein Lehraufwand zugeordnet. Wenn man bedenkt, dass z.B. in der ZApprO die Definition der verschiedenen Abschnitte des Staatsexamens 22 Seiten einnimmt [https://www.gesetze-im-internet.de/zappro/BJNR093310019.html] und in der aktuellen Fassung der ÄApprO [https://www.gesetze-im-internet.de/_appro_2002/BJNR240500002.html] immerhin auch schon 12 Seiten umfasst, verwundert dies. Denn gerade für diese Staatsexamina sind in den einschlägigen Verordnungen die von den Verwaltungsgerichten eingeforderten Merkmale für eine hinreichende Bestimmtheit einer Prüfung gut geregelt und sie werden normalerweise auch bei der Prüfungsdurchführung so gut dokumentiert, dass sowohl eine Anrechnung auf das individuelle Lehrdeputat als auch auf den CNW durchaus möglich wäre.

Anders als bei Bachelor- oder Masterarbeiten, ist die die Prüfung verantwortende Institution zwar nicht die Hochschule, sondern ein Landesprüfungsamt. Die Durchführung der eigentlichen Prüfung obliegt aber Mitgliedern einer Hochschule. Eine Anrechnung der Prüfungszeiten auf das Lehrdeputat wäre also durchaus gerechtfertigt, zumal auch niemand bezweifelt, dass die mündlichen Prüfungsformate, im Unterschied zu den schriftlichen Staatsexamina mit bundeseinheitlichen Prüfungsfragen, eine Vorbereitung durch die Dozierenden vor Ort erfordern. Umgekehrt erkennen die Verwaltungsgerichte die Durchführung dieser Staatsexamina aber nicht als Gründe für eine Deputatsreduktion an, weil sie ja Teil der akademischen Lehrverpflichtung seien.

Gesamtprüfungen

Gesamtprüfungen fassen die Inhalte aller LV eines Semesters oder eines Studienjahres zusammen, unabhängig davon, ob die Gesamtprüfung formativ oder summativ angelegt ist [13]. Ähnlich wie Studienabschlussprüfungen oder Staatsexamina sind die summativen Gesamtprüfungen keineswegs als Vor- und Nachbereitung einzelner LV konzipiert. Ihre Erstellung, Durchführung und Auswertung kann also nur schwer als Teil der Vor- und Nachbereitung einer LV oder eines Moduls verstanden werden. Gleichwohl sind sie integraler Bestandteil des Studiengangs, wenn sie z.B. über das Fortschreiten in den nächsten Studienabschnitt entscheiden.

Ein aktuelles Beispiel für eine solche summative Gesamtprüfung stellt die im Überarbeiteten Referentenentwurf einer neuen Approbationsordnung Humanmedizin [15] in § 37 geforderte klinisch-praktische Prüfung (also eine Objective Clinical Examination: OSCE) dar. Die zukünftige OSCE nach § 37 ÄApprO würde alle Voraussetzungen der LVVOs für eine Anrechnung auf das Lehrdeputat erfüllen. Und die Festlegung der Prüfungszeit wäre sogar in einem materiellen Gesetz geregelt.

Ein Beispiel für formative Gesamtprüfungen wären die an vielen Standorten angebotenen freiwilligen Teilnahmen an einem Progress-Test [16], wenn sie für den formalen Studienfortschritt irrelevant sind. Sie stellen eine besondere Form des Eigenstudiums dar.

Modulprüfungen

Lehrveranstaltungsprüfungen schließen eine LV durch eine Prüfung als singulären Akt an einem, maximal zwei Tagen ab. Die Wiener Ordnung [13] lässt dabei offen, ob sich diese nur auf die Vorlesung eines Blockes oder auf die Kombination aus Vorlesung, Seminar und Praktikum bezieht, wie man es für eine Modulprüfung unterstellen würde. Verallgemeinernd soll hier von Modulprüfungen gesprochen werden.

Auf den ersten Blick spricht viel dafür, dass man Prüfungen, die den Studierenden eine Leistungsrückmeldung zum gerade besuchten Modul geben, wie bisher einfach als Teil der Vor- und Nachbereitung betrachtet. Diese traditionelle Herangehensweise macht auch Sinn bei unstandardisierten Prüfungen mit einer unklaren Objektivität, die nicht die Minimalbedingungen an eine nachvollziehbare Prüfung erfüllen (sollen). Sie entsprechen damit aber einer Prüfungspraxis, die in den letzten Jahren immer wieder von den Verwaltungsgerichten als rechtswidrig verworfen wurde [8], [9].

Weil sich Module häufig aus verschiedenen Lehrveranstaltungsformaten zusammensetzen, ist die Modulprüfung nicht mehr eineindeutig der Vor- und -nachbereitung einer LV zuzuordnen. Außerdem erfordert eine standardisierte Prüfung einen hohen Aufwand, wenn sie objektiv, reliabel und valide sein soll. So ist eine schriftliche Prüfung im Antwort-Wahl-Verfahren, denen Verwaltungsgerichte generell in Verkennung der Literatur zur Prüfungsqualität [17] ja ein besonderes Misstrauen entgegenbringen, mit 60 oder mehr Fragen nicht in der Zeit erstellt, die man für die Erstellung einer zweistündigen Vorlesung benötigt. Und eine 12-Stationen OSCE erfordert auch mehr Aufwand, als wenn man einen Jahrgang Medizinstudierende in Kleingruppen je vier Stunden lang im SkillsLab unterrichtet [18].

Für die Anrechenbarkeit auf das Lehrdeputat sprechen neben dem mit Tabelle 2 [Tab. 2] genügenden Prüfungen verbundenem Aufwand auch rein pragmatische Gründe. Es ist kein Hexenwerk in einer Modulbeschreibung neben der Vorlesung auch die Prüfung separat auszuweisen und die Prüfungsform darüber hinaus in der Prüfungsordnung zu definieren und alle Modulprüfungen explizit aufzulisten. Selbst wenn die Vorlesung über die Jahre unverändert bestehen bleibt, kann dann aus der rein schriftlichen Prüfung mit Freitextfragen im Laufe der Jahre eine Prüfung nach dem Antwort-Wahl-Verfahren an elektronischen Endgeräten werden und dies durch eine kleine Änderung der Prüfungsordnung dokumentiert werden.

Bzgl. der Differenzierung zwischen Modulprüfungen mit und ohne Konsequenzen gilt das Gleiche wie schon für die Studienabschlussprüfungen gesagt wurde. Formative Modulprüfungen würden eine besondere Form des Eigenstudiums darstellen.

Lehrveranstaltungen mit immanentem Prüfungscharakter

Wenn innerhalb einer LV bestehensrelevante Leistungsrückmeldungen gegeben werden, handelt es sich nach der Wiener Prüfungsordnung [13] um eine LV mit immanentem Prüfungscharakter. Die Musterprüfungsordnung der Leibniz-Universität Hannover [19] spricht von Veranstaltungsbegleitenden Prüfungen. In beiden Namen kommt die Tatsache zum Ausdruck, dass es sich nicht um einen singulären Prüfungsakt, sondern um wiederholte, mehrfache Prüfungsakte handelt, die aber als Gesamtleitung bewertet werden.

Klassische Beispiele für solche Leistungsrückmeldungen sind Referate in Seminaren, das Anfertigen von Gipsabdrücken und Modellen in der Zahnmedizin oder auch die Erstellung von Laborprotokollen in naturwissenschaftlichen Praktika. Eben weil diese studentischen Leistungen während der normalen Seminar- oder Praktikumstermine erbracht werden, sind sie aber nicht von den Präsenzterminen zu trennen. Sie können auch nicht separat als Prüfung auf das Lehrdeputat angerechnet werden, denn das Referat einzelner Studierender in den Seminarveranstaltungen ist für die Zuhörenden eine LV und für die Vortragenden eine Prüfungsleistung, wobei die Rollen von Termin zu Termin wechseln. Und das Betreuungsverhältnis Lehrende: Studierende bezieht sich bei den Studierenden auf die Vortragenden (Prüflinge) und die Zuhörenden zusammen.

Anders sieht es bei einem Seminar aus, in dem verschiedene Themen an den Terminen besprochen werden, die dann in zum Semesterende abzugebenden Hausarbeiten vertieft werden sollen. Auch ein Praktikum, in dem klinische Untersuchungstechniken trainiert werden, ist keine LV mit immanentem Prüfungscharakter, wenn die summative Leistungsrückmeldung über eine abschließende OSCE erfolgt. Diese Prüfungen haben einen singulären Charakter und fallen unter die im vorherigen Abschnitt dargestellte Kategorie, weil sie von den LV zeitlich getrennt sind.


Diskussion

Wenn Leistungsrückmeldungen Studierenden eine didaktisch differenzierte Rückmeldung geben sollen, ist ihre Erstellung, Durchführung und Auswertung mit Aufwand verbunden. Deshalb hatte der Deutsche Hochschulverband 2019 seinen Vorstoß zu einer Reduktion des Lehrdeputates für Hochschullehrer u.a. mit den erhöhten Anforderungen an Prüfungen begründet [20]. Eine solche Lösung fördert aber nicht die Erstellung qualitativ hochwertiger Prüfungen, sondern behindert sie nur weniger als die bestehende Praxis. Und da Leistungsrückmeldungen mit Konsequenzen für den weiteren Lebensweg der Studierenden verbunden sind, wenn es sich um summative Prüfungen handelt, sollten sie hinreichend bestimmt sein, damit sie nicht nur objektiv, valide und reliabel [21], sondern auch rechtskonform sind. Je weitreichender die Konsequenzen von Prüfungen sind, desto transparenter sollten die Bedingungen sein, unter denen eine Prüfung durchgeführt wird und desto höher (in juristischen Sinne) muss die Prüfung verankert sein [9]. Die hier vorgeschlagene separate Anrechnung von Prüfungen auf das Lehrdeputat würde dies begünstigen.

Für alle im vorhergehenden Abschnitt diskutierten summativen Prüfungstypen kann dies als minimales Niveau nur die jeweilige Prüfungsordnung mit expliziten Festlegungen nach den in Tabelle 2 [Tab. 2] genannten Aspekten sein. Wegen der fehlenden Konsequenzen müssten formative Prüfungen aus Gründen der Rechtskonformität nicht in einer Prüfungsordnung explizit geregelt sein. Für ihre Anrechenbarkeit auf das Lehrdeputat wäre es aber eine notwendige Voraussetzung. Für die Verbesserung der Studienqualität ebenfalls.

Abbildung 1 [Abb. 1] verdeutlicht die hier vorgeschlagene Unterscheidung von schon jetzt auf das Lehrdeputat anrechenbare (grün), potenziell auf das Lehrdeputat anrechenbare (gelb) und nicht anrechenbare Prüfungen (rot). Akzeptiert man diese Unterteilung so stellt sich die Frage, warum von den Verwaltungsgerichten als notwendig angesehenen Kriterien für eine hinreichende Bestimmtheit von Prüfungen nur zum Teil für die Anrechnung auf das Lehrdeputat notwendig sind.

Für die Anrechnung von LV muss man den Inhalt der LV in Form des Themas, die Veranstaltungsdauer in Form von Stunden und die normative Betreuungsrelation bzw. Gruppengröße kennen. In der Regel wird dabei davon ausgegangen, dass eine lehrende Person permanentq im Raum ist. Diese Parameter sind auch für Prüfungen in einer rechtskonformen Prüfungsordnung festgelegt und für eine Anrechnung unverzichtbar. Die Tatsache, dass es trotzdem viele Studien- und Prüfungsordnungen gibt, die dies nicht umsetzen, sagt nur etwas über das Ausmaß an Intransparenz der jeweiligen Studiengänge aus.

Unter welchen Bedingungen Studierende für eine LV oder eine Prüfung zugelassen werden, die Teilnahme bzw. das Bestehen bescheinigt wird, welche Konsequenzen eine Nicht-Teilnahme bzw. ein Nicht-Bestehen hat und wie dies alles dokumentiert wird, sind in guten Studien- bzw. Prüfungsordnungen in der Regel auch explizit geregelt. Für die Berechnung des jeweiligen Curricularanteils sind diese Daten aber weder bei LV noch bei Prüfungen relevant.

Es bleibt die Frage, warum nicht in allen Prüfungsordnungen die vom BVerwG festgestellten grundlegenden Standards für rechtssichere Prüfungen explizit umgesetzt werden, zumal diese auch grundlegende Kriterien für die Objektivität von Prüfungen sind. Die Antwort hat vielleicht mit der Bereitschaft eingefahrene Wege zu verlassen und Kosten auszuweisen zu tun [14]. Die Kosten einer einzelnen Prüfung verändern sich jedenfalls in der Regel nicht signifikant, wenn man sich für eine Prüfung an internationalen Standards orientiert [3], [22] und/oder sie theoriegeleitet konstruiert [23]. Vielleicht würden sich die aufgewendeten Arbeitsstunden verändern, wenn man Prüfungen auf das Lehrdeputat anrechnen kann. Arbeitsstunden sind Vorbereitung, Durchführung und Auswertung von Prüfungen allerdings auch heute schon. Definitiv steigen würden die zu veranschlagenden Kosten für die Durchführung eines Studiengangs bzw. dessen CNW. Ob die tatsächlichen Kosten steigen, hängt von der aktuellen Qualität eben dieser Prüfungen (bzw. dem in sie investierten Arbeitsaufwand) ab. Aber wenn man den Gedanken ernst nimmt, dass Prüfungen eine Grundrechtseinschränkung darstellen können, sollte man dies nicht versteckt unter „Sonstiges“ verbuchen. Und vielleicht steigen dann die Absolventenzahlen absolut betrachtet an.



Interessenkonflikt

Der Autor erklärt, dass er keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel hat.


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