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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Wie steht es um den Frauenanteil in Leitungspositionen in der medizinischen Ausbildung?

Kommentar Gleichstellung

  • corresponding author Inga Hege - Universität Augsburg, Medizinische Fakultät, Lehrstuhl für Medizindidaktik und Ausbildungsforschung, Augsburg, Deutschland
  • author Katrin Schüttpelz-Brauns - Universität Heidelberg, Medizinische Fakultät Mannheim, GB Studium und Lehrentwicklung, Abteilung für Medizinische Ausbildungsforschung, Mannheim, Deutschland,
  • author Claudia Kiessling - Universität Witten/Herdecke, Fakultät für Gesundheit, Lehrstuhl für die Ausbildung personaler und interpersonaler Kompetenzen im Gesundheitswesen, Witten, Deutschland

GMS J Med Educ 2022;39(3):Doc36

doi: 10.3205/zma001557, urn:nbn:de:0183-zma0015572

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2022-39/zma001557.shtml

Eingereicht: 22. Januar 2022
Überarbeitet: 20. April 2022
Angenommen: 21. April 2022
Veröffentlicht: 15. Juli 2022

© 2022 Hege et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

In Deutschland sind etwa zwei Drittel der Studierenden und der Promovierenden in der Medizin weiblich. Bei den Habilitationen liegt der Anteil nur noch bei ca. 35% und bei vielen Leitungspositionen an Fakultäten und in Gremien der medizinischen Ausbildung deutlich darunter. Obwohl Gründe hierfür lange bekannt sind, kommen Änderungen nur langsam voran. Wir möchten daher mit diesem Kommentar die aktuelle Situation bezüglich der Gleichstellung in Deutschland in der medizinischen Ausbildung beleuchten und Maßnahmen aufzeigen und diskutieren. Dazu gehören z.B. Mentoring- und Vernetzungsprogramme sowie die stärkere Berücksichtigung von Frauen in Gremien.

Schlüsselwörter: Frauenförderung, Mentoring, Medizinische Ausbildung


Einleitung

„Es gibt ja keine geeigneten Frauen“ ist immer noch eine häufige Antwort, wenn es darum geht, Gremien und Leitungspositionen in der Medizin bzw. der medizinischen Ausbildung mit mehr Frauen zu besetzen.

Ähnlich wie in vielen anderen Ländern studieren im deutschsprachigen Raum mehr weibliche als männliche Studierende Humanmedizin. Im Wintersemester 2020/2021 waren in Deutschland von den ca. 100.000 Medizinstudierenden rund zwei Drittel weiblich [1]. Eine ähnliche Verteilung zeigt sich bei den Promotionen im Fach Humanmedizin [2]. Der Anteil der Habilitand*innen lag 2020 jedoch nur bei 35% [3] und der Frauenanteil der besetzten Professuren in Deutschland liegt fächerübergreifend weiterhin unter 30% [4], [5]. Auch der „Gender-Gap“ der Erwerbsarbeitseinkommen hat sich in den letzten Jahren auf durchschnittlich 18% leicht verbessert, liegt damit aber immer noch über dem EU-Durchschnitt von 15%. Im Gesundheits- und Sozialwesen ist der „Gender-Gap“ mit 24% noch deutlich größer [6] und ist auch bei den Gehältern der Professor*innenschaft in Deutschland vorhanden [7].

Die Gründe hierfür sind vielfältig und lange bekannt. So gibt es häufig noch Stereotype und Vorurteile bei der Besetzung von Leitungspositionen mit Frauen wie z.B. deren angenommene höhere Risikoaversion oder ein familienbedingtes Verlassen des Arbeitsplatzes [8]. Frauen selbst bewerben sich seltener auf Leitungspositionen – häufig genannte Gründe sind u.a. das Fehlen von geschützter Zeit („protected time“), Unterstützung, Erfahrung und Mentor*innen [9]. Auch sind Männer immer noch besser vernetzt als Frauen und „helfen sich gegenseitig, Artikel zu publizieren oder Forschungsgelder einzutreiben“ und damit ihre Chancen auf akademische Leitungspositionen zu verbessern [10].

Um diesen Herausforderungen zu begegnen, wurden an den Universitäten bereits einige Maßnahmen umgesetzt, wie z.B. Mentoringprogramme speziell für die Karriereförderung von Frauen oder Gleichstellungspläne, die bei Stellenbesetzungen und Berufungsverhandlungen eine Chancengleichheit sicherstellen sollen. Auch gab es 2020 eine Förderung des BMBF zu Projekten mit dem Themenschwerpunkt „Frauen in Wissenschaft, Forschung und Innovation: Leistungen und Potenziale sichtbar machen, Sichtbarkeit strukturell verankern“ [11].

Trotz dieser Maßnahmen ist der Anteil von Frauen in Führungs- und Gremienpositionen in Lehre und Forschung und damit auch ihre Sichtbarkeit aber immer noch zu gering [12], [13].

Mit diesem Kommentar möchten wir speziell auf die aktuelle Situation von Frauen im Bereich Gremien und Führungspositionen in der medizinischen Aus- und Weiterbildung im deutschsprachigen Raum aufmerksam machen und mögliche Ansatzpunkte für mehr Diversität aufzeigen.


Aktuelle Situation in der medizinischen Ausbildung in Deutschland

Maßgebliche Organisationen in der Ausrichtung von Forschung und Lehre im Bereich medizinische Ausbildung in Deutschland sind der Medizinische Fakultätentag (MFT), die Gesellschaft für medizinische Ausbildung (GMA), die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF), Leitungspositionen (Dekan*innen, Studiendekan*innen) der Fakultäten sowie die Professuren und Lehrstühle für Medizinische Ausbildungsforschung.

Basierend auf unserer Internetrecherche (Stand Oktober 2021) liegt der Frauenanteil in den Leitungen all dieser Organisationen bei maximal 42%. Am niedrigsten ist der Frauenanteil beim Präsidium der AWMF mit 9% (n=1) sowie beim Präsidium und Vorstand des MFT mit 10% (n=1). Der Anteil der Dekaninnen bzw. Studiendekaninnen an 49 staatlichen und staatlich anerkannten Medizinischen Fakultäten im deutschsprachigen Raum liegt mit 15,5 bzw. 23,5% etwas höher. Von den uns bekannten 11 deutschsprachigen Lehrstühlen bzw. W3-Professuren für medizinische Ausbildung sind 36% (n=4) mit Frauen besetzt.

Im Vorstand der GMA stieg der Anteil der Frauen nach der letzten Wahl im Herbst 2021 erfreulicherweise von 25% auf 42%. Bei den 25 Ausschüssen der GMA, die sich den verschiedenen Themen der medizinischen Ausbildung widmen, liegt der Frauenanteil der Vorsitzenden ebenfalls bei rund 40%, bei den stellvertretenden Vorsitzenden sind Frauen sogar mit 57% in der Mehrheit.

Bei dem GMS Journal for Medical Education (JME), der wichtigsten wissenschaftlichen deutschsprachigen Zeitschrift für medizinische Ausbildung liegt der Frauenanteil im Herausgebergremium unter 20% und die beiden Leitungspositionen sind rein männlich besetzt [https://www.egms.de/de/journals/zma/about.htm#editorial]. Bei vergleichbaren internationalen Journals, wie z.B. BMC Medical Education [https://bmcmededuc.biomedcentral.com/about/editorial-board] liegt der Anteil der Frauen deutlich höher.


Ausblick

Die dargestellten Daten zeigen, dass der Frauenanteil in relevanten Führungspositionen und Gremien im deutschsprachigen Raum in der medizinischen Ausbildung nach wie vor gering ist.

Menschen neigen dazu, im Sinne des „jüngeren Selbst“ eher Menschen zu fördern, die ihnen ähnlich sind [4], [14]. Daher möchten wir für ein größeres Bewusstsein für eine ausgewogene Besetzung von Vorstands-, Gremien- und Leitungspositionen werben. Sowohl auf der individuellen als auf der strukturellen Ebene muss es zukünftig möglich sein, eine geschlechtergerechte Teilhabe durch Schaffung entsprechender Rahmenbedingungen und Ressourcen herzustellen. Die Aussage „Es gibt ja keine geeigneten Frauen“ sollte dazu führen, strukturelle Rahmenbedingungen zu analysieren und anzupassen, z.B. Ausschreibungsverfahren, Zusammensetzung von Berufungskommissionen oder Sitzungszeiten.

Auf der anderen Seite möchten wir Frauen in der medizinischen Ausbildung dazu ermutigen sich zu vernetzen und selbstbewusst auf Leitungspositionen und für Gremien zu bewerben. Möglicherweise könnten bei Gremien mit einem sehr niedrigen Frauenanteil, wie z.B. dem Vorstand und dem Präsidium des MFT, auch die Einführung einer Quote eine unterstützende Maßnahme darstellen.

Die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) schlug in ihrer Mitgliederversammlung 2019 vor, die Erfahrungen und Netzwerke von „Elder Stateswomen“ zu nutzen [13]. Dies kann mit einem Mentoring- und Vernetzungsprogramm gelingen um Rollenvorbilder sichtbar zu machen und den weiblichen Nachwuchs gezielt und möglichst frühzeitig zu unterstützen sich für Leitungspositionen im Bereich der medizinischen Ausbildung zu qualifizieren und zu bewerben. Neben dieser Maßnahme schlagen Tricco et al. sowie der Wissenschaftsrat weitere Maßnahmen vor wie eine quotierte Besetzung von Leitungspositionen, gendergerechte Sprache, die Formulierung von Zielen, die hinsichtlich bestehender Disparitäten erreicht werden sollen, eine stärkere Einbindung von Frauen in Begutachtungs- und Rekrutierungsverfahren oder ein Gender Bias Training [14], [15].

Uns ist bewusst, dass eine ausgewogene Mischung von Männern und Frauen in Gremien und Führungspositionen nur ein Aspekt für mehr Diversität ist. Gleiches gilt auch für Menschen, die sich keinem der binären Geschlechter zuordnen möchten, Menschen mit Behinderungen oder Menschen mit Migrationshintergrund und wir plädieren hier für mehr Vielfalt in jeglicher Hinsicht. Eine größere Diversität bei Teams führt zu weniger fehlerhaften, besser durchdachten und objektiveren Entscheidungen und innovativen Ideen [16], [17].

Wir sehen es als eine wichtige Aufgabe an, die uns alle angeht und daher auch in Organisationen, wie der GMA und den Fakultäten unterstützt werden müssen. Mit diesem Kommentar möchten wir unserer Empfehlung für den Aufbau eines Mentoring- und Vernetzungsprogramm im Rahmen der GMA Nachdruck verleihen und hoffen, dass wir in Zukunft die angesprochenen Aspekte auf allen Ebenen diskutieren werden.


Beiträge der Autorinnen

Die drei Autorinnen haben gleichermaßen beigetragen.


Interessenkonflikt

Die Autorinnen erklären, dass sie keinen Interessenkonflikt im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


Literatur

1.
Statistisches Bundesamt. Anzahl der Studierenden im Fach Humanmedizin in Deutschland nach Geschlecht in den Wintersemestern von 2007/2008 bis 2020/2021. Wiesbaden: Statistisches Bundesamt; 2021. Zugänglich unter/available from: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/200758/umfrage/entwicklung-der-anzahl-der-medizinstudenten/ Externer Link
2.
Statistisches Bundesamt. Frauen promovieren häufiger in Gesundheitswissenschaft und Humanmedizin. Wiesbaden: Statistisches Bundesamt; 2021. Zugänglich unter/available from: https://www.aerztezeitung.de/Wirtschaft/Frauen-promovieren-haeufiger-in-Gesundheitswissenschaft-und-Humanmedizin-422766.html Externer Link
3.
Statistisches Bundesamt. Mehr Habilitationen von Frauen im Jahr 2020. Wiesbaden: Statistisches Bundesamt; 2021. Zugänglich unter/available from: https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2021/07/PD21_319_213.html Externer Link
4.
Hibbeler B, Korzilius H. Arztberuf: Die Medizin wird weiblich. Dtsch Arztebl. 2008;105(12):A-609, B-539, C-527.
5.
Statistisches Bundesamt. Frauenanteil in der Professorenschaft in Deutschland im Jahr 2020 nach Bundesländern. Wiesbaden: Statistisches Bundesamt; 2022. Zugänglich unter/available from: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/197898/umfrage/frauenanteil-in-der-professorenschaft-nach-bundeslaendern/ Externer Link
6.
Statistisches Bundesamt. Gender Pay Gap. Wiesbaden: Statistisches Bundesamt; 2021. Zugänglich unter/available from: https://www.destatis.de/DE/Themen/Arbeit/Arbeitsmarkt/Qualitaet-Arbeit/Dimension-1/gender-pay-gap.html Externer Link
7.
Deutscher Hochschulverband. Geschlechterunterschiedliche Vergütung in der Wissenschaft. Positionspapier des DHV. Bonn: Deutscher Hochschulverband; 2020. Zugänglich unter/available from: https://www.hochschulverband.de/fileadmin/redaktion/download/pdf/resolutionen/Resolution-Geschlechterunterschiedliche_Verguetung.pdf Externer Link
8.
Littmann-Wernli S, Schubert R. Frauen in Führungspositionen - Ist die “gläserne Decke” diskriminierend? Z Arbeit. 2001;10(2):135-148. DOI: 10.1515/arbeit-2001-0204 Externer Link
9.
Esparza R, Stanford FC, Silver JK. How Can More Women be Elected to Leadership Positions in Medical Specialty Societies? Acad Med. 2021;96(4):479. DOI: 10.1097/ACM.0000000000003930 Externer Link
10.
Witte F. Dünne Luft- Ärztinnen in Führungspositionen sind in Deutschland selten. Alte Rollenbilder, Familie wie ein vom Spardruck gezeichnetes Gesundheitswesen bremsen den Aufstieg. Süddtsch Z. 2018. Zugänglich unter/available from: https://www.sueddeutsche.de/wissen/frauen-in-der-medizin-duenne-luft-1.4024357 Externer Link
11.
Bundesministerium für Bildung und Forschung. Richtlinie zur Förderung von Projekten zum Themenschwerpunkt „Frauen in Wissenschaft, Forschung und Innovation: Leistungen und Potenziale sichtbar machen, Sichtbarkeit strukturell verankern“ („Innovative Frauen im Fokus“). Berlin: Bundesministerium für Bildung und Forschung; 2020. Zugänglich unter/available from: https://www.bmbf.de/bmbf/shareddocs/bekanntmachungen/de/2020/11/3223_bekanntmachung Externer Link
12.
Alwazzan L, Al-Angari SS. Women’s leadership in academic medicine: a systematic review of extent, condition and interventions. BMJ Open. 2020;10(1):e032232. DOI: 10.1136/bmjopen-2019-032232 Externer Link
13.
Hochschulrektorenkonferenz. Frauen in Leitungspositionen in der Wissenschaft - Entschließung der 27. HRK-Mitgliederversammlung vom 19.11.2019. Berlin: Hochschulrerktorenkonferenz; 2019. Zugänglich unter/available from: https://www.hrk.de/positionen/beschluss/detail/frauen-in-leitungspositionen-in-der-wissenschaft/ Externer Link
14.
Wissenschaftsrat. Empfehlungen zur Chancengleichheit von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Dresden: Wissenschaftsrat; 2007. Zugänglich unter/available from: https://www.wissenschaftsrat.de/download/archiv/8036-07.html Externer Link
15.
Tricco AC, Bourgeault I, Moore A, Grunfeld E, Peer N, Straus SE. Advancing gender equity in medicine. CMAJ. 2021;193(7):E244-E250. DOI: 10.1503/cmaj.200951 Externer Link
16.
Rock D, Grant H. Why Diverse Teams Are Smarter. Harvard Business Rev. 2016. Zugänglich unter/available from: https://hbr.org/2016/11/why-diverse-teams-are-smarter Externer Link
17.
Díaz-García C, González-Moreno A, Sáez-Martínez FJ. Gender diversity within R&D teams: Its impact on radicalness of innovation. Innovation. 2013;15(2):149-60. DOI: 10.5172/impp.2013.15.2.149 Externer Link