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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Verantwortung übernehmen

Leitartikel Medizinische Ausbildung

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  • corresponding author Sigrid Harendza - Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, III. Medizinische Klinik, Hamburg, Deutschland

GMS J Med Educ 2022;39(2):Doc27

doi: 10.3205/zma001548, urn:nbn:de:0183-zma0015485

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2022-39/zma001548.shtml

Eingereicht: 7. März 2022
Überarbeitet: 11. März 2022
Angenommen: 11. März 2022
Veröffentlicht: 14. April 2022

© 2022 Harendza.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Leitartikel

Verantwortung kann man übernehmen oder haben. Aber auch tragen, was mehr nach einer Bürde klingt, oder abgeben – wenn sie zu schwer wird? Auch ablehnen kann man Verantwortung, wenn jemand sie einem geben will, man aber selbst denkt, dass man sie nicht tragen kann oder übernehmen möchte. Klingt irgendwie knifflig und doch ist „Verantwortung“ die Kompetenz, die von Ärztinnen und Ärzten verschiedener Fachrichtungen und Hochschulen für ärztliche Berufsanfängerinnen und Berufsanfänger als am wichtigsten erachtet wird [1]. Viele Tätigkeiten, die von Medizinstudierenden zum großen Teil gemäß der Ärztlichen Approbationsordnung nur supervidiert durchgeführt werden dürfen, müssen ab dem ersten Arbeitstag den Ärzt*innen in Weiterbildung anvertraut werden, was gleichzeitig eine Übernahme der Verantwortung durch diese bedeutet. Bei Pflegekräften hat sich beispielsweise gezeigt, dass die Verantwortung, die sie mit ihrem Arbeitsbeginn erhalten, größer ist, als sie zu diesem Zeitpunkt tragen können, was zu erhöhtem Stress führt [2].

Allerdings beginnt die Übernahme von Verantwortung nicht erst mit dem ersten ärztlichen Arbeitstag. Sie beginnt mit dem ersten Tag des Studiums. Und eigentlich schon davor, denn Verantwortung zu übernehmen bedeutet, das Ziel und die Tragweite einer Aufgabe zu erkennen und sich mit den eigenen Kenntnissen und Fertigkeiten und in selbstreflektierter Haltung für deren Gelingen einzusetzen. Dies gilt für alle Lebensbereiche, die menschliche Interaktionen betreffen. Da Verantwortung insbesondere zum professionellen Verhalten von Ärzt*innen und Personen aus anderen Gesundheitsberufen gehört, scheint es nicht verkehrt, sich frühzeitig in der Ausbildung damit zu beschäftigen. Auf einer Ausbildungsstation für Pflegeschüler*innen wurde beispielsweise ermittelt, dass diese durch aktives Ausüben klinischer Tätigkeiten lernen, Verantwortung für Patient*innen und gleichzeitig für ihr eigenes Lernen zu übernehmen [3]. Im ärztlichen Berufsleben wurde Verantwortung neben Bescheidenheit und dem Wunsch, einen hohen Standard in professionellem Verhalten erreichen zu wollen, als einer von drei Aspekten für humanistisches Verhalten identifiziert [4]. Um diese Haltung zu erreichen, wurde in dieser Studie Selbstreflexion als ein wesentlicher Faktor herausgearbeitet. Sich frühzeitig in der medizinischen Ausbildung mit dem Erlernen von Selbstreflexion zu beschäftigen und diese fest in medizinische Curricula zu integrieren, könnte ein wichtiger Schritt sein, um Studierende mit der Notwendigkeit der Verantwortungsübernahme – für ihr eigenes Lernen und für ihr späteres ärztliches Handeln – vertraut zu machen und diese einzuüben. Es konnte nämlich gezeigt werden, dass sich die Fähigkeit zur Selbstreflexion als wesentliche Grundlage für Verantwortungsübernahme im Medizinstudium nicht automatisch entwickelt [5].

Wenn also medizinische Curricula und auch die ärztliche Weiterbildung stärker am Konzept der anvertraubaren professionellen Tätigkeiten (APT) ausgerichtet werden oder werden sollen [6], [7], [8], [9], müssen Methoden zum Erlernen von Verantwortungsübernahme gleichzeitig mitgedacht werden, da zuverlässige Verantwortungsübernahme die Basis des Anvertrauens bildet. Wesentlich bei der curricularen Gestaltung ist hierbei außerdem, dass APTs nicht mit Kompetenzen oder Fertigkeiten verwechselt werden dürfen [10]. Dass Studierende frühzeitig damit vertraut gemacht werden, sich selbst zu reflektieren und Verantwortung für ihr Denken und Handeln zu übernehmen, ist nicht nur für die curriculare Gestaltung relevant. Es spielt auch eine Rolle beim Erlernen des Einsatzes von Naturheilkunde, komplementärer und integrativer Medizin, über die Homberg et al. in einem Positionspapier in dieser Ausgabe berichten [11] und besonders für das eigene Handeln im Rahmen einer medizinisch-experimentellen Dissertation, für das von Griebel et al. ein Kursangebot etabliert wurde, welches in dieser Ausgabe vorgestellt wird [12]. In einem weiteren Positionspapier in dieser Ausabe stellen Kaap-Fröhlich et al. den aktuellen Stand und die Zukunftsperspektiven interprofessioneller Ausbildung in den Gesundheitsberufen vor [13]. Bei dieser Lernform kommt individueller Verantwortungsübernahme und dem interprofessionellen Austausch darüber eine besonders große Bedeutung zu, ebenso wie bei Kommunikationskursen, die nach 10 Jahren erfolgreicher Durchführung pandemiebedingt umgestaltet werden mussten, was Schwär et al. in dieser Ausgabe berichten [14].

In diesen und weiteren Manuskripten in der vorliegenden Ausgabe der GMS Zeitschrift für Medizinische Ausbildung lässt sich finden, wie wesentlich das Erlernen von Verantwortungsübernahme für alle in Gesundheitsberufen Arbeitenden ist. Diesem zentralen Aspekt der medizinischen Ausbildung und der Ausbildung in den Gesundheitsberufen sollte in Zukunft noch größere Aufmerksamkeit geschenkt werden. Da verantwortliches Handeln nicht erst mit der Ausbildung oder dem ärztlichen Arbeiten beginnt, könnte der wichtige Aspekt der Verantwortungsübernahme vielleicht auch bei Auswahlverfahren für das Medizinstudium zukünftig in den Fokus rücken.


Interessenkonflikt

Die Autorin erklärt, dass sie keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel hat.


Literatur

1.
Fürstenberg S, Schick K, Deppermann J, Prediger S, Berberat PO, Kadmon M, Harendza S. Competencies for first year residents - physicians' views from medical schools with different undergraduate curricula. BMC Med Educ. 2017;17(1):154. DOI: 10.1186/s12909-017-0998-9 Externer Link
2.
Serafin L, Strzaska-Klis Z, Kolbe G, Brzozowska P, Szwed I, Ostrowska A, Czarkowska-Paczek B. The relationship between perceived competence and self-esteem among novice nurses - a cross-sectional study. Ann Med. 2022;54(1):484-494. DOI: 10.1080/07853890.2022.2032820 Externer Link
3.
Dyar A, Lachmann H, Stenfors T, Kiessling A. The learning environment on a student ward: an observational study. Perspect Med Educ. 2019;8(5):267-283. DOI: 10.1007/s40037-019-00538-3 Externer Link
4.
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5.
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6.
Pinilla S, Lenouvel E, Cantisani A, Klöppel S, Strik W, Huwendiek S, Nissen C. Working with entrustable professional activities in clinical education in undergraduate medical education: a scoping review. BMC Med Educ. 2021;21(1):172. DOI: 10.1186/s12909-021-02608-9 Externer Link
7.
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11.
Homberg A, Scheffer C, Brinkhaus B, Fröhlich U, Huber R, Joos S, Klose P, Kramer K, Ortiz M, Rostock M, Valentini J, Stock-Schröer B. Naturopathy, complementary and integrative medizing in medical education. Position paper by the GMA Committee Integrative Medicine and Plurality of Perspectives. GMS J Med Educ. 2022;39(2):Doc16. DOI: 10.3205/zma001537 Externer Link
12.
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13.
Kaap-Fröhlich S, Ulrich G, Wershofen B, Ahles J, Behrend R, Handgraaf M, Herninek D, Mitzkat A, Oberhauser H, Scherer T, Scchlicker A, Straub C, Waury Eichler R, Wesselborg B, Witti M, Huber M, Bode SF. Position paper of the GMA Committee Interprofessional Education in the Health occupations - current status and outlook. GMS J Med Educ. 2022;39(2):Doc17. DOI: 10.3205/zma001538 Externer Link
14.
Schwär M, Ullmann-Moskovits J, Farquharson M, Sennekamp M. The sudden switch to online communication training after 10 years in the classroom - comparing the evaluation results of a course on doctor-patient communication. GMS J Med Educ. 2022;39(2):Doc22. DOI: 10.3205/zma001543 Externer Link