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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Lernen zu lehren in der medizinischen Ausbildung

Leitartikel Medizinische Ausbildung

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  • corresponding author Marjo Wijnen-Meijer - Technische Unversität München, Fakultät für Medizin, TUM Medical Education Center, München, Deutschland

GMS J Med Educ 2022;39(1):Doc14

doi: 10.3205/zma001535, urn:nbn:de:0183-zma0015356

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2022-39/zma001535.shtml

Eingereicht: 9. Dezember 2021
Überarbeitet: 9. Dezember 2021
Angenommen: 9. Dezember 2021
Veröffentlicht: 15. Februar 2022

© 2022 Wijnen-Meijer.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Leitartikel

Die Professionalisierung von Lehrkräften hat einen besonderen Stellenwert in der medizinischen Lehre, da nur kompetente Dozierende zu ausgezeichneter Bildung führen können [1], [2]. Besonders im Hochschulbereich verändern sich Curricula regelmäßig, um sich an den erweiterten Wissensumfang, Bildungstechnologien und aktive Lehransätze anzupassen [3]. Daher ist es erforderlich, dass Dozierende über entsprechende Fähigkeiten und Qualifikationen für die Lehre verfügen [2].

Insbesondere die Studie von Blitz et al. [4] zeigt, wie Studierende über Lehre denken. Die Autor*innen beschreiben Spannungen zwischen den Erwartungen der Studierenden an die Lehrende sowie ihren Erfahrungen in der klinischen Lehre. Studierende haben das Gefühl, dass die Lehre der Versorgung von Patienten untergeordnet war. In der medizinischen Ausbildung ist es wichtig, dass die Erwartungen der Studierenden an die Lehre erfüllt werden. Sie brauchen Unterstützung bei der Entwicklung ihrer Fähigkeiten, ihrer Handlungsbereitschaft sowie ihrer persönlichen Art, sich Wissen anzueignen. Dies erfordert ein Verständnis der Professionalisierung von Lehrern und die Stärkung der klinischen Lehre [4].

Die Dozentenprofessionalisierung umfasst alle Maßnahmen, die das Wissen, die Fähigkeiten und das Verhalten von Lehrende verbessern [1]. Konkret bedeutet dies, dass Lehrkräfte lernen, ihr Wissen in die Praxis umzusetzen, um die Entwicklung ihrer Studierenden zu fördern. Für Lehrpersonen ist professionelles Lernen ein komplexer Prozess, der kognitives und emotionales Engagement erfordert, um geeignete Alternativen zur Verbesserung oder Änderung der Unterrichtspraxis in Betracht zu ziehen und umzusetzen [5]. Dabei beeinflussen bestimmte bildungspolitische Umfelder oder universitäre Kulturen einerseits die Ziele und Bedürfnisse von Studierenden und Dozierende. Andererseits haben die zur Verbesserung eingesetzten Instrumente, wie Kurse oder Workshops, Einfluss auf das Lehr- und Lernverhalten [5]. Als Reaktion darauf bieten die meisten medizinischen Fakultäten eine Vielzahl von Programmen und Aktivitäten mit unterschiedlichem Format und Zweck an, um den Lehrenden zu helfen, ihrer Fähigkeiten zu verbessern [1]. Die verschiedenen in Studien beschriebenen Interventionen sind Workshops, kurze Kurse, Seminarreihen, Longitudinalkurse sowie weitere Aktivitäten wie Peer Observations und webbasierte Module. Die Wirksamkeit des Programms wird durch Schlüsselmerkmale wie evidenzbasiertes Bildungsdesign (Einsatz mehrerer Unterrichtsmethoden), relevante Inhalte, experimentelles Lernen und Gelegenheiten für Übung und Anwendung, Möglichkeiten für Feedback und Reflexion, Bildungsprojekte, bewusste Gemeinschaftsbildung, longitudinale Kursgestaltung und institutionelle Unterstützung verbessert [1].

Im Zentrum der professionellen Entwicklung stehen die Lehrenden; sie sind weiterhin sowohl Subjekte als auch Objekte des Lernens und der Entwicklung [5]. Sie können ihre Lehrkompetenz mithilfe von Mentoring durch medizinische Ausbilder, Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftler*innen und Kolleg*innen, Interaktion mit Studierenden, Online-Lernen, Workplace-Learning und den Einsatz von Lerntechnologien ausbauen [1], [3], [5], [6]. Dutt et al. [3] zeigen Wege auf, wie professionelle Lehrende ihren Unterricht weiterentwickeln können und was ihre Entwicklung als Lehrperson beeinflusst. Besonders wichtig sind Feedback, Zeit für Reflexion und Selbstkontrolle in der kontinuierlichen professionellen Weiterbildung. Dabei wechselten einige Lehrende vom Vorlesungsstil hin zu einem interaktiven Lehransatz, in den die Studierenden stärker eingebunden sind [3].

Basierend auf unterschiedlichen Bildungstheorien hat Dennick [7] zwölf Tipps für diesen aktiven Lehransatz gesammelt, die insbesondere für Lehrkräfte im Gesundheitswesen hilfreich sind.

1.
Es ist wichtig, vorhandenes Wissen der Studierenden zu erkennen und zu aktivieren. Es ermöglicht der Lehrende, eine Beziehung zu den Studierenden aufzubauen, indem sie Empathie und Respekt zeigt.
2.
Auf vorhandenes Wissen kann aufgebaut werden. Es sollten nicht nur kognitive Verbindungen zu neuen Lerninhalten hergestellt, sondern auch deren Bedeutung und Relevanz hervorgehoben werden. Ziel ist es, vorhandenes Wissen zu hinterfragen, um darauf aufzubauen oder es zu vertiefen.
3.
Der soziale Kontext des Lernens, der in Gruppenarbeiten entsteht, sollte genutzt werden, um neue Begrifflichkeiten und Konzepte zu vermitteln.
4.
Effektives Lernen entsteht durch aktive Lerntechniken, durch Anwendung von Wissen und Problemlösung.
5.
Die Studierenden sollen Selbstreflektion betreiben und darüber nachdenken, wie sie lernen. Dies macht die Studierenden verantwortlich für ihr eigenes Lernen.
6.
Die Studierenden sollen die erforderlichen Erfahrungen entweder einzeln oder in einer Gruppe sammeln. Die Erfahrungen können durch soziale Interaktion, Aktivität und Diskussion entstehen.
7.
Die Erfahrungen werden durch Reflexion, die bewusst oder unbewusst geschieht, in Lernen umgewandelt. Dieser Prozess kann durch andere Personen oder durch das Verfassen von beispielsweise Logbüchern oder Portfolios unterstützt werden.
8.
Bei der Reflexion von Erfahrungen ist es wichtig, praktische Fähigkeiten und Einstellungen zu berücksichtigen.
9.
Den Studierenden muss die Möglichkeit gegeben werden, das Erlernte anzuwenden. Dazu benötigen sie ggf. Unterstützung durch Betreuer*innen oder Mentor*innen.
10.
Innerhalb des Curriculums sollen die Studierenden in der Lage sein, eigene Interessen zu verfolgen.
11.
Um eine gute Lernumgebung zu schaffen, müssen die physiologischen und psychologischen Bedürfnisse der Studierenden befriedigt werden. Das bedeutet zum Beispiel, dass Lernräume eine angenehme Umgebung darstellen sollen und positives Feedback das Selbstwertgefühl, die Selbstwirksamkeit und die Selbstverwirklichung stärken soll.
12.
Schließlich ist das Lernen durch die Beziehung zwischen Lernenden und Lehrenden gekennzeichnet. Die Studierenden sollen Mitglieder in Curriculums- und Lehrkommissionen sein [7].

Dennoch stellt der aktive Lernansatz insbesondere in der Interaktion mit Fernstudierenden per Videokonferenz eine Herausforderung dar und die Lehrenden befürchten, dass die Inhalte im Vorbereitungsmaterial und Präsenzunterricht möglicherweise nicht vollständig abgedeckt werden [3]. Die COVID-19-Pandemie stellte eine besondere Form der Einschränkung der medizinischen Ausbildung durch Präsenzunterricht dar. Um den Sicherheitsanforderungen gerecht zu werden, war ein rascher Wechsel von konventionellen Lehrmethoden hin zu virtuellen Formaten erforderlich. Es war ausschlaggebend, dass sich die Dozierende in dieser Zeit den Umständen anpassten und ihren Unterrichtsstil änderten, um ein Fortsetzen der medizinischen Ausbildung zu gewährleisten [8]. Virant-Young et al. [8] beschreiben einen regionalen live Hub-Kurs für alle Lehrer. Zu den Inhalten gehörten ein simulierter Durchgang aller Komponenten des virtuellen Kurses, eine Anleitung zum Anpassen von Workshop-Inhalten an die Arbeit mit Kleingruppen, Breakout-Aktivitäten und die Nutzung der virtuellen Plattform. Es gilt, der Befürchtung entgegenzuwirken, dass virtuelle Bildung weniger effektiv ist als Präsenzunterricht. Daher ist es wichtig, den Lehrkräften in den Lehrprogrammen zu zeigen, dass eine virtuelle Plattform so gestaltet werden kann, dass sie den Sprung ermöglicht von dem bloßen Betrachten eines Programms auf einem Bildschirm zu der aktiven Interaktion mit anderen Teilnehmenden und Lehrenden [8]. Dies ist nur ein Beispiel dafür, wie sich die Dozentenprofessionalisierung schnell an neu auftretende Umstände anpassen kann.

Andere bestehende Herausforderungen sind der Mangel an Klarheit und Sichtbarkeit der Rolle des Lehrenden. Viele der Hochschullehrer*innen sind in klinischen oder wissenschaftlichen Rollen eingebunden und sehen die Lehre als Zusatztätigkeit an [2], [4]. Einige Lehrende erwerben ihr didaktisches Wissen überwiegend durch Erfahrung, Experimentieren und Feedback von Studierenden, ohne an Dozentenprofessionalisierungsprogrammen teilgenommen zu haben [1], [2], [3]. Der Widerstand gegen Professionalisierungsprogramme von Lehrkräften ist nicht auf mangelndes Interesse der Lehrpersonen zurückzuführen, sondern auf den Zeitaufwand, fehlende Ressourcen und Belohnungen [2].

Ein Modell, das die Bedingungen für Veränderungen und Entwicklung von Lehrenden skizziert, ist das 4-C-Framework, beschrieben von Van Bruggen et al. [2]. Demnach hängt die Dozentenprofessionalisierung von vier Faktoren ab.

1.
Kompetenzen (Competence), die Lehrkräfte zur Durchführung ihrer Lehraufgaben benötigen.
2.
Kontext (Context), welcher sich auf die Ressourcen, die Lehrkräfte nicht nur zur Erfüllung ihrer Lehraufgaben, sondern auch zur Entwicklung und Verbesserung persönlicher Fähigkeiten benötigen, bezieht.
3.
Eine Praxisgemeinschaft (Community of Practice) zur Unterstützung, Zusammenarbeit, Mentoring und Interessenvertretung.
4.
Karriere (Career) bedeutet die Sichtbarkeit der Karriere als Lehrperson. Alle vier Faktoren sind für die Dozentenprofessionalisierung und den institutionellen Wandel notwendig. Wird eine Komponente vernachlässigt, verringert sich die Wirksamkeit des Programms [2].

Bailey et al. [9] stellen einen umfassenden Ansatz zu Dozentenprofessionalisierung vor, der individuelle Karriereziele von Lehrenden im Zusammenhang mit professioneller Entwicklung und Wachstum thematisiert. Zu diesem Zweck wird ein vielfältiges Angebot bereitgestellt, das fünf Inhalte umfasst: Lehren, Führung, Entdecken (Forschung), Verbesserungen (Strategien, Engagement, ...) und Service. Diese fünf Themen sind nach Karrierephasen unterteilt, damit die Lehrende ihre Kompetenzen anhand des jeweiligen Karriereziels identifizieren können. Durch dieses erweiterte Angebot nehmen 35 Prozent mehr Personen an den Kursen teil. Neben der Unterstützung der Entwicklung von Dozierende ermöglicht die neue Dozentenprofessionalisierungsstruktur eine Verbesserung der Planung und Berichterstattung von Professionalisierungsaktivitäten [9]. Diese Entwicklung weist jedoch darauf hin, dass nicht eine einzige Form der professionellen Weiterbildung für alle Dozierende relevant ist [5]. Es könnte an der Zeit sein, die Dozentenprofessionalisierung neu zu konzipieren. Indem die Dozentenprofessionalisierung als Chance zur Erneuerung von und Reflexion über persönliches und professionelles Wachstum verstanden wird, und nicht nur zur Verbesserung der beruflichen Fähigkeiten [1], [9].

Wichtig ist, dass die Inhalte des Professionalisierungsangebots für Lehrende ständig an Entwicklungen im Curriculum und neue didaktische Erkenntnisse angepasst werden. In dieser Ausgabe wird eine Reihe von Themen diskutiert, die möglicherweise einen Platz in der Ausbildung von Dozierenden verdienen. Schrempf et al. [10] beschreiben die Relevanz von Mentoring und Anleitung von Studierenden bei der Reflexion ihrer Kompetenzentwicklung. Es kann auch relevant sein, dass Dozierende es erkennen, wenn Studierende intuitive Konzepte verwenden, wie es im Artikel von Harendza & Herzog beschrieben ist [11]. Ein weiteres mögliches Thema ist es, das Erkennen von depressiven Symptomen bei Studierenden zu erlernen, um ihnen schnell Hilfe anbieten zu können. Wie Pukas et al. beschreiben, ist dies ein häufiges Problem [12]. Schließlich kann auch die Vermittlung von Forschungskompetenz, beispielsweise in Form von Journal Clubs für Medizinstudierende, wie von Taverna et al. vorgeschlagen, ein Thema der Dozentenprofessionalisierung sein [13].


Interessenkonflikt

Die Autorin erklärt, dass sie keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel hat.


Literatur

1.
Steinert Y, Mann K, Anderson B, Barnett BM, Centeno A, Naismith L, Prideaux D, Spencer J, Tullo E, Viggiano T, Ward H, Dolmans D. A systematic review of faculty development initiatives designed to enhance teaching effectiveness: A 10-year update: BEME Guide No. 40. Med Teach. 2016;38(8):769-786. DOI: 10.1080/0142159X.2016.1181851 Externer Link
2.
Van Bruggen L, Ten Cate O, Chen HC. Developing a Novel 4-C Framework to Enhance Participation in Faculty Development. Teach Learn Med. 2020;32(4):371-379. DOI: 10.1080/10401334.2020.1742124 Externer Link
3.
Dutt S, Phelps M, Scott KM. Curricular change and delivery promotes teacher development and engagement. High Educ Res Dev. 2020;39(7):1425-1439. DOI: 10.1080/07294360.2020.1735314 Externer Link
4.
Blitz J, De Villiers M, Van Schalkwyk S. Designing faculty development: lessons learnt from a qualitative interpretivist study exploring students' expectations and experiences of clinical teaching. BMC Med Educ. 2019;19 (1):49. DOI: 10.1186/s12909-019-1480-7 Externer Link
5.
Avalos B. Teacher professional development in Teaching and Teacher Education over ten years. J Teach Educ. 2011;27(1):10-20. DOI: 10.1016/j.tate.2010.08.007 Externer Link
6.
Steinert Y. Faculty development: From rubies to oak. Med Teach. 2020;42(4):429-435. DOI: 10.1080/0142159X.2019.1688769 Externer Link
7.
Dennick R. Twelve tips for incorporating educational theory into teaching practices. Med Teach. 2012;34 (8):618-624. DOI: 10.3109/0142159X.2012.668244 Externer Link
8.
Virant-Young DL, Purcell J, Moutsios S, Iobst WF. Practice Makes Better: Effective Faculty Educator Skill Development in the Virtual Space. J Grad Med Educ. 2021;13(2):303-308. DOI: 10.4300/JGME-D-21-00212.1 Externer Link
9.
Bailey JM, Foster KW, Henderson K, Powell LE, Ripley E. Aligning faculty development with competencies for professional growth. Med Teach. 2021;43(8):900-901. DOI: 10.1080/0142159X.2021.1929902 Externer Link
10.
Schrempf S, Herrigel L, Pohlmann J, Griewatz J, Lammerding-Köppel M. Everybody is able to reflect, or aren't they? Evaluating the development of medical professionalism via a longitudinal portfolio mentoring program from a student perspective. GMS J Med Educ. 2022;39(1):Doc12. DOI: 10.3205/zma001533 Externer Link
11.
Harendza S, Herzog C. Intuitive concepts in internal medicine and their expression in undergraduate medical students in different semesters. GMS J Med Educ. 2022;39(1):Doc11. DOI: 10.3205/zma001532 Externer Link
12.
Pukas L, Rabkow N, Keuch L, Ehring E, Fuchs S, Stoevesandt D, Sapalidis A, Pelzer A, Rehnisch C, Watzke . Prevalence and predictive factors for depressive symptoms among medical students in Germany - a cross-sectional study. GMS J Med Educ. 2022;39(1):Doc13. DOI: 10.3205/zma001534 Externer Link
13.
Taverna M, Bucher JN, Weniger M, Gropp R, Lee SML, Meyer B, Werner J, Bazhin AV. Perception of journal club seminars by medical doctoral students: results from five years of evaluation. GMS J Med Educ. 2022;39(1):Doc4. DOI: 10.3205/zma001525 Externer Link