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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Interprofessionelle Lehrkonzepte standortübergreifend transferieren – Erfahrungsbericht und Handlungsempfehlungen

Artikel Interprofessionelle Ausbildung

  • corresponding author Eva Bibrack - Technische Universität Dresden, Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus, Medizinisches Interprofessionelles Trainingszentrum MITZ, Dresden, Deutschland
  • author Henrike Horneff - Universität Leipzig, Medizinische Fakultät, LernKlinik Leipzig, Skills- und Simulationszentrum, Leipzig, Deutschland
  • author Katja Krumm - Technische Universität Dresden, Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus, Medizinisches Interprofessionelles Trainingszentrum MITZ, Dresden, Deutschland
  • author Jutta Hinrichs - Akademie der Universitätsklinikum Mannheim GmbH, Mannheim, Deutschland
  • author Mira Mette - Medizinische Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg, Geschäftsbereich Studium und Lehrentwicklung, Mannheim, Deutschland

GMS J Med Educ 2022;39(1):Doc8

doi: 10.3205/zma001529, urn:nbn:de:0183-zma0015293

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2022-39/zma001529.shtml

Eingereicht: 9. März 2021
Überarbeitet: 27. September 2021
Angenommen: 7. Dezember 2021
Veröffentlicht: 15. Februar 2022

© 2022 Bibrack et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Zielsetzung: Interprofessionelle Lehrangebote sollen deutschlandweit an allen Ausbildungs- und Studienorten für Gesundheitsprofessionen verankert werden. Im Rahmen der Förderlinie „Operation Team“ wurde in Kooperation mit der Medizinischen Fakultät Mannheim das dort erprobte Lehrkonzept eines longitudinalen interprofessionellen Lernstrangs an die Medizinische Fakultät Dresden übertragen und angepasst. Die strukturierte Analyse und Bewertung der Erfahrungen des Wissenstransfers wird aus Sicht des Transfernehmenden dargestellt. Daraus werden Empfehlungen für die Planung von Wissenstransferprojekten abgeleitet.

Methodik: Die Beratungssituationen zwischen beiden Fakultäten wurden mit Wissenstransferoutcomes chronologisch aufgelistet und mithilfe der in der soziologischen Systemtheorie und Literatur zu Wissenstransfer identifizierten Vergleichskategorien beschrieben und analysiert. Die Wissenstransferoutcomes wurden zusätzlich nach ihrer Verwertung kategorisiert und ihre Relevanz für den Projektfortschritt eingeschätzt.

Ergebnisse: Es fanden 13 Beratungen hauptsächlich in Form elektronischer Kommunikation auf Initiative der Koordinationsteams statt. Daraus wurden 36 Wissenstransferoutcomes mit größtenteils hoher Relevanz für den Transfernehmenden in allen Verwertungskategorien identifiziert. Grundthemen des Wissenstransfers waren strategischer (z.B. Verstetigung interprofessioneller Lehre) und inhaltlich/didaktisch-methodischer Natur (z.B. Konzeption interprofessioneller Lehre, Schulung von Lernbegleitenden).

Schlussfolgerung: Durch die Beratungen wurde der Aufbau zweier interprofessioneller Lernstränge und die Pilotierung der dazugehörigen Lehrveranstaltungen am Standort Dresden maßgeblich erleichtert. Für andere Transferprojekte können die abgeleiteten Empfehlungen für einen gelingenden Transfer hilfreich sein.

Schlüsselwörter: interprofessionelle Ausbildung, Transfer, Lehrplanentwicklung, interprofessionelle Beziehungen


Einleitung

In den letzten zehn Jahren wurde in Deutschland die bundesweite Einführung von interprofessionellem (IP) Lernen zunehmend gefordert [1], [2], [3], um angehende Fachkräfte im Gesundheitswesen besser auf die Zusammenarbeit mit anderen Berufsgruppen vorzubereiten. So entstanden vor allem im Rahmen des Förderprogramms „Operation Team“ [4], [5], [6] viele Pilotprojekte mit jeweils standortspezifischen IP Lehrkonzepten. Dies führte dazu, dass die Implementierung und curriculare Integration von IP Lehre in die Ausbildung/das Studium der Gesundheitsberufe sehr heterogen verlief [7]. Es besteht weiterhin Entwicklungsbedarf, da mit dem aktuellen Referentenentwurf der neuen Approbationsordnung [8], dem überarbeiteten Nationalen Kompetenzbasierten Lernzielkatalog Medizin [http://www.nklm.de] und dem Gegenstandskatalog Medizin [9] angestrebt wird, IP Lehre gezielt und verpflichtend an allen Medizinischen Fakultäten in Deutschland einzuführen. Im Positionspapier des GMA-Ausschusses „Interprofessionelle Ausbildung in den Gesundheitsberufen“ werden u.a. die Schaffung von nachhaltigen Organisationsstrukturen und die effiziente und flächendeckende Ressourcennutzung bei der Umsetzung von IP Lehre empfohlen [10]. In der dritten Förderphase des Programms „Operation Team“ der Robert Bosch Stiftung [11], [12] wurden diese Empfehlungen aufgenommen, indem gezielt der Transfer von bereits standortspezifisch erprobten und positiv evaluierten IP Lehrkonzepten [13] an andere Standorte gefördert wurde. Dabei sollten die Standorte ihr Wissen und ihre Erkenntnisse zu bereits verankerten IP Lehrformaten weitergeben und zu Multiplikatoren werden. Da sowohl bei der Entwicklung und Durchführung als auch bei der Implementierung von IP Lehre in der Regel zahlreiche Hürden auftreten [9], [11], [14], [15], bietet ein Transfer die Chance, positive und negative Erfahrungen und Effekte bei der Einführung und Verankerung von IP Lehre für andere Standorte zugänglich und nutzbar zu machen und die verschiedenen Akteur*innen aktiv miteinander zu vernetzen.

Der systematische Projekttransfer gilt als bewährte Methode, Ideen, Konzepte und Lösungsansätze zu vervielfältigen und Problemstellungen mit ähnlichen Zielperspektiven nicht grundlegend neu zu denken und zu lösen [16]. Erfolgreiche Projekte werden hinsichtlich ihres Transferpotenzials geprüft, den Spezifika des neuen Standortes entsprechend modifiziert und in Austausch mit dem Projektpartner implementiert. Wissenstransfer bietet sich an, um Projektwissen und Erfahrungen mit anderen zu teilen, wobei verschiedene Transfermethoden angewendet werden können, z. B. die Weitergabe von Wissen und Erfahrungen über Open Source, Schulungen, Beratung oder eine Zertifizierung [16]. Der Projekttransfer kann variabel gestaltet werden – Projekte können sowohl in ihrer gesamten Komplexität als auch teilweise in Form einzelner Projektelemente transferiert werden [16]. Analog zum Consulting wird der Wissenstransfer als Expertise, Wissen oder Fertigkeiten verstanden, welche von einer Partei (Transfergebende) an eine andere Partei (Transfernehmende) zur Unterstützung oder zur Lösung von Problemen weitergegeben werden [17].

Bislang liegen noch keine Erkenntnisse dazu vor, wie gut ein Transfer von IP Lehrkonzepten zwischen Standorten gelingen kann. Im vorliegenden Bericht liegt der Fokus deswegen auf der strukturierten Analyse und Bewertung der Erfahrungen des Wissenstransfers aus Sicht des Transfernehmenden. Daraus sollen Empfehlungen für die Planung von Wissenstransferprojekten abgeleitet werden.


Projektbeschreibung

Am Standort Dresden sollten im Rahmen des Projektes „Carus Interprofessionell“ longitudinale, themenspezifische Lernstränge mit jeweils mindestens drei Lerneinheiten in die Pflichtlehre integriert werden. Geplant war die gemeinsame Teilnahme von mindestens zwei Berufsgruppen an den IP Lernsträngen, d.h. Medizinstudierende mit Auszubildenden der Physiotherapie, der Geburtshilfe oder der Gesundheits- und Krankenpflege.

Für die Förderung eines Transfers von IP Lehrkonzepten [12] standen die Projekte der vorherigen Förderphasen [5], [6] zur Verfügung. Das zu transferierende Lehrkonzept wurde anhand verschiedener Kriterien ausgewählt, welche die beteiligten Akteur*innen der Medizinischen Fakultät Dresden (Transfernehmender) als maßgeblich für den erfolgreichen Transfer und die gewünschte feste Implementierung von IP Lehre bewerteten. Die wichtigsten Kriterien für die Entscheidung waren:

1.
Nachhaltigkeit des IP Lehrkonzeptes
2.
Übertragbarkeit auf weitere Bildungsgänge
3.
Strukturelle Anpassungsmöglichkeit
4.
Innovations-/Gestaltungspotenzial

Als geeigneter Kooperationspartner und Transfergebender wurde die Medizinische Fakultät Mannheim aufgrund ihres Lehrkonzepts, mit verschiedenen IP Lerneinheiten einen longitudinalen IP Lernstrang zu bilden, identifiziert (siehe Abbildung 1 [Abb. 1]) [18], [19], [20].

Das Transferpotenzial durch die Mannheimer Erfahrungen bei der Entwicklung, Erprobung, Evaluation und curricularen Verankerung eines IP Lernstrangs wurde durch den ähnlichen Ansatz als sehr hoch für das Dresdner Projekt eingeschätzt. Im Projektzeitraum (01.10.2018-30.09.2021) wurde das Mannheimer Lehrkonzept an die Rahmenbedingungen in Dresden angepasst: Es wurden mehrere IP Lehrveranstaltungen in Strängen zu zwei Schwerpunktthemen entwickelt (siehe Abbildung 2 [Abb. 2]).


Methodik

Der Wissenstransfer wurde als kommunikativer Prozess definiert [21]. Die Interaktionen zwischen den Projektpartnern im Prozess des Wissenstransfers wurden als Beratungssituationen in einer Übersicht chronologisch zusammengestellt. Als Grundlage dafür wurden der E-Mailaustausch, Protokolle von Telefon-/Videokonferenzen und zur Verfügung gestellte Unterlagen herangezogen, aus denen konkrete Wissenstransferoutcomes für die Transfernehmenden abgeleitet wurden. In der Literatur zu soziologischer Systemtheorie [22] und Wissenstransfer [23], [24] wurden transferrelevante Aspekte identifiziert. Jede Beratungssituation und alle Wissenstransferoutcomes wurden nach diesen Kriterien klassifiziert [22], [23], [24]. Die Evaluation des Transferprozesses fand überwiegend qualitativ statt. Beide Transferpartner stellten gemeinsam die Übersicht und Beschreibung der Beratungssituationen zusammen. Der Transfernehmende extrahierte aus den Beratungssituationen die konkreten Transferoutcomes und schätzte die Relevanz der Outcomes selbst ein. Die Einstufung der Relevanz eines Outcomes erfolgte nach dem Ausmaß, welches die Erkenntnisse aus dem Transfer auf den Projektfortschritt hatten. Die Bewertungskriterien sind in Tabelle 1 [Tab. 1] dargestellt und erläutert.

Die konkrete Nutzung der Transferoutcomes für die Implementierung von IP Lernsträngen wurde vorrangig durch die Transfernehmenden rekapituliert und bewertet. Unterschiedlich bewertete Elemente wurden im Transferprojektteam diskutiert und konsolidiert. Grundthemen, d.h. thematische Schnittmengen, wurden durch Clustern der Transferoutcomes herausgearbeitet.

Darüber hinaus wurde die Häufigkeit der Transferaktivitäten und -outcomes nach der Verwertung der Transferergebnisse, aber auch nach der Relevanz für den Projektfortschritt quantitativ ausgewertet.


Ergebnisse

Die am Transferprozess beteiligten Personen sind Tabelle 2 [Tab. 2] zu entnehmen. Der Wissenstransfer fand in den meisten Fällen telefonisch oder per E-Mail statt. Zu einem persönlichen Treffen kam es vor allem wegen der räumlichen Distanz und personeller Umstellungen im zweijährigen Beratungszeitraum (05/2018-10/2020) zweimal (drei Beratungssituationen im Rahmen eines Besuchstages des Transfernehmenden beim Transfergebenden, eine Beratungssituation bei einer Fachtagung). Durch die Nutzung von Web & Video Conferencing Tools gab es 2020 zwei virtuelle face-to-face Beratungssituationen. Es zeigte sich, dass der Wissenstransfer nur über die Initiative der Koordinationsteams für IP Lehre an beiden Standorten stattfand.

Insgesamt gab es 13 Beratungssituationen, davon zehn im ersten und drei im zweiten Projektjahr. Die Beratungen zwischen den beiden Projektpartnern fanden bedarfsorientiert statt. Die einzelnen Beratungssituationen wurden in einer Übersicht nach den vorher festgelegten Kriterien zusammengestellt und eingeordnet (Beispiele siehe Tabelle 3 [Tab. 3], vollständige Übersicht im Anhang 1 [Anh. 1]).

Die meisten Beratungssituationen (neunmal) wurden vom Transfernehmenden initiiert (User Pull), zweimal vom Transfergebenden (Producer Push). Im Gesamtverlauf waren zwei Situationen durch den gemeinsamen wechselseitigen Input und gemeinsame Findung geeigneter Ansätze beziehungsweise Lösungen (Exchange) charakterisiert.

Aus den Beratungen resultierten insgesamt 36 Wissenstransferoutcomes (26 im ersten Projektjahr, zehn im zweiten), von denen 69% vom Transfernehmenden als mittel relevant oder hoch relevant für die Erreichung des Projektziels, d.h. die Implementierung von IP Lernsträngen am Standort Dresden, eingeschätzt wurden (siehe Tabelle 4 [Tab. 4]). Transferoutcomes ohne Relevanz (22%) bezogen sich meist auf administrative Angelegenheiten (z.B. Vertragsformalia). Die Verwertung der Transferoutcomes war instrumentell (33%), konzeptuell (42%), symbolisch (8%) oder hatte keine direkte Verwertung (17%) für den Transfernehmenden.

Die Transferoutcomes, die für den Transfernehmenden bei der Zielerreichung von hoher Relevanz waren, fanden in allen angewandten Transferformen (face-to-face Treffen, Hospitation, E-Mailaustausch, telefonischer Austausch, Videokonferenzen) statt. Die Grundthemen der Outcomes nach dem Clustern waren entweder strategischen oder inhaltlich/didaktisch-methodischen Charakters. Die strategischen Transferoutcomes umfassten die Grundthemen „Verstetigung IP Lehre“ (z.B. Studienkommission, Finanzierung, Rechtsgrundlage für Lehrveranstaltungsordnung) und „Projektplanung“ (Vorbereitung Meeting Projektgruppe, Frequenz Arbeitsgruppentreffen, administrative Hinweise zur Projektabwicklung). Die inhaltlichen Outcomes bezogen sich auf „Konzeption IP Lehrveranstaltungen“ (Planung Unterrichtsverlauf, Erstellung Materialien, Auswahl geeigneter Unterrichtsmethoden), „Schulung der Lernbegleitenden für IP Lehre“ und „Weiterentwicklung IP Lehre“ (Evaluation und Anpassung Lehrveranstaltungen).


Diskussion

Im Folgenden werden die Ergebnisse nach den drei Gesichtspunkten Beratungssetting, Aktivitäten zwischen Transfergebenden und -nehmenden und Wissenstransferaktivitäten und outcomes erörtert.

Beratungssetting

Innerhalb des Beratungsprozesses konnten bei der Durchführung verschiedener Wissenstransferformen relevante Wissenstransferoutcomes generiert werden. Dennoch steht zur Diskussion, inwiefern sich ein vermehrter face-to-face Austausch positiv auf die Entstehung der Outcomes ausgewirkt hätte. Aufgrund der räumlichen Distanz zwischen beiden Standorten war die Wissenstransferform face-to-face nur bedingt realisierbar, jedoch hätten häufiger Videokonferenzen stattfinden können. Diese Form des Wissenstransfers wurde im Nachhinein sowohl vom Transfergebenden als auch vom Transfernehmenden als sehr gewinnbringend reflektiert, da so eine persönlichere Nähe entstehen kann, die den Austausch maßgebend erleichtert [24].

Die Durchführungszeitpunkte der insgesamt 13 Beratungssituationen wurden intuitiv gewählt, meist vonseiten des Transfernehmenden. Die ungleiche Verteilung der Beratungssituationen (zehn im ersten, drei im zweiten Jahr) lässt jedoch nicht auf eine Korrelation zwischen Beratungsquantität und Beratungsqualität schließen. Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass ein umfassender Beratungstermin viele relevante Transferoutcomes zur Folge haben kann. Der Projektstart hat es eingangs notwendig gemacht, sich häufiger im Rahmen kleinerer Beratungssituationen abzustimmen, da der Transfernehmende bis dahin auf keinerlei Erfahrungen mit der Entwicklung und Umsetzung von longitudinalen IP Lernsträngen zurückgreifen konnte.

Ein auf einer Ist-Soll-Analyse beruhender Beratungsplan hätte möglicherweise zu einem dezidierteren Vorgehen anhand eines Beratungskonzeptes geführt. In einem Kick-off-Meeting zum Projektbeginn hätten zudem die Bedürfnisse und Erwartungen des Transfernehmenden eindeutig geklärt werden können, wodurch der Transfer zielgerichteter und somit effizienter hätte ablaufen können. Außerdem wären regelmäßige Updates des Transfernehmenden zum Ist-Soll-Stand hilfreich gewesen. Diese Updates hätten die Möglichkeit gegeben, das Transfervorgehen bei Bedarf zu modifizieren und die weiteren Beratungssituationen vonseiten des Transfergebenden entsprechend vorzubereiten.

Aktivitäten zwischen Transfergebenden und -nehmenden

Die Koordinatorinnen für IP Lehre des Transfernehmenden haben in der standortinternen Projektarbeit alle Zielgruppen, d.h. Studierende und Auszubildende sowie Leitungen und Lehrverantwortliche einbezogen. Der Austausch innerhalb des Beratungsprozesses fand jedoch fast ausschließlich zwischen den Koordinationsteams statt.

Studierende oder Auszubildende waren gar nicht in die Beratungssituationen direkt eingebunden, Leitungen oder Lehrverantwortliche in Studium und Ausbildung nur sporadisch. Eine explizite Aufforderung vom Koordinationsteam an alle Zielgruppen, mit konkreten Beratungsthemen gezielt am Transfer mitzuwirken, hätte möglicherweise zu standortübergreifenden Interaktionen zwischen weiteren Akteur*innen geführt. Eventuell wären auch weitere relevante Outcomes erzielt worden, wenn die Koordinatorinnen mehr Kontakt zwischen den Lehrenden für IP Lehre beider Standorte hergestellt hätten. Eine Schulung und Qualifizierung in Form eines Workshops zwischen Lehrenden des Transfergebenden und -nehmenden hätte z. B. bei der Konzeption und Umsetzung der Lehrveranstaltungen im Lernstrang Arthrose unterstützend wirken können. Dies hätte auch einen engeren Kontakt beider Transferpartner herstellen können. Auch der Transfergebende hätte von einem solchen Austausch profitieren können. Wichtig bei der Koordinationsarbeit für IP Lehre ist der Einbezug aller relevanten Akteur*innen [4].

Wissenstransferaktivitäten und -outcomes

Der Beratungsprozess umfasste vielfältige Themen. Die Beratungen stellten eine wichtige Tätigkeit im Rahmen der Projektkoordinationsarbeit dar. Ohne die Impulse der Koordinatorinnen für IP Lehre für die Beratung innerhalb des Transferprozesses hätte es an einer Initiative zur Besprechung und damit auch Hilfestellung zur Problemlösung gefehlt.

Die Übersicht der Beratungssituationen (siehe Anhang 1 [Anh. 1]) zeigt, dass insbesondere die instrumentellen und konzeptuellen Transferoutcomes im Beratungsprozess einen bedeutenden Stellenwert einnehmen, da sie vom Transfernehmenden als konkret und praxisorientiert und damit als sehr gewinnbringend bewertet wurden. Hätte auch zwischen den Leitungen oder Lehrverantwortlichen initial ein intensiverer Austausch stattgefunden, wären eventuell mehr symbolische Transferoutcomes generiert worden. Dies hätte dazu beitragen können, im laufenden Projekt Zweifel an der Notwendigkeit der Umsetzung der geplanten IP Lernstränge gezielter zu beseitigen. Aufgrund unterschiedlicher Strukturen und Hierarchien verschiedener Bildungsträger können symbolische Transferoutcomes von entscheidender Bedeutung sein, da das Bewusstsein für die Wichtigkeit und Sinnhaftigkeit von IP Lehre und die damit einhergehenden Barrieren [9], [11], [14], [15] anderenorts ggf. weniger ausgeprägt ist, sodass Notwendigkeiten für die Implementierung von IP Lehre immer wieder verdeutlicht und neu ausgehandelt werden müssen.

Die quantitativen Ergebnisse (Häufigkeit der Wissenstransferaktivitäten) zeigen, dass es nur zwei auf Exchange basierende Beratungssituationen gab, in denen Transfergebende und -nehmende im Sinne von gemeinsamen Input und gemeinsamer Entscheidungsfindung zusammenarbeiteten. Möglicherweise liegt dies an der Kürze des Beratungszeitraums, bei dem die Nutzung der Erfahrungen des Transfergebenden im Vordergrund standen. Bei einer längeren Laufzeit wäre es vielleicht zu mehr IP Lehrerfahrung am Transfernehmerstandort und somit auch zu einem erhöhten Austausch mit gemeinsamen Lösungen, Entscheidungen oder Aktivitäten gekommen. Die räumliche Distanz, mehrfach personelle Veränderungen im Projektkoordinationsteam des Transfernehmenden und ein bedarfsorientierter Beratungsansatz können dazu beigetragen haben, den Schwerpunkt beim User Pull zu belassen. Ein konstantes Team an beiden Standorten hätte einen intensiveren Beratungsaustausch und damit mehr Exchange ermöglichen können. Rückblickend ließen die Transferpartner einige Gelegenheiten ungenutzt, Exchange in Form von standortübergreifender Kooperation zu praktizieren. Beispielsweise hätte man unter COVID-19-Bedingungen gemeinsam an der Erstellung von IP E-Learning arbeiten oder den Austausch zwischen IP Lehrenden bewusst fördern können. Mit Exchange-Beratungssituationen wäre möglicherweise eine größere Anzahl hoch relevanter Outcomes erzielt worden. Außerdem hätten diese Outcomes nicht nur die Arbeit an der IP Lehre am Transfernehmerstandort, sondern auch die Arbeit am Transfergeberstandort, voranbringen und die Standorte – eventuell auch für zukünftige Projekte – enger miteinander kooperieren lassen können.

Der vorliegende Erfahrungsbericht beschreibt, analysiert und bewertet den Beratungsprozess eines einzelnen Transferprojektes. Die angewandten Bewertungskriterien wurden der Literatur zu Wissenstransfer und soziologischer Systemtheorie entnommen und haben sich als geeignet erwiesen. Dies ermöglicht, allgemeine Empfehlungen für die erfolgreiche Umsetzung von Wissenstransferprojekten zu formulieren, die standort- und projektspezifische Rahmenbedingungen miteinbeziehen.


Fazit & Empfehlungen

Wissenstransfer bietet die Gelegenheit, bereits erprobte IP Lehrkonzepte an andere Standorte zu übertragen und dabei auf die Erfahrungen der Transfergebenden zurückgreifen zu können. Insgesamt kann der Wissenstransfer des IP Lehrkonzepts von Mannheim nach Dresden positiv bewertet werden. Der Transfer ermöglichte die Übernahme erfolgreicher Umsetzungsstrategien und Vermeidung möglicher Probleme am neuen Standort. Die große Flexibilität hinsichtlich der räumlichen Ebene und der Kommunikationsformen im Beratungsprozess erlaubte kurzfristige Reaktionen auf sich ändernde Gegebenheiten. Weiterhin wird die Bereitschaft des Transfergebenden, schon vorhandene Projekterfahrungen uneingeschränkt zu teilen und transparent Chancen und Grenzen aufzuzeigen, als sehr bereichernd eingeschätzt. Der Beratungs- und Transferprozess hätte jedoch durch eine strukturiertere Vorbereitung noch gewinnbringender sein können. Auf Grundlage der verwendeten Literatur und der konkreten Projekterfahrungen lassen sich folgende Empfehlungen für die Planung von Wissenstransferprojekten angelehnt an die Transferaktivitätstypen (Producer Push, User Pull, Exchange) ableiten:

  • User Pull (Initiative Transfernehmende):
    • Konkrete Transferziele und Erwartungen an den Transfergebenden festlegen
    • Kriterien für die Auswahl eines geeigneten Transfergebenden festlegen und ggf. priorisieren, z. B. ähnliches Vorhaben, räumliche Distanz, Informationsbedarf, Kommunikationsformen, Erwartungen an die Zusammenarbeit, ggf. Beratungskosten
    • Kontinuierlich Projektfortschritt prüfen
  • Producer Push (Initiative Transfergebende):
    • Konkrete Transferleistungen auf Inhalts- und Ausführungsebene anbieten
    • Erfahrungen sowohl auf fachlicher Ebene, aber auch mit Wissenstransferprojekten kommunizieren
    • Erwartungen und Voraussetzungen für Wissenstransfer benennen, z.B. Einbindung von bestimmten Personen/Funktionen/Gremien, konkreter Zeitumfang
    • Kontinuierlich Projektfortschritt prüfen
  • Exchange (gemeinsame Initiative und Zusammenarbeit beider Transferpartner):
    • Transferkonzept auf Basis einer konkreten Bedarfs- sowie einer Ist-Soll-Analyse erarbeiten
    • Form und Umfang der Zusammenarbeit (vorzugsweise face-to-face) inkl. der Kommunikation definieren (Reportingsystem)
    • Projektplan mit Meilensteinen abstimmen, regelmäßig Projektstand prüfen und Plan an Bedarf des Transfernehmenden anpassen
    • Verbindlichkeit durch vertragliche Regelungen auf beiden Seiten erhöhen
    • Abschließend Transferprozess kritisch bewerten, auch in Hinblick auf Ideen oder Vereinbarungen zur längerfristigen Kooperation in anderen Projekten, Bereichen oder Konstellationen

Mithilfe dieser Empfehlungen kann der Prozess des Wissenstransfers an anderen Standorten zielgerichtet gestaltet werden.


Autorenschaft

Die Autor*innen Eva Bibrack und Henrike Horneff teilen sich die Erstautorenschaft.


Interessenkonflikt

Die Autorinnen erklären, dass sie keinen Interessenkonflikt im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


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