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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Änderung von Wissen und Einstellung zu Kindlichem Fieber: Test einer Video-Instruktion als Onboarding-Element einer Gesundheits-App

Artikel Gesundheits-Apps

  • Moritz Gwiasda - Universität Witten/Herdecke, Lehrstuhl für Medizintheorie, Integrative und Anthroposophische Medizin, Herdecke, Deutschland
  • Silke Schwarz - Universität Witten/Herdecke, Lehrstuhl für Medizintheorie, Integrative und Anthroposophische Medizin, Herdecke, Deutschland
  • Arndt Büssing - Universität Witten/Herdecke, Lehrstuhl für Medizintheorie, Integrative und Anthroposophische Medizin, Herdecke, Deutschland
  • Ekkehart Jenetzky - Universität Witten/Herdecke, Lehrstuhl für Medizintheorie, Integrative und Anthroposophische Medizin, Herdecke, Deutschland; Johannes-Gutenberg-Universität, Universitätsmedizin Mainz, Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, Mainz, Deutschland
  • Hanno Krafft - Universität Witten/Herdecke, Lehrstuhl für Medizintheorie, Integrative und Anthroposophische Medizin, Herdecke, Deutschland
  • Sara Hamideh Kerdar - Universität Witten/Herdecke, Lehrstuhl für Medizintheorie, Integrative und Anthroposophische Medizin, Herdecke, Deutschland
  • Larisa Rathjens - Universität Witten/Herdecke, Lehrstuhl für Medizintheorie, Integrative und Anthroposophische Medizin, Herdecke, Deutschland
  • Katja Boehm - Universität Witten/Herdecke, Lehrstuhl für Medizintheorie, Integrative und Anthroposophische Medizin, Herdecke, Deutschland
  • corresponding author David Martin - Universität Witten/Herdecke, Lehrstuhl für Medizintheorie, Integrative und Anthroposophische Medizin, Herdecke, Deutschland; Universität Tübingen, Department für Kinderheilkunde, Tübingen, Deutschland

GMS J Med Educ 2022;39(2):Doc25

doi: 10.3205/zma001546, urn:nbn:de:0183-zma0015461

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2022-39/zma001546.shtml

Eingereicht: 9. März 2021
Überarbeitet: 19. Dezember 2021
Angenommen: 24. Januar 2022
Veröffentlicht: 14. April 2022

© 2022 Gwiasda et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Hintergrund: Obwohl kindliches Fieber in den meisten Fällen harmlos ist, fühlen sich viele Eltern im Umgang damit unsicher, weil oft wichtige Informationen fehlen. Zu Aufklärungszwecken wurde ein Informationsvideo über Fieber bei Kindern entwickelt, das auch als Onboarding-Element einer Gesundheits-App dienen soll. Ziel der vorliegenden Arbeit war es, die Einstellung von Eltern und Erwachsenen zum Thema Fieber vor und nach der Präsentation des Informationsvideos sowie dessen Evaluation zu erfassen.

Methoden: Zwischen Mai und November 2020 wurden insgesamt 123 Erwachsene in drei Gruppen mit unterschiedlichem Hintergrund (Studenten, Eltern und Pädagogen) mittels eines Fragebogens befragt, der vor und nach der einmaligen Präsentation eines Aufklärungsvideos ausgefüllt wurde.

Ergebnisse: Es wurden mehrere signifikante Ergebnisse in Bezug auf die Veränderung der Einstellung zum Umgang mit Fieber festgestellt, wobei es keine signifikanten Unterschiede zwischen den Gruppen gab. Nach der Vorführung des Informationsvideoclips würden 74 % der Teilnehmer die Körpertemperatur häufiger rektal messen. In der Nachbefragung stimmten 83% der Teilnehmer zu, dass sie nun vorsichtiger mit fiebersenkenden Medikamenten umgehen würden. Vor dem Videoclip hielten 75% der Teilnehmer Fieber für „eher nützlich“, danach waren es 93%. Die Höhe der Temperatur spielte als Grund für die Fiebersenkung eine untergeordnete Rolle. Der Informationsgehalt und die Qualität des Videos wurden positiv bewertet.

Diskussion: Diese Studie zeigt, dass ein kurzes Informationsvideo in der Lage ist, eine subjektiv wahrgenommene intentionale Veränderung der Einstellung zum Umgang mit Fieber herbeizuführen, zu einer Verhaltensänderung zu motivieren und die Unsicherheit im Umgang mit Fieber zu verringern. Da die Einstellungsänderung unmittelbar nach dem Betrachten des Videoclips gemessen wurde, kann keine Aussage über die mittel- bis langfristige Wirkung getroffen werden.

Schlussfolgerung: Der Informationsvideoclip kann als kurzfristiges Fieberaufklärungsinstrument eingestuft werden, für das zumindest eine kurzfristige Wirksamkeit nachgewiesen ist. Langfristige und mögliche synergetische Effekte bei Integration in eine Gesundheits-App mit weiteren Informationen müssen noch untersucht werden.

Schlüsselwörter: Fieber, FeverApp, psychoedukative Intervention, Videoclip, Gesundheits-App


Hintergrund

Im Gebrauch von digitalen Gesundheitsdienstleistungen liegt Deutschland im europäischem Vergleich weit hinten [https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/MEMO_18_3737]. Mit dem Inkrafttreten des „Digitale-Versorgung-Gesetz“ (DVG) am 19. Dezember 2019 wurde die „App auf Rezept“ für Patientinnen und Patienten in die Gesundheitsversorgung eingeführt. Damit haben ca. 73 Millionen Versicherte in der gesetzlichen Krankenversicherung einen Anspruch auf eine Versorgung mit Digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA). Es besteht ein komplexes Spannungsfeld, das sich aus den vielfältigen Möglichkeiten der Technologie und den unterschiedlichen Interessenlagen der vielen Beteiligten ergibt. Gleichzeitig wird aber auch deutlich, wie groß der Nutzen mobiler Technologien ist, wenn sie angemessen eingesetzt werden [1], besonders in der Edukation bezüglich entsprechender Themengebiete und der Möglichkeit, die eigene Gesundheitskompetenz zu steigern. Dies ist eines der Ziele der im Folgenden beschriebenen „FeverApp“ und soll unter anderem durch die Nutzung multimedialer Inhalte erfolgen. In dieser App wird ein edukativer Videoclip eingesetzt, dessen „Effektivität“ in Bezug auf Informationsgewinn und intentionale Verhaltensänderung geprüft werden soll. Digitale Gesundheitsedukation hat das Potential gleichwertige, oder sogar bessere Lerneffekte zu erzielen, als traditionelle Lernmethoden [2].

Fieber des eigenen Kindes ist einer der häufigsten Gründe von Eltern für eine Konsultation des Arztes oder der Ärztin [3]. Obwohl kindliches Fieber in den meisten Fällen ungefährlich ist, fühlen sich viele Eltern im Umgang damit verunsichert und ängstlich [4]. Gleichzeitig fehlen vielen Eltern oft wichtige Informationen, um sich um ihr Kind bestmöglich zu kümmern. Durch diese Unsicherheit werden häufig mehr Medikamente als nötig verabreicht und es werden Kinder häufiger in der Notaufnahme vorgestellt, als eigentlich notwendig wäre. Mit Hilfe der FeverApp sollen Eltern dem aktuellen Stand der Wissenschaft entsprechende Informationen rund um das Thema kindliches Fieber erhalten. Das Ziel der vorliegenden Arbeit war die Erfassung von allgemeinen Fragen und der Haltung zum Thema Fieber bei Eltern/Erwachsenen im Vergleich mit Studierenden vor und nach der Präsentation des Informations-Videoclips, sowie dessen Bewertung. Hierbei wurde als Primärer Endpunkt die Einstellungsänderung gegenüber Fieber definiert.


Methodik

Studiendesign

Im Intro der FeverApp wird den Eltern als Fieberedukation ein Informations-Videoclip zum Thema Fieber bei Kindern gezeigt. Es wurde ein Vorher-Nachher-Fragebogen entwickelt, welcher von Studierenden, Eltern und Erziehern anonym vor und nach der einmaligen Vorführung des Informations-Videoclips ausgefüllt wurde. Die Einschlusskriterien beinhalteten Erwachsene von mindestens 18 Jahren. Dazu gehörten Studierende einer Universität (Gruppe 1), Eltern von Kindergartenkindern (Gruppe 2), sowie Erzieherinnen und Erzieher eines Berufskollegs (Gruppe 3). Die Befragung zum Videoclip wurde entsprechend in drei Gruppen durchgeführt, welche am Ende zu einem Gesamtkollektiv zusammengefasst wurden. Im Zuge der Covid-19 Einschränkungen mussten die Befragungen online stattfinden. Der Primäre Endpunkt der Studie bestand im Vergleich der Einstellung zu Fieber vor und nach dem Video, dieser wurde durch 22 Wissensfragen aus drei Kategorien operationalisiert (Messort, Warnzeichen und Fiebersenkung).

Beschreibung des Informations-Videoclips

Der 4:19 Minuten lange Videoclip [https://www.feverapp.de/video] zeigt Informationen zum Thema Fieber im Zeichentrickfilm-Stil (vgl. Abbildung 1 [Abb. 1]). Eingangs wird darauf hingewiesen, dass die gezeigten Informationen von Kinder- und Jugendärztinnen und -ärzte stammen. Es wird erklärt, dass Fieber eine normale Immunreaktion ist, gefolgt von einer Auflistung von Warnzeichen, bei denen ärztlicher Rat einzuholen ist. Zudem wird auf die Möglichkeit von Fieberkrämpfen eingegangen, sowie dass diese nicht lange anhalten, keine Folgeschäden mit sich bringen und nicht mit Fiebersenkung verhindert werden können. Es folgt eine Information über die Notwendigkeit von Zuwendung und einer Chance des Beziehungsaufbaus bei einem kranken Kind. Es werden Empfehlungen zu naturheilkundlichen Maßnahmen gegeben und dass fiebersenkende Medikamente und Antibiotika nicht immer notwendig sind und nur in Absprache mit dem Arzt oder Ärztin verwendet werden sollten. Es wird noch einmal darauf eingegangen, dass es keine Temperaturhöchstgrenze gibt, ab der Fieber gesenkt werden müsste und dass auch Temperaturen über 40°C gut vertragen werden können. Schließlich wird auf ärztlichen Rat verwiesen, sowie die FeverApp und Ihr Nutzen kurz vorgestellt.

Intervention und Befragung

In den Vorher-Fragebögen (siehe Anhang 1 [Anh. 1]) wurden allgemeine Fragen zum Umgang mit Fieber bei Kindern und zur Bewertung des kurzen Videoclips gestellt. Dieser erfasste demographische Daten (7 Items) und den allgemeinen Umgang mit Fieber (15 Items). Hierunter befanden sich Fragen, wie etwa „Ab welcher Temperatur sprechen Sie von Fieber“ oder nach dem präferierten Messort. Es folgten Fragen zu angewendeten Mitteln im Umgang mit Fieber, sowie der Einstellung gegenüber Fiebersenkung, wie bspw. „Was sind Ihre Gründe zur Fiebersenkung?“. Anschließend wurde der Informations-Videoclip vorgeführt. Es folgte die Nachher-Befragung (siehe Anhang 1 [Anh. 1]), die 14 Items zum allgemeinen Umgang mit Fieber aus dem Vorher-Fragebogen wiederholte, sowie weitere 20 Items zur Bewertung des Videoclips und 3 Items zur Abfrage weitergehenden Interesses an einer App zum Thema Fieber. Die Bewertung des Videoclips umfasste neben Freitextfeldern, in denen neu Gelerntes, sowie offene Fragen und Ergänzungen eingetragen werden sollten, Fragen mit verschiedenen Aussagen zum Aufbau und Inhalts des Videoclips wie bspw. „Die Informationen zum Thema Fieber sind gut verständlich“. Die Beantwortungsdauer einschließlich des Anschauens des Videos betrug insgesamt circa 15-25 Minuten.

Statistische Methoden

Der Großteil der Vorher- Nachher Befragungen findet mittels Mehrfachauswahl statt, entsprechend wurde hierfür mit dem McNemar-Chi-Quardrat-Test ein nonparametrisches Verfahren für nominale Daten einer abhängigen Stichprobe ausgewählt, zudem wurde die Alphafehler Kumulierung mithilfe der Bonferroni-Korrektur neutralisiert. Die Fallzahlberechnung für eine zweiseitige Prüfung im McNemar-Chi-Quardrat-Test nach Conett et al., ergibt: Mit einer globalen Irrtumswahrscheinlichkeit von 5% und einer Power von 80% und der Annahme, dass 10% von Bejahung zur Verneinung wechseln und 25% umgekehrt, benötigt man insgesamt 118 Probanden, die an beiden Befragungen teilnehmen. Aufgrund der 22 zu beantworteten Fragen (multiples Testen), wurde die Signifikanzgrenze des globalen Alpha von 0.05 auf 0,00227 für den einzelnen Wissensaspekt gesetzt. Bei Temperaturangaben konnten ein Mittelwert Vergleiche mithilfe eines T-Tests für verbundene Stichproben angewendet werden. Die Tests wurden jeweils mit einem Signifikanzniveau von p>0,05 durchgeführt, alle weiteren Voraussetzungen waren erfüllt. Die Bewertung des Videos wurde rein deskriptiv ausgewertet, da es sich nicht um Vergleichsdaten handelte. Die Freitexte wurden mithilfe einer Zusammenfassungsmaske, in welcher zusätzlich die Häufigkeiten der Nennungen ähnlicher Aussagen berücksichtigt wurde, ausgewertet.


Ergebnisse

Demografische Daten

In der ersten Gruppe befanden sich n=45 Studierende der Universität Witten-Herdecke, von denen 30 weiblich und 15 männlich waren; ihr Durchschnittsalter lag bei 24 ± 5 Jahren. Drei der Teilnehmenden (TN) hatten Kinder. Die meisten TN studierten im Studiengang Humanmedizin (n=21), weitere oft genannte Studiengänge waren Management (n=9) sowie Psychologie (n=8). Die TN waren im Durchschnitt im 3. oder 4. Fachsemester. In der Gruppe der Erzieherinnen und Erzieher (n=62) waren 51 Frauen und 11 Männer, das Durchschnittsalter lag bei 28±9 Jahren. In der Gruppe der Eltern (n=16) waren 14 Frauen und nur 2 Männer, das Altersmittel lag bei 38 ± 6 Jahren. Für die Geschlechtsverteilung gab es zwischen den Gruppen keine signifikanten Unterschiede, jedoch unterscheiden sie sich signifikant für das Alter. Die letztgenannten Gruppen können zu einer Gruppe „älterer“ Erwachsener (n=78) mit einem höheren Anteil von Personen mit eigenen Kindern zusammengefasst werden. Von diesen waren 65 Frauen und 13 Männer; ihr Durchschnittsalter lag bei 30 Jahren. Die TN waren zu einem großen Teil mit Partner, entweder unverheiratet mit Partner (n=24), oder verheiratet (n=20). Insgesamt hatten 29 der TN Kinder. Die Gesamtanzahl aller TN belief sich auf N=123. Globale Testungen zwischen den Gruppen ergaben keine signifikanten Unterschiede im Antwortverhalten, weshalb die Gruppen zu einem Gesamtkollektiv zusammengefasst wurden.

Einstellung zu Fieber

Bei der Frage „Ab welcher Temperatur in °C würden Sie von Fieber sprechen?“ ist im Antwortverhalten vor (38,2°C) und nach (38,5°C) dem Video ein signifikanter (p<.001) Unterschied zu finden.

Die Antworten auf die Frage „Wo würden Sie die Temperatur messen?“ veränderte sich im Gesamtkollektiv (N=123) signifikant: Nach der Videointervention würden die meisten (74,8%) TN nun eher rektal messen, diese Anzahl hat sich mehr als verdoppelt im Vergleich zu vorher (29,6%). Alle anderen Messorte sanken Anteilmäßig ebenfalls: der Anteil der oral messen würde sank von 40,8% auf 24,4%, ebenso wie axillär von 31,2% auf 15,1% und aurikular von 45,6% auf 21,0%. Nach der Bonferroni-Korrektur sind jedoch nur die Änderungen beim aurikularen Messort signifikant.

Die TN würden nach dem Schauen des Videos bei entsprechenden Symptomen in Kombination mit Fieber eher zum Arzt oder Ärztin gehen (siehe Tabelle 1 [Tab. 1]), der deutlichste Anstieg ist bei dem Symptom „Hautausschlag“ zu verzeichnen, insgesamt ist der Anstieg geringfügig, jedoch in einigen Fällen signifikant.

Es folgten zwei Fragen zum Thema Fiebersenkung. Die TN wurden zuerst gefragt, ob sie zur Fiebersenkung naturheilkundliche o.ä. Medikamente verwenden würden; vor dem Video waren es 35%, die Anzahl stieg nach dem Video auf 45% an. Die Frage, ob die TN Unwohlsein bei Fieber mit anderen Mitteln (Wadenwickel etc.) behandeln, wurde vor dem Video von 68% der TN bejaht, diese Zahl stieg auf 87% an; hier wurden anschließend vor allem Wadenwickel genannt. Im Nachher-Fragebogen stimmten zudem insgesamt 83% der TN der Aussage zu, dass sie nun zurückhaltender wären mit dem eigenmächtigen „Einsatz fiebersenkender Arzneimittel wie Paracetamol oder Ibuprofen“.

Die meisten TN (n=84) hatten vor dem Video eine (medikamentöse) Fiebersenkung von der Körpertemperatur abhängig gemacht, während nach dem Video die Anzahl dieser TN sank (n=52). Insgesamt 45 TN machten die Fiebersenkung vor dem Video von “anderen Kriterien“ abhängig, nach dem Video stieg diese Anzahl auf 58. Unter diesen „anderen Kriterien“ wurden im Freitextfeld am häufigsten „Befinden“, sowie „Begleitsymptome“ genannt. Bei den Gründen zur Fiebersenkung wurde am häufigsten genannt: „Vermeidung von Folgeschäden durch zu hohe Temperaturen“, „Vermeidung von Fieberkrämpfen“, sowie „Vermeidung von Hirnschäden durch Fieberkrämpfe“ (siehe Tabelle 1 [Tab. 1]).

Vor dem Ansehen des Informations-Videoclips waren 93 TN der Meinung, Fieber sei „eher nützlich“, nach dem Ansehen des Videos waren es 115. Die Frage „Wann würden Sie Fieber bei Ihrem Kind senken?“ beantworteten 106 TN vorher mit einer Temperaturangabe, die im Mittelwert (MW) bei 39,1°C lag (6 TN gaben andere Gründe im Freitext an, wie z.B. „Wenn es dem Kind sehr schlecht geht“). Nach dem Videoclip unterscheidet sich die Antwort von 78 TN auf die Frage nach der Körper-Temperatur der Fiebersenkung signifikant (p < .001) mit einem MW=40,0°C (hier gaben 28 andere Gründe an, am häufigsten wurden „Wohlbefinden“, sowie „nach Rücksprache mit einem Arzt/Ärztin“ genannt). Das Wissen, was im Umgang mit Fieber zu beachten und zu tun ist, wurde bei 100 TN durch ihre Familie geprägt.

Bewertung des Videos

In den Freitexteingaben zu Neugelerntem gaben die TN gaben an, durch den Videoclip gelernt zu haben, dass

1.
auch hohe Körper-Temperaturen gut vertragen werden können (n=22),
2.
Fieber eine zunächst positive Körperreaktion auf Infektionen ist (n=19) und,
3.
dass fiebersenkende Medikamente oder Fiebersenkung generell auch negative Auswirkungen haben können, Fieber also nicht immer sofort gesenkt werden muss (n=15).

Die offene Frage, ob noch Fragen zum Thema Fieber nach dem Anschauen des Videos bestünden, wurde von 31 TN beantwortet. Die häufigste Frage der TN lauteten, ab welcher Temperaturhöhe Fieber definiert ist (n=6), sowie ob es eine Fiebertemperatur gibt, die bedenklich/gefährlich ist (n=4). Die Bewertung des Informationsgehaltes und der Qualität des Videos fiel überwiegend positiv aus. Am deutlichsten stimmten die TN der Aussage zu, dass die Informationen im Clip „gut verständlich“ sind, sowie „in einem guten Maß“ vorhanden sind, sowie durch die „Nutzung von Grafik und Text […] sinnvoll“ verdeutlicht wurden (siehe Tabelle 2 [Tab. 2]).

In einer Freitextabfrage wurden Vorschläge zur Verbesserung der Audioqualität gemacht, Änderung der Geschwindigkeit und der Ergänzung einer Zusammenfassung der Informationen am Ende. In der Freitextfrage, was die TN zu dem Video noch ergänzen würden, gab es sehr heterogene Aussagen zum Tempo der Informationen. Einige TN wünschten sich ein schnelleres Tempo und fühlten sich unterfordert (jedoch kam diese Anmerkung größtenteils von den Medizinstudierenden), ein anderer Kommentar gaben genau das Gegenteil an.

Die Frage „Hat der Clip etwas an Ihrer Einstellung zu Fieber geändert?“ wurde von 58% der TN mit ja beantwortet, im korrespondierenden Freitextfeld „Ja und zwar“ wurden vor allem Kenntnisse zu Symptomen und Verhalten bei Fieber, sowie eine gelassenere Einstellung zu Fieber und weniger Angst genannt; Letzteres in dem Sinne, dass „Fieber als etwas Positives betrachtet“ werden kann. Insgesamt 80% der antwortenden TN gaben grundsätzliches Interesse an einer Gesundheits-App zum Thema Fieber an. Auf die Frage, wozu die TN eine solche App nutzen würden, gaben diese „Sicherheit im Umgang mit Fieber/Symptomen“, „valide Informationen über Fieber“, „Warnung vor möglichen Gefahren und Handlungsempfehlungen (z.B. Arztbesuch/Ärztinnenbesuch)“ an.


Diskussion

Die Studie zeigt, dass ein kurzer Informations-Videoclip in der Lage ist, eine intentionale Veränderung der Einstellung zum Umgang mit Fieber zu bewirken. Die Wirkung des Videos spiegelt sich in den signifikanten Änderungen bei den Antworten, sowie in den Kommentaren der Freitextfelder wider, ein Gesamtscore im Sinne eines primären Endpunktes lässt sich hierfür allerdings nicht bilden, da es keine Gewichtungsgrundlagen der einzelnen zu aggregierenden Items gibt, dementsprechend werden diese einzeln und kategorial betrachtet. Bei 58% der TN führte die Videointervention zu einer allgemeinen Einstellungsänderung gegenüber Fieber, 83% wären nun zurückhaltender mit dem eigenmächtigen „Einsatz fiebersenkender Arzneimittel wie Paracetamol oder Ibuprofen“ und Fieber wurde final von fast allen (98%) als eher nützlich eingestuft. Die TN haben zudem ein stärkeres Bewusstsein dafür entwickelt, bei welchen Symptomen eine ärztliche Konsultation notwendig ist. Die TN würden insgesamt weniger schnell Fieber senken und wenn, dann wären sie auch deutlich offener für die Verwendung von weniger invasiven Haus-Mitteln zur Senkung von Fieber bzw. zur Erhöhung des Wohlbefindens, wie Wadenwickeln oder Fußbädern. Die oft zu unkritisch eingesetzten Antipyretika [5] würden nach dem Videoclip deutlich zurückhaltender eingesetzt werden. Angst vor Fieber kann zu deutlich erhöhtem und unnötigen Einsatz von Antipyretika und Antibiotika führen und somit negative Auswirkungen auf das Kind haben [4]. Der gezeigte Videoclip könnte bei der Auflösung und möglicherweise auch Prävention der oft unbegründeten Furcht vor Fieber hilfreich sein. Ein Vorteil für Ärzt*innen ist die Zeitersparnis der Aufklärung von Eltern über kindliches Fieber durch den Einsatz des Videoclips: Sie könnten im Aufklärungsgespräch zugleich auf das Video hinweisen als Möglichkeit zur Auffrischung und Vertiefung des in der Sprechstunde Gesagtem, jederzeit und überall Gerade weil die Befragung gezeigt hat, dass die meisten TN ihre Erfahrungen mit Fieber aus der eigenen Familie haben, sie dort also mit ihren Einstellungen und Verhaltensweisen geprägt wurden, ist hier besonderes Augenmerk auf Fieberedukation zu legen.

Beim Erkennen von möglichen Warnzeichen sind zum Teil deutliche Veränderungen erkennbar: Vor dem Video hätten 72% der TN bei „Hautausschlag“ ärztlichen Rat eingeholt, diese Zahl stieg auf 89% an. Andere Studien haben jedoch gezeigt, dass die edukative Anwendung von Medien wie Videos alleine nicht sehr effektiv ist; diese müssten stattdessen in ein Lehrprogramm eingebettet sein [6]. Das Video ist eher eine Technologie, die zur Bereitstellung von Inhalten und nicht per se als ein Inhaltskörper dient. Einige Forscher betonen, dass Videos mit einem klaren Ziel vor Augen eingesetzt werden müssen, um das Lernen zu unterstützen [7], [8]. Ein Video wird daher sein volles Potenzial nur in einer gut konzipierten Lernumgebung erreichen [9]. Forschungsergebnisse legen nahe, dass das vorherige Lernziel und der Zweck bestimmen sollten, welche Art von Darbietungsstrategie bei der Einbettung von edukativen Videoclips angewandt wird [6]. Während das Ziel neuartiger pädagogischer Instrumente und Interventionen darin besteht, den Erwerb von Wissen und Fähigkeiten zu fördern, ist es ebenso wichtig, dass diese Verbesserungen "haften" bleiben oder eine längerfristige Wirkung haben [10]. Unter Verwendung etablierter Prinzipien, versucht man in so einer edukativen Intervention, ein Werkzeug zu schaffen, das kontextbezogen, relevant, leicht zugänglich, ansprechend und selbstgesteuert ist und soziale Interaktion einschließt [11]. Das Edukationsvideo kann somit ein wirksames Onboarding-Element für eine Gesundheits-App sein, welche eine komplexere und tiefergehende Auseinandersetzung mit dem Thema Fieber ermöglichen will.

Interessant ist, dass es keinen signifikanten Unterschied im Wissenszuwachs zwischen den Gruppen gab. Möglicherweise kann der Videoclip seinen Informationsgehalt unabhängig der Vorbildung des Publikums vermitteln, was unter Beteiligung von Personen weiterer Bildungsschichten überprüft werden müsste. Da in dieser Studie unter anderem junge Studierende gefragt wurden, von denen fast die Hälfte (47%) in fortgeschrittenem Semester in dem Bereich Humanmedizin sind, könnte bei dieser Gruppe von einer überdurchschnittlich hohen Gesundheitskompetenz (health literacy) ausgegangen werden. Dennoch konnte auch bei den Medizinstudierenden ebenso wie bei den anderen Gruppen ein Wissenszuwachs verzeichnet werden. Es hatten nur drei von 45 Studierenden Kinder, was sich ebenfalls auf das Antwortverhalten auswirken könnte. Bei den anderen beiden Gruppen ist ebenfalls anzumerken, dass die meisten TN kinderlos waren, insgesamt gab es nur 29 Eltern unter den TN. Die Rekrutierung von Eltern für diese Studie stellte sich als besonders schwierig dar, da durch die Kontaktbeschränkungen auf Grund der Corona-Pandemie keine Elternabende an Schulen und Kindergärten stattgefunden haben, in welchen diese ursprünglich hätte stattfinden sollten.

Das Video wurde durch die Teilnehmenden positiv bewertet. Das Tempo des Videos wurde so konzipiert, um die Informationen möglichst vielen Personen zugänglich zu machen. Da viele der Teilnehmenden vermutlich eine hohe Gesundheitskompetenz durch ihr Studium besitzen, könnte sich die von manchen Medizinstudenten gewünschte Erhöhung der Geschwindigkeit negativ auf die Zugänglichkeit des Videos für Personen mit geringerer Gesundheitskompetenz auswirken. Hier ist der Einbezug weiterer Gruppen sinnvoll.

Die Einstellungsänderung wurde unmittelbar nach der Betrachtung des Videos erfasst. Hier wäre es interessant, ob diese auch über einen längeren Zeitraum konstant bleibt. Allerdings ist anzumerken, dass der Videoclip als ein Baustein einer komplexeren Gesundheits-App zu betrachten ist, der in diesem Fall isoliert untersucht wurde. Es ist davon auszugehen, dass Eltern die Möglichkeit nutzen werden, den Videoclip bei Bedarf wiederholt anzusehen und somit den Lerneffekt zu verstärken. Vor allem, wenn die im Video-Clip thematisierten Informationen, im Falle eines fiebernden Kindes, unmittelbar angewendet werden können. Der Videoclip wurde also in einer neutralen Testsituation angeschaut, während es sein kann, dass Eltern mit akut fiebernden Kindern die angebotenen Informationen mit erhöhter Aufmerksamkeit aufnehmen würden. Die App bietet den Videoclip bereits beim Onboarding an. Bei Fieber kann es erneut angeschaut werden. Hier ist zukünftig eine weitere Beobachtung von Metadaten des Verhaltens der Eltern innerhalb der App von Interesse um zu erörtern in welchen spezifischen Situationen das Video genutzt wird und ob eventuelle weitere Effekte erkennbar werden, sowie um die vorherig genannten Aussagen zu verifizieren.

Limitationen

Unter den Bedingungen der COVID-19 Pandemie gestaltete sich die Rekrutierung von Probanden außerordentlich schwierig, was zur Folge hatte, dass die TN Anzahl in den Subgruppen nicht ausreichend groß war, um repräsentative Vergleiche zwischen den Gruppen tiefergehend zu beleuchten. Dementsprechend mussten diese zu einer Gesamtkohorte zusammengefasst werden, was die Breite der möglichen Aussagen verringert.

Die Wirkung des Videos wurde unmittelbar nach dem ersten ansehen gemessen, dies ist ein schmaler Ausschnitt und erlaubt keine Aussagen über eine mögliche Langzeitwirkung, was bei einer Fragestellung nach Einstellungsänderung durchaus von Relevanz sein kann. Zudem wird die Einstellung rein durch Selbstbeurteilung erfragt, was eine strukturelle Subjektivität mit sich bringt, eine Möglichkeit dies aus zu gleichen wäre Verhaltensbeobachtung in einem kontrollierten Setting, was unter den gegebenen Umständen nicht möglich war.


Schlussfolgerung

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass der Videoclip zum Umgang mit Fieber einen deutlichen Erkenntniszugewinn und eine intentionale Einstellungsveränderung ermöglichte. Somit wurde ein Werkzeug geschaffen, das kontextbezogene, relevante Informationen rund um das Thema kindliches Fieber erfolgreich vermittelt. Der edukative Videoclip ist leicht zugänglich, ansprechend und unterliegt der Eigensteuerung, wodurch es jederzeit bei Bedarf aufgerufen werden kann. Er kann als wirksames Fieberedukationstool bezeichnet werden. Die synergistische Wirkung durch Integration in eine Gesundheits-App mit weiteren Informationen sollte weitergehend erforscht werden.


Förderung

Die Förderung setzt sich zusammen aus: 20% Software AG Stiftung [https://www.sagst.de/]; 80% Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) (Fkz: 01GY1905) [https://www.gesundheitsforschung-bmbf.de/de/fieberapp-register-aufbau-eines-registers-zur-information-und-selbstdokumentation-der-9014.php].

Alle beschriebenen Untersuchungen und Auswertungen wurden mit Zustimmung der zuständigen Ethik-Kommission der Universität Witten / Herdecke (Antrag Nr. 139/2018), im Einklang mit nationalem Recht sowie gemäß der Deklaration von Helsinki von 1964 (in der aktuellen, überarbeiteten Fassung 2013) durchgeführt.


Interessenkonflikt

Die Autor*innen erklären, dass sie keinen Interessenkonflikt im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


Literatur

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