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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Ambulante Lehre in fachspezialistischen Praxen – eine qualitative Studie mit Ärzt*innen zu Einstellungen, Einflussfaktoren und fachbezogenen Besonderheiten

Artikel Ambulante Medizin

  • author Sven Schulz - Universitätsklinikum Jena, Institut für Allgemeinmedizin, Jena, Deutschland
  • author Miriam Hesse - Universitätsklinikum Jena, Institut für Allgemeinmedizin, Jena, Deutschland
  • author Anni Matthes - Universitätsklinikum Jena, Institut für Allgemeinmedizin, Jena, Deutschland
  • author Inga Petruschke - Universitätsklinikum Jena, Institut für Allgemeinmedizin, Jena, Deutschland
  • corresponding author Jutta Bleidorn - Universitätsklinikum Jena, Institut für Allgemeinmedizin, Jena, Deutschland

GMS J Med Educ 2022;39(5):Doc54

doi: 10.3205/zma001575, urn:nbn:de:0183-zma0015752

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2022-39/zma001575.shtml

Eingereicht: 8. März 2022
Überarbeitet: 28. Juni 2022
Angenommen: 4. August 2022
Veröffentlicht: 15. November 2022

© 2022 Schulz et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Zielsetzung: Ziel ist es, vorhandene Einstellungen, Einflussfaktoren und fachbezogene Voraussetzungen hinsichtlich der Ausbildung Medizinstudierender in der fachspezialistischen ambulanten Versorgung bei ambulant tätigen Ärzt*innen zu erfassen.

Methodik: In dieser qualitativen Studie wurden im Zeitraum September 2020 – Mai 2021 leitfadengestützte Einzelinterviews mit 15 ambulant tätigen Fachspezialist*innen durchgeführt. Die per Audio aufgenommenen Interviews wurden inhaltlich strukturierend nach Kuckartz ausgewertet.

Ergebnisse: Eine verstärkte ambulante Ausbildung Medizinstudierender in fachspezialistischen Lehrpraxen wurde von allen Teilnehmer*innen als wichtig erachtet. Motivatoren waren u.a. die Freude an der Lehrtätigkeit, ein Verpflichtungsgefühl, der Wunsch etwas weiterzugeben, das Bedürfnis eigene Ideale zu vermitteln und die Nachwuchsgenerierung für das Fach. Als Hürden wurden fehlende Zeit, hoher organisatorischer Aufwand und rechtliche Bedenken geäußert. Als wesentliche Anreize zur Beteiligung an der studentischen Lehre wurden insbesondere die organisatorische Aufwandreduktion für die Lehrpraxen, Wertschätzung ihrer Lehrtätigkeit und finanzielle Vergütung angesprochen. Die Haltung der Teilnehmer*innen zur finanziellen Vergütung war heterogen. Unterschiedliche, fachspezifische Besonderheiten und Voraussetzungen für die studentische Ausbildung wurden herausgearbeitet.

Schlussfolgerung: Mit dieser Studie liegen erstmals Erkenntnisse zur Lehre in fachspezialistischen ambulanten Praxen vor. Sie weisen auf eine hohe Bereitschaft der Ärzt*innen zur Durchführung der Lehre hin und geben Ansatzpunkte für Konzepte zur Lehrpraxengewinnung in den fachspezialistischen Fächern. Es sind weiterführende quantitative Untersuchungen erforderlich, um die vorliegenden Ergebnisse zu untermauern.

Schlüsselwörter: medizinische Ausbildung, ambulante Lehre, Fachspezialist, Lehrmotivation, Lehrpraxen


Einleitung

Der Masterplan Medizinstudium 2020 fordert als einen Schwerpunkt die verstärkte Einbeziehung ambulanter Praxen in die medizinische Ausbildung [1]. Die neue ärztliche Approbationsordnung wird in der Konsequenz auch eine Stärkung der Lehre im ambulanten Bereich beinhalten. Insbesondere in dem dann in Quartale unterteilten Praktischen Jahr (PJ) soll ein Pflichtquartal im ambulanten Bereich, entweder in der Allgemeinmedizin oder einer anderen Fachdisziplin der patientennahen Versorgung, absolviert werden. Während ambulante Lehre im Fach Allgemeinmedizin strukturell seit 2006 mit mehrwöchigen Praktika im Medizinstudium etabliert ist, ist der Einbezug fachspezialistischer Praxen in die Ausbildung von Medizinstudierenden auf bundesweiter Ebene ein Novum. Erste Ansätze, ambulante Einrichtungen bzw. fachspezialistische Lehrpraxen systematisch in die Ausbildung von Medizinstudierenden einzubeziehen, sind der Heidelberger Modellstudiengang MaReCuM [2], das Jenaer Neigungsorientierte Medizinstudium JENOS [3] und der „Praxis-Track“ der Goethe Universität Frankfurt am Main [4]. Während in MaReCuM vorrangig Hochschulambulanzen als ambulante Lehreinrichtung involviert sind, beteiligen sich in JENOS ca. 70 fachspezialistische Lehrpraxen vorrangig aus Thüringen.

An neuerer internationaler Literatur zu ambulanter Lehre mangelt es, wie Franco und Kolleg*innen in einem narrativen Review zu Barrieren für die ambulante Ausbildung konstatieren [5] und oftmals bezieht sich die Literatur auf Hausärzt*innen [6], [7].

In Deutschland existieren keine uns bekannten Studien darüber, wie ambulante fachspezialistische Praxen zur studentischen Lehre stehen, welche Motivation sie diesbezüglich haben und wodurch diese beeinflusst wird.

Die vorhandene deutschsprachige Literatur zur Motivation und Einstellung von Hausärzt*innen zeigt eine hohe Motivation zur Beteiligung an der studentischen Lehre [8], [9]. Spezifische Gründe, sich an der studentischen Lehre zu beteiligen, sind u.a. die Weitergabe von Wissen und Erfahrung, die Nachwuchsförderung und die Bereicherung des Praxisalltags [10], [11]. Mögliche Barrieren sind die Sorge vor erhöhtem Zeitaufwand, Stress und hoher organisatorischer Aufwand [8], [10], [11].

Diese Erkenntnisse sind aufgrund der Unterschiede zwischen allgemeinmedizinischen und fachspezialistischen Praxen (Krankheitsbilder, Praxisstrukturen, Arbeitsweisen) nur bedingt übertragbar.


Ziel der Arbeit

Es war Ziel der Studie, vorhandene Einstellungen, Einflussfaktoren und fachbezogene Voraussetzungen hinsichtlich der Ausbildung Medizinstudierender in der fachspezialistischen ambulanten Versorgung bei ambulant tätigen Ärzt*innen zu erfassen.


Methoden

Studiendesign

Wir führten eine qualitative Querschnittstudie mit leitfadengestützten Einzelinterviews im Zeitraum September 2020 – Mai 2021 in Thüringen durch.

Teilnehmer*innen und Rekrutierung

Für die Studie wurden ambulant tätige Fachärzt*innen in Thüringen rekrutiert. Fachärzt*innen für Allgemeinmedizin und hausärztlich tätige Internist*innen wurden ausgeschlossen, da bereits umfangreichere Daten und Erkenntnisse bezüglich Lehrmotivation und der strukturellen Einbindung von allgemeinmedizinischen Praxen in die universitäre Lehre zur Verfügung stehen. Angestrebt wurde eine selektiv ausgewählte Stichprobe von 15 bis 20 Interviewteilnehmer*innen, um eine breite Altersstreuung, ausgewogene Geschlechterverteilung und Heterogenität der Fachrichtungen zu erreichen. Die Rekrutierung der Teilnehmer*innen erfolgte zunächst über die Bewerbung der Studie bei einem Lehrpraxentreffen des Universitätsklinikums Jena. Im Weiteren wurden Ärzt*innen gezielt per Email oder Telefon kontaktiert. Die Teilnahme an der Studie war freiwillig und konnte jederzeit widerrufen werden. Eine Aufwandsentschädigung erfolgte nicht. Von 45 kontaktierten Ärzt*innen nahmen 15 an der Studie teil.

Interviewleitfaden und Datenerhebung

Der halbstandardisierte Interviewleitfaden wurde im Zeitraum Juni - August 2020 entwickelt, pilotiert und finalisiert. Er beinhaltete insbesondere die Themen Einstellung zu ambulanter Lehre, eigene Motivation, Hürden und Anreize sowie fachbezogene Besonderheiten. Die Interviews wurden entweder am Tätigkeitsort der Teilnehmer*innen oder per Online-Meeting durchgeführt und als Audiodatei gespeichert. Vor Beginn des Interviews wurde von den Teilnehmer*innen ein Begleitfragebogen zu soziodemographischen Daten ausgefüllt. Die Interviews dauerten zwischen 22 und 50 Minuten.

Datenanalyse

Die Audiodateien wurden mit Hilfe der Software F4 nach festgelegten Regeln transkribiert. Anschließend wurden die Interviews pseudonymisiert. Es erfolgte eine inhaltlich-strukturierende Analyse nach Kuckartz unter Nutzung der Software MAXQDA, Version 2018. An der Auswertung waren eine Medizinstudierende (MH), eine Psychologin (AM) und ein Facharzt für Allgemeinmedizin (SvS) beteiligt. Anhand der ersten beiden Interviews erstellte MH durch induktive und deduktive Kategorienbildung ein erstes Kategoriensystem. Dieses wurde mit AM und SvS im konsensuellen Verfahren überarbeitet und fertiggestellt. Die Kodierung der verbleibenden Interviews erfolgte durch MH. Uneindeutige Textstellen wurden in der Arbeitsgruppe diskutiert.

Der soziodemographische Fragebogen wurde deskriptiv statistisch mit Hilfe der Software Excel ausgewertet.

Ethik

Die Ethikkommission des Universitätsklinikums Jena prüfte und genehmigte das Studienvorhaben (Prüfzeichen 2021-2226-Bef).


Ergebnisse

Soziodemographie

Es konnten insgesamt 15 Ärzt*innen folgender Fachrichtungen befragt werden: Chirurgie/Orthopädie (n=4), Innere Medizin (n=2), Neurologie/Psychiatrie (n=2), Anästhesie, Augenheilkunde, Dermatologie, Frauenheilkunde/Geburtshilfe, HNO, Pädiatrie und Radiologie/Strahlentherapie/Nuklearmedizin (jeweils n=1). 10 der Ärzt*innen nehmen am Projekt JENOS teil. Die soziodemographischen Merkmale sind in Tabelle 1 [Tab. 1] dargestellt.

Einstellung zur ambulanten Lehre in fachspezialistischen Praxen

Eine verstärkte ambulante Lehre in fachspezialistischen Lehrpraxen für Medizinstudierende wurde von allen Interviewten insgesamt befürwortet und als wichtig erachtet. Diese positive Einstellung zeigte sich sowohl bei den Teilnehmer*innen, die bereits im Rahmen von JENOS an der medizinischen Ausbildung beteiligt sind, als auch von bisher nicht in Lehre involvierten Teilnehmer*innen. Es ließen sich drei verschiedene Gewichtungen differenzieren. Ein Teil verfolgt diese Entwicklung eher neutral, jedoch mit Neugier und äußerte sich als „positiv überrascht“ (I2, A49) darüber, dass diese Verlagerung stattfinden soll und bezeichnen diese als „wichtig und sinnvoll“ (I8, A25). Ein weiterer Teil begrüßt die Entwicklung, zeigte sich jedoch eher skeptisch hinsichtlich der Umsetzung. „Das ist eine ganz schwierige Geschichte. Also --- ich hab noch..., ich hatte keine gute Idee. Wie es wirklich gehen kann.“ (I1, A105). Aus ihrer Sicht sei es ein „Großprojekt“ (I1, A126), welches „nur unter entsprechenden Bedingungen“, umgesetzt werden könne. Die dritte Gruppe der Interviewten äußerte sich sehr deutlich befürwortend über die Entwicklung: „…es ist zwingend erforderlich, dass mehr ambulante Lehre reinkommt.“ (I7, A3). Eine Person sah es sogar als „absolut notwendig“ an, da „das eine ohne das andere nicht auskommt“ (I11, A5), und meint damit den klinischen und den ambulanten Sektor. Einige der Befragten waren zudem der Meinung, dass es sich um eine Entwicklung handele, die schon sehr lange hätte ins Auge gefasst werden müssen und würden es begrüßen, wenn die Umsetzung möglichst zeitnah und zügig erfolgen würde.

Als Begründungen für diese grundsätzlich positiven Einstellungen zur ambulanten studentischen Lehre wurde die eigene Erfahrung der vermehrten Verlagerung der Versorgung in den ambulanten Sektor sowie eine zunehmende Verzahnung von „stationär“ und „ambulant“ genannt. Weiterhin gehe damit einher, dass in Zukunft ein Nachwuchsproblem im ambulanten Sektor entstehend wird, dem es entgegenzuwirken gilt. Daher sei es wichtig, dass den Studierenden bereits während des Studiums die Möglichkeit gegeben wird, die spezifische ambulante Arbeitsweise und auch die Möglichkeit der Niederlassung kennen zu lernen. Sie sollen daher auch praktische Erfahrung im ambulanten Bereich sammeln, denn viele der Befragten hätten sich selbst einen früheren Einblick in diesen gewünscht. Dafür sei es unter anderem auch nötig, teilweise „völlig falsche Vorstellungen darüber, wie ambulante Medizin betrieben wird“ (I2, A91) zu revidieren.

Motivation, Hürden und Anreize

Die Einflussfaktoren auf die Umsetzbarkeit studentischer Lehre in der eigenen fachspezialistischen Praxis lassen sich in Motivation, Hürden und Anreize kategorisieren. Als intrinsische Motivatoren wurden die Freude an der Lehrtätigkeit, ein Verpflichtungsgefühl, der Wunsch etwas weiterzugeben und das Bedürfnis, eigene Ideale zu vermitteln genannt. Zudem wolle man es besser machen, als es teilweise selbst im Studium erlebt wurde. Weitere Motivationen waren die Nachwuchsgenerierung für das Fach, die Nachfolger*innensuche für die eigene Praxis sowie die erhoffte Bereicherung im Sinne einer „Win-win-Situation“ (I6, A59 & I9, A47), die durch Aufnahme von Studierenden in der eigenen Praxis entstehen können.

Als Hürden wurden insbesondere die fehlende Zeit und das eigene Zeitmanagement bzw. die enge Taktung im ambulanten Praxisablauf genannt. Lehre koste Zeit und stelle nicht nur eine zusätzliche Arbeitsbelastung, sondern in gewisser Weise auch einen „Störfaktor“ dar, der durch Verlangsamung des Praxisablaufs zu finanziellen Einbußen führen könne. Andererseits drückten einige Teilnehmer*innen aus, dass die finanzielle Honorierung einer Lehrtätigkeit eine eher untergeordnete Rolle spiele. Hinzu kommen Sorge vor zu großem organisatorischen Aufwand, zusätzlichen Verpflichtungen und strengen Vorgaben. Zudem wurden rechtliche Bedenken geäußert. Einigen der Befragten stellte sich außerdem die Frage, ob ihre Patient*innen sowie ihre Kolleg*innen oder Mitarbeiter*innen Studierende in der Praxis akzeptieren würden. Auch persönliche Faktoren, wie Unsicherheit über die individuelle Eignung oder Berührungsängste kamen zur Sprache. Mit Blick auf andere Kolleg*innen vermuteten Teilnehmer*innen, dass eine allgemeine Resignation und Frust bezüglich ihrer Tätigkeit im ambulanten Bereich eine Hürde darstellen könne.

Als wesentliche Anreize bzw. förderliche Faktoren zur Beteiligung an der studentischen Lehre in der Praxis wurden insbesondere die Bereiche Aufwandreduktion, finanzielle Vergütung und Wertschätzung der Lehrtätigkeit angesprochen. Die Aufwandreduktion für die Lehrpraxen beinhaltete eine suffiziente Administration und Organisation der Lehre durch die Universität einschließlich Studierendenauswahl und -verteilung, Klärung versicherungs- und haftungsrechtlicher Fragen, die Etablierung fester und gut erreichbarer Ansprechpartner*innen sowie eine effiziente Abrechnung der Lehrtätigkeit. Es wurde der Wunsch nach klaren Strukturvorgaben zu Lehrinhalten benannt, gleichzeitig soll jedoch eine Handlungsfreiheit bei der Umsetzung der Lehre vorhanden sein. Fortbildungsveranstaltungen zur Lehre oder Lehrpraxentreffen wurden als wichtige Informations- und Austauschmöglichkeit benannt. Sie sollten jedoch möglichst kompakt und praxisnah stattfinden, denn „...die Motivation nimmt mit jedem Kilometer ab“ (I7, A31). Weiterhin wurden Häufigkeit, Aufwandsentschädigung und leibliche Versorgung während der Veranstaltung als relevante Aspekte benannt.

Die Haltung der Teilnehmer*innen zur finanziellen Vergütung der Lehrtätigkeit war heterogen. Einige hielten eine finanzielle Aufwandsentschädigung für angebracht, teilweise auch für absolut notwendig. Wesentliches Argument war der Verdienstausfall durch den Zeitaufwand in der Studierendenbetreuung. Ein Teilnehmer gab an, dass 500€ für ein 3-wöchiges Praktikum adäquat seien, ein anderer Teilnehmer hielt 100€/d für angemessen. Ein Teil der Befragten sah die finanzielle Vergütung dagegen skeptisch. Lehrpraxen seien finanziell nicht auf eine Entlohnung der Lehrtätigkeit angewiesen und dies stelle keinen zusätzlichen Motivationsanreiz dar.

Stattdessen solle die Wertschätzung über andere Wege erfolgen. So sei die Anerkennung in Form von CME-Punkte ein möglicher Anreiz. Hier wurde mehrfach auch eine engere Zusammenarbeit mit der Landesärztekammer und Kassenärztlichen Vereinigung, als auch die Anerkennung ihres Engagements durch diese Institutionen gefordert. Die offizielle Ernennung zur Lehrpraxis einschließlich Urkunde wurde ebenfalls als Form der Wertschätzung und Anerkennung benannt.

Fachbezogene Besonderheiten

Allgemein wurde deutlich, dass in den Fachdisziplinen ein unterschiedliches Spektrum an Krankheitsbildern und Arbeitsstrukturen vorhanden ist. Diese Aspekte können auch innerhalb der Lehrpraxen einer Fachdisziplin variieren. Darüber hinaus wurden einzelne spezifische Besonderheiten für verschiedene Fachgebiete benannt (siehe Tabelle 2 [Tab. 2]).


Diskussion

Das Ziel der vorliegenden Studie war die Gewinnung von Erkenntnissen zur Durchführung ambulanter Lehre in fachspezialistischen Praxen. Es konnten – insbesondere für den deutschsprachigen Raum – erstmals systematisch Einstellungen und Einflussfaktoren bei ambulant tätigen fachspezialistischen Ärzt*innen sowie fachbezogene Besonderheiten erfasst werden.

Einstellungen

Insgesamt zeigt sich eine durchweg positive Einstellung der Teilnehmer*innen hinsichtlich der abzusehenden Entwicklung, medizinische Ausbildung in ambulanten fachspezialistischen Praxen durchzuführen. Begründet wird diese befürwortende Haltung damit, dass es eine klare Notwendigkeit einer verstärkten ambulanten (fachspezialistischen) Ausbildung gebe – durch die zunehmende Verlagerung der medizinischen Versorgung in den ambulanten Sektor und einem gleichzeitig zunehmenden Nachwuchsproblem. Das Nachwuchsproblem kann sich sowohl auf die allgemeine Versorgung im jeweiligen Fachgebiet beziehen, als auch auf die konkrete Nachfolge in der eigenen Praxis. Fachgebiete mit hohem Anteil freier Kassenarztsitze in Thüringen sind insbesondere die Augenheilkunde und die Neurologie/Psychiatrie [12].

Die Einschätzungen der Interviewpartner*innen deckt sich demnach mit den Bestrebungen des Masterplans Medizinstudium 2020. Auch wenn alle Teilnehmer*innen die Entwicklung prinzipiell befürworten, variieren die Einschätzungen über die Umsetzbarkeit einer vermehrten fachspezialistischen ambulanten Ausbildung von skeptisch bis optimistisch. Hier sollte in zukünftigen Studien differenziert werden, ob sich diese Einschätzung auf die konkrete eigene Praxis oder eine flächendeckende Umsetzung bezieht.

Weiterhin bleibt anhand dieser Studie offen, worauf diese Einschätzungen beruhen. So könnten fehlende oder auch negative eigene Vorerfahrungen eine Rolle spielen.

Motivationen

Die Motivationen, sich an ambulanter Lehre zu beteiligen, weisen ein vielfältiges Spektrum auf und decken sich zum Teil mit Ergebnissen aus hausärztlichen Studien. So ist die Vermittlung praktischer Fertigkeiten und Kenntnisse als wesentliche Motivation zur Beteiligung an der Lehre bekannt [9]. Eine qualitative Untersuchung mit australischen Hausärzt*innen zeigte die Aktualisierung des eigenen klinischen Wissens als die am häufigsten genannte Motivation [7]. Weitere Beweggründe von Hausärzt*innen waren die persönliche Entfaltung, die Freude am Unterrichten, das Bedürfnis das eigene Fach als Karrieremöglichkeit zu vermitteln und ein Verantwortungsgefühl gegenüber dem Beruf und der Gemeinschaft [7], [13]. Diese positiven Aspekte können für die Akquise neuer fachspezialistischer Lehrpraxen genutzt werden, um deren Bereitschaft zur Beteiligung an studentischer Lehre zu steigern.

Hürden und Anreize

Als Hürde für die Durchführung ambulanter Lehre war Zeitmangel der bedeutungsvollste Aspekt. Dies ist so auch bei Hausärzt*innen beschrieben [7], [8]. Interessanterweise wurde auch die Unsicherheit hinsichtlich der eigenen Eignung von den Teilnehmer*innen unserer Studie benannt. Hier scheint sich eine Ambivalenz zwischen dem Willen zur Beteiligung und der fehlenden Sicherheit darzustellen. Dieser kann jedoch durch geeignete Fortbildungsmaßnahmen seitens der Fakultäten begegnet werden. Einige Hürden, beispielhaft der hohe Arbeitsaufwand, stellen sich reziprok bei den genannten Anreizen im Sinne einer organisatorischen Aufwandreduktion sowie Etablierung fester Strukturen und Ansprechpartner*innen durch die Fakultäten dar. Die Aufwandreduktion bezieht sich zudem auf die Intensität der Lehre. Diese beinhaltet die Anzahl an Kontakten zwischen Lehrenden und Studierenden, die Länge der Kontakte und den Inhalt der Kontakte [14]. In der Befragung sächsischer Hausärzt*innen zur zeitlichen Intensität ergab sich eine durchschnittliche Zeit von 6,9h/Monat, die die Ärzt*innen für die Lehre zur Verfügung stellen würden [9]]. Die von unseren Teilnehmer*innen benannten Fortbildungsveranstaltungen für Lehrende sind bisher nicht in der Literatur als Anreiz beschrieben. In der Untersuchung von Klement und Kolleg*innen gaben jedoch 66% der Befragten an, dass Lehrärzt*innen an Lehrpraxenfortbildungen teilnehmen sollten [9].

Die Vergütung stellt sich als wichtiger, jedoch heterogen bewerteter Anreiz dar. Dabei scheint von Bedeutung, ob die Vergütung als Kompensation oder als Honorierung angesehen wird. In der Untersuchung von Deutsch und Kolleg*innen mit sächsischen Hausärzt*innen wurde eine Kompensation der durch die studentische Lehre verminderten Produktivität als wichtig erachtet. Gleichwohl gab dort ein Teil der Hausärzt*innen an, dass sie die Lehre ohne Vergütung durchführen würden [8], wie es auch in der von uns durchgeführten Befragung der Fall war. In der Untersuchung von Klement war 50% der Teilnehmer*innen eine Honorierung wichtig [9]. In weiterführenden Untersuchungen sollte die Sichtweise von Fachspezialist*innen zur Art und Höhe der Vergütung quantitativ erfasst werden, um unter Berücksichtigung der finanziellen Ressourcen der Universitäten eine adäquate Vergütung zur Verfügung zu stellen.

Über die Vergütung hinaus stellt die immaterielle Anerkennung einen wesentlichen Anreiz für die Beteiligung an der Lehre dar. Es wurde deutlich, dass die wahrgenommene Wertschätzung ihres Engagements von hoher Bedeutung für die von uns befragten Ärzt*innen ist. Hervorzuheben ist die durch Interviewpartner*innen angeregte Zusammenarbeit mit außeruniversitären Institutionen. Unter Beachtung der hoheitlichen Aufgabe der medizinischen Fakultäten bezüglich der studentischen Ausbildung könnten hier Anreize, z.B. über die Vergabe von CME-Punkten, die im Verantwortungsbereich der Ärztekammern liegt, geschaffen werden.

Fachbezogene Besonderheiten

Über die allgemeine Heterogenität der Fächer hinsichtlich Krankheitsbildern, Arbeitsstrukturen und Equipment hinaus zeigten sich fachgebietsspezifische Voraussetzungen und Herausforderungen für gelingende Lehre in einzelnen Fachdisziplinen. Diese in Zusammenarbeit mit ambulant tätigen Ärzt*innen systematisch zu erfassen und auf dieser Grundlage fachspezifische Lehrinhalte und Methoden zu erarbeiten, ist essentiell für die weitere Entwicklung der studentischen Ausbildung im ambulanten Setting.

Limitationen

Bei der Interpretation der Ergebnisse dieser Studie ist zu berücksichtigen, dass die geplante Selektion der Teilnehmer*innen nach Geschlecht und Fachrichtung nicht vollständig umgesetzt werden konnte. Somit war die Geschlechterverteilung nicht ausgewogen. Zudem ist die Heterogenität der Fachrichtungen eingeschränkt und es sind nicht alle Fachrichtungen in der Untersuchung vertreten. Zum Teil wurden die Fachrichtungen nur durch eine Person präsentiert. Die Begrenzung der Teilnehmer*innenzahl und die lokale Begrenzung auf Thüringer Ärzt*innen war durch die limitierten Ressourcen bedingt. Eine weitere Limitation besteht in der Selektion der in der Studie befragten Ärzt*innen, von denen ein größerer Anteil bereits im Projekt JENOS aktiv in die ambulante Lehre involviert ist. Die Übertragbarkeit der Ergebnisse ist somit insbesondere für nicht-berücksichtigte Fachrichtungen, sich strukturell von Thüringen stark unterscheidende Regionen sowie Ärzt*innen, die bisher kaum mit Lehre in Berührung gekommen sind eingeschränkt. Hier bedarf es weiterer, ggf. auch quantitativer Studien, um die Aussagekraft der Ergebnisse zu stärken. Die Ergebnisse dieser qualitativen Studie dienen als Grundlage für weiterführende Studien und bieten erste Ansatzpunkte, um die ambulante Lehre in fachspezialistischen Praxen gezielt und bedarfsgerecht umzusetzen.“


Schlussfolgerung

Mit dieser Studie liegen erstmals Erkenntnisse zur Lehre in fachspezialistischen ambulanten Einrichtungen vor. Sie weisen auf eine hohe Bereitschaft der fachspezialistischen Ärzt*innen zur Durchführung der Lehre hin, erlauben einen positiven Ausblick für die Umsetzbarkeit und geben Ansatzpunkte für die Erstellung von Konzepten zur Lehrpraxengewinnung in den fachspezialistischen Fächern. Fachgebietsspezifische Voraussetzungen wurden deutlich, die es bei der weiteren Entwicklung von Lehre im ambulanten Setting zu berücksichtigen gilt. Darüber hinaus sind jedoch weiterführende, ggf. auch fachbezogene, quantitative Untersuchungen erforderlich, um die vorliegenden Ergebnisse zu untermauern und zu vertiefen.


Interessenkonflikt

Die Autor*innen erklären, dass sie keinen Interessenkonflikt im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


Literatur

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