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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Christian Jassoy, Jens-Karl Eilers, Andreas Sönnichsen: Wissenschaftskompetenz in der Medizin

Buchbesprechung Rezension

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  • corresponding author Volker Paulmann - Medizinische Hochschule Hannover, Studiendekanat, Bereich Lehr- und Lernforschung, Hannover, Deutschland

GMS J Med Educ 2024;41(1):Doc2

doi: 10.3205/zma001657, urn:nbn:de:0183-zma0016577

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2024-41/zma001657.shtml

Eingereicht: 11. Oktober 2023
Überarbeitet: 19. Dezember 2023
Angenommen: 19. Dezember 2023
Veröffentlicht: 15. Februar 2024

© 2024 Paulmann.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Bibliographische Angaben

Christian Jassoy, Jens-Karl Eilers, Andreas Sönnichsen

Wissenschaftskompetenz in der Medizin

Verlag: Thieme

Erscheinungsjahr: 2022, Seiten: 184, Preis: € 39,99

ISBN: 978-3-13-243209-3


Rezension

In den letzten Jahren sind an vielen medizinischen Fakultäten neue Lehrkonzepte entstanden, die auf die Vermittlung von wissenschaftlichen Kompetenzen ausgerichtet sind. An begleitender Literatur für die damit verbundenen Lern- und Lehrprozesse, die systematisch die spezifischen Herausforderungen in der Medizin in den Blick nimmt, besteht gleichwohl ein eklatanter Mangel. Bislang mussten Studierende im Medizinstudium – zumeist im Rahmen ihrer Promotionsphase – auf verstreut vorliegende Skripte oder fachfremde Literatur zurückgreifen. Mit der rund 180 Seiten starken Buchveröffentlichung von Jassoy/Eilers/Sönnichsen liegt das laut Verlagsauskunft „erste Lehrbuch zum neuen Studienfach (sic!) Wissenschaftskompetenz“ vor. Als Zielgruppe können aber im Prinzip alle Personen in Betracht kommen, die sich mit wissenschaftlichen Fragestellungen in der Medizin auseinandersetzen wollen. Dem Charakter eines Lehrbuchs entsprechend können Abschnitte oder Unterkapitel selektiv gelesen werden, ohne die Orientierung zu verlieren. Quer- und Quellenverweise erlauben die Vertiefung an anderer Stelle im Buch oder in weiterführender Literatur. Auch das Stichwortverzeichnis erlaubt einen schnellen Einstieg.

Der erste Abschnitt behandelt auf rund 30 Seiten die grundlegenden Forschungsparadigmen der Medizin (Beobachtungen und Hypothesen) sowie die gängigen Studien- und Berichtsformen von der experimentellen Grundlagenforschung über klinische, diagnostische und epidemiologische Fragestellungen bis zur Versorgungsforschung.

Im zweiten Abschnitt werden statistische Grundbegriffe erläutert sowie die wichtigsten Tests und ihre Anwendungsbereiche vorgestellt.

Im dritten Abschnitt wird die praktische Studiendurchführung in den Blick genommen. Von der Informationsbeschaffung, über den Projektplan und Fragen der Stichprobengestaltung, über die Gefahr des Bias, bis zu ethischen Aspekten wird der Prozess der Erkenntnisgewinnung beleuchtet.

Der letzte und umfangreichste Teil des Buches ist den zentralen Zielen, Methoden und Beurteilungsschritten der Evidenzbasierten Medizin (EBM) gewidmet. Eingebettet in die Vorstellung systematisierter Recherchestrategien werden hier die wissenschaftlichen Methoden auf der Ebene der Patientenversorgung zusammengeführt. Damit wird ein zentraler Fixpunkt in der Entwicklung von wissenschaftlich kompetenten Ärztinnen und Ärzten gesetzt – die Fähigkeit, eigenständig komplexe Informationen zu suchen, wissenschaftlich fundiert zu bewerten und im klinischen Anwendungsbereich zum Wohle der Patientinnen und Patienten einzusetzen.

Die vier Hauptkapitel eint der Anspruch, die relevanten Aspekte wissenschaftlichen Arbeitens in der Medizin möglichst vollständig aufzunehmen, was auch überzeugend gelingt. Allerdings bleiben bei dieser Kartierung die „dynamischen“ Entwicklungen des Wissenschaftsbetriebs teilweise randständig. So ließe sich beispielhaft bei dem Einsatz von Tiermodellen (S. 96f.) auch aufzeigen, welche Probleme und Alternativen mittlerweile in der Scientific Community diesbezüglich diskutiert werden. Auch für die Irrwege (und neue Ansätze) im Publikationswesen wären Einschätzungen zu zukünftigen Entwicklungen sicherlich lesenswert, nicht zuletzt vor dem Hintergrund der künstlichen Intelligenz.

Hinsichtlich der Gestaltung des Bandes ist das deutliche Bemühen erkennbar, eine studentische Zielgruppe und ihr Lernverhalten zu adressieren. In dem zweispaltig gesetzten Layout mit kleinem Schriftgrad wechseln sich kurze Fließtexte, informative Grafiken und Tabellen ab. Am Ende der komprimierten, mitunter glossarhaften Abschnitte werden die wichtigsten Inhalte nochmals in farbig abgesetzten „Merkkästchen“ zusammengefasst. Den Pfad der nüchternen Lehrbuchprosa verlassen die Autoren dabei nur selten. Am ehesten in den als „vertiefendem Wissen“ gekennzeichneten kurzen Einschüben, die Erfahrungswissen und ungeschriebene Gesetze des Wissenschaftsbetriebes aufnehmen. Bei manchen der vorgestellten Phänomene, wie etwa die Verbreitung von „Raubjournalen“ (S. 109), wären zusätzlich konkrete Ratschläge zu einem adäquaten Umgang wünschenswert gewesen. Eine stärkere orientierende Hand würde sicherlich auch im statistischen Grundlagenteil einen Mehrwert bieten. Zumindest für die gebräuchlichsten Tests (Tab. 16.2, S.67) wären Hinweise auf weiterführende, erläuternde Literatur sicherlich hilfreich, um die praktischen Schritte in der eigenen wissenschaftlichen Arbeit zu erleichtern.

Fazit

Mit Blick auf die Anforderungen, die der Nationale Kompetenzbasierte Lernzielkatalog Medizin (NKLM) und die neue Approbationsordnung an das wissenschaftliche Arbeiten im Medizinstudium stellen, bietet das Buch einen wertvollen Orientierungsrahmen. Seine Stärke liegt fraglos in der Breite der betrachteten Aspekte, die das Anforderungsprofil einer Scientific Literacy umfassend definieren. Dass die inhaltliche Vertiefung von Detailaspekten gelegentlich auf der Strecke bleibt, ist dabei wohl kaum zu vermeiden. Den Leserinnen und Lesern wird aber verdeutlicht, dass wissenschaftliches Denken und Handeln zu den Grundlagen der ärztlichen Arbeit gehört und fest im Studium und in der Weiterbildung verankert werden müssen. Wünschenswert wäre des Öfteren ein vergleichender Blick in andere Fachkulturen gewesen, der gerade für junge Medizinerinnen und Mediziner die Wahrnehmung für das Universelle, aber auch die Eigenheiten der medizinischen Wissenschaft schärfen könnte. Damit verbunden wäre ergänzend zu dem einleitenden kurzen Ausflug in die Medizingeschichte ein erkenntnistheoretisches Schlaglicht hilfreich gewesen: Ist die Medizin als wissenschaftliche Disziplin nur als Summe aus Einzelfächern (Naturwissenschaften, Sozialwissenschaften, Methodenkanon etc) zu verstehen? Und was könnten demgegenüber die Merkmale einer spezifischen „Wissenschaftskompetenz in der Medizin“ sein?

Aus didaktischer Sicht hätte zudem eine Erörterung der Frage, in welchem Verhältnis Forschung und Lehre in der Medizin eigentlich stehen, eine Bereicherung dargestellt. Im Reigen der vorgestellten medizinischen Forschungsbereiche im ersten Abschnitt werden der medizinischen Ausbildungsforschung leider auch nur drei ganze drei Sätze gewidmet. Für die Curriculumsentwicklung bietet der Band dennoch vielfältige Ansatzpunkte für die Vermittlung wissenschaftlicher Kompetenzen – nicht zuletzt hinsichtlich der Identifizierung eigener blinder Flecken.

Ausblick

Die Veränderungen in der Forschungslandschaft, die unübersehbar wachsende Flut an Veröffentlichungen, die noch nicht fassbaren Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz, aber auch das sich wandelnde Verhältnis von der Wissenschaft zur Öffentlichkeit verlangen von der jungen Forschergeneration einen wachen Blick für neue Trends. Insofern bieten sich für das Lehrbuch und andere Publikationsansätze noch zahlreiche Anknüpfung- und Vertiefungsmöglichkeiten.


Hinweis

Die Erstellung der englischsprachigen Fassung der Rezension erfolgte unter Zuhilfenahme von DeepL und ChatGPT.



Interessenkonflikt

Der Autor erklärt, dass er keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel hat.