gms | German Medical Science

GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Jan Stöhlmacher: Damit Vertrauen im Sprechzimmer gelingt: Ein persönlicher Wegweiser für Patienten und ihre Angehörigen

Buchbesprechung Rezension

Suche in Medline nach

GMS J Med Educ 2023;40(4):Doc41

doi: 10.3205/zma001623, urn:nbn:de:0183-zma0016235

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2023-40/zma001623.shtml

Eingereicht: 17. Januar 2023
Überarbeitet: 28. April 2023
Angenommen: 28. April 2023
Veröffentlicht: 15. Juni 2023

© 2023 Angstwurm.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Bibliographische Angaben

Jan Stöhlmacher

Damit Vertrauen im Sprechzimmer gelingt: Ein persönlicher Wegweiser für Patienten und ihre Angehörigen

Verlag: Quintessenz Verlags-GmbH

Erscheinungsjahr: 2022, Seiten: 204, Preis: € 14,90

ISBN: 978-3-86867-602-0


Rezension

Vertrauen in das Gesundheitssystem und v.a. in die direkt behandelnde Ärztin oder den Arzt führt zu einer Verbesserung der Behandlungsergebnisse [1]. Das Verhalten des Arztes beeinflusst das Vertrauen des Patienten [2]. Im Bundesdurchschnitt geben seit Jahren konstant etwa 90% der Patienten an, mit ihrem Arzt zufrieden zu sein, 10% der Patienten haben aber seit Jahren konstant kein gutes oder sehr gutes Verhältnis zu ihrem Arzt [https://www.kbv.de/html/versichertenbefragung.php]. Es finden sich deutliche Schwankungen in Abhängigkeit von der Herkunft oder auch zwischen den Bundesländern. Bereits die Privatsphäre zum Beispiel am Empfang einer Praxis oder eines unpersönlichen Krankhauses spielt eine große Rolle, ob sich der Patient angenommen fühlt oder nicht. Im Jahr 2021 waren 39% der Befragten weniger oder überhaupt nicht zufrieden mit der Privatsphäre am Empfang zufrieden. 2017 gaben 6% der Patienten an, dass sie trotz Erklärung des akuten Problems oder der Erkrankung dies nicht verstanden haben. Leider fragen die Patienten dann zu wenig nach, um den Betrieb des Gesundheitswesens oder die allwissenden Mitarbeiter nicht aufzuhalten.

„Es ist eines der wichtigsten Gespräche im Leben eines Menschen, wenn er erfährt, schwer erkrankt zu sein“, sagt Jan Stöhlmacher, ein Hämatologe und Onkologe. Zwei seiner nächsten Angehörigen begleitete er durch diese Lebensabschnitte und beobachtet dabei seine eigenen Emotionen, reflektiert das Verhalten von sich selbst und vor allem der betreuenden ärztlichen Kollegen. Wiederholt erschien ihm die Reaktion der Ärzte und Ärztinnen unpassend. Diese Erlebnisse und sein individueller Umgang mit der eigenen Hilflosigkeit führten zu einer intensiven Beschäftigung mit dem Thema „Vertrauen – was Patienten und Angehörige für ein gutes Gesprächsklima tun können“. Gedanken und Vorschläge zur Verbesserung der Kommunikation finden sich in der Literatur z.B. bei onkologischen Patienten (z.B. [3], [4]). Aber gerade die authentischen Schilderungen von Situationen aus der Perspektive eines betroffenen Angehörigen ermöglichen nachvollziehbare emotionale Reaktionen, die die Empathie für Patienten fördern, seine unantastbare Würde respektieren und auf evtl. Mängel in der verbal wie non-verbalen Kommunikation hinweisen. Diese Sichtweise ist sicherlich neu und in der Literatur noch nicht ausreichend dargestellt.

Für welche Zielgruppen könnte das Buch einen relevanten Nutzen darstellen?

Patienten

Der Autor schreibt sehr gut verständlich auch für den Laien, er argumentiert gut nachvollziehbar und persönlich, gibt seine individuellen Erfahrungen und Einschätzungen preis, scheut sich nicht Gefühle zu zeigen und kann so Hilfestellungen für ein gutes sensibles Gespräch zwischen einem Patienten, einer möglichen Begleitperson, sowie den behandelnden Ärztinnen und Ärzten anbieten. Er vermeidet es eine Checkliste zu erstellen, nach der ein Gespräch vorbereitet werden soll oder nach dem ein Gespräch abzulaufen hat. Er lässt dadurch den Raum für individuelle Situationen, die den Bedürfnissen von Patienten entgegenkommen. Neben viele Ideen und Empfehlungen zu Verhalten und Strategien fordert er zukünftige Patienten auf, als mündige, möglicherweise auch kritisch hinterfragende Bürger aufzutreten und nicht als reine Empfänger von Informationen und Handlungsanweisungen. Ein kooperatives sensibel geführtes Gespräch, seine Fortführung über mehrere Termine und ausreichend Zeit für alle Fragen sind die Grundlage der vertrauensvollen ärztlichen Tätigkeit. Nur so kann der mündige, selbstbestimmte Patient in die Entscheidungsfindung einbezogen werden, nur so wird die Würde des einzelnen Patienten respektiert.

Studierende

Die Sichtweise von Patienten und ihre Wahrnehmung der ärztlichen Tätigkeiten sind für junge Studierende nicht bekannt, die noch keine lange Lebenserfahrung aufweisen können. Im weiteren Studium bis in das praktische Jahr hinein erwerben die Studierenden sehr viel theoretisches Wissen und Kompetenzen, nehmen aber oft die Rolle des Patienten nicht ein. Welche unbewussten Interaktionen zwischen einer Ärztin bzw. einem Arzt und seinen Patientinnen/Patienten stattfinden, lassen sich aus der Reflexion und mit der langjährigen Erfahrung aus dem Beruf eines Arztes bemerken. In diesem kleinen Buch werden anhand von vielen authentischen Gesprächssituationen die Reaktionen von Betroffenen und Angehörigen auf verbale und nonverbale Kommunikation aufgezeigt. „In meiner Tätigkeit als Leiter einer Universitätsambulanz habe ich erlebt…“ (S. 14).

Dieser sehr pragmatische Ansatz für eine Reflexion über Gespräche und Situationen erlauben Einsichten, die der Autor sehr persönlich beschreibt. Es kommt sehr gut zu Tage, dass diese Interaktionen von den individuellen Persönlichkeiten der Patienten, den möglichen Begleitpersonen und den behandelnden Ärztinnen und Ärzten abhängt. Diese Situationen erlauben es Studierenden in fortgeschrittenen Semestern und während des praktischen Jahres über ihre eigenen Erfahrungen zu reflektieren [5]. Damit kann jeder Studierende mit zunehmenden Kompetenzen in den Anamnesetechniken und der eigenständigen, leider oftmals ungenügend supervidierten Betreuung von Patienten dieses Buch dazu nutzen, seine Herangehensweise in der Führung von Patienten zu hinterfragen. Es werden naturgemäß viele Blickrichtungen eines Arztes dargestellt und coram publicum reflektiert. Dadurch wird der Leser animiert, eigene Situationen und Verhaltensweisen zu überdenken. Dies ist ein sehr wichtiger, vielleicht nicht unbedingt intendierter Effekt, der beim Lesen des Buches eintritt. Die Lektüre erscheint sehr empfehlenswert auch für PJ-Studierende aller Fachrichtungen und nicht nur wie im Untertitel angegeben eine Hilfestellung für Patienten.

Lehrpersonal und Entwickler eines Curriculums

Schließlich kann das Buch auch als Ideengeber fungieren, Prüfungsszenarien für Studierende zu generieren, in denen nicht das fachliche Wissen, sondern die Kompetenz der Kommunikation mit dem Patienten das wesentliche Prüfungsziel ist. Diese grundlegende Kompetenz einer patientenorientierten Kommunikation mit dem wünschenswerten Ziel eines gleichberechtigen Gesprächs mit dem wertgeschätzten Patienten ist im Nationalen Kompetenz basierten Lernzielkatalog der Medizin vorgegeben. Möglicherweise werden aber bisher nicht ausreichend häufig diese Fallszenarien z.B. im Problem orientierten Lernen verwendet, als relevant für den Beruf des Arztes eingeschätzt oder überprüft. Da es, wie im Buch beschrieben, oft gar nicht große Fehler sind, die die Wertschätzung und das empathische Gespräch insbesondere in für den Patienten bedeutsamen Situationen beeinträchtigen, kann das Buch Anregungen für zukünftige Prüfungsformate geben. In praktischen Szenarien z.B. mit Schauspielpatienten können diese realitätsnah dargestellt werden. Beispielhaft können in OSCE-Prüfungen Reaktionen der Studierenden auf Fragen des Patienten hinsichtlich der Wertschätzung eines individuellen Patienten als zu erlernende Kompetenz überprüft werden können. Die beschriebenen Szenarien könnten Grundlage für die Entwicklung von Rollenspielen sein. Das Buch kann die Zukunft einer humanen, Patienten zentrierten individuellen Kommunikation und die Fähigkeit zur kooperativen Entscheidung in der Medizin sehr positiv beeinflussen.

Praktisch tätige Ärzte

In einer repräsentativen Umfrage der Kassenärztlichen Bundesvereinigung aus dem Jahr 2018 an insgesamt 6.043 zufällig ausgewählten Personen waren etwa 16% mit der Behandlung nicht zufrieden.

Von diesen kommunizierten lediglich 37% ihre Beschwerden auch tatsächlich. 17% fühlten sich nicht ernstgenommen, 15% empfanden den Arzt und 7% die Praxismitarbeiter als unhöflich [https://www.kbv.de/html/versichertenbefragung.php].

Alle Ärztinnen und Ärzte werden durch die Beschäftigung mit dem Buch die Sichtweise auf ihr Verhältnis zu den Patienten reflektieren. Der Autor entwickelt aus den praktischen Situationen seine Gedanken. Diese Situationen sind dem beruflichen Alltag entnommen, sodass vermutlich jede Ärztin oder Arzt ähnliche Situationen bereits einmal durchgemacht haben wird. Ein kurzes Überfliegen des Buches ist weder sinnvoll noch erfolgreich. Da Vertrauen nicht innerhalb von kurzen Momenten entsteht, sondern nur mit wiederholten längeren Kommunikationen entsteht, aber auch durch unbedachtes Handeln leicht zu zerstören ist, scheint ein rasches Durcharbeiten des Buches nicht möglich. Das Buch verleitet dazu, dass im Gesundheitswesen tätige Personen über ihr Handeln und ihre verbale sowie non-verbale Kommunikation reflektieren. Das wird vermutlich jedem nützen. Um eine Selbstreflexion über die Gesprächssituationen mit Patienten zu fördern, eine bessere Kommunikation, möglicherweise eine Änderung des bisherigen Verhaltens zu erreichen, wird das Buch über längere Zeit einen Anstoß geben können und hoffentlich einen Prozess anstoßen.

Eine vertrauensvolle Kommunikation zwischen Arzt und Patient führt auch dazu, dass die Behandlung fortgesetzt und ein Wechsel zu einem anderen Kollegen/Kollegin vermieden werden kann. Die Abwendung eines/einer Patientin oder der Angehörigen ruft bei dem behandelnden Arzt selbst auch negative Emotionen hervor, die zu einer dauerhaften Belastung, schließlich auch in einer Unzufriedenheit oder depressiven Stimmung führen können. Die vertrauensvolle Kommunikation im Sprechzimmer auch von Seiten des Arztes ist daher eine wesentliche Voraussetzung für die Zufriedenheit mit der ärztlichen Tätigkeit, reduziert die Angst vor unangenehmen Situationen oder bei der Übermittlung von schlechten Nachrichten und wirkt einem Burnout entgegen [6].

Schließlich kann das Buch auch einem Arzt dazu dienen, in der Rolle eines die individuelle Person des Patienten begleitenden Freundes oder Angehörigen übe die Kommunikation eines Arztes zu reflektieren und den Arzt auf seine neue Rolle als begleitender Angehöriger vorzubereiten [7].

Fazit

Vertrauen ist die Grundlage jeder Beziehung. Vertrauen beeinflusst Verhalten, Kooperation, Nachahmung und Weiterentwicklung. Zudem fördert das Vertrauen in den Arzt die Therapieadhärenz und damit das Langzeitergebnis einer Therapie. Allerdings wird Vertrauen wird sehr leicht zerstört vor allem in emotional belastenden Situationen. Die Selbstreflexion über das eigene Verhalten mit dem Ziel einer vertrauensvollen, wertschätzende Begleitung jedes Menschen in besonderen Situationen sollte Bestandteil jeder professionellen Entwicklung sein. Diese kommt jedoch in der täglichen Praxis der Kommunikation zwischen Arzt und Patient wesentlich zu kurz. Für alle im Gesundheitswesen tätigen Personen kann das Buch „Damit Vertrauen im Sprechzimmer gelingt“ von Jan Stöhlmacher ausdrücklich empfohlen werden.


Anmerkung

Um die bessere Lesbarkeit zu erreichen, wird zumeist das generische Maskulinum verwendet. Die Personenbezeichnungen beziehen sich stets auf alle Geschlechter.


Interessenkonflikt

Der Autor erklärt, dass er keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel hat.


Literatur

1.
Fiscella K, Meldrum S, Franks P, Shields CG, Duberstein P, McDaniel SH, Epstein RM. Patient trust: is it related to patient-centered behavior of primary care physicians? Med Care. 2004;42(11):1049-1055. DOI: 10.1097/00005650-200411000-00003 Externer Link
2.
Thom DH; Standford Trust Study Physicians. Physician behaviors that predict patient trust. J Fam Pract. 2001;50(4):323-328.
3.
Davidson R, Mills ME. Cancer patients' satisfaction with communication, information and quality of care in a UK region. Eur J Cancer Care (Engl). 2005;14(1):83-90. DOI: 10.1111/j.1365-2354.2005.00530.x Externer Link
4.
Bredart A, Bouleuc C, Dolbeault S. Doctor-patient communication and satisfaction with care in oncology. Curr Opin Oncol. 2005;17(4):351-354. DOI: 10.1097/01.cco.0000167734.26454.30 Externer Link
5.
Mangione S, Chakraborti C, Staltari G, Harrison R, Tunkel AR, Liou KT, Cerceo E, Voeller M, Bedwell WL, Fletcher K, Kahn MJ. Medical Students' Exposure to the Humanities Correlates with Positive Personal Qualities and Reduced Burnout: A Multi-Institutional U.S. Survey. J Gen Intern Med. 2018;33(5):628-634. DOI: 10.1007/s11606-017-4275-8. Externer Link
6.
Hiefner AR, Constable P, Ross K, Sepdham D, Ventimiglia JB. Protecting Family Physicians from Burnout: Meaningful Patient-Physician Relationships Are "More than Just Medicine". J Am Board Fam Med. 2022;35(4):716-723. DOI: 10.3122/jabfm.2022.04.210441 Externer Link
7.
Ehrenstein C. “Die Abschiedsworte der Ärztin empfand ich als unpassend”. Interwie mit Jan Stöhlmacher. Welt. 21.04.2023. Zugänglich unter/available from: https://www.20min-20.com/?_=%2Fgesundheit%2Fplus239874741%2FKrebs-Die-Abschiedsworte-der-Aerztin-empfand-ich-als-unpassend.html%23KJWqMdlUlBn8PPpbRxjsk8XxfQ%3D%3D Externer Link
8.
Kim AM, Bae J, Kang S, Kim YY, Lee JS. Patient factors that affect trust in physicians: a cross-sectional study. BMC Fam Pract. 2018;19(1):187. DOI: 10.1186/s12875-018-0875-6  Externer Link