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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Die Auswirkungen des Klimawandels auf den ärztlichen Beruf – eine neu implementierte Lehrveranstaltung zur medizinischen Ökologie

Artikel Ökologie

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  • Claudia Gundacker - Medizinische Universität Wien, Institut für Medizinische Genetik, Wien, Österreich
  • corresponding author Monika Himmelbauer - Medizinische Universität Wien, Teaching Center, Wien, Österreich

GMS J Med Educ 2023;40(3):Doc30

doi: 10.3205/zma001612, urn:nbn:de:0183-zma0016120

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2023-40/zma001612.shtml

Eingereicht: 13. Januar 2022
Überarbeitet: 1. September 2022
Angenommen: 31. Oktober 2022
Veröffentlicht: 15. Mai 2023

© 2023 Gundacker et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Zielsetzung: Die Folgen des Klimawandels auf die Gesundheitssysteme, als auch die individuelle Mitbeteiligung am Klimawandel standen bislang nicht im Fokus des Studiums Humanmedizin. Der zunehmenden Bedeutung des Themas Rechnung tragend, wurden Vorlesung und Praktikum zur medizinischen Ökologie deshalb neu ausgerichtet. Um alle Studierenden zu erreichen, wurde diese Lehrveranstaltung im Kerncurriculum des ersten Studienjahres Humanmedizin verankert.

Methodik: Das Lehrkonzept basiert auf der Lernmethode „mehrdimensionales Lernen“. Die theoretische Auseinandersetzung mit Umweltveränderungen, insbesondere dem Klimawandel, wird im Rahmen einer Vorlesung an den Ausgangspunkt gestellt, gefolgt von der Umsetzung der theoretischen Grundlagen in praktisches Wissen durch Berechnung des ökologischen Fußabdrucks und daran anschließender Reflexion zu den neu gelernten Inhalten. Das Projekt wurde mittels eines selbst konstruierten Kursbewertungsinstruments (drei Feedback-Fragen) sowie eines universitätsinternen Online-Tools evaluiert.

Ergebnisse: 656 Studierende (100%) beschreiben die wichtigsten Erkenntnisse, die sie in der Lehrveranstaltung gewonnen haben. Ein Drittel der Studierenden (N=218) gibt an, an einem weiterführenden Seminar teilnehmen zu wollen. 137 Studierende kommentieren spezifische Aspekte. Insgesamt bekunden die Studierenden großes Interesse für das Thema Medizinische Ökologie. Sie reflektieren in bemerkenswert (selbst)kritischer Weise den individuellen Anteil am Klimawandel und können die Gesundheitsfolgen des Klimawandels klar benennen. Die Inhalte sollen in einem vertiefenden Seminar ausgebaut werden.

Schlussfolgerung: Das Konzept der Lehrveranstaltung hat sich als zielführend erwiesen, um relevante und komplexe Inhalte der Medizinischen Ökologie verständlich aufzubereiten. Sowohl Vorlesung als auch Praktikum sollen entsprechend weiterentwickelt werden.

Schlüsselwörter: medizinische Ökologie, Klimawandel, mehrdimensionales Lernen


1. Einleitung

1.1. Beschreibung des Themenfeldes

Die medizinische Ökologie befasst sich mit den anthropogenen Veränderungen der Umwelt und deren Rückwirkungen auf die menschliche Gesundheit. Zu diesen zählen Umweltverbrauch (Übernutzung von Böden, Gewässern, Naturlandschaften), Umweltbelastungen (Industriechemikalien, Umweltschadstoffe, Lärm, Verkehrsemissionen, energiereiche Strahlung, Lichtverschmutzung), Änderungen der Biodiversität (Verschleppung von Arten, Reduzierung der Artenvielfalt), Gentechnik (genetisch modifizierte Arten) und globale Erwärmung (Klimawandel durch global ansteigende Treibhausgas-Emissionen).

Im Jahr 2012 wurden 12,6 Millionen Todesfälle (23% aller Todesfälle weltweit) auf veränderbare Umweltfaktoren, von denen viele mit dem Klimawandel zusammenhängen, zurückgeführt [1]. Der neueste Bericht des Weltklimarats IPCC [2] belegt, dass zahlreiche Klimafolgen, einschließlich der Extremereignisse, intensiver und häufiger geworden sind und diese auch in den kommenden Jahrzehnten bestehen bleiben, einhergehend mit weiterhin steigenden Temperaturen. In allen untersuchten Emissions-Szenarien wird die globale mittlere Oberflächentemperatur zu Beginn der 2030er Jahre den Wert von +1,5°C relativ zum vorindustriellen Niveau erreichen, bis 2050 wird sie auf +1,6°C bis +2,4°C steigen.

Die Herausforderung für die globalen Gesundheitssysteme liegt darin, auf Hitzewellen, veränderte Arbeitskapazitäten, extreme Wetterereignisse (Waldbrände, Hochwasser, Dürre), klimaabhängige Infektionskrankheiten, Unterernährung, Migration, sowie die damit in Zusammenhang stehenden Erkrankungen und Todesfolgen, vorbereitet zu sein [3].

Die „Klimawandel-Krise“ wird aber auch als Chance begriffen, um globale Gesundheit im 21. Jahrhundert gewährleisten zu können [4]. Eine zentrale Voraussetzung dafür ist es, sowohl künftige Ärzt*innen zu den erwartbaren Folgen für den Arztberuf zu informieren, als auch Bewusstsein bei den Medizinstudierenden für den anthropogenen Beitrag zum Klimawandel zu schaffen.

1.2. Motivation und Ziele

Die zentrale Motivation war, die Studierenden zu schulen, Zusammenhänge zwischen anthropogenen globalen Umweltveränderungen und den damit assoziierten lokalen Gesundheitsfolgen zu erkennen. Die mit dem Klimawandel einhergehenden Hitzewellen und deren Folgen sind relativ einfach zu erfassen. Gesundheitsfolgen, die auf dem komplexen Zusammenwirken von globaler Erwärmung und anderen Umweltveränderungen beruhen, erfordern didaktische Vermittlung in kompakter Form. Studierende der Humanmedizin benötigen vorwiegend ein Grundverständnis dafür, dass die Menschen Teil ihrer Umwelt sind und entsprechend vorsorgend handeln sollten. Eine weitere Motivation war, Bewusstsein dafür zu schaffen, dass Veränderungen von Ökosystemen und ihrer Biome nachhaltig wirksam sind, mit mittel- und langfristigen Konsequenzen für die menschliche Existenz. Die neu implementierte Lehrveranstaltung soll unter der Prämisse „Information statt Verunsicherung“ also eine Aufbereitung der wichtigsten Fakten bieten.


2. Projektbeschreibung

2.1. Stellenwert und Ausrichtung der Lehrveranstaltung

Seit 2003 wird an der Medizinischen Universität Wien medizinische Ökologie als Teil des modular (d.h. in Blöcken) aufgebauten Studiums Humanmedizin in Block 6 des ersten Studienjahres gelehrt (siehe Abbildung 1 [Abb. 1]). Wiewohl bis 2020 zu anthropogenen Umweltveränderungen (darunter auch der anthropogene Treibhauseffekt) unterrichtet wurde, standen sowohl explizite Auswirkungen auf die Gesundheitssysteme, als auch der individuelle Beitrag zum Klimawandel nicht im Fokus. Der zunehmenden Bedeutung des Themas Rechnung tragend, wurden Vorlesung und Praktikum zur Medizinischen Ökologie im Studienjahr 2020/21 neu ausgerichtet, d.h. die zuvor unterrichtete Parasitologie ausgelagert (diese wird nun in einer Vorlesung extra gelehrt) und in Bezug auf Umweltveränderungen auf die zwei großen Themenfelder Klimawandel und Biodiversität fokussiert.

2.2. Design und Strukturierung der Lehrveranstaltung

Im Studium Humanmedizin werden etwa 650 Studierende pro Jahrgang in Vorlesungen gemeinsam unterrichtet. Die Praktika werden – sofern ein Unterricht in physischer Präsenz möglich ist – in Kleingruppen von 10 Teilnehmenden abgehalten, um einen intensiven Austausch sowie Interaktion zu ermöglichen.

Die Lehrveranstaltung medizinische Ökologie besteht aus einer Vorlesung und einem Praktikum. Die Vorlesung Einführung in die medizinische Ökologie (1 akademische Stunde = aS) gibt einen Überblick zu Globaler Erwärmung (Ursachen, Prognosen, Gesundheitsfolgen) und Biodiversität (Verlust an Lebensraum und Arten, Alien species, Gesundheitsfolgen).

Das daran anschließende Praktikum medizinische Ökologie umfasst zwei Unterrichtseinheiten (2 aS).

In Unterrichtseinheit 1 (1 aS, Selbststudium) berechnen die Studierenden ihren individuellen ökologischen Fußabdruck und übertragen die Werte in global hectar zu Wohnen, Ernährung, Mobilität und Konsum sowie das Gesamt-Ergebnis und das Verhältnis (%) zum durchschnittlichen Fußabdruck in Österreich in eine Excel-Tabelle auf der Lehrplattform Moodle. Zudem wird das Wissen zu Umweltveränderungen und Gesundheitsfolgen mittels Multiple Choice (MC)-Fragen und Freitext-Antworten abgeprüft. In der zweiten Unterrichtseinheit (1 aS, nach Übermittlung des Gruppenergebnisses über Moodle) analysieren und reflektieren die Studierenden in Kleingruppen das individuelle Ergebnis und das Gruppenergebnis in Bezug auf den Fußabdruck in Österreich bzw. den globalen Fußabdruck.

2.3. Lernziele

Die Lernziele der Lehrveranstaltung beziehen sich auf den Erwerb fachlicher kognitiver Fertigkeiten, aber auch auf affektive/Haltungen bezogene Kompetenzen und wurden von der LV-Leiterin in Absprache mit dem Blockplanungsteam und der Curriculumkommission Humanmedizin ausgearbeitet. Beispielhafte Lernziele für die Lehrveranstaltung sind in Tabelle 1 [Tab. 1] angeführt.

Die Lernziele des Praktikums, das immanenten Prüfungscharakter hat, sind erreicht, wenn 75% der Aufgabenstellungen im Seminar erfüllt (Berechnung des ökologischen Fußabdrucks, Selbststudium) bzw. 75% der Prüfungsfragen (10 Multiple Choice (MC)-Fragen und 8 Freitextfragen) richtig beantwortet wurden. Die Vorlesungsinhalte wurden zudem im Rahmen der Summativen Integrierten Prüfung am Ende des ersten Studienjahres (SIP 1) überprüft.

2.4. Didaktische Herangehensweise

Das Lehrkonzept basiert auf der Lernmethode „mehrdimensionales Lernen“. Dieses umschreibt in der Didaktik die Ausdehnung und Erweiterung des Lernens auf mehrere Bereiche des Fähigkeitsspektrums. Das „mehrdimensionale Lernen“ zielt auf eine strukturelle Veränderung der Lernprozesse ab, um einerseits den unterschiedlichen Lernvoraussetzungen, andererseits den verschiedenen Sachaspekten des Lernstoffes bestmöglich gerecht zu werden [5]. In unserem Projekt stellt die theoretische Auseinandersetzung zu Umweltveränderungen insbesondere der Klimawandel im Rahmen einer Vorlesung den Ausgangspunkt dar, gefolgt von der Umsetzung praktischen Wissens durch Berechnung des ökologischen Fußabdrucks und daran anschließender Reflexion der neu gelernten Inhalte. Zudem soll im Anschluss Feedback (Meta-Kommunikation) zur Lehrveranstaltung gegeben werden.

Aufgrund der COVID-19-Pandemie wurde die Lehrveranstaltung, die im SS 2021 erstmalig stattfand, im Distant Learning-Format durchgeführt. Dieses war in Hinblick auf die synchron abgehaltene Vorlesung einfacher umzusetzen als in Bezug auf das Praktikum. Die Möglichkeit zur vertiefenden Diskussion war insbesondere für das Praktikum geplant, konnte im Distant Learning-Format aber nur bedingt realisiert werden.

2.5. Evaluation und Qualitätssicherung

Das Projekt wurde im Sinne der Qualitätssicherung mittels eines selbst konstruierten Kursbewertungsinstruments (drei Feedback-Fragen) (1) evaluiert, sowie zusätzlich durch die universitätsinterne Online-Evaluation (2) bewertet. Beide Erhebungen waren nicht verpflichtend und wurden (1) nach Beendigung des Seminars und (2) kurz nach Ende des Blockes 6 (am Ende des SS 2021) durchgeführt.

LV-interne Erhebung

Da die Lehrveranstaltung erstmals durchgeführt wurde, wurde abschließend um Reflexion und Feedback gebeten. Das Ziel war es, die subjektive Wahrnehmung der Studierenden zum Thema Klimawandel zu ermitteln und für eine zukünftige Optimierung der Lehrveranstaltung zu klären, ob ein Bedarf an einem vertiefenden Seminar besteht. Es kamen dabei zwei offene und eine geschlossene Frage zum Einsatz, die anschließend deskriptiv und qualitativ ausgewertet wurden.

Bilden Sie in Ihrer Kleingruppe fünf Zweier-Gruppen und diskutieren Sie folgende Punkte, die Sie dann bitte stichwortartig festhalten.
Frage 1: Was waren die wichtigsten Erkenntnisse, die Sie in den Lehrveranstaltungen zur Medizinischen Ökologie gewonnen haben? (Freitext)
Frage 2: Würden Sie dazu ein vertiefendes Seminar besuchen wollen?
Ja
Nein
Frage 3: Falls Sie Anmerkungen und Anregungen haben, bitte hier notieren: (Freitext)

Dem qualitativ orientierten Ansatz zufolge wurden die Auswertungsaspekte der offenen Fragen nahe am Material bzw. aus dem Material heraus entwickelt [6]. Im Zuge dessen wurde eine induktive Kategorienentwicklung umgesetzt, die sich an systematischen Reduktionsprozessen orientiert. Es konnten folgende Kategorien herausdestilliert werden: Hohe allgemeine Relevanz des Themas und Interesse an der Lehrveranstaltung, fehlende klinische Relevanz, Probleme des Distant Learning Formats.

Universitätsinterne Online-Evaluation

Von der universitätsinternen Stabstelle für Evaluation und Qualitätssicherung wurden alle Studierenden, die die Lehrveranstaltung medizinische Ökologie absolviert hatten, gebeten, einen Evaluationsbogen in digitaler Form auszufüllen. Zur Gewährleistung des Datenschutzes war die Befragung freiwillig und anonym. Die Fragen bezogen sich auf das Curriculumelement (drei allgemeine Fragen), auf die Vorlesung (7 Fragen) und das Praktikum (12 Fragen). Die Beurteilung der Fragen war auf einer 4-stufigen Likert-Skala (1=trifft nicht zu, 2=trifft wenig zu, 3=trifft eher zu, 4=trifft zu, bzw. 1=sehr schlecht, 2=eher schlecht, 3=eher gut, 4=sehr gut) dargestellt. Die deskriptive Auswertung der Online-Evaluation mittels IBM SPSS erfolgte durch die Stabstelle.


3. Ergebnisse

3.1. Studierenden-Kollektiv

Es nahmen 656 Studierende (350 Frauen, 276 Männer, 3 divers, 27 keine Angabe), die im Mittel 21,4±2,7 Jahre alt waren, an der Lehrveranstaltung teil. Alle Teilnehmer*innen haben die Lehrveranstaltung positiv abgeschlossen. Es gab von allen 66 Kleingruppen Rückmeldungen. Der Rücklauf von Reflexion und Feedback betrug 100% bei Frage 1 (Wichtigste Erkenntnisse aus den Lehrveranstaltungen zur Medizinischen Ökologie) und 98% bei Frage 2 (Teilnahme an vertiefendem Seminar). 21% der Studierenden gaben weitere Anmerkungen und Anregungen (Frage 3) ab.

3.2. LV-interne Erhebung (Reflexion und Feedback der Studierenden)
3.2.1. Die wichtigsten Erkenntnisse, die gewonnen wurden

Die qualitative Auswertung gibt Auskunft, dass großes Interesse für dieses Thema besteht, bei einigen Studierenden auch Betroffenheit erzeugt, Neugier und Überraschung geweckt, sowie Bewusstsein dazu geschaffen wurde, dass Umweltveränderungen eine Auswirkung auf den ärztlichen Beruf haben (Freitext-Beispiele siehe Tabelle 2 [Tab. 2]).

3.2.2. Vertiefendes Seminar

Ein Drittel der Studierenden (N=218) gibt an, an einem vertiefenden Seminar teilnehmen zu wollen, 422 Studierende (64%) möchten das nicht. 16 Studierende machen keine Angabe dazu.

3.2.3. Feedback der Studierenden zur Lehrveranstaltung

Die Kommentare von 137 Studierenden (Freitext-Bespiele siehe Tabelle 3 [Tab. 3]), die zusätzlich Feedback gaben, lassen sich qualitativ in vier Kategorien unterteilen: Hohe allgemeine Relevanz und Interesse an der Lehrveranstaltung, fehlende klinische Relevanz, Probleme des Distant Learning-Formats.

77 Studierende bewerten die Lehrveranstaltung als wichtig und interessant. Insbesondere die Berechnung des ökologischen Fußabdrucks wurde als bereichernd wahrgenommen. Weitere 25 Studierende messen der Lehrveranstaltung ebenfalls hohe Bedeutung und Relevanz zu, vermissen aber die klinische Relevanz.

35 Studierende widmen ihre Kommentare dem Design der Lehrveranstaltung, wobei das Distant-Learning Format bemängelt bzw. die Möglichkeit zur Diskussion vermisst wird.

3.3. Universitätsinterne Online-Evaluation

118 Studierende (18%) nahmen an der Online-Evaluation teil. Davon geben 75% an, dass die in der Lehrveranstaltung präsentierten Lerninhalte für ihre berufliche Laufbahn (als Ärzt*in bzw. als medizinische*r Wissenschaftler*in) relevant sind, wobei dies für 26% sehr und für 49% eher zutrifft. 71% geben an, dass die an sie gestellten Anforderungen des Curriculumelements genau richtig waren. Die Rücklaufquote der Online-Evaluation erscheint gering, ist für Online-Untersuchungen aber nicht ungewöhnlich [7].


4. Diskussion

4.1. Erreichung der Lernziele

Alle Studierenden erfüllten die Aufgabenstellung (Berechnung des ökologischen Fußabdrucks im Rahmen einer akademischen Stunde Selbststudium) und erreichten die Lernziele, d.h. 75% der Prüfungsfragen (10 MC- und 8 Freitextfragen) wurden richtig beantwortet. Die qualitative Auswertung der offenen Fragen zeigt auf, dass die Studierenden in bemerkenswert (selbst)kritischer Weise den individuellen Anteil am Klimawandel reflektierten und die Gesundheitsfolgen des Klimawandels klar benennen konnten. Somit wurde der zentrale Inhalt der medizinischen Ökologie (Wie verändern wir unsere Umwelt und wie wirkt sich das auf unsere Gesundheit aus?) in einem äußerst relevanten Bereich ausreichend erfasst.

Die Ergebnisse demonstrieren auch, dass der schwerpunktmäßige Unterricht zu den Gesundheitsfolgen des Klimawandels bei den Studierenden großes Interesse hervorrief. Hier soll erwähnt sein, dass sowohl in der Vorlesung als auch im Praktikum zudem andere Umweltveränderungen1 behandelt werden, deren Auswirkungen unmittelbar nicht spürbar sind, die in Zukunft aber relevant werden könnten.

Die Verankerung der Medizinischen Ökologie (im engeren Sinn: Klimaschutz ist Gesundheitsschutz), ist in den Curricula Humanmedizin nicht oder nur selten der Fall, mitunter als postgraduelle Ausbildung [https://iph.charite.de/forschung/klimawandel_und_gesundheit/]. Als Planetary Health ist sie in den Curricula der Public Health [8], [https://www.klimawandel-gesundheit.de/] eher beheimatet. Insgesamt wird die Bedeutung des Themas für die Humanmedizin aber erkannt [9], [10], [11].

Das Feedback der Studierenden unterstreicht zudem die Notwendigkeit, medizinische Ökologie im regulären Curriculum zu unterrichten, aber auch den Bedarf an vertiefendem Unterricht zu den Klimawandel-Folgen. Die quantitative als auch qualitative Auswertung der Feedback-Fragen belegt, dass das Thema als wichtig bzw. äußerst wichtig erachtet wird. Wiewohl für ca. zwei Drittel der Studierenden (64%) der Inhalt aber ausreichend behandelt wird, wünscht sich ein Drittel der Studierenden (218 von 656) ein vertiefendes Seminar. Dieser Wunsch zielt generell auf differenziertere Inhalte ab, sowohl in Bezug auf die Praxis und tatsächliche Anwendung von Wissen zum Thema Klimamedizin (z.B. Impfungen), als auch auf die Einbindung von Expert*innen zu spezifischen Themen. Die geringe Rücklaufquote der Online-Evaluation könnte eine Limitation hinsichtlich der Interpretation der quantitativen Ergebnisse sein. Die Übereinstimmung dieser mit den qualitativen Analysen deutet aber darauf hin, dass die Ergebnisse repräsentativ sind.

4.2. Didaktik

Das didaktische Konzept „mehrdimensionales Lernen“ (die Verknüpfung theoretischer Inhalte mit der Umsetzung in praktisches Wissen durch Berechnung des ökologischen Fußabdrucks und daran anschließender Reflexion zu neu gelernten Inhalten) wurde von den Studierenden gut angenommen und konnte auch umgesetzt werden – wie dem Feedback zu den wichtigsten Erkenntnissen, die gewonnen wurden, sowie der Reflexion zur Lehrveranstaltung insgesamt zu entnehmen ist.

Die Lehrveranstaltung fand im SS 2021 erstmalig statt. Die kurzfristige Umstellung auf das Distant Learning-Format – speziell beim Praktikum – stellte eine Herausforderung dar. So konnte eine vertiefende Diskussion der Inhalte im Distant Learning-Format kaum realisiert werden.

Die Möglichkeit mit den Studierenden per Moodle zu kommunizieren, wurde für das Korrigieren gravierender Fehler genutzt. Darüber hinaus nutzten wir das Moodle-Tool als Gelegenheit, ein Feedback-Schreiben an die Studierenden zu schicken, um die häufigsten Fehler konkret zu thematisieren.


5. Schlussfolgerung

Das Konzept der Lehrveranstaltung hat sich als zielführend erwiesen, um relevante und komplexe Inhalte der medizinischen Ökologie verständlich aufzubereiten. Sowohl Vorlesung als auch Praktikum sollen daher entsprechend weiterentwickelt werden, sowohl in Bezug auf die Verbesserung der Lehrqualität als auch auf Quervernetzungen im Curriculum, z.B. soll Bezug genommen werden auf Infektionskrankheiten, die in den Folgejahren gelehrt werden.

Aufgrund der großen Nachfrage wird ab WS 2022/23 ein vertiefendes Seminar angeboten. Im Rahmen dieses Seminars haben Studierende sowohl die Möglichkeit zu spezifischen Themen zu referieren, als auch die Gelegenheit mit Expert*innen zu diskutieren. Für die Zukunft wäre es sinnvoll, weiterführende Lehrveranstaltungen zu Planetary Health ins Curriculum der Humanmedizin zu integrieren, um im Sinne einer Lernspirale die Studierenden für diesen Themenkomplex zu sensibilisieren und ihr Wissen profund zu erweitern.


Fußnote

1 Alien Species (Neobiota) als Krankheitsüberträger; Verlust an Biodiversität (Verlust an Lebensraum, Verlust an Arten als Reservoir für bioaktive Substanzen, die als Medikamente genutzt werden könnten); Genetisch veränderte Organismen


Danksagung

Wir danken Sebastian Granitzer, Raimund Widhalm und Martin Forsthuber für die Unterstützung bei der Entwicklung des Praktikums sowie Tanja Paulmichl für die Mitarbeit bei der Auswertung der Feedback-Bögen. Prof. Harald Sitte danken wir herzlich für die Diskussion zur Vernetzung der Lehrinhalte innerhalb des Curriculums.


Interessenkonflikt

Die Autorinnen erklären, dass sie keinen Interessenkonflikt im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


Literatur

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World Health Organization. Preventing disease through healthy environments: a global assessment of the burden of disease from environmental risks. Geneva: World Health Organization; 2016.
2.
Intergovernmental Panel on Climate Change (ipcc) Working Group 1. Climate Change 2021: The Physical Science Basis. ipcc; 2021. Zugänglich unter/available from: https://www.ipcc.ch/report/ar6/wg1/#TS Externer Link
3.
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Watts N, Adger WN, Ayeb-Karlsson S, Bai Y, Byass P, Campbell-Lendrum D, Colbourn T, Cox P, Davies M, Depledge M, Depoux A, Dominguez-Salas P, Drummond P, Ekins P, Flahault A, Grace D, Graham H, Haines A, Hamilton I, Johnson A, Kelman I, Kovats S, Liang L, Lott M, Lowe R, Luo Y, Mace G, Maslin M, Morrissey K, Murray K, Neville T, Nilsson M, Oreszczyn T, Parthemore C, Pencheon D, Robinson E, Schütte S, Shumake-Guillemot J, Vineis P, Wilkinson P, Wheeler N, Xu B, Yang J, Yin Y, Yu C, Pong P, Montgomery H, Costello A. The Lancet Countdown: tracking progress on health and climate change. Lancet. 2017;389(10074):1151-1164. DOI: 10.1016/S0140-6736(16)32124-9 Externer Link
5.
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