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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Leserbrief zum Editorial von Issue 2/2022 „Verantwortung übernehmen“ von Sigrid Harendza

Leserbrief Medizinische Ausbildung

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  • corresponding author Udo Obertacke - Universitätsmedizin Mannheim, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, Klinik für Unfallchirurgie, OUZ, Mannheim, Deutschland
  • author Elisabeth Narciss - Universitätsmedizin Mannheim, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, Studiendekanat Kompetenzzentrum PJ, Mannheim, Deutschland
  • author Harald Fritz - Universitätsmedizin Mannheim, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, Geschäftsbereich Studium und Lehrentwicklung, Mannheim, Deutschland

GMS J Med Educ 2022;39(5):Doc60

doi: 10.3205/zma001581, urn:nbn:de:0183-zma0015818

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2022-39/zma001581.shtml

Eingereicht: 29. September 2022
Überarbeitet: 29. September 2022
Angenommen: 29. September 2022
Veröffentlicht: 15. November 2022

© 2022 Obertacke et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Leserbrief

Sehr geehrte Herausgeber*innen,

in dem Editorial „Verantwortung übernehmen“ [1] wird gefordert, die Studierenden „mit der Notwendigkeit der Verantwortungsübernahme ... vertraut zu machen“ und ihnen Gelegenheit zu geben, „diese einzuüben“.

So weit, so verstörend.

Im Alter unserer Studierenden gehen diverse Berufsgruppen ihren Tätigkeiten nach. Wer hat diesen Gruppen „Verantwortung“ beigebracht? Brauchen wir Verantwortlichkeits-Nachhilfe in der Gesellschaft? Ist Medizinstudierenden Verantwortung erst ab 25 Lebensjahren zuzumuten und muss die Universität dies „verantworten“?

Wie lange sollen die besten Absolventen Deutschlands noch „behütet“ werden, bevor mit allem Ernst und ohne „Betroffenheit“ einfach professionelle Leistung eingefordert wird? Und dazu gehört selbstverständlich die Übernahme von Verantwortung, zumindest für die eigene Kompetenz in Diagnostik, Therapie, Kommunikation etc., für eigenes Handeln (oder Unterlassen), usw.

Es ist zu natürlich beklagen, dass das humanmedizinische Studium nur begrenzt zur Persönlichkeitsentwicklung taugt. Was soll ein Handwerksmeister sagen, wie die Auszubildenden Verantwortung lernen? Die oft bemühte „Vorbildfunktion“ zieht hier nur wenig, da wir zunehmend erleben, dass Vorbilder zwar akzeptiert werden, aber ihnen nicht nachgeeifert wird: die Arbeit macht ja schon jemand anderes.

Wir sollten die Neigung zur Infantilisierung, der unsere Studenten und Studentinnen sehr gerne erliegen, nicht noch weiter fördern, indem wir offensichtliche Mängel u.a. in der Reife Studierender mit Kursformaten angehen. Diese Infantilisierung ist täglich festzustellen, sie wird auch gerne instrumentalisiert („hat mir noch keiner gezeigt…“), bis hin zu einer regelrechten Regression des Verhaltens, gerne auch im PJ.

Verantwortung zu übernehmen ist eine Charakterfrage, wer das nicht kann, gehört zumindest für lange Zeit daran gehindert, approbiert zu werden.

Dies könnte man – spätestens im PJ – durchaus feststellen (prüfen?), durch kontinuierliche Beobachtung im klinischen Setting.

Wir wissen, dass Lösungen sich nicht so einfach durchsetzen lassen. Aber eine weitere Behütung von Erwachsenen in Form von kleinstteiligen Vorgaben und Lehrzielen, wie sie in der aktuellen Diskussion um eine neue ÄApprO vorgesehen ist, ist auch keine Lösung.

Eine für uns überraschende Beobachtung war, dass sich die o.g. Infantilisierung deutlich weniger bei Studierenden zeigt, die eine patientennahe Vorbildung vor dem Studium erfuhren. Ein „Mehr“ an Qualität und Quantität im (dauerhaften) Patientenkontakt (von Anfang des Studiums an und nicht nur in 45 min-Einheiten) könnte zu einer besseren ärztlichen Rollenfindung und einer Verbesserung der Verantwortungs-Übernahmebereitschaft führen.


Interessenkonflikt

Die Autor*innen erklären, dass sie keinen Interessenkonflikt im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


Literatur

1.
Harendza S. Taking responsibility. GMS J Med Educ. 2022;39(2):Doc27. DOI: 10.3205/zma001548 Externer Link