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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Nachruf Prof. Dr. med. Karl Köhle *1938 – †2022

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  • Wolf Langewitz - Universitätsspital Basel, Schweiz
  • corresponding author Claudia Kiessling - Universität Witten/Herdecke, Fakultät für Gesundheit, Lehrstuhl für die Ausbildung personaler und interpersonaler Kompetenzen im Gesundheitswesen, Witten, Deutschland
  • Christoph Stosch - Universität zu Köln, Medizinische Fakultät, Köln, Deutschland

GMS J Med Educ 2022;39(3):Doc37

doi: 10.3205/zma001558, urn:nbn:de:0183-zma0015589

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2022-39/zma001558.shtml

Eingereicht: 13. Juni 2022
Angenommen: 13. Juni 2022
Veröffentlicht: 15. Juli 2022

© 2022 Langewitz et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Nachruf

Am 23. April 2022 verstarb Prof. Dr. med. Karl Köhle, einer der wichtigen Protagonisten der letzten Jahrzehnte für eine sprechende Medizin und Vorreiter einer modernen Lehre im Bereich der ärztlichen Gesprächsführung.

In München 1938 geboren, verbrachte er einen großen Teil seines Lebens im Rheinland, seine Liebe für Oberbayern und die Region um den Starnberger See allerdings blieb lebenslang erhalten. Nach seinem Studium der Medizin und Psychologie in Hamburg, München und Wien begann er seine ärztliche Weiterbildung 1967 in der Abteilung Innere Medizin und Psychosomatik unter der Leitung eines der Wegbereiter der Psychosomatik in Deutschland, Prof. Thure von Uexküll, am Zentrum für Innere Medizin und Kinderheilkunde der Universität Ulm. 1984 wurde er zum Ärztlicher Direktor der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie, Klinikum der Universität zu Köln berufen und wirkte dort bis zu seiner Emeritierung 2005. Karl Köhle hat die Psychosomatik in Deutschland durch seine Person und seine Aktivitäten über viele Jahre nachhaltig mitgeprägt.

Zahlreiche Innovationen in der Gestaltung der Lehre gehen auf Karl Köhle und sein Team zurück, welche noch heute die Auseinandersetzung mit der ärztlichen Gesprächsführung in Köln und anderen Fakultäten bereichern: Schon Ende der 80er Jahre führte er in seine Kurse das Problembasierte Lernen als Mittel der Auseinandersetzung mit dem Biopsychosozialen Modell ganz am Anfang des Studiums ein; ihm schwebte damals schon ein longitudinales Curriculum mit einer Lehr-Lern-Spirale vor (siehe Abbildung 1 [Abb. 1]). Im Jahr 1994 entwickelte er gemeinsam mit streikenden Studierenden, die die fehlende Ausrichtung des Medizinstudiums auf den ärztlichen Beruf kritisiert hatten, einen Anamnesekurs als Teil der verpflichtenden Lehre. Der Einsatz von Simulationspatient*innen und die Arbeit mit videographierten Patientenbeispielen wurden in den Neunziger Jahren etabliert. Damit trug Karl Köhle in Köln und darüber hinaus maßgeblich zu einer Implementierung moderner Lern- und Prüfungsformate bei sowie zu einer Förderung kommunikativer Kompetenz und psychosomatischer Verständniskonzepte bei Medizinstudierenden.

Die ärztliche Gesprächsführung war sein Thema in Forschung und Lehre. Es gelang ihm, die Essenz einer Gesprächsführung, die Betroffenen eine Stimme verleiht, auf den Punkt zu bringen, konkrete Lernziele zu definieren und mit Beispielen zu unterlegen. Bei der technischen Umsetzung dieser Aufgabe war Karl Köhle seiner Zeit weit voraus. Er hat die Video-unterstützte Lehre bereits genutzt, als die heute gängigen Medien noch Stoff für die Träume von Nerds waren. Für ihn war naheliegend, dass Kompetenzen, die sich im Handeln zeigen, auch im Handeln veranschaulicht werden müssten. Ein großartiges Team stand ihm zur Seite bei der Entwicklung des NetmediaViewer. Dort fanden sich illustrative Beispiele von realen Konsultationen, die bestimmten Aspekten der Gesprächsführung zugeordnet waren und ihre Entsprechungen in Grundlagen-Kapiteln „des Uexküll“ (Lehrbuch der Psychosomatischen Medizin) hatten. Noch in den frühen 2000er Jahren war die Idee, in Lehrveranstaltungen den NetMediaViewer einzusetzen und während der Vorlesung ins Internet gehen zu wollen, so ungewöhnlich, so erinnert sich Wolf Langewitz, dass die meisten Hörsaalverantwortlichen in Basel diese Möglichkeit explizit unterbinden wollten, um Studierende während der Lehre nicht abzulenken.

Auch die langjährige Zusammenarbeit mit dem Hausarzt Thomas Reimer war richtungsweisend: Über eine Standleitung war die Hausarztpraxis in der Eifel mit einem Gruppenraum in der Kölner Uniklinik verbunden. Studierende konnten live dabei sein, wenn Dr. Reimer in seiner Praxis mit Patientinnen und Patienten sprach. Anschliessend konnten sie ihre Eindrücke mit dem Hausarzt und mit einem Experten diskutieren. Von besonders eindrücklichen Konsultationen gab es Videoaufnahmen, die über eine längere Beobachtungszeit hinweg den Verlauf einer Krankengeschichte (und einer Krankheits-Geschichte) dokumentierten.

In der Herausgeberrunde des Uexküll, Lehrbuch der Psychosomatischen Medizin, war Karl Köhle derjenige, der bereits bei der 6. Auflage 2003 dem Verlag vorschlug, im Hintergrund eine über das Internet zugängliche Bibliothek mit Begleit-Material anzulegen (z.B. illustrative Videos, Vorlesungen von Thure von Uexküll, etc.). Sein Innovationsstreben war unermüdlich und er war in der Lage, immer wieder Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für seine Ideen zu begeistern, so zum Beispiel eine interaktive Präsentation, in der Studierende an signifikanten Stellen eines Gespräches zwischen verschiedenen Fortsetzungen auswählen konnten und dann gesteuert über einen Algorithmus an ganz unterschiedlichen Endpunkten landeten: E-learning avant la lettre!

Das Erstaunliche an all dem war der pragmatische Zugriff auf das Thema der Arzt-Patient-Beziehung und die Arzt-Patient-Kommunikation: Karl Köhle war kein Missionar, der seine Weltanschauung oder seine psychotherapeutische Identität als Psychoanalytiker in die Welt hineintragen wollte, sondern ein wohlwollender Vermittler einer auf den Betroffenen ausgerichteten Medizin, der sehr genau darauf achtete, wie er Lernende mit dem, was ihm wichtig war, erreichen konnte. Die gleiche Verbindung zwischen kreativen und pragmatischen Elementen hat sein Engagement in der Carl-Gustav-Carus-Stiftung für Psychosomatische Medizin geprägt, deren langjähriger Stiftungsrats-Präsident er war. Dabei kam ihm und der Stiftung besonders zugute, dass er ein hervorragender Networker war, der einem am Telefon den Eindruck vermitteln konnte, alle Zeit der Welt zu haben. Wann immer im Stiftungsrat eine Frage auftauchte: er kannte jemanden, der oder die genau daran im Moment interessiert war und weiterhelfen konnte.

Das Wort war immer sein Begleiter und Umgang und Interpretation waren ihm wichtig. So erinnert sich Christoph Stosch, dass er eines Tages zu ihm sagte: „Nein, sie haben mich nicht überfahren, sondern ich sagte, Sie wären mir auf die Füße getreten.“ Ab und an sitze er noch grübelnd über diesem semantischen Differential. Angesichts von lauten, undifferenzierten Debatten der Jetztzeit erscheint eine so penible Exegese des Gesprochenen fast schon schrullig, oder aber aktueller denn je.

Karl Köhle interessierte sich immer für den Menschen, der vor ihm saß, seien es Patientinnen oder Patienten, Studierende oder Kolleginnen bzw. Kollegen. Dabei war er zurückhaltend und trotzdem klar und eindeutig in seinen Beobachtungen und Meinungen. Wir werden Karl Köhle in unseren Herzen behalten. Seiner Familie gilt unsere tief empfundene Anteilnahme, ihm unser ehrendes Gedenken.


Interessenkonflikt

Die Autor*innen erklären, dass sie keinen Interessenkonflikt im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.